BGer H 358/2001
 
BGer H 358/2001 vom 17.12.2002
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
H 358/01
Urteil vom 17. Dezember 2002
IV. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Schmutz
Parteien
M.________, 1954, Beschwerdeführer,
gegen
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 28. September 2001)
Sachverhalt:
A.
Mit zwei Nachtragsverfügungen vom 18. Mai 1999 setzte die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich (nachfolgend: Ausgleichskasse) für M.________ die auf einem beitragspflichtigen jährlichen Einkommen von Fr. 89'600.- bemessenen persönlichen AHV-Beiträge der Jahre 1998 und 1999 in der Höhe von Fr. 17'534.40 (einschliesslich Verwaltungskosten) definitiv fest. Mit eingeschriebenem Brief vom 26. Mai 1999 teilte der Versicherte der Ausgleichskasse unter Bezugnahme auf die beiden Verfügungen mit, er habe 1998 aus gesundheitlichen Gründen mit seinem Reinigungsgeschäft lediglich einen Umsatz von Fr. 53'900.- erwirtschaftet und 1999 würden die Einnahmen nicht über 30'000.- steigen. Da es ihm daher nicht möglich sei, die per Verfügung eingeforderten Beiträge zu leisten, bitte er, den gegebenen Umständen Rechnung zu tragen und die Beiträge neu anzupassen. Die Ausgleichskasse verwies ihn mit Brief vom 11. Juni 1999 an ihren Rechtsdienst und forderte ihn auf, dort ein Gesuch um Herabsetzung der Beiträge stellen. Mit Schreiben vom 21. Juni 1999 wandte sich M.________ unter Bezugnahme auf die beiden Nachtragsverfügungen und sein Schreiben vom 26. Mai 1999 an den Rechtsdienst der Ausgleichskasse und machte geltend, es sei ihm nicht möglich, die AHV-Beiträge basiert auf die Jahre 1995 und 1996 zu bezahlen. Mit Verfügung vom 19. September 2000 wies die Ausgleichskasse "das am 21. Juni 1999 gestellte Gesuch um Herabsetzung der persönlichen Beiträge 1998 und 1999" ab.
B.
Mit Eingabe vom 11. Oktober 2000 erhob M.________ dagegen beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde. Er bezog sich darin auf sein Schreiben vom 26. Mai 1999 an die Ausgleichskasse und umschrieb als "klar definiertes Rechtsbegehren", dass die AHV-Beiträge auf sein effektives Einkommen in den Jahren 1998 und 1999 basierend zu reduzieren seien. Das Sozialversicherungsgericht gelangte zum Schluss, die Ausgleichskasse habe der Verfügung über das Herabsetzungsgesuch die wirtschaftlichen Verhältnisse zu Grunde gelegt, wie sie sich aus der Steuererklärung 1999 ergeben, und wies die Beschwerde ab (Entscheid vom 28. September 2001).
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt M.________, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben; eventuell sei die Ausgleichskasse vom Eidgenössischen Versicherungsgericht anzuweisen, wie sie die strittigen Beiträge festzusetzen habe. Zudem sei ihm eine Umtriebsentschädigung zuzusprechen. Er rügt vorab, die beiden Nachtragsverfügungen vom 18. Mai 1999 seien entgegen den Feststellungen der Ausgleichskasse und der kantonalen Instanz nie in Rechtskraft erwachsen, da er sie fristgerecht angefochten habe und bisher über die Beschwerde noch nicht entschieden worden sei.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.
2.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist einzutreten, weil der Beschwerdeführer in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausdrücklich seinen Beschwerdewillen bekundet hat. Wenn er zuerst die Frage nach der Bemessungsgrundlage der verfügten AHV-Beiträge beantwortet haben will, bevor über das im vorin-stanzlichen Entscheid abgehandelte Problem einer Herabsetzung seiner AHV-Beiträge entschieden wird, manifestiert er im Ergebnis eindeutig, dass er den vorinstanzlichen Entscheid nicht akzeptiert. Er will zuerst geklärt haben, ob sich in seinem Falle die Herabsetzungsfrage überhaupt stellen kann, weil er vorerst die Position vertritt, die Nachtragsverfügungen seien nicht rechtskräftig gewor-den und die AHV-Beiträge der Jahre 1998 und 1999 seien falsch bemessen worden (und nach der Korrektur der Beitragsverfügungen bestehe eventuell gar kein Bedarf für eine Herabsetzung mehr).
3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass die Vorinstanz im Hinblick auf sein Schreiben vom 26. Mai 1999 nicht davon ausgehen durfte, die beiden Nachtragsverfügungen vom 18. Mai 1999 seien in Rechtskraft erwachsen. Der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer nahm in dem erwähnten eingeschriebenen Brief Bezug auf die im Betreff ausdrücklich genannten beiden Verfügungen. Er führte an, es sei ihm aus gesundheitlichen und dadurch bedingten wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, die per Verfügung eingeforderten Beiträge zu leisten, weshalb er darum bitte, den gegebenen Umständen Rechnung zu tragen und die Beiträge neu anzupassen. Diese Ausführungen konnten im Sinne eines Antrags auf Festsetzung der Beiträge im ausserordentlichen Verfahren wegen invaliditätsbedingter Änderung der Einkommensgrundlagen (vgl. hierzu das unveröffentliche Urteil W. vom 19. Juni 1995, H 85/95) gemäss Art.25 Abs. 1 AHVV in der damals geltenden Fassung verstanden werden.
Dem im Anschluss an die Eingabe vom 26. Mai 1999 ergangenen Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 11. Juni 1999 lässt sich nicht entnehmen, ob und auf Grund welcher Auskünfte über die Rechtslage der Beschwerdeführer aufgefordert wurde, sich klar darüber zu äussern, ob er die Nachtragsverfügungen anfechten oder lediglich die Herabsetzung des Forderungsbetrags im Sinne von Art. 11 Abs. 1 AHVG beantragen wollte. Aus dem Umstand, dass er schliesslich ein Herabsetzungsgesuch stellte, kann deshalb nicht auf fehlenden Anfechtungswillen geschlossen werden. Nachdem die Vorinstanz im Zusammenhang mit der gegen die ablehnende Herabsetzungsverfügung erhobenen Beschwerde in Kenntnis des fristgerecht eingereichten Schreibens vom 26. Mai 1999 gelangt war, hätte sie prüfen müssen, ob es sich dabei um eine form- und rechtsgültige Beschwerde handelte. Der vom Beschwerdeführer gegenüber dem vorinstanzlichen Entscheid erhobene Haupteinwand ist damit berechtigt. Da die Beschwerdegegnerin und die Vorinstanz sich nicht haben vernehmen lassen, bleibt offen, warum die Verwaltung das Schreiben vom 26. Mai 1999 nicht als Beschwerde gegen die beiden Nachtragsverfügungen entgegengenommen und weitergeleitet hat, und es ist auch nicht ersichtlich, warum das kantonale Gericht das bei den Akten liegende Schreiben (Vorinstanz Urk. 3/4) nicht als Beschwerdeeingabe anerkannt hat. Aus dem angefochtenen Entscheid geht dazu ebenfalls nichts hervor.
3.2 Die Vorinstanz, an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird somit den Beschwerdeführer zur Verdeutlichung der Eingabe vom 26. Mai 1999 im Sinne von Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG auffordern und darüber gegebenenfalls materiell zu entscheiden haben.
4.
4.1 Zur Prüfung der Frage, ob sich eine Herabsetzung der Beiträge rechtfertigt, ist auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners abzustellen, die im Zeitpunkt gegeben sind, in dem er bezahlen sollte. Dies ist der Zeitpunkt, in welchem die Verfügung über das Herabsetzungsgesuch in Rechtskraft erwächst, und gegebenenfalls jener, in welchem die kantonale Rekursbehörde oder das Eidgenössische Versicherungsgericht über eine solche Herabsetzung entscheidet. In diesem Zusammenhang kann das Eidgenössische Versicherungsgericht ausnahmsweise nach Erlass der Kassenverfügung oder des vorinstanzlichen Entscheids eingetretene neue Tatsachen berücksichtigen, obwohl es an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden ist (BGE 120 V 275 Erw. 5a/dd mit Hinweisen). Diese neuen Tatsachen müssen jedoch offensicht-lich klar bewiesen sein (BGE 104 V 63 Erw. 1 in fine, bestätigt in BGE 116 V 294 Erw. 2c in fine, 107 V 80 Erw. 3b; ZAK 1989 S. 112 Erw. 3b).
4.2 Der vorliegend angefochtene Entscheid über die Beitragsherabsetzung ist aufzuheben, weil zum einen nach der erwähnten Rechtsprechung zur Prüfung der Frage, ob sich eine Herabsetzung der Beiträge rechtfertigt, auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners abzustellen ist, die im Zeitpunkt gegeben sind, in dem er bezahlen sollte. Durch die eingetretene Verzögerung bei der Veranlagung der Beiträge ist nicht auszuschliessen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers im massgeblichen Zeitpunkt erheblich geändert haben werden. Zum andern hat das Eidgenössische Versicherungsgericht zumindest unter den vorliegend gegebenen Umständen noch nicht über die Herabsetzung von AHV-Beiträgen zu urteilen, bevor die Vorinstanz entschieden hat, ob sie auf der richtigen Grundlage bemessen worden sind.
5.
Entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 134 OG e contrario; Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
6.
Die nicht anwaltlich oder sonst wie qualifiziert vertretene obsiegende Partei hat nur ausnahmsweise Anspruch auf Parteientschädigung (sog. Umtriebsentschädigung). Voraussetzung ist namentlich, dass die Interessenwahrung einen hohen Arbeitsaufwand notwendig macht, welcher den Rahmen dessen überschreitet, was der Einzelne üblicher- und zumutbarerweise auf sich zu nehmen hat (BGE 110 V 82). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, weshalb eine Umtriebsentschädigung nicht zugesprochen werden kann.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. September 2001 und die Verfügung der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich vom 19. Sep-tember 2000 aufgehoben, und es wird die Sache an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit es über die Beschwerde vom 26. Mai 1999 gegen die Verfügungen vom 18. Mai 1999 materiell entscheide.
2.
Die Gerichtskosten, bestehend aus einer Gerichtsgebühr von Fr. 1'400.-, werden der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich auferlegt.
3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 1'400.- wird dem Beschwerdeführer zurückerstattet.
4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 17. Dezember 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: