BGer B 59/1999
 
BGer B 59/1999 vom 22.05.2000
[AZA]
B 59/99 Vr
I. Kammer
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Bundesrichterin
Widmer, Bundesrichter Meyer und Ferrari; Gerichtsschreiber Nussbaumer
Urteil vom 22. Mai 2000
in Sachen
M.________, 1929, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecherin Dr. B.________,
gegen
Schweizerische Eidgenossenschaft, Beschwerdegegnerin, vertreten durch die Pensionskasse des Bundes, Bundesgasse 32, Bern, und diese vertreten durch die Eidgenössische
Finanzverwaltung, Rechtsdienst, Bernerhof, Bern,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
A.- M.________ war vom 8. April 1958 bis zur am 29. August 1991 rechtskräftig gewordenen Ehescheidung mit R.________ (geboren 1929) verheiratet. Gemäss Ehescheidungskonvention hatte ihr der Ehemann, der als früherer Instruktionsoffizier seit 1. August 1981 zunächst eine Invalidenrente und ab 1. September 1994 eine Altersrente der Eidgenössischen Versicherungskasse (nunmehr Pensionskasse des Bundes) von monatlich Fr. 5191. 35 bezog, lebenslängliche indexierte Unterhaltsbeiträge von zuletzt Fr. 2200. - seit 1. September 1994 zu bezahlen. Nach dem Tod von R.________ am 15. September 1998 verlangte M.________ mit Eingabe vom 23. September 1998 von der Pensionskasse des Bundes die Ausrichtung einer Hinterlassenenleistung.
Mit Schreiben vom 25. September 1998 lehnte die Pensionskasse das Begehren mit der Begründung ab, gemäss den Statuten setze der Anspruch auf eine Hinterlassenenleistung an die geschiedene Ehefrau eines verstorbenen Rentenbezügers voraus, dass dieser eine Witwenrente nach BVG zustehe. Da R.________ bereits vor Inkrafttreten des BVG pensioniert worden sei, bestehe kein Anspruch auf Leistungen gemäss BVG.
B.- Mit Eingabe vom 25. Juni 1999 reichte M.________ Klage gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft ein mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass sie nach dem Tode ihres geschiedenen Ehemannes Anspruch auf eine Witwenrente der Pensionskasse des Bundes habe und es sei diese zur Bezahlung der gesetzlichen und statutarischen Leistungen zu verpflichten. Mit Entscheid vom 15. September 1999 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Klage ab, soweit es darauf eintrat.
C.- M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Pensionskasse des Bundes zu verpflichten, ihr eine Witwenrente gemäss statutarischer Bestimmung und Berechnung zu bezahlen.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft und das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
2.- a) Nach Art. 1 Abs. 2 der hier anwendbaren (vgl. BGE 121 V 97) Verordnung über die Pensionskasse des Bundes (nachfolgend PKB-Statuten) vom 24. August 1994 gelten als Versicherte die männlichen und weiblichen Mitglieder der Pensionskasse sowie die ehemaligen Mitglieder, die Renten der Pensionskasse beziehen. Art. 34 PKB-Statuten bestimmt unter der Marginalie "Ehegattenrente; Leistungsanspruch", dass beim Tod des Versicherten der überlebende Ehegatte Anspruch auf eine Ehegattenrente hat, wenn er:
a. für den Unterhalt eines oder mehrerer Kinder aufkommen muss; oder
b. mindestens zwei Jahre mit dem Verstorbenen verheiratet war; oder
c. eine ganze Rente nach IVG bezieht oder innert zweier Jahre seit dem Tod des Ehepartners Anspruch auf eine solche Rente bekommt.
Der geschiedene Ehegatte ist nach Art. 34 Abs. 5 PKB-Statuten dem Verwitweten gleichgestellt, wenn die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat und ihm im Scheidungsurteil eine Rente oder eine Kapitalabfindung anstelle einer lebenslänglichen Rente zugesprochen worden ist.
Unter der Marginalie "Höhe der Ehegattenrente" bestimmt Art. 35 Abs. 2 PKB-Statuten, dass die Ehegattenrente nach Art. 34 Abs. 5 der Witwenrente nach BVG entspricht. Die Leistung der Pensionskasse wird jedoch um den Betrag gekürzt, um den sie zusammen mit den Leistungen der übrigen Versicherungen, insbesondere nach AHVG und IVG, den Anspruch aus dem Scheidungsurteil übersteigt.
b) Die Auslegung der erwähnten statutarischen Bestimmungen hat - da es sich bei der betroffenen Vorsorgeeinrichtung um eine solche des öffentlichen Rechts handelt - nach den gewöhnlichen Regeln der Gesetzesauslegung (vgl. hiezu BGE 116 V 193 Erw. 3a mit Hinweisen) zu geschehen. Denn anders als bei den privatrechtlichen Vorsorgeträgern, wo das Rechtsverhältnis zu den Versicherten im Bereich der freiwilligen Vorsorge auf dem so genannten Vorsorgevertrag beruht, dessen Auslegung folgerichtig nach Vertrauensprinzip, unter Berücksichtigung der Unklarheits- und Ungewöhnlichkeitsregeln erfolgt (BGE 116 V 221 f. Erw. 2 mit Hinweisen; SZS 2000 S. 154 Erw. 5a, 1998 S. 68 Erw. II/3b), weist das dem öffentlichen Recht unterstehende Vorsorgeverhältnis keine vertraglichen Elemente auf.
Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen ausgelegt werden. Eine historisch orientierte Auslegung ist für sich allein nicht entscheidend. Anderseits vermag aber nur sie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers aufzuzeigen, welche wiederum zusammen mit den zu ihrer Verfolgung getroffenen Wertentscheidungen verbindliche Richtschnur des Richters und der Richterin bleibt, auch wenn sie das Gesetz mittels teleologischer Auslegung oder Rechtsfortbildung veränderten Umständen anpassen oder es ergänzen (BGE 123 V 301 Erw. 6a mit Hinweisen).
3.- Im Streit liegt, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Hinterlassenenrente für Geschiedene gestützt auf die PKB-Statuten hat. Dabei ist aufgrund der Akten erstellt, dass die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat und der Beschwerdeführerin im Scheidungsurteil eine (lebenslängliche) Rente zugesprochen worden ist.
a) Beschwerdegegnerin und Vorinstanz gehen mit dem Bundesamt für Sozialversicherung davon aus, dass die Rente des verstorbenen Versicherten am 1. August 1981 und damit vor Inkrafttreten des BVG am 1. Januar 1985 entstanden ist. Deshalb sei der verstorbene Versicherte bei der Pensionskasse nie obligatorisch nach Massgabe des BVG versichert gewesen. Er habe deshalb auch kein Altersguthaben im Sinne von Art. 15 BVG erwerben können mit der Folge, dass es nie zur Ausrichtung einer Rente gemäss BVG hätte kommen können. Mangels eines dem Obligatorium unterstehenden Versicherungsverhältnisses mit der Pensionskasse des Bundes bestehe von vornherein kein Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Witwenrente nach BVG.
b) Mit ihrer Auffassung übersehen Beschwerdegegnerin und Vorinstanz, dass die PKB-Statuten zwischen Anspruch und Höhe der Rente des überlebenden Geschiedenen unterscheiden. Art. 34 Abs. 1 und Abs. 5 PKB-Statuten mit der Marginalie "Ehegattenrente; Leistungsanspruch" ("Rente de viduité/ Droit à la prestation" und "Pensione vedovile; diritto alla prestazione") regelt den Anspruch. Die Voraussetzungen dieser Anspruchsnorm erfüllt die Beschwerdeführerin unbestrittenermassen. Demgegenüber handelt es sich bei Art. 35 Abs. 2 PKB-Statuten mit der Marginalie "Höhe der Ehegattenrente" ("Montant de la rente de viduité" und "Ammontare della pensione vedovile") um eine Bemessungsvorschrift, welche einzig die Höhe, nicht aber zugleich den grundsätzlichen Anspruch, bestimmt. Dafür spricht auch der Wortlaut von Art. 35 Abs. 2 erster Satz PKB-Statuten, wonach die Geschiedenenrente der Witwenrente nach BVG "entspricht" ("équivaut à la prestation de survivants allouée à la veuve aux termes de la LPP"; "equivale alla rendita per vedove secondo la LPP"). Dass es sich bei der Hinterlassenenrente an geschiedene Personen nach den PKB-Statuten um eine eigenständige statutarische, vom BVG losgelöste Leistung handelt, ergibt sich bereits daraus, dass nach den PKB-Statuten (Art. 34 und 35) im Unterschied zum BVG (vgl. Art. 19 BVG und Art. 20 BVV 2) auch der (geschiedene) Ehemann Anspruch auf Hinterlassenenleistung haben kann. Angesichts der Statutensystematik, des eigenständigen statutarischen Anspruchs und des Fehlens anderslautender Übergangsbestimmungen kann ein Anspruch auch nicht mit der Begründung verneint werden, für die Bemessung fehle es an einem unter dem BVG erworbenen Altersguthaben. R.________ war als Rentenbezüger bei der Pensionskasse des Bundes angesichts von Art. 1 Abs. 2 PKB-Statuten weiterhin Versicherter, dessen geschiedene Ehegattin nach Art. 34 Abs. 1 und 5 PKB-Statuten grundsätzlich Anspruch auf eine Ehegattenrente hat. Wenn Art. 35 Abs. 2 erster Satz PKB-Statuten für die Höhe der Ehegattenrente auf die Witwenrente nach BVG Bezug nimmt, so kann dies daher nur bedeuten, dass sich der Prozentsatz der Hinterlassenenrente für den geschiedenen Ehegatten nach Art. 21 BVG richtet. Bezugsgrösse ist im Falle der Mitglieder die Invalidenrente der PKB, auf die das Mitglied Anspruch gehabt hätte, im Falle bereits laufender Leistungen die von der PKB ausgerichtete Alters- oder Invalidenrente. Im Unterschied zum verheirateten Ehegatten, bei welchem sich der Prozentsatz und die Bezugsgrösse nach Art. 35 Abs. 1 PKB-Statuten richtet, hat der geschiedene Ehegatte eine zusätzliche Kürzung in Kauf zu nehmen. In Anlehnung an Art. 20 Abs. 2 BVV 2 wird laut Art. 35 Abs. 2 zweiter Satz PKB-Statuten die Leistung der PKB um den Betrag gekürzt, um den sie zusammen mit den Leistungen der übrigen Versicherungen, insbesondere nach AHVG und IVG, den Anspruch aus dem Scheidungsurteil übersteigt.
c) Nach dem Gesagten hat die Beschwerdeführerin grundsätzlich Anspruch auf eine Ehegattenrente nach Art. 35 Abs. 2 PKB-Statuten im Umfang von 60 % der von ihrem verstorbenen geschiedenen Ehemann zuletzt bezogenen Altersrente, wobei der Höchstbetrag auf den Anspruch aus dem Scheidungsurteil begrenzt ist und dieser gekürzt wird oder ganz wegfällt, wenn die Leistungen der übrigen Versicherungen, insbesondere nach AHVG und weiterer Rentenversicherungen (Pensionskasse des Kantons Bern, Militärversicherung), anzurechnen sind. Es wird Sache der PKB sein, die entsprechenden Versicherungsleistungen abzuklären und hernach zu prüfen, ob und wenn ja in welchem Umfang eine Rente zur Auszahlung gelangt.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 15. September 1999 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin im Sinne der Erwägungen Anspruch auf eine Hinterlassenenrente für Geschiedene hat.
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500. - (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 22. Mai 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: