BGer C 436/2000 |
BGer C 436/2000 vom 08.06.2001 |
{T 0/2}
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C 436/00 Gr
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IV. Kammer
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Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
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Gerichtsschreiber Jancar
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Urteil vom 8. Juni 2001
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in Sachen
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Staatssekretariat für Wirtschaft, Abteilung Arbeitsmarkt
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und Arbeitslosenversicherung, Bundesgasse 8, 3003 Bern,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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A.________, 1946, Beschwerdegegnerin, vertreten durch die
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Orion Rechtsschutz-Versicherungsgesellschaft, Amthausgasse
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12, 3011 Bern,
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und
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Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn
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A.- Die 1946 geborene A.________ arbeitete seit 1987
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zu 100 % als Sekretärin bei der Firma R. in G.. Per 1. Juni
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1998 wurde dieses Arbeitsverhältnis auf Ersuchen der
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Arbeitgeberin aus wirtschaftlichen Gründen auf 60 % redu-
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ziert. Die Versicherte meldete sich deshalb bei der
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Arbeitslosenkasse und beantragte für die weggefallenen 40 %
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ihrer Anstellung ab 1. Juni 1998 Arbeitslosenentschädigung.
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Mit Verfügung vom 11. Februar 2000 stellte das Amt für
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Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn die Versicherte
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ab 14. Dezember 1999 für 25 Tage in der Anspruchsberechti-
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gung ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, sie habe sich
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nicht bemüht, die ihr zugewiesene und zumutbare 100%-Stelle
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als kaufmännische Angestellte bei der Firma G. AG in B. zu
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erhalten.
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B.- In Gutheissung der hiegegen von A.________ einge-
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reichten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kan-
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tons Solothurn die Verfügung vom 11. Februar 2000 auf (Ent-
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scheid vom 20. November 2000).
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C.- Das Staatssekretariat für Wirtschaft führt Verwal-
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tungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzli-
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chen Entscheid sei aufzuheben.
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Die Versicherte lässt auf Abweisung der Verwaltungsge-
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richtsbeschwerde schliessen. Das Amt für Wirtschaft und Ar-
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beit des Kantons Solothurn beantragt Gutheissung der Ver-
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waltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- Das kantonale Gericht hat die massgebenden gesetz-
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lichen Bestimmungen und Grundsätze über die Anspruchsgrund-
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lagen der mindestens teilweisen Arbeitslosigkeit (Art. 8
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Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 und 2 AVIG)
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und des anrechenbaren Arbeitsausfalls (Art. 8 Abs. 1 lit. b
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in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 AVIG), über die Zwischen-
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verdienstregelung als abrechnungstechnische Einkommensbe-
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messungsbestimmung (Art. 24 AVIG; BGE 121 V 340 Erw. 2c;
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ARV 1996/97 Nr. 38 S. 212 Erw. 2a) und über die Einstellung
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in der Anspruchsberechtigung wegen Nichtbefolgung einer
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Weisung des Arbeitsamtes, namentlich bei Ablehnung einer
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zugewiesenen zumutbaren Arbeit (Art. 30 Abs. 1 lit. d
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AVIG), zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.
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Zu ergänzen ist, dass in Art. 16 AVIG gesagt wird, was
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unter dem Begriff der zumutbaren Arbeit im Sinne von
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Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG zu verstehen ist. Danach ist
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grundsätzlich jede Arbeit zumutbar (Abs. 1), es sei denn,
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einer der in Abs. 2 lit. a-i abschliessend aufgezählten
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Ausnahmetatbestände ist gegeben (vgl. BGE 124 V 63
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Erw. 3b).
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Grundsätzlich gilt jedes das Zustandekommen eines
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Arbeitsvertrages (ver-)hindernde Verhalten des Versicherten
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als (verschuldete) Nichtannahme einer zugewiesenen zumut-
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baren Arbeit. Entsprechend gilt nach der Praxis eine zumut-
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bare Arbeit auch als abgelehnt, wenn der Arbeitslose sich
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gar nicht ernsthaft um die Aufnahme von Vertragsverhandlun-
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gen, insbesondere um ein Vorstellungsgespräch bemüht oder
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bei den Verhandlungen mit dem künftigen Arbeitgeber eine
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nach den Umständen gebotene ausdrückliche Annahmeerklärung
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unterlässt. Der arbeitslose Versicherte hat bei diesen Ver-
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handlungen klar und eindeutig die Bereitschaft zum Ver-
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tragsabschluss zu bekunden, um die Beendigung der Arbeits-
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losigkeit nicht zu gefährden (BGE 122 V 38 Erw. 3b mit Hin-
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weisen; ARV 1984 Nr. 14 S. 167; nicht veröffentlichtes
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Urteil J. vom 9. November 2000, C 251/00).
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2.- Streitig ist, ob die Beschwerdegegnerin unter der
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Sanktionsdrohung von Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG verpflich-
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tet werden konnte, unter Aufgabe der 60%-Stelle bei der
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Firma R. in G. die 100% Stelle bei der Firma G. AG in B.
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anzunehmen.
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a) Die Vorinstanz und die Beschwerdegegnerin bringen
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im Wesentlichen vor, die Teilzeitarbeitslosigkeit sei
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gesetzlich anerkannt. Gemäss Rechtsprechung sei lediglich
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erforderlich, dass der Vermittlungsgrad des Versicherten
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mindestens 20 % einer Vollzeitbeschäftigung betrage. Da die
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Beschwerdegegnerin im Umfang von 40 % für eine Teilzeit-
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stelle vermittlungsfähig gewesen sei, habe sie nicht ver-
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pflichtet werden können, eine 100%-Stelle anzunehmen. Daran
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ändere auch die Zwischenverdienstregelung nichts, da diese
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nur eine Einkommensbemessungsbestimmung und keine Tätig-
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keitsförderungsnorm sei.
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Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die Ver-
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sicherte suchte zu ihrer 60%igen Anstellung eine weitere
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Teilzeitstelle, um insgesamt wieder zu 100 % arbeiten zu
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können. Von der versicherten Person muss indessen verlangt
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werden, dass sie bereit und in der Lage ist, die ausgeübte
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Teilzeitarbeit zu Gunsten einer umfassenderen oder - falls
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dies mit Blick auf die persönlichen Verhältnisse in Frage
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kommt - zu Gunsten einer Vollzeitbeschäftigung aufzugeben,
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selbst wenn sie nur eine zusätzliche Teilzeitarbeit sucht
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(vgl. ARV 1991 Nr. 7 S. 81 Erw. 2c; Nussbaumer, Arbeitslo-
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senversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht
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[SBVR], Rz. 109; Gerhards, Kommentar zum Arbeitslosenversi-
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cherungsgesetz, Bd. I, N 67 zu Art. 15). Dies ergibt sich
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zunächst aus dem Charakter der Zwischenverdiensttätigkeit,
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welche von der versicherten Person bei Zuweisung oder Ver-
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mittlung einer zumutbaren erweiterten Arbeitnehmertätigkeit
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so schnell wie möglich (unter Wahrung der Kündigungsregeln
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oder einer angemessenen Reaktionszeit für die Aufgabe einer
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selbständigen Erwerbstätigkeit) zu deren Gunsten aufgegeben
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werden muss (ARV 1996/97 Nr. 38 S. 212 Erw. 2a mit Hin-
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weis). Es ist dies aber auch eine Folge der in Art. 16
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Abs. 1 und 17 Abs. 1 AVIG statuierten Schadenminderungs-
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pflicht (BGE 124 V 380 Erw. 2c/dd).
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Nach dem Gesagten konnte von der Beschwerdegegnerin
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grundsätzlich gefordert werden, ihre Teilzeitstelle zu
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Gunsten einer Vollzeitbeschäftigung aufzugeben.
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b) Ob anders zu entscheiden wäre, wenn die Versicherte
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berechtigte Aussicht gehabt hätte, in absehbarer Zeit bei
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der bisherigen Arbeitgeberin wiederum zu 100 % tätig zu
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sein, kann offen bleiben. Denn dies macht sie nicht gel-
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tend, und in den Akten fehlen diesbezügliche Anhaltspunkte.
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3.- a) Gemäss Meldung der Firma G. AG vom 13. Dezember
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1999 ist es nicht zu einem Arbeitsvertrag mit der Beschwer-
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degegnerin gekommen, weil für diese eine 100%ige Anstellung
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nicht in Frage gekommen sei und sie zudem die für die
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47. Woche vereinbarte Antwort betreffend Stellenannahme
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nicht erstattet habe. Herr K.________ von der Firma G. AG
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teilte der Arbeitslosenversicherung zudem mit, es wäre auch
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eine 75-80%ige Anstellung möglich gewesen, und der Arbeits-
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beginn hätte unter Beachtung der dreimonatigen Kündigungs-
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frist vereinbart werden können.
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Die Beschwerdegegnerin bringt vor, sie habe in der
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47. Woche zweimal versucht, Herrn K.________ von der Firma
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G. AG anzurufen, habe ihn aber nicht erreicht. Bei beiden
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Anrufen sei ihr mitgeteilt worden, er werde zurückrufen,
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was aber nie geschehen sei. Sie habe deshalb nach Treu und
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Glauben davon ausgehen können, die Firma habe kein Interes-
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se mehr an ihrer Bewerbung gehabt. Dieser Einwand ist unbe-
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helflich. Denn zum einen war die Beschwerdegegnerin gar
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nicht bereit, die 100%-Stelle anzunehmen, obwohl sie dazu
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verpflichtet gewesen wäre (Erw. 2a hievor). Zum anderen
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waren die zwei behaupteten Anrufe ungenügend. Wäre sie näm-
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lich ernsthaft an der Stelle interessiert gewesen, hätte
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sie zweifellos weiter - wenn nötig auch schriftlich - ver-
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suchen müssen, Herrn K.________ zu erreichen. Dies räumt
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sie sinngemäss selber ein, indem sie im vorinstanzlichen
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Verfahren ausführte, sie bestreite nicht, "dass sie es beim
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Versuch, Herrn K.________ in der Woche 47 zweimal telefo-
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nisch zu erreichen, bewenden liess"; auch wenn sie "Herrn
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K.________ zu einem späteren Zeitpunkt noch erreicht hätte,
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wäre es nicht sicher gewesen, dass sie sich überhaupt mit
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einem persönlichen Bewerbungsgespräch hätte vorstellen kön-
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nen und sie eine Anstellung bekommen hätte".
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Da im Übrigen keine Unzumtbarkeitsgründe nach Art. 16
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Abs. 2 AVIG geltend gemacht werden und solche auch nicht
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ersichtlich sind, hat die Beschwerdegegnerin objektiv und
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in schuldhafter Weise den Tatbestand des Art. 30 Abs. 1
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lit. d AVIG erfüllt.
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b) Die Verwaltung hat ein mittelschweres Verschulden
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angenommen und im hiefür geltenden Rahmen von 16 bis 30
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Tagen (Art. 45 Abs. 2 lit. a AVIV) die Sanktion auf 25 Tage
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festgesetzt. Diese Bemessung der Einstellungsdauer ist im
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Rahmen der Ermessenskontrolle (Art. 132 OG) nicht zu bean-
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standen. Damit ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzu-
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heissen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
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der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
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Solothurn vom 20. November 2000 aufgehoben.
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II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
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richt des Kantons Solothurn, dem Amt für Wirtschaft
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und Arbeit des Kantons Solothurn und der Öffentlichen
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Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn zugestellt.
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Luzern, 8. Juni 2001
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der IV. Kammer:
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Der Gerichtsschreiber:
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