BGer H 169/2002
 
BGer H 169/2002 vom 12.02.2003
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
H 169/02
Urteil vom 12. Februar 2003
II. Kammer
Besetzung
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber Hadorn
Parteien
1. U.________, 1948,
2. R.________, 1950,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Fürsprecher Andreas Bandi, Jurastrasse 31, 4900 Langenthal,
gegen
Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes, Sumatrastrasse 15, 8006 Zürich, Beschwerdegegnerin,
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
(Entscheid vom 7. Mai 2002)
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügungen vom 10. November 1998 verpflichtete die Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes U.________ und R.________, Präsident bzw. Mitglied des Verwaltungsrates der in Konkurs gefallenen Firma M.________ AG, für nicht mehr erhältliche Sozialversicherungsbeiträge zuzüglich Verzugszinsen und Mahngebühren unter solidarischer Haftbarkeit Fr. 65'861.- Schadenersatz zu leisten.
B.
Auf Einspruch der Belangten hin klagte die Kasse gegen beide auf Bezahlung des erwähnten Betrages. Mit Entscheid vom 7. Mai 2002 vereinigte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die zwei Verfahren und hiess die Klagen gut.
C.
U.________ und R.________ lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es seien der kantonale Entscheid aufzuheben und die Klage der Kasse abzuweisen. Eventuell sei die Sache zu näheren Abklärungen an das kantonale Gericht zurückzuweisen.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
2.
Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 52 AHVG in der Fassung bis 31.12.02) und Rechtsprechung (vgl. statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b) die Voraussetzungen richtig dargelegt, unter welchen Organe juristischer Personen den der Ausgleichskasse wegen Missachtung der Vorschriften über die Beitragsabrechnung und -zahlung (Art. 14 Abs. 1 AHVG; Art. 34 ff. AHVV) qualifiziert schuldhaft verursachten Schaden zu ersetzen haben. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass eine Entlastung der verantwortlichen Organe dann in Betracht fällt, wenn sie nachzuweisen vermögen, dass sie alles ihnen Mögliche und Zumutbare für die Begleichung der Beiträge unternommen haben (zuletzt bestätigt im Urteil K. vom 17. Mai 2002, H 11/02).
3.
3.1 Die Beschwerdeführenden machen - wie bereits im kantonalen Prozess - geltend, sie hätten bis Mitte 1998 alle Beiträge bezahlt. Die danach fällig gewordenen Betreffnisse hätten die Banken trotz entsprechender Zahlungsanweisungen nicht beglichen. Der Zahlungsstop der Banken sei erfolgt, obwohl die Kreditlimiten nicht voll ausgeschöpft gewesen seien.
3.2 Die Vorinstanz hat diesbezüglich ausgeführt, die eingereichten Unterlagen belegten zwar, dass die Kreditlimiten nicht ausgeschöpft worden seien. Die Beschwerdeführenden hätten indessen nicht dargetan, dass sie entsprechende Zahlungsaufträge erteilt und alles ihnen Mögliche und Zumutbare für die Begleichung der Beiträge unternommen hätten.
3.3 Bereits in den Einsprüchen und gegenüber der Vorinstanz haben die Beschwerdeführenden geltend gemacht, sie seien nicht in der Lage, Zahlungsanweisungen an die Bank vorzulegen, da sich die entsprechenden Akten beim Konkursamt befänden. In beiden Verfahrensschritten verlangten die Beschwerdeführenden den Beizug dieser Akten und die Befragung der zuständigen Sachbearbeiter der betroffenen Banken.
3.4 Die Vorinstanz hat in für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlicher Weise (Erw. 1 hievor) festgestellt, dass die Kreditlimiten, welche die betroffenen Banken der konkursiten Firma gewährt hatten, im Zeitpunkt des Konkurses nicht vollständig ausgeschöpft waren. Falls die Beschwerdeführenden, wie sie wiederholt betont haben, den Banken tatsächlich Zahlungsaufträge zur Begleichung der ausstehenden Beiträge der M.________ AG erteilt hätten, wäre nicht ohne weiteres verständlich, weshalb diese Anweisungen trotz noch vorhandener Kreditmittel nicht befolgt worden sind. Es ist daher denkbar, dass die Banken einen eigentlichen Kreditstopp verfügt und die Zahlungsaufträge nicht mehr ausgeführt haben. Träfe dies zu und ergäbe sich aus den angerufenen Unterlagen und Zeugen, dass die Beschwerdeführenden alles ihnen Mögliche und Zumutbare zur Bezahlung der Ausstände vorgekehrt haben, könnten sie sich unter Umständen entlasten (erwähntes Urteil K. vom 17. Mai 2002 mit Hinweisen). Es ist nicht auszuschliessen, dass die Beschwerdeführenden keinen Zugang zu den beim Konkursamt liegenden Akten hatten und deshalb die Zahlungsaufträge tatsächlich nicht selber vorlegen konnten. Indem die Vorinstanz die entsprechenden Beweisanträge abgewiesen und in antizipierter Beweiswürdigung angenommen hat, es seien keine Zahlungsaufträge erteilt worden, hat sie das rechtliche Gehör der Beschwerdeführenden verletzt, insbesondere deren Recht auf Einholung weiterer Beweise und Einvernahme offerierter Zeugen. Die Sache geht deshalb an das kantonale Gericht zurück, damit es die notwendigen Beweisvorkehren treffe und hernach über die Klage der Kasse erneut entscheide.
4.
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die Verfahrenskosten sind der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG), zumal die Beschwerdeführenden ihre Sichtweise bereits im Einspruchsverfahren vorgetragen haben und die Kasse gehalten gewesen wäre, die angebotenen Beweise bereits damals zu erheben.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 7. Mai 2002 aufgehoben, und die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre.
2.
Die Gerichtskosten von total Fr. 4000.- werden der Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes auferlegt.
3.
Die geleisteten Kostenvorschüsse von je Fr. 4000.- werden den Beschwerdeführenden zurückerstattet.
4.
Die Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes hat den Beschwerdeführenden für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 12. Februar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Vorsitzende der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: