BGer I 37/2001 |
BGer I 37/2001 vom 07.09.2001 |
{T 0/2}
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I 37/01 Vr
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IV. Kammer
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Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Kernen;
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Gerichtsschreiber Hadorn
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Urteil vom 7. September 2001
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in Sachen
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IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, Beschwer-
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deführerin,
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gegen
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F.________, 1991, Beschwerdegegnerin, vertreten durch ihre
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Eltern,
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und
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Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz
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Mit Verfügung vom 3. Oktober 2000 lehnte die IV-Stelle
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Schwyz ein Gesuch um medizinische Massnahmen für die am
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15. Juni 1991 geborene F.________ zur Behandlung eines
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kongenitalen Psychoorganischen Syndroms (POS) ab, weil mit
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der Behandlung nicht vor Vollendung des 9. Altersjahres
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begonnen worden sei.
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Die von den Eltern von F.________ dagegen erhobene
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Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
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mit Entscheid vom 13. Dezember 2000 gut. Es verpflichtete
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die IV-Stelle, die medizinischen Massnahmen zur Behandlung
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des erwähnten Geburtsgebrechens zu übernehmen.
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Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
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dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, die Eltern
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von F.________ und die als Mitinteressierte beigeladene
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Krankenkasse KPT, Krankenversicherung von F.________,
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schliessen auf Abweisung, das Bundesamt für Sozialversiche-
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rung (BSV) auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwer-
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de.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- Das kantonale Verwaltungsgericht hat die gesetzli-
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chen Bestimmungen über die Behandlung von Geburtsgebrechen
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bei Minderjährigen (Art. 13 Abs. 1 IVG, Art. 1 Abs. 2 GgV)
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und die Voraussetzungen für die Leistungspflicht der Inva-
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lidenversicherung bei angeborenem POS (Ziff. 404 GgV An-
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hang) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 122 V
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113) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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2.- Die Versicherte vollendete das 9. Altersjahr am
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15. Juni 2000. Während die Diagnosestellung unbestrittener-
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massen vor diesem Datum erfolgte, ist streitig und zu prü-
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fen, ob auch die Voraussetzung der rechtzeitig begonnenen
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Behandlung erfüllt ist.
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a) Anhand der Akten ist erstellt und im Übrigen nicht
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bestritten, dass das Kind am 19. Mai 2000 von Dr. med.
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H.________, Kinderärztin, untersucht wurde. Bei dieser
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Konsultation fand laut Bericht der Kinderärztin vom
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20. November 2000 eine Abklärung des POS statt. Vor dem
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9. Geburtstag des Kindes erfolgte noch eine weitere Konsul-
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tation bei Dr. H.________, nämlich am 7. Juni 2000. Dabei
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ging es gemäss dem erwähnten Arztbericht um eine eingehende
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Aufklärung der Eltern über das POS. Dr. H.________ betrach-
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tet diese Information über einen angepassten Umgang mit dem
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Kind als wesentlichen Schritt der Behandlung. Im Weiteren
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hat Dr. H.________ die Versicherte bei der Frühberatungs-
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und Therapiestelle für Kinder in X.________ angemeldet.
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Dabei ist offenbar ein erstes Schreiben der Ärztin nie bei
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der Therapiestelle eingetroffen. Gemäss Bericht dieser
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Stelle vom 16. Oktober 2000 hätte die vorgesehene ergo-
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therapeutische Behandlung wegen der Warteliste und den
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Sommerferien erst im August 2000 beginnen können. Die
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Vorinstanz folgte der Argumentation der Kinderärztin,
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wonach eine eingehende Aufklärung der Eltern bereits zur
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Behandlung gehöre, und erachtete die Voraussetzung des
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rechtzeitigen Behandlungsbeginns mit der Konsultation vom
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7. Juni 2000 als erfüllt, während die Beschwerde führende
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IV-Stelle einwendet, erst die eigentliche Behandlung der
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Versicherten selbst, nicht aber schon die Aufklärung ihres
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Umfeldes, erfülle diese Bedingung.
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b) In BGE 122 V 113 hat das Eidgenössische Versiche-
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rungsgericht seine Rechtsprechung zum Psychoorganischen
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Syndrom nach Ziff. 404 GgV Anhang zusammengefasst und die
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Gesetzmässigkeit der erwähnten Ziffer bestätigt. Es hat
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festgehalten, die in dieser Ziffer genannten Voraussetzun-
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gen für Leistungen der Invalidenversicherung beruhten auf
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der medizinisch begründeten und empirisch belegten Annahme,
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dass das Gebrechen vor Vollendung des 9. Altersjahres diag-
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nostiziert und behandelt worden wäre, wenn es angeboren
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gewesen wäre (BGE 122 V 120 Erw. 3a/dd). Rechtzeitige Diag-
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nose und rechtzeitiger Behandlungsbeginn sind demnach An-
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spruchsvoraussetzungen für entsprechende Leistungen der
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Invalidenversicherung. Fehlende Diagnose und fehlende Be-
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handlung vor Vollendung des 9. Altersjahres schaffen die
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unwiderlegbare Rechtsvermutung, dass es sich nicht um ein
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angeborenes POS handelt (BGE 122 V 122 f. Erw. 3c/bb).
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Sodann geht es nicht an, bei festgestellter Behandlungs-
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bedürftigkeit bereits eine Behandlung im Verordnungssinne
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anzunehmen, da der Rechtsbegriff der Behandlung sonst die
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erforderliche Bestimmtheit verlieren und Ziff. 404 GgV
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Anhang die ihr zugedachte Abgrenzungsfunktion praktisch
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nicht mehr erfüllen könnte (BGE 122 V 124 Erw. 4c). Im
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nicht veröffentlichten Urteil R. vom 6. Juli 2001
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(I 569/00) hat das Gericht festgehalten, dass Abklärungen
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und Beratungen der Eltern keine Behandlung im erwähnten
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Sinn darstellen. In den kürzlich ergangenen Urteilen L. vom
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28. August 2001 (I 323/00) und S. vom 31. August 2001
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(I 558/00) hat das Gericht seine Rechtsprechung erneut be-
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stätigt und betont, dass es aus Gründen der Rechtssicher-
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heit nicht angeht, auf die klaren Begriffe der rechtzeiti-
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gen Diagnosestellung und rechtzeitig begonnenen Behandlung
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zu verzichten.
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c) Im Lichte dieser Rechtsprechung, von welcher abzu-
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weichen kein Anlass besteht, ist die Behandlung im vorlie-
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genden Fall nicht rechtzeitig begonnen worden. Die Konsul-
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tation vom 7. Juni 2000 diente nach Angaben von Dr.
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H.________ der Aufklärung der Eltern. Dies ist nach dem
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Gesagten noch nicht als Beginn der eigentlichen Behandlung
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zu werten. Hernach ist bis zum kritischen Datum des
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15. Juni 2000 nichts mehr geschehen. Dass die Behandlung
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wegen der Sommerferien oder der Überlastung der entspre-
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chenden Institutionen nicht mehr rechtzeitig beginnen kann,
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ist zwar für die Betroffenen unbefriedigend. Aus Gründen
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der Rechtssicherheit hält das Gericht jedoch daran fest,
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dass das klare Kriterium des rechtzeitigen Behandlungs-
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beginns nicht aufgeweicht werden darf (erwähnte, nicht
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veröffentlichte Urteile L. und S.).
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
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der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
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Schwyz vom 13. Dezember 2000 aufgehoben.
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II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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III.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
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richt des Kantons Schwyz, der Ausgleichskasse Schwyz,
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dem Bundesamt für Sozialversicherung und der Kranken-
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kasse KPT zugestellt.
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Luzern, 7. September 2001
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der IV. Kammer:
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Der Gerichtsschreiber:
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