BVerwGE 19, 121 - Auftragsangelegenheiten |
Die Gemeinde kann in einer Selbstverwaltungsangelegenheit eine sie belastende Verfügung der Aufsichtsbehörde auch dann im Verwaltungsrechtswege anfechten, wenn dieselbe in einem förmlichen Verwaltungsverfahren in der Form einer Widerspruchsentscheidung gegen eine Entscheidung der Gemeinde ergangen ist. |
MRVO 165 §§ 22, 23, 25; BRRG § 136 Nr. 1; GG Art. 28 Abs. 2; Gemeindeordnung für Schl.-Holst. v. 24. 1. 1950 (GVOBl. Schl.-H. S. 25) §§ 1, 120 ff., 128, 130 Abs. 1 u 3; Landesbeamtengesetz Schl.-Holst. v. 19. 3.1956 i.d.F. v. 2.1.1958 (GVOBl. Schl.-H. S. 14) §§ 182, 183, 193 |
Urteil |
des VIII. Senats vom 9. Juli 1964 |
-- BVerwG VIII C 29.63 -- |
I. Verwaltungsgericht Schleswig |
II. Oberverwaltungsgericht Lüneburg |
Der Beigeladene war Bürgermeister der klagenden Gemeinde im Lande Schleswig-Holstein. Auf seinen Widerspruch hob der beklagte Landrat einen Bescheid der Klägerin über die Festsetzung des Besoldungsdienstalters des Beigeladenen auf, setzte den Beginn des Besoldungsdienstalters anderweitig fest und wies die Klägerin an, von dieser Festsetzung bei der Festsetzung des Besoldungsdienstalters nach dem Landesbesoldungsgesetz auszugehen. Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat durch Zwischenurteil entschieden, daß die Klage zulässig sei. Der Beigeladene hat gegen das Zwischenurteil Revision eingelegt.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision zurückgewiesen.
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Aus den Gründen: |
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, daß die Klage zulässig sei, beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) oder einer Rechtsnorm auf dem Gebiete des Beamtenrechts (§ 191 Abs. 2 VwGO, § 127 des Beamtenrechtsrahmengesetzes, jetzt geltend in der Fassung vom 1. Oktober 1961 [BGBl. I S. 1835]).
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Zu Unrecht wird von der Revision die Ansicht vertreten, daß die Widerspruchsentscheidung, die der beklagte Landrat in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde auf Grund des § 193 des Beamtengesetzes für das Land Schleswig-Holstein (Landesbeamtengesetz -- LBG --) vom 19. März 1956, hier in der Fassung vom 2. Januar 1958 (GVOBl. Schl.-H. S. 14) zugunsten des Beigeladenen getroffen hat, einer Anfechtung durch die Klägerin, die als Gemeinde und Dienstherrin des Beigeladenen den ursprünglichen Bescheid erlassen hat, grundsätzlich entzogen sei. Daß solches nicht zutrifft, ergibt sich sowohl aus Vorschriften des Bundesrechts als auch aus dem Beamtenrecht des Landes Schleswig-Holstein.
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Die Gemeinden als Körperschaften des Öffentlichen Rechts verwalten sich selbst durch ihre Organe. Ihnen muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln (Art. 28 Abs. 2 GG; so auch § 1 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein -- GemO Schl.-H. -- vom 24. Januar 1950 [GVOBl. Schl.-H. S. 25]). Als solche Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind jedenfalls die sogenannten Selbstverwaltungsangelegenheiten zu betrachten, die dem "eigenen Wirkungskreis" angehören.
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Da das Recht zur eigenverantwortlichen Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nach Art. 28 Abs. 2 GG den Gemeinden nur im Rahmen der Gesetze zusteht, ist es aber verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Maßnahmen der Gemeinden auf dem Gebiet der Selbstverwaltung der Kommunalaufsicht durch die hierfür zuständigen Landesorgane unterworfen werden (vgl. §§ 120 ff. GemO Schl.-H.). Diese Aufsicht kann verschieden geregelt sein und ein unterschiedliches Ausmaß haben (vgl. BVerfGE 7, 358 [364, 365]). Durch die im jeweiligen Lande getroffene Regelung darf jedoch das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden nicht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. In jedem Falle aber stellt die Entscheidung der Aufsichtsbehörde, die auf Grund der Kommunalaufsicht ergeht, eine Regelung des Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts dar. Sie ist demnach ein Verwaltungsakt, der als solcher, wenn er die Gemeinde belastet, gemäß der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel (§§ 22, 23 MRVO 165; jetzt § 42 VwGO) von der Gemeinde mit der Klage im Verwaltungsrechtswege angegriffen werden kann. Demgemäß heißt es denn auch in § 128 GemO Schl.-H: "Die Gemeinde kann gegen Anordnungen der Kommunalaufsichtsbehörde gemäß §§ 123 bis 127 Klage im Verwaltungsstreitverfahren erheben."
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Die Frage der Anfechtbarkeit ist hingegen dann anders zu beurteilen, wenn es sich nicht um die Kommunalaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten, sondern um Weisungen der Fachaufsichtsbehörde in solchen Angelegenheiten handelt, die der Gemeinde vom Staat übertragen worden sind als sogenannte Auftragsangelegenheiten (§ 130 Abs. 1 und 3 GemO Schl.-H). Hier kann die Gemeinde in aller Regel nicht Klage erheben. Denn sie nimmt im "übertragenen Wirkungskreis" nicht eigene Angelegenheiten wahr, sondern solche des Landes. Sie kann daher durch eine von ihren Vorstellungen und Wünschen abweichende Entscheidung des Landes im allgemeinen nicht in ihren Rechten verletzt sein.
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Sind somit die Maßnahmen der zuständigen Landesbehörde zwar in Selbstverwaltungsangelegenheiten grundsätzlich einer Anfechtung durch die Gemeinde unterworfen, in Auftragsangelegenheiten hingegen in der Regel nicht, so hat dieser Maßstab auch für die Rechtsschutzfrage im Rahmen des § 193 LBG entscheidende Bedeutung. Diese Vorschrift bestimmte in der hier maßgeblichen Fassung, daß für die Beamten der Gemeinden unter 20000 Einwohnern in den Fällen des § 183 LBG die Aufsichtsbehörde "als oberste Dienstbehörde" entscheide.
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Personalangelegenheiten gehören zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinden (BVerwGE 2, 329), wobei es entgegen der Ansicht der Revision unerheblich ist, ob es sich um Angelegenheiten von größerem oder um solche von geringerem Gewicht handelt. Die §§ 182, 183 LBG in ihrer damaligen Fassung, die gemäß § 136 Nr. 1 des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 1. Juli 1957 (BGBl. I S. 667) zunächst noch weiterhin galt, trugen diesem Rechtszustand auch Rechnung. Sie regelten -- in Übereinstimmung mit den bundesrechtlichen Bestimmungen und in Ergänzung zu ihnen -- das Vorverfahren für die Klagen sowohl der Beamten, Ruhestandsbeamten, früheren Beamten und Hinterbliebenen als auch des Dienstherrn aus dem Beamtenverhältnis. Nach dieser Regelung war die Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Klage von einem erfolglosen Widerspruch zur obersten Dienstbehörde abhängig gemacht.
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Aus diesem Zusammenhang ergibt sich der Sinn der Vorschrift des § 193 LBG, soweit in ihr bestimmt ist, daß die Aufsichtsbehörde über den Widerspruch "als oberste Dienstbehörde" entscheide. Hierdurch wird bezüglich derjenigen Gemeinden, bei denen wegen ihrer geringen Größe das Vorhandensein hinreichend fach- und rechtskundiger Organe nicht vorausgesetzt werden kann, für die Zuständigkeit zur Entscheidung in beamtenrechtlichen Streitigkeiten der Rechtsbegriff der obersten Dienstbehörde so festgelegt, daß er mit dem der Aufsichtsbehörde zusammenfällt. Weitergehende Schlußfolgerungen hieraus entbehren der Grundlage. Insbesondere ergibt sich aus dem § 193 LBG nichts für die Frage, ob die Gemeinde eine nach dieser Vorschrift ergangene Widerspruchsentscheidung im Verwaltungsrechtswege anfechten kann. Dies ist allein nach den allgemeinen Bestimmungen zu beurteilen. Hierbei wiederum kommt es nur auf den Rechtszustand an, der zur Zeit des fraglichen Verwaltungsverfahrens bestand. Die von den Beteiligten erörterte Frage, unter welchen Voraussetzungen nach dem früheren Reichsrecht eine von der Aufsichtsbehörde erlassene Widerspruchsentscheidung von der betroffenen Gemeinde angefochten werden konnte, ist im gegebenen Zusammenhang ohne Bedeutung.
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Die auf den § 193 LBG gestützte Widerspruchsentscheidung der Aufsichtsbehörde kann von der Gemeinde, in deren Rechtsbereich sie eingreift, gemäß der Generalklausel der §§ 22, 23 MRVO 165 (jetzt § 42 VwGO) vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. Denn auch hier trifft die Aufsichtsbehörde als eine außerhalb der Gemeinde stehende Verwaltungsbehörde im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 MRVO 165 zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts eine Entscheidung, die die Gemeinde in ihren Rechten beeinträchtigen kann.
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