BGer 5C.14/2004 |
BGer 5C.14/2004 vom 27.04.2004 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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5C.14/2004 /bie
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Urteil vom 27. April 2004
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II. Zivilabteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Raselli, Präsident,
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Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer,
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Gerichtsschreiber Möckli.
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Parteien
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X.________, Kläger und Berufungskläger,
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vertreten durch Fürsprecher Ernst Hauser,
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gegen
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Markus Sommer, 3158 Guggisberg,
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Beklagten und Berufungsbeklagten,
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vertreten durch Fürsprecher Thomas Biedermann,
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Gegenstand
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Nachbarrecht, Immissionsschutz,
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Berufung gegen das Urteil des Appellationshofs des Kantons Bern, II. Zivilkammer, vom 17. November 2003.
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Sachverhalt:
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A.
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X.________, ein aus dem Berufsleben zurückgezogener Innenarchitekt, ist Eigentümer der Liegenschaft Guggisberg-GBB-1111. Auf dieser Parzelle steht ein altes Bauernhaus, das von ihm umgebaut worden ist und das er mit seinen Familienangehörigen als Ferienhaus benützt. Markus Sommer ist zusammen mit Y.________ Eigentümer der benachbarten Liegenschaft Guggisberg-GBB-2222 und Pächter des angrenzenden Grundstücks Guggisberg-GBB-333. Er führt einen landwirtschaftlichen Bio-Betrieb, hat sich aber zur Hauptsache der keltischen Kultur verschrieben. Auf der Parzelle Nr. 333 hat er ein Keltenhaus nachgebaut, in dem das ganze Jahr hindurch verschiedene Anlässe stattfinden. Hauptereignis ist jeweils das zahlreiche Besucher anziehende Keltenfest, das seit rund zehn Jahren an einem Wochenende (Freitag 18.00 Uhr bis Sonntag 21.00 Uhr) zwischen Juli und September auf dem erwähnten Grundstück durchgeführt wird.
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B.
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Mit Klage vom 20. Februar 2001 verlangte X.________, es sei Markus Sommer zu verbieten, auf dem Grundstück Nr. 333 öffentliche Veranstaltungen mit Musikdarbietungen, insbesondere das sog. Keltenfest durchzuführen oder durch Dritte durchführen zu lassen, die länger als bis 24.00 Uhr dauern und die bei seinem Wohnhaus Nr. 1111 ab 22.00 Uhr einen Lärmpegel von über 55 dB(A) verursachten; zudem sei Markus Sommer zu verbieten, auf dem über das Grundstück Nr. 333 zum klägerischen Wohnhaus führenden Weg eigene Fahrzeuge abzustellen oder Dritten zu gestatten, ihre Fahrzeuge dort abzustellen.
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Mit Urteilen vom 13. Mai 2003 bzw. 17. November 2003 haben der Gerichtspräsident des Gerichtskreises IX Schwarzenburg-Seftigen und der Appellationshof des Kantons Bern, II. Zivilkammer, die Klage vollumfänglich abgewiesen.
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C.
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Gegen das Urteil des Appellationshofes hat X.________ beschränkt auf die Lärmeinwirkung Berufung erhoben. Wie vor den kantonalen Instanzen verlangt er eine Schallbeschränkung auf 55 dB(A), gemessen bei seinem Wohnhaus, ab 22.00 Uhr und ein vollständiges Verbot für Musikdarbietungen, insbesondere anlässlich des Keltenfestes, nach Mitternacht. Es ist keine Berufungsantwort eingeholt worden.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Nachbarrechtliche Streitigkeiten über Immissionen sind vermögensrechtlicher Natur (BGE 52 II 292 E. 1) und ab einer bestimmten Streitwertgrenze berufungsfähig, wenn über sie kantonal letztinstanzlich entschieden worden ist (Art. 43, 46 und 48 OG).
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Betreffend Streitwert macht der Kläger geltend, die Werteinbusse seines Grundstücks infolge des Keltenfestes belaufe sich auf Fr. 30'000.--, was in etwa auch den Kosten für eine allfällig notwendige Schallisolierung der Fenster entspreche. Geht die Klage, wie vorliegend, nicht auf Bezahlung einer bestimmten Geldsumme, setzt das Bundesgericht den Streitwert von Amtes wegen nach freiem Ermessen fest (Art. 36 Abs. 2 OG). Weil das Fest jährlich stattfindet und es im Verhältnis der beiden Nachbarn um eine Grundsatzfrage von einiger Bedeutung geht, ist davon auszugehen, dass der Rechtsstreit den nach Art. 46 OG erforderlichen Streitwert von Fr. 8'000.-- erreicht. Auf die Berufung ist somit einzutreten.
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2.
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Der Kläger wirft dem Appellationshof eine falsche Auslegung von Art. 684 ZGB vor. Dabei ist zu beachten, dass dem Sachrichter sowohl bei der Beurteilung der Frage, ob die von ihm festgestellten Einwirkungen angesichts der gegebenen örtlichen Verhältnisse im Sinne von Art. 684 ZGB übermässig und damit unzulässig sind, als auch bei der Anordnung der von ihm als geboten erachteten Vorkehren ein Ermessen zusteht (BGE 126 III 223 E. 4a S. 227; 101 II 248 E. 3 S. 250). Ermessensentscheide dieser Art überprüft das Bundesgericht an sich frei; es übt dabei allerdings Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die kantonale Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen falschen Gebrauch gemacht hat, d.h. wenn sie grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat. Aufzuheben und zu korrigieren sind ausserdem Ermessensentscheide, die sich als im Ergebnis offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 126 III 223 E. 4a S. 227 f.; 123 III 274 E. 1a/cc S. 279 f.).
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3.
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Der Appellationshof hat zunächst die Lage und Beschaffenheit des lärmbelasteten Grundstücks sowie einen allfälligen Ortsgebrauch, aber auch die Dauer der Immission als wesentliche Gesichtspunkte für die Beurteilung der übermässigen Einwirkung im Sinn von Art. 684 ZGB genannt. Sodann hat er festgehalten, dass sich die Übermässigkeit nach objektiven Kriterien, d.h. nach dem Empfinden eines Durchschnittsmenschen bemesse, wobei auch die individuell-konkrete Interessenlage der beteiligten Parteien umfassend zu würdigen sei. Der Appellationshof hat damit die in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Kriterien angeführt (vgl. BGE 126 III 223 E. 4a S. 227; 119 II 411 E. 4c S. 416; Meier-Hayoz, Berner Kommentar, N. 98 ff. zu Art. 684 ZGB). Der Kläger macht denn auch nicht eigentlich geltend, der Appellationshof habe die massgebenden Grundsätze verkannt; vielmehr wirft er ihm vor, sein Ermessen einseitig und ausschliesslich zu Gunsten des Beklagten ausgeübt und das legitime Schutzbedürfnis des Klägers völlig ausser Acht gelassen zu haben. Er behauptet somit, die Vorinstanz habe einen im Ergebnis unbilligen Ermessensentscheid getroffen.
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3.1 Mit Blick auf die Lage und Beschaffenheit der Grundstücke hat der Appellationshof festgehalten, diese befänden sich abseits des Dorfzentrums, d.h. ausserhalb des eigentlichen Wohngebietes, jedoch aufgrund der offensichtlichen Streubauweise nicht in totaler Abgeschiedenheit.
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Soweit der Kläger geltend macht, sein Haus befinde sich in der Landwirtschaftszone und dort herrsche normalerweise Ruhe, bringt er nichts vor, was die Vorinstanz in ihren Erwägungen ausser Acht gelassen hätte. Unzutreffend ist sodann die Behauptung, ein Keltenfest sei für die Landwirtschaftszone absolut untypisch: Der Kläger übergeht bei seinen Ausführungen die relative Standortgebundenheit eines solchen Festes. Auch wenn der Beklagte offenbar nicht auf heutige technische Hilfsmittel zur Verstärkung und Übertragung musikalischer Darbietungen verzichten will, soll mit dem "Keltenfest" offensichtlich der naturverbundenen Kelten gedacht und mit dem nachgebauten Keltenhaus ein Einblick in deren einfache Lebensweise gewährt werden. Es versteht sich von selbst, dass die Durchführung eines derartigen Anlasses in urbanem Raum oder auf einem Fabrikgelände wenig Sinn machen würde; vielmehr ist er auf einen ländlichen Standort angewiesen.
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3.2 An der Sache vorbei geht die klägerische Kritik im Zusammenhang mit dem Ortsgebrauch, hat doch der Appellationshof diese Frage offen gelassen und demzufolge kein Bundesrecht zur Anwendung gebracht. Er hat lediglich festgehalten, das Keltenfest könne nach mehr als zehn Jahren und angesichts der Internet-Hinweise der Gemeinde Guggisberg und des Verkehrsverbandes Schwarzenburgerland nicht als ortsunüblich bezeichnet werden. Wie es sich mit der Ortsüblichkeit im Einzelnen verhält und in welchem Verhältnis sie zum Ortsgebrauch stünde, kann offen gelassen werden, da der angefochtene Ermessensentscheid, wie die folgenden Erwägungen zeigen, unabhängig von dieser Frage nicht als unbillig oder stossend bezeichnet werden kann.
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3.3 Betreffend den Umfang der Immissionen hat der Appellationshof erwogen, eine Einwirkung könne erst dann als übermässig qualifiziert werden, wenn sie von einer gewissen Dauer sei. Zwar könne auch eine einmalige übermässige Einwirkung die Voraussetzungen von Art. 684 ZGB erfüllen; gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung handle es sich dabei aber um Ereignisse wie Erdrutsche oder Überschwemmungen. Auf jeden Fall sei die Dauer der Einwirkung ein wichtiges Indiz für die Beurteilung der Übermässigkeit. Im vorliegenden Fall sei die Immission nur einmal jährlich gegeben, wobei sie zeitlich bis 02.00 Uhr begrenzt und zudem voraussehbar sei. Die Schallintensität sei unbestrittenermassen hoch, wobei die einzelnen Dezibelwerte bei einer einmal jährlich auftretenden Immission kaum eine Rolle spielten. Im Übrigen habe der Regierungsstatthalter in seiner Bewilligung den Schallwert auf 93 dB(A) beschränkt, was nicht nur dem Schutz der Festbesucher gelten könne. Der privatrechtliche Immissionsschutz gelte zwar unabhängig vom öffentlich-rechtlichen, aber das Gebot der widerspruchsfreien Rechtsanwendung gebiete eine koordinierte Auslegung der jeweiligen Normen.
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Soweit der Kläger wiederholt auf einen gemessenen Spitzenwert von 78 bzw. 98 dB(A) verweist (die Durchschnittswerte liegen nach den klägerischen Angaben zwischen 60 und 63 dB(A)), und eine Begrenzung auf - den offensichtlich Anhang 3 bzw. 6 zur Lärmschutzverordnung (LSV, SR 814.41) entlehnten Belastungsgrenzwert für nächtlichen Motorfahrzeuglärm resp. Industrielärm - 55 dB(A) verlangt, sei er darauf hingewiesen, dass die in der Lärmschutzverordnung aufgeführten Grenzwerte zwar für die privatrechtliche Beurteilung der Übermässigkeit eine Rolle spielen können (vgl. BGE 126 III 223 E. 3a S. 225 f., m.w.H.), dass sie aber im vorliegenden Fall belanglos sind: Abgesehen davon, dass die Lärmschutzverordnung keine Grenzwerte für Immissionen wie die vorliegend interessierenden festsetzt (vgl. Anhänge 1-8 zur LSV), beschränken sich diese auf wenige Stunden im Jahr, weshalb die in den Anhängen zur LSV festgesetzten Grenzwerte die tatsächliche Störung von vornherein nicht angemessen erfassen können (BGE 123 II 325 E. 4d/aa S. 333 f., m.w.H.).
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An sich zutreffend führt der Kläger sodann aus, eine Schallimmission werde bei gleich bleibender Intensität in der Nacht als störender empfunden als am Tag; entsprechend sind denn auch die Planungs- und Grenzwerte in den Anhängen zur LSV für die Nachtzeit tiefer. Es mag auch ohne weiteres zutreffen, dass der Kläger an den beiden fraglichen Abenden bis 02.00 Uhr keinen Schlaf finden kann. Indes lässt sich mit der sinngemässen Behauptung, das Keltenfest bewirke Immissionen, die a priori übermässig im Sinn von Art. 684 ZGB seien, keine qualifizierte Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils dartun:
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Die Kernerwägung des Appellationshofes geht dahin, dass der Kläger - im Unterschied zu allen einschlägigen Präjudizien (vgl. etwa BGE 126 III 223 betr. Barbetrieb; BGE 120 II 15 betr. Dancing; BGE 119 II 411 betr. Betrieb eines Gassenzimmers; BGE 101 II 248 betr. Viehglocken) - nicht permanenter oder doch wenigstens regelmässiger Beschallung ausgesetzt ist, sondern die Immission auf ein einziges Wochenende im Jahr beschränkt ist, dass sie nicht die ganze Nacht hindurch, sondern lediglich bis 02.00 Uhr andauert, und im Übrigen lange zum Voraus feststeht, an welchem Datum sie eintritt. Unter dem Aspekt der zeitlichen Ausdehnung erscheint es deshalb nicht als unbillig oder stossend, wenn der Appellationshof eine übermässige Einwirkung verneint hat. Gleiches muss für den Gesichtspunkt der absoluten Schallintensität gelten: Hat der Regierungsstatthalter in seiner Bewilligung die Stärke des Schalls auf ein Mass begrenzt, das die Festbesucher vor schädlichen Auswirkungen bewahren soll, ist davon auszugehen, dass er nicht übermässig im Sinn von Art. 684 ZGB auf den sich mit seinen Familienangehörigen in einiger Distanz und in geschlossenen Räumen aufhaltenden Kläger einwirkt.
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An diesen Erwägungen vermag auch der (zutreffende) Hinweis des Klägers nichts zu ändern, dass sich die Übermässigkeit der Einwirkung nach dem objektiven Empfinden eines Durchschnittsmenschen bestimme, vermögen doch normale Menschen vergleichbare Immissionen, wie sie regelmässig von Jahrmärkten, Dorffesten, Fasnachtsumzügen und ähnlichen Veranstaltungen ausgehen, zu ertragen. Es spricht denn auch für sich, dass alle anderen im näheren Umkreis - wenn auch etwas weiter weg - wohnhaften Nachbarn offenbar keine Einwände gegen die Durchführung des Keltenfestes haben.
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3.4 Im Rahmen der individuellen Interessenabwägung hat der Appellationshof schliesslich ausgeführt, es stünden sich das nächtliche Ruhebedürfnis des Klägers und seiner Angehörigen während eines einzigen Wochenendes pro Jahr und die grundsätzliche Möglichkeit für den Beklagten, das Keltenfest durchführen zu können, gegenüber, würden doch die vom Kläger verlangten Beschränkungen den Anlass faktisch verunmöglichen.
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Die blosse Behauptung des Gegenteils durch den Kläger ist nicht geeignet, den angefochtenen Ermessensentscheid als offensichtlich unbillig oder in stossender Weise ungerecht erscheinen zu lassen: Dass musikalische Darbietungen zu einem Fest wie dem vorliegend interessierenden gehören, stellt auch der Kläger nicht in Frage. Sodann liegt auf der Hand, dass die Verstärkung des Tons angesichts der Grösse des Festes, es ist von mehreren hundert bzw. von gegen tausend Besuchern die Rede, unumgänglich ist. Da es sich nicht um eine lokale Veranstaltung handelt, sondern die Besucher offenbar von weither angereist kommen, versteht sich schliesslich von selbst, dass diese nicht bereits ab 22.00 Uhr auf Festivitäten verzichten wollen. Die verlangten Einschränkungen würden deshalb die Attraktivität des Keltenfestes nach der allgemeinen Lebenserfahrung zum Mindesten erheblich beeinträchtigen.
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Auf Grund der gemachten Ausführungen wäre selbst bei umfassender Kognition nicht einzusehen, weshalb das Interesse des nicht mehr berufstätigen Klägers, auch an zwei bestimmten Abenden des Jahres bereits ab 22.00 statt ab 02.00 Uhr seine Nachruhe zu finden, höher zu werten sei als dasjenige des Beklagten, einmal pro Jahr ungehindert ein Keltenfest durchführen zu können, das allen öffentlich-rechtlichen Auflagen entspricht.
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4.
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Zusammenfassend ergibt sich, dass der Appellationshof die massgeblichen Beurteilungskriterien beachtet und umfassend gewürdigt hat, und dass sein Ermessensentscheid im Ergebnis nicht offensichtlich unbillig ist oder in stossender Weise ungerecht erscheint. Die Berufung ist somit abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann, und die Gerichtsgebühr ist dem Kläger aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.
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Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Kläger auferlegt.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 27. April 2004
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Im Namen der II. Zivilabteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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