BGer C 230/1999
 
BGer C 230/1999 vom 27.07.2000
[AZA 7]
C 230/99 Gb
IV. Kammer
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
Gerichtsschreiberin Hostettler
Urteil vom 27. Juli 2000
in Sachen
B.________, Beschwerdeführerin,
gegen
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Rudolf Diesel-Strasse 28, Winterthur, Beschwerdegegnerin,
und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
A.- Die beiden Firmen M.________ AG und S.________ AG (Inhaber X.________) unterhielten aus Kostengründen seit 1988 eine Bürogemeinschaft. B.________ erledigte für beide Unternehmungen als Disponentin die anfallenden Büroarbeiten. Ihr Lohn wurde von der M.________ AG abgerechnet und ausbezahlt. Die S.________ AG verpflichtete sich im Gegenzug, der M.________ AG monatlich einen Betrag von zuletzt Fr. 760. - als Anteil an die Lohnkosten der Angestellten zu bezahlen.
Am 8. Oktober 1996 verstarb X.________ und am 29. Oktober 1996 wurde der Konkurs über den Nachlass eröffnet. Die entsprechende Publikation erfolgte im Schweizerischen Handelsamtsblatt am 10. Januar 1997. Am 29. Januar 1997 reichte die Firma M.________ AG bei der Arbeitslosenversicherung vorsorglich einen Antrag auf Insolvenzentschädigung ein. Dieses Begehren wies die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich mit Verfügung vom 18. April 1997 ab, da nur Arbeitnehmer anspruchsberechtigt seien. Daraufhin meldete sich am 28. April 1997 B.________ bei der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich zum Bezug von Insolvenzentschädigung. Mit Verfügung vom 23. Juni 1997 lehnte die Kasse auch dieses Begehren ab, weil kein Arbeitsverhältnis zwischen der Firma S.________ AG und der Versicherten bestanden habe.
B.- Die von B.________ gegen die Verfügung vom 23. Juni 1997 erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit der Begründung ab, der Anspruch auf Insolvenzentschädigung sei zufolge verspäteter Geltendmachung verwirkt. Die Frage, ob zwischen der S.________ AG und B.________ ein Arbeitsvertrag bestanden habe, könne daher offen bleiben (Entscheid vom 23. Juni 1999).
C.- B.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren um Zusprechung der Insolvenzentschädigung.
Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Stellungnahme.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft lässt sich nicht vernehmen.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Die Vorinstanz hat die massgeblichen Bestimmungen über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG), dessen Geltendmachung und die Folge verspäteter Antragstellung (Art. 53 Abs. 1 und 3 AVIG) zutreffend wiedergegeben.
b) Zu ergänzen ist, dass der Grundsatz von Treu und Glauben den Bürger und die Bürgerin in ihrem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten schützt und u.a. bedeutet, dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung der Rechtsuchenden gebieten. Gemäss aus Art. 4 Abs. 1 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (aBV) abgeleiteter Rechtsprechung ist eine Berufung auf den Vertrauensschutz auch bei fehlender Auskunftserteilung möglich, sofern eine bestimmte gesetzlich gebotene Auskunft im konkreten Anwendungsfall unterblieben ist (BGE 113 V 70
Erw. 2, 112 V 120 Erw. 3b).
Auf den 1. Januar 2000 ist die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV) in Kraft getreten (Art. 1 des entsprechenden Bundesbeschlusses vom 28. September 1999 [AS 1999 2555]). Die - im vorliegenden Zusammenhang interessierende - Grundrechtsgarantie, von den staatlichen Organen nach Treu und Glauben behandelt zu werden, wird nunmehr durch Art. 9 BV gewährleistet. Daneben wurde im zum Einleitungstitel (mit den allgemeinen Bestimmungen) zählenden Art. 5 Abs. 3 BV ein für die gesamte Rechtsordnung im Sinne einer grundlegenden Handlungsmaxime geltendes Prinzip von Treu und Glauben verankert (Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BB1 1997 I 134). Die hievor angeführte Rechtsprechung zum verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz gilt auch unter der Herrschaft von Art. 9 BV, weshalb offen bleiben kann, ob im hier zu beurteilenden Fall bereits die neue oder noch die alte Bundesverfassung anwendbar ist (nicht veröffentlichte Urteile S. vom 9. Mai 2000, K 23/98 und S. vom 26. Mai 2000, H 199/99).
c) Gemäss Rechtsprechung stellt die Wiederherstellung einer versäumten Frist bei Vorliegen eines entschuldbaren Grundes analog Art. 35 OG sowie Art. 24 VwVG einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, welcher auch im Rahmen von Art. 53 Abs. 1 AVIG anwendbar ist (BGE 123 V 107 Erw. 2a; ARV 1996/1997 Nr. 13 S. 70 Erw. 1b mit Hinweisen). Die Wiederherstellung der Frist kann jedoch nur erteilt werden, wenn binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses ein begründetes Begehren um Wiederherstellung der Frist eingereicht und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird (analog Art. 35 Abs. 1 OG und Art. 24 Abs. 1 VwVG; vgl. auch Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz 515).
2.- Im vorliegenden Fall wurde der Antrag auf Insolvenzentschädigung am 28. April 1997 unbestrittenermassen nach Ablauf der gesetzlichen Verwirkungsfrist von 60 Tagen, welche mit der Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatt am 10. Januar 1997 zu laufen begonnen hatte, eingereicht.
Das Vorliegen eines entschuldbaren Grundes, welcher die Wiederherstellung der versäumten Frist rechtfertigen würde, ist nach den zutreffenden Erwägungen des kantonalen Gerichts zu verneinen, woran die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen Einwendungen - auch hinsichtlich des Grundsatzes von Treu und Glauben - nichts zu ändern vermögen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 27. Juli 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer:
Die Gerichtsschreiberin: