BGer 1P.256/2002 |
BGer 1P.256/2002 vom 05.06.2002 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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1P.256/2002 /sta
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Urteil vom 5. Juni 2002
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I. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
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Bundesrichter Nay, Fonjallaz,
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Gerichtsschreiber Störi.
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X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. iur. Nicolas Roulet, Rebgasse 1, Postfach 321, 4005 Basel, dieser vertreten durch Advokatin Carol-Anne Ghiggi, Rebgasse 1, Postfach 321, 4005 Basel,
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gegen
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Besonderes Untersuchungsrichteramt des Kantons
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Basel-Landschaft, Rheinstrasse 12, Postfach, 4410 Liestal,
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Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons
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Basel-Landschaft, Kanonengasse 20, 4410 Liestal.
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Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK (Haftprüfung)
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Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 21. März 2002
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Sachverhalt:
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A.
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Das Besondere Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft (BUR) liess X.________ am 11. Oktober 2000 wegen des Verdachts auf vorsätzliche Tötung und schweren Drogenhandel verhaften. Am 13. März 2002 beantragte das BUR dem Präsidium des Verfahrensgerichts, die Untersuchungshaft gegen X.________ um weitere acht Wochen bis zum 16. Mai 2002 zu verlängern. In seiner Stellungnahme vom 18. März 2002 machte X.________ geltend, er sei unmittelbar aus der Haft zu entlassen, da das BUR das Beschleunigungsgebot von Art. 5 Ziff. 3 EMRK verletzt habe.
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Am 21. März 2002 hiess die Präsidentin des Verfahrensgerichts in Strafsachen den Antrag auf Haftverlängerung des BUR gut und verlängerte die Untersuchungshaft gegen X.________ um acht Wochen bis zum 16. Mai 2002 (Dispositiv-Ziff. 1). In Dispositiv-Ziff. 2 ihrer Verfügung hält sie das BUR an, "im Verfahren gegen den Gesuchsgegner das Beschleunigungsgebot zu beachten und die Untersuchung für einen Haftfall angemessen beförderlich durchzuführen".
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B.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 7. Mai 2002 wegen Verletzung der persönlichen Freiheit beantragt X.________, Dispositiv-Ziff. 1 dieser Verfügung des Verfahrensgerichts aufzuheben und ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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C.
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Die Präsidentin des Verfahrensgerichts beantragt in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Beim angefochtenen Entscheid der Präsidentin des Verfahrensgerichts handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b) einzutreten.
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1.2 Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E. 1a). Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers ist daher zulässig.
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1.3 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit gegen die Aufrechterhaltung von Haft erhoben werden, prüft das Bundesgericht die Auslegung und die Anwendung des kantonalen Rechts grundsätzlich frei (BGE 117 Ia 72 E. 1; 114 Ia 281 E. 3).
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2.
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Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die Haftgründe - Tatverdacht und Fluchtgefahr - gegeben sind. Er macht einzig geltend, die Fortsetzung der Untersuchungshaft verletze Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK, da das BUR die Untersuchung nicht mit der für Haftfälle gebotenen Beförderung behandle.
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2.1 Nach Art. 5 Ziff. 3 EMRK und Art. 31 Abs. 3 Satz 2 BV darf eine an sich gerechtfertigte Untersuchungshaft die mutmassliche Dauer der zu erwartenden Freiheitsstrafe nicht übersteigen (BGE 105 Ia 26 E. 4b mit Hinweisen).
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2.1.1 Die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung geführt, ist im Haftprüfungsverfahren nur soweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen.
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2.1.2 Ist die gerügte Verzögerung des Verfahrens weniger gravierend, kann offen bleiben, ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliegt. Es genügt diesfalls, die zuständige Behörde zur besonders beförderlichen Weiterführung des Verfahrens anzuhalten und die Haft gegebenenfalls allein unter der Bedingung der Einhaltung bestimmter Fristen zu bestätigen. Ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebots gegeben ist, kann in der Regel denn auch erst der Sachrichter unter der gebotenen Gesamtwürdigung (BGE 124 I 139 E. 2c) beurteilen, der auch darüber zu befinden hat, in welcher Weise - z.B. durch eine Strafreduktion - eine allfällige Verletzung des Beschleunigungsgebotes wieder gut zu machen ist (zur Publikation bestimmtes Urteil des Bundesgerichts vom 2. Mai 2002, 1P.202/2002, E. 2.2).
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2.2 Die Präsidentin des Verfahrensgerichts geht im angefochtenen Entscheid davon aus, dass die Untersuchung gegen den Beschwerdeführer vor dem Abschluss steht und das BUR seit dem Oktober 2001 mit der Erstellung der Anklageschrift begonnen, ansonsten aber keine Untersuchungshandlungen mehr unternommen hat. Dieser scheinbare Stillstand des Untersuchungsverfahrens und die Verzögerung beim Fertigstellen der Anklageschrift wirkten indessen im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht stossend. Die gerügte Verletzung des Beschleunigungsgebotes sei demnach nicht derart gravierend, dass sie geeignet wäre, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen. Sie könne daher die Frage der Verletzung des Beschleunigungsgebotes noch einmal offen lassen, halte aber das BUR an, das Verfahren nunmehr beförderlich zu führen und die Anklage gegen den Beschwerdeführer fertig zu stellen. Taktische Fragen - etwa ob im Verfahren gegen den Beschwerdeführer und dessen Mitangeklagte gemeinsam oder getrennt Anklage erhoben werden soll - könnten eine schwere Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht rechtfertigen. Es sei dem Beschwerdeführer zuzustimmen, dass das neue Verfahren gegen einen der Mitangeklagten auch in einer Zusatzanklage zu einem späteren Zeitpunkt ans Gericht überwiesen werden könne. Sie gehe davon aus, dass ein Zeitraum von über vier Monaten, welcher nach dieser Haftverlängerung erreicht sein werde, für die Erstellung der Anklage und der Überweisung des Falles an das Gericht auch in einem komplexen Fall mehr als genügend sei. Sie fordere das BUR deshalb auf, zu prüfen, ob die Anklage nun nicht erstellt und das Verfahren unverzüglich ans Gericht überwiesen werden könne.
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2.3 Diese Einschätzung der Präsidentin des Verfahrensgerichts ist verfassungs- und konventionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer macht zwar geltend, das Verfahren stehe bereits seit dem 14. Februar 2001 still, da er an diesem Datum letztmals einvernommen worden sei. Er substanziiert diese Behauptung indessen nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise; es erscheint denn auch keineswegs ausgeschlossen, dass das BUR nach dieser Einvernahme weitere Abklärungen tätigte. Somit ist mit dem Verfahrensgericht davon auszugehen, dass die Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer seit Oktober 2001 abgeschlossen und das BUR seither einzig mit der Ausarbeitung der Anklageschrift beschäftigt ist. Ein Zeitbedarf von vier Monaten, den das Verfahrensgericht dem BUR im angefochtenen Entscheid dafür einräumt, ist zwar grosszügig bemessen und damit in einem Haftfall am oberen Rand des Zulässigen. Eine grobe Verletzung des Beschleunigungsgebotes, welche eine Haftentlassung rechtfertigen könnte, liegt darin indessen jedenfalls nicht, zumal die Präsidentin des Verfahrensgerichts dem BUR im angefochtenen Entscheid deutlich gemacht hat, dass es das Verfahren nunmehr prioritär vorantreiben muss und es nicht mehr aus taktischen Gründen - z.B. um ein einziges Gerichtsverfahren gegen alle Mitangeklagten anzustreben - verzögern darf.
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3.
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Die Entwicklungen, die sich seit Ergehen des angefochtenen Entscheids ergeben haben, sind zwar formell nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Da indessen die zeitlichen Vorgaben, unter welchen der angefochtene Entscheid die Fortführung der Haft bewilligte, nicht eingehalten wurden, geben sie im Sinne der mehr denn je verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Verfahrensbeschleunigung zu folgenden Bemerkungen Anlass:
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Der Beschwerdeführer hat mit der Replik den präsidialen Entscheid des Verfahrensgerichts vom 16. Mai 2002 eingereicht, mit welchem die Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer um weitere 8 Wochen verlängert wurde, obwohl das BUR seinen Haftverlängerungsantrag nur mit "allgemeinen taktischen Überlegungen und den Handlungen anderer Verfahrensbeteiligter, auf die der Gesuchsgegner als Untersuchungshäftling keinen Einfluss haben kann" begründete. Es kam zum Schluss der scheinbare Verfahrensstillstand von nunmehr 6 Monaten sei zwar stossend; angesichts der Komplexität des Verfahrens, der Schwere der Vorwürfe und des Umstandes, dass das BUR nun offenbar bereit sei, innert nützlicher Frist Anklage zu erheben, vermöge die Verzögerung die Rechtmässigkeit der Haft gerade noch nicht in Frage zu stellen.
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Selbst wenn man diese erneute Verzögerung mit dem Verfahrensgericht als verfassungs- und konventionsrechtlich gerade noch akzeptabel betrachten wollte, so ist doch insbesondere das BUR darauf hinzuweisen, dass sein Spielraum damit ausgereizt ist und es die Anklage innert der neuerlichen Haftfrist zu überweisen hat, wenn es den Beschwerdeführer weiterhin will in Haft behalten können. Eine Verlängerung der Frist fällt nur in Betracht, wenn dem Be-schwerdeführer selber erhebliche Verfahrensverzögerungen anzulasten wären oder neue Erkenntnisse in Bezug auf den Tatverdacht (z. B. in Bezug auf das Tötungsdelikt, bei welchem sich der Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer jedenfalls nach der Auffassung der Präsidentin des Verfahrensgerichts bis anhin nicht bestätigt hat) vorlägen.
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4.
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Die Beschwerde ist somit im Sinne der Erwägungen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
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Damit wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt. Dieses ist gutzuheissen, da die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen scheint und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 152 OG). Dementsprechend sind keine Kosten zu erheben, und Advokatin Carol-Anne Ghiggi, Basel, ist als unentgeltliche Verteidigerin einzusetzen und aus der Gerichtskasse angemessen zu entschädigen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.
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Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:
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2.1 Es werden keine Kosten erhoben.
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2.2 Advokatin Carol-Anne Ghiggi, Basel, wird als unentgeltliche Verteidigerin eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt
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3.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Besonderen Untersuchungsrichteramt und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 5. Juni 2002
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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