EuGH Rs. C-376/98, Slg. 2000, S. I-8419 - Deutschland ./. Parlament und Rat
 
Urteil
des Gerichtshofes
vom 5. Oktober 2000
In der Rechtssache
-- C-376/98 --
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium der Finanzen, als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt J. Sedemund, Berlin, Zustellungsanschrift: Bundesministerium der Finanzen, Referat EC2, Graurheindorfer Straße 108, D-53117 Bonn, Klägerin,
gegen
Europäisches Parlament, vertreten durch Abteilungsleiter C. Pennera und N. Lorenz, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Generalsekretariat des Europäischen Parlaments, Luxemburg-Kirchberg, und Rat der Europäischen Union, vertreten durch Direktor R. Gosalbo Bono, A. Feeney und S. Marquardt, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Generaldirektor A. Morbilli, Direktion für Rechtsfragen der Europäischen Investitionsbank, 100, boulevard Konrad Adenauer, Luxemburg, Beklagte, unterstützt durch Französische Republik, zunächst vertreten durch J.-F. Dobelle, Stellvertretender Direktor in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und R. Loosli-Surrans, Chargé de mission in derselben Direktion, und dann durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in derselben Direktion, und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Französische Botschaft, 8 B, boulevard Joseph II, Luxemburg, Republik Finnland, vertreten durch H. Rotkirch und T. Pynnä, Valtionasiamiehet, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Finnische Botschaft, 2, rue Heinrich Heine, Luxemburg, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch M. Ewing, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigten, im Beistand von N. Paines, QC, Zustellungsanschrift: Botschaft des Vereinigten Königreichs, 14, boulevard Roosevelt, Luxemburg, und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch I. Martinez del Peral und U. Wölker, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gomez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg, Streithelfer, wegen Nichtigerklärung der Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (ABl. L 213, S. 9)
erlässt
Der Gerichtshof unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodriguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter), D. A. O. Edward, L. Sevon und R. Schintgen, der Richter P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, A. La Pergola, J.-P. Puissochet, P. Jann, H. Ragnemalm und M. Wathelet sowie der Richterin F. Macken, Generalanwalt: N. Fennelly, Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler, und L. Hewlett, Verwaltungsrätin aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 12. April 2000, in der die Bundesrepublik Deutschland durch C.-D. Quassowski im Beistand von Rechtsanwalt J. Sedemund, das Parlament durch C. Pennera und N. Lorenz, der Rat durch R. Gosalbo Bono, A. Feeney und S. Marquardt, die Französische Republik durch R. Loosli-Surrans, die Republik Finnland durch T. Pynnä, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland durch G. Amodeo, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigten im Beistand von Professor R. Cranston, QC, MP, Her Majesty's Solicitor General for England & Wales, und N. Paines, und die Kommission durch I. Martinez del Peral und U. Wölker vertreten waren,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juni 2000 folgendes
 
Urteil
1. Mit Klageschrift, die am 19. Oktober 1998 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 173 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) Klage auf Nichtigerklärung der Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (ABl. L 213, S. 9; im Folgenden: Richtlinie) erhoben.
2. Mit Beschlüssen vom 30. April 1999 hat der Präsident des Gerichtshofes die Französische Republik, die Republik Finnland, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Unterstützung der Anträge des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union als Streithelfer zugelassen.
3. Die Richtlinie wurde auf der Grundlage von Artikel 57 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 47 Absatz 2 EG), Artikel 66 EG-Vertrag (jetzt Artikel 55 EG) und Artikel 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG) erlassen.
4. Artikel 2 der Richtlinie lautet:
    "Im Sinne dieser Richtlinie sind
    1. .Tabakerzeugnisse': alle Erzeugnisse, die zum Rauchen, Schnupfen, Lutschen oder Kauen bestimmt sind, sofern sie ganz oder teilweise aus Tabak bestehen;
    2. .Werbung': alle Angaben im geschäftlichen Verkehr, deren Ziel oder deren direkte oder indirekte Wirkung die Verkaufsförderung für ein Tabakerzeugnis ist, einschließlich der Werbung, die, ohne unmittelbar auf das Tabakerzeugnis hinzuweisen, das Werbeverbot dadurch zu umgehen versucht, dass sie Namen, Marken, Symbole oder andere Unterscheidungsmerkmale von Tabakerzeugnissen verwendet;
    3. .Sponsoring': jeder -- öffentlicher oder privater -- Beitrag zu einer Veranstaltung oder Aktivität, dessen Ziel oder dessen direkte oder indirekte Wirkung die Verkaufsförderung für ein Tabakerzeugnis ist;
    4. .Tabakverkaufsstelle': jeder Ort, an dem Tabakerzeugnisse zum Verkauf angeboten werden."
5. Artikel 3 der Richtlinie lautet:
    "(1) Unbeschadet der Richtlinie 89/552/EWG ist jede Form der Werbung und des Sponsoring in der Gemeinschaft verboten.
    (2) Absatz 1 hindert einen Mitgliedstaat nicht zu gestatten, dass ein Name, der bereits guten Glaubens sowohl für Tabakerzeugnisse als auch für andere Erzeugnisse oder Dienstleistungen verwendet wird, die von ein und demselben Unternehmen oder von verschiedenen Unternehmen vor dem 30. Juli 1998 in Verkehr gebracht oder angeboten wurden, in der Werbung für die anderen Erzeugnisse oder Dienstleistungen verwendet wird.
    Dieser Name darf jedoch nur unter einem Aspekt, der sich von dem für das Tabakerzeugnis herangezogenen Aspekt deutlich unterscheidet, und ohne sonstige für ein Tabakerzeugnis bereits benutzte Unterscheidungsmerkmale verwendet werden.
    (3) a) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass kein Tabakerzeugnis den Namen, die Marke, das Symbol oder ein sonstiges Unterscheidungsmerkmal anderer Erzeugnisse oder Dienstleistungen trägt, es sei denn, dass dieses Tabakerzeugnis zu dem in Artikel 6 Absatz 1 genannten Zeitpunkt bereits unter diesem Namen oder dieser Marke oder mit diesem Symbol oder diesen sonstigen Unterscheidungsmerkmalen in Verkehr gebracht worden ist.
    b) Das Verbot nach Absatz 1 darf bei Erzeugnissen oder Dienstleistungen, die ab dem in Artikel 6 Absatz 1 genannten Zeitpunkt in Verkehr gebracht bzw. angeboten werden, nicht dadurch umgangen werden, dass auf Namen, Marken, Symbole oder sonstige Unterscheidungsmerkmale zurückgegriffen wird, die bereits für ein Tabakerzeugnis verwendet werden.
    Um diese Anforderung zu erfüllen, dürfen der Name, die Marke, das Symbol oder ein sonstiges Unterscheidungsmerkmal der betreffenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen nur unter einem Aspekt verwendet werden, der sich von dem für das Tabakerzeugnis verwendeten Aspekt deutlich unterscheidet.
    (4) Jede Gratisverteilung mit dem Ziel oder mit der direkten oder indirekten Wirkung der Verkaufsförderung für ein Tabakerzeugnis ist verboten.
    (5) Diese Richtlinie gilt nicht für
    - Mitteilungen, die ausschließlich für die am Tabakhandel Beteiligten bestimmt sind;
    - die Aufmachung der zum Verkauf angebotenen Tabakerzeugnisse und ihre Preisauszeichnung an den Tabakverkaufsstellen;
    - an den Käufer gerichtete Werbung in auf den Verkauf von Tabakerzeugnissen spezialisierten Einrichtungen und in deren Auslagen und an deren Ladenfassade oder, im Falle von Einrichtungen für den Verkauf verschiedenartiger Waren oder Dienstleistungen, an den für den Verkauf von Tabakerzeugnissen vorbehaltenen Stellen sowie in Griechenland an Verkaufsstellen, die aus sozialen Gründen einem besonderen Lizenzsystem unterliegen (sogenannte Periptera);
    - den Verkauf von in Drittländern herausgegebenen und gedruckten Veröffentlichungen, die Werbung für Tabakerzeugnisse enthalten, wenn diese Veröffentlichungen nicht hauptsächlich für den Gemeinschaftsmarkt bestimmt sind."
6. Artikel 4 der Richtlinie lautet:
    "Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass angemessene und wirksame Maßnahmen getroffen werden, um die Anwendung der von ihnen im Rahmen dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften sicherzustellen und zu überwachen. Dies kann Vorschrifteneinschließen, nach denen Personen oder Organisationen, die nach einzelstaatlichem Recht ein berechtigtes Interesse an der Beendigung einer mit dieser Richtlinie unvereinbaren Werbung besitzen, dagegen entweder gerichtlich vorgehen oder sich an die Verwaltungsstelle wenden können, die für Entscheidungen über entsprechende Beschwerden oder für die Einleitung gerichtlicher Verfahren auf diesem Gebiet zuständig ist."
7. Artikel 5 der Richtlinie lautet:
    "Diese Richtlinie lässt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, im Einklang mit dem Vertrag strengere Vorschriften, die sie zum Schutz der Gesundheit für erforderlich halten, im Bereich der Werbung oder des Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen zu erlassen."
8. Artikel 6 der Richtlinie lautet:
    "(1) Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, spätestens am 30. Juli 2001 in Kraft. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.
    Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.
    (2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.
    (3) Die Mitgliedstaaten können die Anwendung des Artikels 3 Absatz 1
    - in Bezug auf die Presse um ein Jahr und
    - in Bezug auf das Sponsoring um zwei Jahre verschieben.
    In hinreichend begründeten Ausnahmefällen dürfen die Mitgliedstaaten für einen zusätzlichen Zeitraum von drei Jahren, der spätestens am 1. Oktober 2006 abläuft, gestatten, dass ein bestehendes Sponsoring von Veranstaltungen oder Aktivitäten, die weltweit organisiert werden, fortgesetzt wird, sofern
    - die für dieses Sponsoring aufgewendeten Beträge während der Übergangszeit abnehmen;
    - freiwillige Selbstbeschränkungsmaßnahmen getroffen werden, damit die Werbung bei solchen Veranstaltungen oder Aktivitäten weniger sichtbar ist."
9. Die Bundesrepublik Deutschland stützt ihre Klage auf sieben Klagegründe: Sie rügt die fehlende Eignung von Artikel 100a EG-Vertrag als Rechtsgrundlage für die Richtlinie, einen Verstoß gegen Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag, eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, eine Missachtung des Subsidiaritätsprinzips, die Verletzung von Grundrechten, einen Verstoß gegen die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) und eine Verletzung des Artikels 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG).
10. Die Klägerin und die Beklagten gehen davon aus, dass sich ihre Ausführungen zu Artikel 100a auch auf die Auslegung von Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag beziehen.
11. Die Klagegründe, mit denen geltend gemacht wird, Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag seien als Rechtsgrundlage für die Richtlinie nicht geeignet, sind daher zusammen zu prüfen.
 
Zu den Klagegründen, wonach die Wahl der Rechtsgrundlage verfehlt sei
Vorbringen der Parteien
12. Nach Auffassung der Klägerin, die sich insoweit sowohl auf die Merkmale des Werbemarkts für Tabakerzeugnisse als auch auf eine rechtliche Würdigung des Artikels 100a stützt, ist diese Bestimmung als Rechtsgrundlage für die Richtlinie ungeeignet.
13. Was zunächst die Merkmale des Marktes angehe, so sei die Werbung für Tabakerzeugnisse im Wesentlichen eine Tätigkeit, deren Auswirkungen die Grenzen des jeweiligen Mitgliedstaats nicht überschritten.
14. Auch wenn Werbung für Tabakerzeugnisse häufig vom Hersteller geplant werde, werde der gegenüber dem Verbraucher konkret eingesetzte Werbeträger an einer Strategie ausgerichtet, für die die Besonderheiten jedes einzelnen Marktes maßgebend seien. Über die konkrete Form der Werbung, die Hintergrundmusik, die Wahl der Farben und anderer den besonderen kulturellen Gegebenheiten jedes Mitgliedstaats angepasster Elemente des Werbeerzeugnisses werde deshalb auf nationaler Ebene entschieden.
15. Was die sogenannten "ortsgebundenen" Werbeträger wie Außen- und Kinowerbung sowie die Werbung im sogenannten "Horeca"-Bereich (Hotels, Restaurants und Cafés), etwa auf Sonnenschirmen oder Aschenbechern, betreffe, so sei ein Handel mit solchen Produkten zwischen den Mitgliedstaaten so gut wie inexistent und bisher keinerlei Einschränkung unterworfen. Auch die Werbung durch Gratisverteilung sei aus steuerlichen Gründen auf das jeweilige nationale Vermarktungsgebiet beschränkt.
16. Unter den sogenannten "nicht ortsgebundenen" Werbeträgern seien nur die Printmedien von wirtschaftlicher Bedeutung. Zeitschriften und Tageszeitungen seien zwar Werbeträger für Tabakerzeugnisse, aber der innergemeinschaftliche Handel mit ihnensei sehr gering. Bei den Zeitschriften liege der Anteil der in andere Mitgliedstaaten exportierten Exemplare deutlich unter 5%. Die Tagespresse diene hingegen nur in viel geringerem Maße als Zeitschriften als Träger von Tabakwerbung. In Deutschland habe der Anteil der Tabakwerbung am gesamten Werbeaufkommen der Tageszeitungen 1997 nur 0,04% betragen.
17. Die geringe Bedeutung des grenzüberschreitenden Handels mit Presseerzeugnissen erkläre, warum er seitens der Mitgliedstaaten, deren Presse der Abdruck von Tabakwerbung untersagt sei, keinen Einschränkungen unterworfen werde. Die gesetzlichen Bestimmungen in Belgien und Irland gestatteten die Einfuhr von Presseerzeugnissen mit Tabakwerbung ausdrücklich, und auch Versuche, vor französischen Gerichten ein Verbot solcher Einfuhren zu erwirken, seien erfolglos geblieben.
18. Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie, der die sogenannten "Diversifizierungsprodukte" betreffe, sei wegen seiner unpräzisen Fassung verschiedenen Auslegungen zugänglich, die zu neuen Handelsbeschränkungen führten. Jedenfalls enthalte die Richtlinie keine Freiverkehrsklausel, die es den Mitgliedstaaten, die von der durch Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie eröffneten Möglichkeit keinen Gebrauch machten, verwehrte, die Vermarktung von Erzeugnissen aus Mitgliedstaaten, die diese Möglichkeit nutzten, zu unterbinden.
19. Was die Dienstleistungen von Werbeagenturen angehe, so fielen die Ausarbeitung zentralisierter Werbestrategien und die für Werbung erforderliche geistige Arbeit nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Nach der Definition in Artikel 2 Nummer 2 der Richtlinie sei "Werbung" nämlich nur der tatsächliche Einsatz von Werbemitteln gegenüber dem Verbraucher.
20. Im Bereich des Sponsoring spielten sich die Beziehungen zwischen Sponsor und Veranstalter zum großen Teil auf nationaler Ebene ab, denn beide seien normalerweise im selben Mitgliedstaat ansässig. Selbst wo es sich anders verhalte, ergebe sich aus den nationalen Rechtsvorschriften keine Beschränkung des Sponsoring, da die Zurverfügungstellung von Werbeflächen am Veranstaltungsort lokal erfolge. Ebenso wenig unterliege die Fernsehübertragung der gesponserten Veranstaltung Beschränkungen.
21. Was Verzerrungen des Wettbewerbs infolge abweichender nationaler Rechtsvorschriften betreffe, so diene die Richtlinie in Wirklichkeit nicht, wie ihre erste Begründungserwägung angebe, der Beseitigung solcher Wettbewerbsverzerrungen in der Tabakbranche.
22. Was die Hersteller von Werbeprodukten angehe, so seien sie nicht nennenswert grenzüberschreitend tätig, und wegen der vornehmlich nationalen Ausrichtung der Werbestrategien für Tabak bestehe zwischen ihnen kein Wettbewerbsverhältnis. Was die Printmedien angehe, so konkurrierten eingeführte Erzeugnisse nicht mit derörtlichen Presse und erreichten in keinem Fall im Bestimmungsmitgliedstaat einen als bedeutsam anzusehenden Marktanteil.
23. Was zweitens Artikel 100a EG-Vertrag betreffe, so ermächtige er den Gemeinschaftsgesetzgeber zur Angleichung nationaler Rechtsvorschriften, soweit dies zur Förderung des Binnenmarktes erforderlich sei. Solle nicht jede gerichtliche Kontrolle der Heranziehung von Artikel 100a als Rechtsgrundlage unmöglich gemacht werden, so könne eine bloße Bezugnahme auf diesen Artikel in den Begründungserwägungen des erlassenen Rechtsaktes nicht ausreichen. Erforderlich sei vielmehr, dass der Rechtsakt zur Vollendung des Binnenmarktes tatsächlich beitrage.
24. Dies sei hier aber nicht der Fall. Da die einzige zugelassene Werbung, nämlich die an den Verkaufsstätten, nur 2% der Werbeausgaben der Tabakhersteller ausmache, enthalte die Richtlinie de facto ein Totalverbot für Tabakwerbung. Anstatt den Handel mit Tabakwerbeträgern und die Dienstleistungsfreiheit in diesem Bereich zu fördern, beseitige die Richtlinie diese Freiheiten nahezu vollständig. Sie schaffe darüber hinaus neue Handelshemmnisse, die es zuvor nicht gegeben habe. So mache es das Werbeverbot so gut wie unmöglich, auf dem Tabakmarkt neue Erzeugnisse einzuführen und zu vermarkten, und lähme damit im Ergebnis den zwischenstaatlichen Handel.
25. Zur Frage, ob die mit der Richtlinie angestrebte Harmonisierung zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen erforderlich sei, sei neben den vorstehenden, den Werbemarkt für Tabakerzeugnisse betreffenden Gesichtspunkten ferner zu berücksichtigen, dass die Richtlinie auch bisher inexistente Wettbewerbsverzerrungen auf Märkten außerhalb der Tabakbranche hervorrufen werde.
26. Dies gelte für die von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie erfassten Diversifizierungsprodukte. Diese Vorschrift lege derart restriktive Voraussetzungen fest, dass die Hersteller von Diversifizierungsprodukten entweder ihre Betriebe schließen oder beträchtliche Zusatzbelastungen in Kauf nehmen müssten, was erhebliche Verschiebungen von Marktanteilen zugunsten von Wettbewerbern zur Folge haben könne.
27. Zwar sei es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein rechtmäßiges Ziel der Rechtsangleichung, der Entstehung künftiger Handelshemmnisse infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen. Die Richtlinie schaffe aber künftig nur endgültige neue Handelshindernisse.
28. Soweit auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag andere Richtlinien mit bestimmten Tätigkeitsverboten erlassen worden seien, unterschieden sie sich von der angefochtenen Richtlinie. So solle das Verbot irreführender Werbung den grenzüberschreitenden Handel durch die Gewährleistung redlicher Werbung auf Gemeinschaftsebene fördern, und ähnlich diene das Verbot gesundheitsschädlicher Produktbestandteile, Herstellungsverfahren oder Vermarktungsformen der Verwirklichung des Binnenmarktes für die betroffenen Erzeugnisse dadurch, dass ihregesundheitlich unbedenkliche Herstellung, Vermarktung und Konsumierung ermöglicht werde.
29. Artikel 100a dürfe außerdem nur dann als Rechtsgrundlage gewählt werden, wenn die Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten und die Wettbewerbsverzerrungen spürbar seien. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Artikeln 30 und 36 EG-Vertrag, wonach diese Bestimmungen auch geringfügige Handelshindernisse untersagten, sei nicht auf einen Bereich übertragbar, in dem es um eine Abgrenzung zwischen den Zuständigkeiten der Gemeinschaft und denen der Mitgliedstaaten gehe. Wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber nationale Rechtsvorschriften auch bei Fehlen einer spürbaren Beeinträchtigung des Binnenmarktes angleichen dürfte, könnte er Richtlinien für jeden beliebigen Bereich erlassen, womit eine gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Artikels 100a überflüssig würde.
30. Diese Auslegung von Artikel 100a EG-Vertrag werde auch durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes gestützt (Urteile vom 18. März 1980 in der Rechtssache 91/79, Kommission/Italien, Slg. 1980, 1099, Randnr. 8, und vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C-300/89, Kommission/Rat, "Titandioxid", Slg. 1991, I-2867, Randnr. 23).
31. Das obige -- vorstehend in den Randnummern 13 bis 22 zusammengefasste -- Vorbringen belege aber, dass spürbare Hemmnisse für den Handel mit Werbeträgern für Tabakerzeugnisse und die Dienstleistungsfreiheit von Werbeagenturen ebenso wenig bestünden wie spürbare Wettbewerbsverzerrungen unter den Werbeagenturen.
32. Schließlich dürfe Artikel 100a nicht herangezogen werden, wenn der "Schwerpunkt" einer Maßnahme nicht in der Förderung des Binnenmarktes, sondern im Gesundheitsschutz liege.
33. Nach ständiger Rechtsprechung dürfe sich die Gemeinschaft nicht auf Artikel 100a stützen, wenn der zu erlassende Rechtsakt die Marktbedingungen in der Gemeinschaft gleichsam nur "nebenbei" harmonisiere (Urteile vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-70/88, Parlament/Rat, Slg. 1991, I-4529, Randnr. 17, vom 17. März 1993 in der Rechtssache C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993, I-939, Randnr. 19, vom 28. Juni 1994 in der Rechtssache C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-2857, Randnr. 25, und vom 12. November 1996 in der Rechtssache C-84/94, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1996, I-5755, Randnr. 45).
34. Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie und die Würdigung ihres Inhalts und Ziels zeigten jedoch, dass ihr "Schwerpunkt" im Schutz der öffentlichen Gesundheit liege.
35. Was das Titandioxid-Urteil angehe, so unterscheide sich die angefochtene von der dort geprüften Richtlinie. Im jener Rechtssache zugrunde liegenden Sachverhalt seien der Umweltschutz und die Verwirklichung des Binnenmarktes auf gleichwertigem Niveau angestrebt worden, und für jedes dieser Ziele habe die Gemeinschaft über eine eigene Rechtsgrundlage verfügt, nämlich zum einen Artikel 130r EG-Vertrag (nach Änderungjetzt Artikel 174 EG) und zum anderen, für die Angleichung nationaler Rechtsvorschriften, Artikel 100a EG-Vertrag. Im vorliegenden Fall verhalte es sich jedoch anders, da "Schwerpunkt" der Richtlinie der Gesundheitsschutz sei und Artikel 129 Absatz 4 erster Gedankenstrich EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 152 Absatz 4 Unterabsatz 1 EG) Harmonisierungsmaßnahmen in diesem Bereich expressis verbis verbiete.
36. Das Parlament, der Rat und die ihre Anträge unterstützenden Streithelfer sind der Auffassung, dass die Richtlinie wirksam auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag erlassen worden sei. Sie begründen dies sowohl damit, dass im Bereich der Werbung für Tabakerzeugnisse ein Binnenmarkt tatsächlich bestehe, als auch mit der rechtlichen Würdigung des Artikels 100a.
37. Das Parlament, der Rat und die Kommission führen insoweit aus, es bestehe ein Binnenmarkt der Tabakwerbebranche, in der Werbekampagnen häufig von in der Gemeinschaft ansässigen Agenturen zentralisiert und konzipiert würden. Auch wenn die Umsetzung der gewählten Werbestrategien und -themen dann auf nationaler Ebene erfolge, werde doch die Auswahl der Themen, Symbole, Logos und anderer Elemente grenzüberschreitend ausgearbeitet und angeboten und erreiche die Verbraucher in mehreren Mitgliedstaaten.
38. Zum Horeca-Bereich weist der Rat darauf hin, dass, auch wenn diese Werbung nur das örtliche Publikum erreiche, die gleichen Werbeträger gleichwohl in mehreren Mitgliedstaaten verwendet werden könnten, da die gewählte Sprache oft Englisch sei.
39. Was die Gratisverteilung angeht, so betonen das Parlament und der Rat die grenzüberschreitenden Aspekte dieser Werbeform, die sich in ein Werbekonzept einfüge, das für eine bestimmte Marke einheitlich festgelegt und verwirklicht werde. Nach Auffassung des Parlaments wird das Verbot der Gratisverteilung durch das Erfordernis gerechtfertigt, eine Umgehung der Bestimmungen zu verhindern.
40. Die Divergenzen, die zwischen den Rechtsvorschriften bestünden, seien auch geeignet, den freien Handel mit Tabakwerbung enthaltenden Zeitschriften -- insbesondere denjenigen, die Fluggesellschaften ihren Passagieren auf innergemeinschaftlichen Flügen überließen -- und Zeitungen, die in einem Mitgliedstaat erschienen und in anderen Mitgliedstaaten vertrieben würden, zu beeinträchtigen.
41. Hinsichtlich der Diversifizierungsprodukte machen das Parlament und der Rat geltend, Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie sei entgegen dem Vorbringen der Klägerin eindeutig gefasst und dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat nicht die Vermarktung eines Erzeugnisses verhindern dürfe, das in einem anderen Mitgliedstaat, der von der in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie gewährten Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sei.
42. Auch das Sponsoring weise grenzüberschreitende Aspekte auf. Die bei den gesponserten Veranstaltungen verwendeten Werbeträger wie Fahrzeuge, Fahrerkleidung und Plakate an der Rennstrecke erreichten nicht nur das örtliche Publikum. Nach Meinung des Rates besteht ein grenzüberschreitender Kontext schon dann, wenn der Sponsor und das gesponserte Unternehmen in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig seien.
43. Das Parlament, der Rat und die Kommission heben schließlich hervor, dass die Werbeagenturen wegen der Abweichungen zwischen den nationalen Rechtsvorschriften Werbekonzepte nicht gemeinschaftsweit einheitlich entwerfen und anbieten könnten.
44. Die Richtlinie, die durch die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften einen einheitlichen Rahmen für die Tabakwerbung im Binnenmarkt schaffe, habe wirksam auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag erlassen werden können.
45. Die dem Rat in Artikel 100a EG-Vertrag eingeräumte Befugnis ziele nicht notwendig auf die Liberalisierung des Handels, sondern könne auch der Marktregulierung dienen. Deshalb hätten auf der Grundlage von Artikel 100a auch Richtlinien mit bestimmten Verbotstatbeständen erlassen werden dürfen.
46. So untersage die Richtlinie 92/41/EWG des Rates vom 15. Mai 1992 zur Änderung der Richtlinie 89/622/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen (ABl. L 158, S. 30) die Vermarktung von Tabak zum oralen Gebrauch, und die Richtlinie 91/339/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 zur elften Änderung der Richtlinie 76/769/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (ABl. L 186, S. 64) enthalte ein vollständiges Verbot für die Verwendung der dort aufgeführten Stoffe.
47. Auch Richtlinien im Bereich der Werbung wie die Richtlinien 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung (ABl. L 290, S. 18) und die Richtlinie 92/28/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Werbung für Humanarzneimittel (ABl. L 113, S. 13) bezweckten nicht die Liberalisierung des Handels. Die letztgenannte Richtlinie enthalte insbesondere weitreichende Werbeverbote, so u.a. für Arzneimittel, für deren Inverkehrbringen keine Genehmigung nach den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft erteilt worden sei (Artikel 2 Absatz 1), sowie für Arzneimittel, die nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden dürften (Artikel 3 Absatz 1 erster Gedankenstrich).
48. Das Parlament, der Rat und die Kommission beziehen sich des Weiteren auf Richtlinien mit bestimmten Teilverboten, wie die Richtlinie über Fernsehwerbung für Tabakerzeugnisse (Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. L 298, S. 23), und auf mittelbar mit denGrundfreiheiten zusammenhängende Maßnahmen, wie die Rechtsakte über die Einführung der Sommerzeit (Siebte Richtlinie 94/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 zur Regelung der Sommerzeit, ABl. L 164, S. 1) oder über den Zugang zum internationalen Telefonnetz in der Gemeinschaft (Entscheidung 92/264/EWG des Rates vom 11. Mai 1992 zur Einführung einer gemeinsamen Vorwahlnummer für den internationalen Fernsprechverkehr in der Gemeinschaft, ABl. L 137, S. 21).
49. Artikel 100a EG-Vertrag dürfe nicht nur dort herangezogen werden, wo divergierende Rechtsvorschriften tatsächlich die Grundfreiheiten behinderten oder den Wettbewerb verzerrten. Wie der Gerichtshof im Urteil vom 13. Juli 1995 in der Rechtssache C-350/92 (Spanien/Rat, Slg. 1995, I-1985, Randnr. 33) festgestellt habe, reiche es aus, dass die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten die Grundfreiheiten zu behindern drohten. Auf Artikel 100a dürfe sogar zurückgegriffen werden, um einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, durch die neue Unterschiede entstünden (Urteil Spanien/Rat, Randnr. 35).
50. Dem Vorbringen der Klägerin, Artikel 100a dürfe nur als Rechtsgrundlage gewählt werden, wenn divergierende Rechtsvorschriften zu spürbaren Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen führten, hält der Rat entgegen, dass diese aus dem Wettbewerbsrecht stammende Grenzziehung im Bereich von Artikel 100a nicht anwendbar sei. Die Abgrenzung der Kompetenzen habe vielmehr anhand objektiver und allgemein gültiger Kriterien zu erfolgen.
51. Die Kommission führt ergänzend aus, dass im vorliegenden Fall tatsächlich Wettbewerbsverzerrungen bestünden. Wegen der vorhandenen Unterschiede der Rechtsvorschriften existiere für Werbeagenturen je nach dem Ort ihrer Niederlassung oder dem Markt, auf dem sie tätig seien, bei der Gewinnerzielung keine Chancengleichheit. Wenn ein Mitgliedstaat trotz seines restriktiven Presserechts die Zeitungen oder Zeitschriften anderer Mitgliedstaaten einfach toleriere, so führe dies in diesem Staat zu Wettbewerbsverzerrungen.
52. Im Bereich des Sponsoring beeinflussten solche rechtlichen Divergenzen die Ortswahl für von Tabakherstellern gesponserte Veranstaltungen, was im Fall sportlicher Wettkämpfe wie Formel-1-Rennen erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen habe.
53. Schließlich verfügten die Hersteller und Verkäufer von Tabakerzeugnissen nicht über die gleichen Wettbewerbsbedingungen, um ihre Stellung auf dem Markt zu entwickeln. So könnten die Wirtschaftsteilnehmer in den Mitgliedstaaten mit restriktiven Rechtsvorschriften ihre Marktposition lediglich über die Preiskonkurrenz verteidigen oder verbessern.
54. Zum Vorbringen der Klägerin, den "Schwerpunkt" der Richtlinie bilde der Schutz der öffentlichen Gesundheit, führen das Parlament, der Rat und die Kommission aus, fürdie Beurteilung der gewählten Rechtsgrundlage eines Rechtsakts sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes in erster Linie auf den Wortlaut des Rechtsakts abzustellen. Nach der Formulierung und Anordnung der dritten und vierten Begründungserwägung der Richtlinie sei zwar der Schutz der menschlichen Gesundheit ein im Rahmen von Artikel 100a Absätze 3 und 4 EG-Vertrag verfolgter Zweck der Richtlinie, nicht jedoch ihr Hauptzweck.
55. Auch die zweite Begründungserwägung und Artikel 5 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten zum Schutz der öffentlichen Gesundheit strengere Vorschriften erlassen dürften als nach der Richtlinie, zeigten klar, dass das Erfordernis, die menschliche Gesundheit zu schützen, nur nebenbei und nachgeordnet berücksichtigt worden sei.
56. Die Kommission weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die große Bedeutung des Schutzes der öffentlichen Gesundheit in der Richtlinie daraus erkläre, dass der Gesundheitsschutz der wesentliche oder sogar einzige Zweck der angeglichenen nationalen Bestimmungen sei; im Rahmen der Richtlinie sei er gleichwohl nur ein sekundäres Ziel.
57. Das Parlament, der Rat und die Kommission machen schließlich geltend, das in der Richtlinie normierte weitreichende Verbot der Tabakwerbung folge aus der in Artikel 100a Absatz 3 EG-Vertrag niedergelegten Verpflichtung, von einem hohen Niveau des Schutzes der menschlichen Gesundheit auszugehen, und aus dem Erfordernis, die Gefahr einer Umgehung des Verbots auszuschalten.
58. Auch die Regierung des Vereinigten Königreichs tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen, die Richtlinie sei zu Unrecht auf Artikel 100a EG-Vertrag gestützt worden, da ihr Hauptziel nicht in der Beseitigung von Hemmnissen des Handels mit Werbeträgern und der Erbringung entsprechender Dienstleistungen, sondern im Schutz der menschlichen Gesundheit liege.
59. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes müsse sich die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts nach objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Gesichtspunkten wie insbesondere dem Ziel und dem Inhalt des Rechtsakts richten.
60. Objektiv verfolge die Richtlinie aber in untrennbarer Weise zum einen Ziele des Schutzes der menschlichen Gesundheit und zum anderen Zwecke, die mit der Beseitigung von Unterschieden in den Wettbewerbsbedingungen und im freien Handelsverkehr zusammenhingen. Die von der Klägerin befürwortete Prüfung, welchem dieser Ziele größeres Gewicht zukomme, widerspreche nicht nur der nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes gebotenen objektiven Beurteilung, sondern sei auch nicht praktikabel.
61. Gemäß Artikel 100a EG-Vertrag seien der Rat und das Parlament zuständig für den Erlass von Maßnahmen, die der Verwirklichung und dem Funktionieren des Binnenmarktes dienten; diese Voraussetzung sei hier erfüllt.
62. Eine Maßnahme könne nicht nur dann wirksam auf Artikel 100a gestützt werden, wenn nachgewiesen werden könne, dass sie eine Ausweitung des grenzüberschreitenden Handels bewirke. Es genüge, dass sie Ungleichheiten in den Wettbewerbsbedingungen beseitige.
63. Die Richtlinie ziele aber mit der Harmonisierung der Bedingungen, unter denen die Hersteller ihre Erzeugnisse vermarkten könnten, nicht nur auf die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen auf dem Werbemarkt, sondern auch auf dem Markt für Tabakerzeugnisse. Ebenso harmonisiere sie die Voraussetzungen für das Sponsoring kultureller und sportlicher Veranstaltungen durch die Tabakhersteller.
64. Berufssportvereine seien konkurrierende Unternehmen; die Wettbewerbsbedingungen würden beeinträchtigt, wenn die Vereine verschiedener Mitgliedstaaten nicht in gleicher Weise Zuwendungen von Tabakherstellern, denen wegen des gesundheitlichen Negativimages ihrer Erzeugnisse am Sponsoring von Sportveranstaltungen besonders gelegen sei, erhalten könnten.
65. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes dürfe ein Rechtsakt auch erlassen werden, um dem Erlass abweichender nationaler Bestimmungen vorzubeugen, die den Handel behindern könnten. Wegen der Entwicklung zu immer restriktiveren nationalen Regelungen sei es möglich, dass sich die gegenwärtige Lage der Duldung von Printerzeugnissen mit Tabakwerbung ändern werde. Damit bestehe aber die Gefahr wachsender Handelshemmnisse, der die Richtlinie begegnen solle.
66. Was das Vorbringen der Klägerin angehe, Artikel 100a EG-Vertrag dürfe nur im Fall spürbarer Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder Wettbewerbsverzerrungen herangezogen werden, so gebe es für eine solche Abgrenzung keinerlei präzises Kriterium.
67. Die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung von Artikel 100a EG-Vertrag werde gestützt durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach eine Richtlinie, die zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen lediglich bestimmte Tätigkeitsverbote normiere, auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag erlassen werden dürfe (Urteil Titandioxid).
68. Die französische Regierung schließt sich ebenfalls der Auffassung an, dass die Richtlinie rechtmäßig auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag erlassen worden sei. Dies folge aus den bisher zur Rechtsangleichung im Bereich des Gesundheitsschutzes erlassenen Rechtsakten, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 129 EG-Vertrag und aus der gewählten Rechtsgrundlage für neue, noch in Vorbereitung befindliche Harmonisierungsmaßnahmen.
69. Unter den bisherigen Rechtsakten seien insbesondere zu nennen die seit der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, 22, S. 369) erlassenenArneimittelrichtlinien, die Richtlinie 90/220/EWG des Rates vom 23. April 1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (ABl. L 117, S. 15) und die Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. L 262, S. 169). In diesen Richtlinien stünden die Zwecke des Gesundheitsschutzes neben dem Ziel des freien Warenverkehrs und der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen, ohne dass jemals die Gültigkeit dieser Rechtsakte zur Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften über den Gesundheitsschutz bestritten worden sei.
70. Im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Artikel 129 EG-Vertrag habe der Gerichtshof in den Urteilen vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-180/96 (Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1998, I-2265) und vom 4. April 2000 in der Rechtssache C-269/97 (Kommission/Rat, Slg. 2000, I-0000) unterstrichen, dass die Erfordernisse des Schutzes der menschlichen Gesundheit Bestandteil der anderen Gemeinschaftspolitiken, insbesondere der Binnenmarktpolitik, seien.
71. Schließlich sei für den Vorschlag einer Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen Artikel 100a EG-Vertrag Rechtsgrundlage. Überdies fänden gegenwärtig im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation Verhandlungen statt, die insbesondere auf den Abschluss eines Protokolls über Werbung für Tabakerzeugnisse zielten. Die Rechtsgrundlage der der Kommission dafür erteilten Verhandlungsvollmacht sei Artikel 228 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 300 EG).
72. Die finnische Regierung führt aus, dass die Richtlinie wegen der bestehenden Handelshindernisse und Wettbewerbsverzerrungen infolge unterschiedlicher nationaler Rechtsvorschriften wirksam auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag habe erlassen werden können.
73. Sie betont wie das Parlament, der Rat und die Kommission den grenzüberschreitenden Charakter des Werbemarkts und des Sponsoring für Tabakerzeugnisse und weist ergänzend darauf hin, dass die Internationalisierung dieses Marktes durch die elektronische Kommunikation, insbesondere die Werbung im Internet, noch verstärkt werde. Durch Kommunikationsmittel wie das Fernsehen dringe die Tabakwerbung erfolgreich auch in Mitgliedstaaten ein, in denen sie verboten sei. So zeigten verschiedene Studien, dass in einem Mitgliedstaat wie Finnland, wo die unmittelbare Werbung für Tabakerzeugnisse seit 1976 untersagt sei, beispielsweise im Jahr 1996 die von den drei nationalen Fernsehanstalten in einem Monat ausgestrahlten Sportprogramme vier Stunden Werbung für Tabakerzeugnisse enthalten hätten.
74. Auch die Wettbewerbsverzerrungen im Bereich der Tabakerzeugnisse und des Sponsoring seien zu berücksichtigen. Diese Form des Marketing, die kleinen Unternehmen nicht zugänglich sei, schaffe Tatbestände der Ungleichheit, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien.
75. Was den Stellenwert des Gesundheitsschutzes in der Richtlinie angeht, so deckt sich das Vorbringen der finnischen Regierung im Wesentlichen mit dem oben in den Randnummern 54 bis 57 zusammengefassten Vorbringen des Parlaments, des Rates und der Kommission.
Würdigung durch den Gerichtshof
Die Heranziehung von Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag als Rechtsgrundlage und ihre gerichtliche Kontrolle
76. Die Richtlinie betrifft die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen. Es handelt sich dabei um nationale Bestimmungen, denen großteils gesundheitspolitische Ziele zugrunde liegen.
77. Artikel 129 Absatz 4 erster Gedankenstrich EG-Vertrag schließt jegliche Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz und zur Förderung der menschlichen Gesundheit aus.
78. Aus dieser Bestimmung folgt jedoch nicht, dass auf der Grundlage anderer Vertragsbestimmungen erlassene Harmonisierungsmaßnahmen nicht Auswirkungen auf den Schutz der menschlichen Gesundheit haben dürften. Ferner sind die Erfordernisse im Bereich des Gesundheitsschutzes gemäß Artikel 129 Absatz 1 Unterabsatz 3 Bestandteil der übrigen Politiken der Gemeinschaft.
79. Allerdings dürfen andere Artikel des EG-Vertrags nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden, um den ausdrücklichen Ausschluss jeglicher Harmonisierung gemäß Artikel 129 Absatz 4 EG-Vertrag zu umgehen.
80. Im vorliegenden Fall wurde die von der Richtlinie vorgesehene Angleichung der nationalen Vorschriften über die Werbung und das Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen auf die Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag gestützt.
81. Gemäß Artikel 100a Absatz 1 EG-Vertrag erlässt der Rat im Verfahren des Artikels 189b EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 251 EG) nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben.
82. Nach Artikel 3 Buchstabe c EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c EG) ist der Binnenmarkt durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet. Gemäß Artikel 7a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 14 EG), der die erforderlichen Maßnahmen für die Verwirklichung des Binnenmarktes zum Gegenstand hat, umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen des Vertrages gewährleistet ist (Absatz 2).
83. Aus der Zusammenschau dieser Bestimmungen ergibt sich, dass Maßnahmen gemäß Artikel 100a Absatz 1 EG-Vertrag die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern sollen. Diesen Artikel dahin auszulegen, dass er dem Gemeinschaftsgesetzgeber eine allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes gewährte, widerspräche nicht nur dem Wortlaut der genannten Bestimmungen, sondern wäre auch unvereinbar mit dem in Artikel 3b EG-Vertrag (jetzt Artikel 5 EG) niedergelegten Grundsatz, dass die Befugnisse der Gemeinschaft auf Einzelermächtigungen beruhen.
84. Ein auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag erlassener Rechtsakt muss zudem tatsächlich den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern. Genügten bereits die bloße Feststellung von Unterschieden zwischen den nationalen Vorschriften und die abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder daraus möglicherweise entstehenden Wettbewerbsverzerrungen, um die Wahl von Artikel 100a als Rechtsgrundlage zu rechtfertigen, so könnte der gerichtlichen Kontrolle der Wahl der Rechtsgrundlage jede Wirksamkeit genommen werden. Damit wäre der Gerichtshof jedoch an der Wahrnehmung der ihm gemäß Artikel 164 EG-Vertrag (jetzt Artikel 220 EG) obliegenden Aufgabe gehindert, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages zu sichern.
85. So hat der Gerichtshof im Rahmen der Prüfung, ob Artikel 100a zu Recht als Rechtsgrundlage gewählt wurde, festzustellen, ob mit dem Rechtsakt, dessen Gültigkeit in Frage steht, tatsächlich die vom Gemeinschaftsgesetzgeber angeführten Zwecke verfolgt werden (vgl. insbesondere Urteile Spanien/Rat, Randnrn. 25 bis 41, und vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I-2405, Randnrn. 10 bis 21).
86. Zwar kann Artikel 100a, wie der Gerichtshof in der Randnummer 35 des Urteils Spanien/Rat festgestellt hat, als Rechtsgrundlage herangezogen werden, um der Entstehung neuer Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen. Das Entstehen solcher Hindernisse muss jedoch wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken.
87. Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für die Auslegung des Artikels 57 Absatz 2 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 66 EG-Vertrag, der sich ausdrücklich auf Maßnahmen zur Erleichterung des Zugangs zu Dienstleistungstätigkeiten und ihrer Ausübung bezieht. Auch mit diesen Bestimmungen wird dem Gemeinschaftsgesetzgeber eine Zuständigkeit eingeräumt, die spezifisch den Erlass von Maßnahmen zur Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes erlaubt.
88. Sind die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 als Rechtsgrundlage erfüllt, so steht deren Heranziehung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber nicht entgegen, dass dem Gesundheitsschutz bei den zu treffenden Entscheidungen maßgebende Bedeutung zukommt. Vielmehr sind nach Artikel 129 Absatz 1 Unterabsatz 3 die Erfordernisse im Bereich des Gesundheitsschutzes gerade Bestandteil der übrigen Politiken der Gemeinschaft; Artikel 100a Absatz 3 schreibt ausdrücklich vor, dass bei Harmonisierungen von einem hohen Gesundheitsschutzniveau ausgegangen wird.
89. Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob die Richtlinie auf der Grundlage von Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag erlassen werden durfte.
Die Richtlinie
90. In der ersten Begründungserwägung der Richtlinie stellt der Gemeinschaftsgesetzgeber fest, dass die nationalen Vorschriften für die Werbung und das Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen unterschiedlich seien. Da diese Werbung und dieses Sponsoring über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinaus reichten, könnten diese Unterschiede Hemmnisse für den freien Verkehr von Waren, die diesen Tätigkeiten dienten, sowie von Dienstleistungen in diesem Bereich bilden und zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Sie könnten auf diese Weise das Funktionieren des Binnenmarktes behindern.
91. In der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie heißt es, diese Hemmnisse seien zu beseitigen und zu diesem Zweck seien die Vorschriften über die Werbung und das Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen anzugleichen. Den Mitgliedstaaten sei jedoch die Möglichkeit zu belassen, unter bestimmten Voraussetzungen Anforderungen festzulegen, die sie aus Gründen des Gesundheitsschutzes für notwendig hielten.
92. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie ist jede Form der Werbung und des Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen und nach Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie jede Gratisverteilung mit dem Ziel oder der Wirkung der Verkaufsförderung für ein Tabakerzeugnis verboten. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie verbleiben jedoch Mitteilungen unter den am Tabakhandel Beteiligten, die Werbung an Verkaufsstellen und in Drittländern herausgegebene und gedruckte Veröffentlichungen, die nicht hauptsächlich für den Gemeinschaftsmarkt bestimmt sind (Artikel 3 Absatz 5).
93. Die Richtlinie untersagt weiter vom 30. Juli 1998 an die Verwendung desselben Namens für Tabakerzeugnisse und für andere Erzeugnisse und Dienstleistungen mit Ausnahme von Erzeugnissen und Dienstleistungen, die vor diesem Zeitpunkt unter einem Namen vermarktet wurde, der auch für ein Tabakerzeugnis verwendet wurde; für die letztgenannten Erzeugnisse und Dienstleistungen bleibt die Verwendung dieses Namens unter bestimmten Voraussetzungen zulässig (Artikel 3 Absatz 2). Vom 30. Juli 2001 an dürfen Tabakerzeugnisse nicht den Namen, die Marke, das Symbol oder ein sonstiges Unterscheidungsmerkmal anderer Erzeugnisse oder Dienstleistungen tragen,es sei denn, dass dieses Tabakerzeugnis bereits vor diesem Zeitpunkt unter diesem Namen oder dieser Marke oder mit diesem Symbol oder diesen sonstigen Unterscheidungsmerkmalen in Verkehr gebracht wurde (Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe a).
94. Nach Artikel 5 der Richtlinie bleibt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, im Einklang mit dem Vertrag strengere Vorschriften, die sie zum Schutz der Gesundheit für erforderlich halten, im Bereich der Werbung oder des Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen zu erlassen.
95. Es ist demnach zu prüfen, ob die Richtlinie tatsächlich zur Beseitigung von Hemmnissen des freien Warenverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit sowie von Wettbewerbsverzerrungen beiträgt.
Die Beseitigung von Hemmnissen des freien Warenverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit
96. Es ist davon auszugehen, dass wegen der vorhandenen Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über Werbung für Tabakerzeugnisse Hemmnisse für den freien Warenverkehr und die Dienstleistungsfreiheit bestehen oder wahrscheinlich entstehen können.
97. Zwar existieren gegenwärtig, wie die Klägerin aufgezeigt hat, etwa für Zeitschriften und Zeitungen, die Tabakwerbung enthalten, keine Hemmnisse für die Einfuhr in Mitgliedstaaten, in denen diese Werbung untersagt ist. Wegen der Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften, die zu einer immer stärkeren Beschränkung der Werbung für Tabakerzeugnisse führt und der Überzeugung entspricht, dass diese Werbung den Tabakkonsum spürbar erhöht, erscheint es jedoch wahrscheinlich, dass künftig Hindernisse für den freien Verkehr von Presseerzeugnissen entstehen werden.
98. Entsprechend der Richtlinie 89/552, die zur Förderung der freien Verbreitung von Fernsehprogrammen in Artikel 13 die Fernsehwerbung für Tabakerzeugnisse untersagt, könnte deshalb grundsätzlich die Verabschiedung einer Richtlinie auf der Grundlage des Artikels 100a EG-Vertrag zulässig sein, die ein Verbot der Werbung für Tabakerzeugnisse in Zeitschriften und Zeitungen enthielte, um den freien Verkehr von solchen Presseerzeugnissen zu gewährleisten.
99. Für einen großen Teil der Formen von Tabakwerbung lässt sich das in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie enthaltene Verbot jedoch nicht damit rechtfertigen, Hemmnisse für den freien Verkehr von Werbeträgern oder für die Dienstleistungsfreiheit in diesem Werbesektor müssten beseitigt werden. Das gilt insbesondere für das Verbot von Werbung auf Plakaten, auf Sonnenschirmen, Aschenbechern und sonstigen in Hotels, Restaurants und Cafés verwendeten Gegenständen sowie für das Verbot von Werbespots im Kino, denn diese Verbote fördern den Handel mit den betroffenen Erzeugnissen nicht.
100. Zwar kann ein auf der Grundlage von Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag erlassener Rechtsakt auch Bestimmungen umfassen, die zur Beseitigung von Hemmnissen der Grundfreiheiten nichts beitragen, wenn sie erforderlich sind, um die Umgehung bestimmter diesem Ziel dienender Verbote zu verhindern. Für die in der vorstehenden Randnummer genannten Verbote trifft dies jedoch offensichtlich nicht zu.
101. Die Richtlinie stellt auch nicht den freien Verkehr von Erzeugnissen sicher, die ihren Bestimmungen entsprechen.
102. Insoweit lässt sich Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie, der die Diversifizierungsprodukte betrifft, entgegen dem Vorbringen des Parlaments und des Rates nicht dahin auslegen, dass solche Produkte, die in einem Mitgliedstaat vertrieben werden dürfen, bei Vorliegen der in der Richtlinie festgelegten Voraussetzungen in den anderen Mitgliedstaaten einschließlich selbst jener, in denen diese Erzeugnisse verboten sind, frei vertrieben werden könnten.
103. Die Richtlinie lässt nämlich nach ihrem Artikel 5 das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, im Bereich der Werbung oder des Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen im Einklang mit dem Vertrag strengere Vorschriften zu erlassen, die sie zum Schutz der Gesundheit für erforderlich halten.
104. Im Unterschied zu anderen Richtlinien, die den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belassen, aus Gründen des Allgemeinwohls strengere Vorschriften zu normieren (vgl. u.a. Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 90/239/EWG des Rates vom 17. Mai 1990 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den höchstzulässigen Teergehalt von Zigaretten, ABl. L 137, S. 36, und Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 89/622/EWG des Rates vom 13. November 1989 über die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen, ABl. L 359, S. 1) enthält die Richtlinie auch keine Bestimmung, die den freien Handel mit solchen Erzeugnissen gewährleistet, die ihren Bestimmungen entsprechen.
105. Demnach kann der Gemeinschaftsgesetzgeber die Wahl von Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag als Rechtsgrundlage der Richtlinie nicht mit der Erwägung rechtfertigen, Hemmnisse für den freien Verkehr von Werbeträgern und die Dienstleistungsfreiheit müssten beseitigt werden.
Die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen
106. Im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle einer auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag erlassenen Richtlinie ist vom Gerichtshof zu prüfen, ob die Wettbewerbsverzerrungen, auf deren Beseitigung der Rechtsakt zielt, spürbar sind (Urteil Titandioxid, Randnr. 23).
107. Bestünde diese Voraussetzung nicht, wären der Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers praktisch keine Grenzen gezogen. Zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über die Voraussetzungen der Ausübung bestimmter Tätigkeiten bestehen nämlich vielfach Unterschiede, was sich unmittelbar oder mittelbar auf die Wettbewerbsbedingungen der betroffenen Unternehmen auswirkt. Eine Auslegung des Artikels 100a sowie von Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag dahin, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber diese Bestimmungen auch zur Beseitigung nur geringfügiger Wettbewerbsverzerrungen heranziehen dürfte, wäre deshalb mit dem (oben in Randnummer 83 bereits genannten) Grundsatz unvereinbar, dass die Befugnisse der Gemeinschaft auf Einzelermächtigungen beruhen.
108. Es ist deshalb zu prüfen, ob die Richtlinie tatsächlich zur Beseitigung spürbarer Verzerrungen des Wettbewerbs beiträgt.
109. Was erstens Werbeagenturen und Hersteller von Werbeträgern angeht, so sind zwar Unternehmen, die in Mitgliedstaaten mit einer weniger restriktiven Regelung der Tabakwerbung ansässig sind, hinsichtlich der Größenvorteile und der Gewinnerzielung begünstigt. Diese Vorteile wirken sich jedoch auf den Wettbewerb nur entfernt und mittelbar aus und führen nicht zu Verzerrungen, die als spürbar betrachtet werden könnten. Sie sind nicht vergleichbar mit Wettbewerbsverzerrungen infolge unterschiedlicher Herstellungskosten, wie sie den Gemeinschaftsgesetzgeber etwa zum Erlass der Richtlinie 89/428/EWG des Rates vom 21. Juni 1989 über die Modalitäten zur Vereinheitlichung der Programme zur Verringerung und späteren Unterbindung der Verschmutzung durch Abfälle der Titandioxid-Industrie (ABl. L 201, S. 56) veranlassten.
110. Zwar können Unterschiede zwischen bestimmten Regelungen der Tabakwerbung spürbare Wettbewerbsbeschränkungen herbeiführen. So kann das Verbot des Sponsoring in manchen Mitgliedstaaten und seine Zulässigkeit in anderen, wie die Kommission, die finnische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs ausgeführt haben, zur Verlegung insbesondere von Sportwettkämpfen führen und sich damit auf die Wettbewerbsbedingungen der an solchen Veranstaltungen beteiligten Unternehmen erheblich auswirken.
111. Derartige Verzerrungen, die die Heranziehung von Artikel 100a EG-Vertrag für die Untersagung bestimmter Formen des Sponsoring begründen könnten, rechtfertigen es jedoch nicht, diese Rechtsgrundlage für ein allgemeines Werbeverbot, wie es die Richtlinie vorsieht, zu verwenden.
112. Was zweitens Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt für Tabakerzeugnisse angeht, so ist die Richtlinie auch in diesem Bereich nicht zur Beseitigung spürbarer Wettbewerbsverzerrungen geeignet; das Vorbringen der Klägerin, die Richtlinie ziele auf diese Verzerrungen nicht ab, kann daher dahinstehen.
113. Zwar weist die Kommission zu Recht darauf hin, dass Hersteller und Verkäufer von Tabakerzeugnissen in Mitgliedstaaten mit restriktiven Rechtsvorschriften ihre Marktposition nur über den Preiswettbewerb entwickeln könnten. Hierin liegt indessen keine Verzerrung des Wettbewerbs, sondern eine Beschränkung der Wettbewerbsarten, die in gleicher Weise für alle Wirtschaftsteilnehmer in diesen Mitgliedstaaten gilt. Durch eine weitgehende Untersagung der Tabakwerbung würde die Richtlinie diese Beschränkung künftig generalisieren und die Mittel, mit denen sich die Wirtschaftsteilnehmer Zugang zum Markt verschaffen und sich dort behaupten können, in sämtlichen Mitgliedstaaten einschränken.
114. Demnach kann der Gemeinschaftsgesetzgeber die Wahl von Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag als Rechtsgrundlage der Richtlinie auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, Wettbewerbsverzerrungen in der Werbebranche oder in der Tabakbranche müssten beseitigt werden.
115. Nach alledem ist festzustellen, dass die Richtlinie nicht auf der Grundlage von Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag erlassen werden durfte.
116. Die Klagegründe, dass Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag keine geeignete Rechtsgrundlage für die Richtlinie darstellen, greifen deshalb durch.
117. Wie oben (Randnrn. 98 und 111) ausgeführt, wäre der Erlass einer Richtlinie, die bestimmte Formen der Werbung und des Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen verboten hätte, auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag zulässig gewesen. Wegen des allgemeinen Charakters des in der Richtlinie normierten Verbotes der Werbung und des Sponsoring für Tabakerzeugnisse liefe jedoch eine teilweise Nichtigerklärung der Richtlinie auf eine Änderung ihrer Bestimmungen durch den Gerichtshof hinaus; eine solche Änderung ist dem Gemeinschaftsgesetzgeber vorbehalten. Eine teilweise Nichtigerklärung der Richtlinie kommt deshalb nicht in Betracht.
118. Da die Klagegründe, dass Artikel 100a, Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66 EG-Vertrag keine geeignete Rechtsgrundlage für die Richtlinie darstellen, durchgreifen, brauchen die übrigen Klagegründe nicht geprüft zu werden. Die Richtlinie wird insgesamt für nichtig erklärt.
 
Kosten
119. Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament und der Rat mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen dem Antrag der Bundesrepublik Deutschland gemäß die Kosten aufzuerlegen. Gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Französische Republik, die Republik Finnland, das Vereinigte Königreich und die Kommission ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen wird für nichtig erklärt.
2. Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union tragen die Kosten des Verfahrens. Die Französische Republik, die Republik Finnland, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften tragen ihre eigenen Kosten
Rodriguez Iglesias, Moitinho de Almeida, Edward, Sevon, Schintgen, Kapteyn, Gulmann, La Pergola, Puissochet, Jann, Ragnemalm, Wathelet, Macken
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. Oktober 2000.
R. Grass (Der Kanzler), G. C. Rodriguez Iglesias (Der Präsident)