BGer C 228/2004 |
BGer C 228/2004 vom 28.04.2005 |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
|
Tribunale federale delle assicurazioni
|
Tribunal federal d'assicuranzas
|
Sozialversicherungsabteilung
|
des Bundesgerichts
|
Prozess
|
{T 7}
|
C 228/04
|
Urteil vom 28. April 2005
|
IV. Kammer
|
Besetzung
|
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Grünvogel
|
Parteien
|
Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Wallis, place du Midi 40, 1950 Sitten, Beschwerdeführerin,
|
gegen
|
L.________, 1968, Beschwerdegegner, vertreten durch die Gewerkschaft SYNA, Balfrinstrasse 1, 3930 Visp
|
Vorinstanz
|
Kantonale Rekurskommission in Sachen Arbeitslosigkeit, Sitten
|
(Entscheid vom 7. September 2004)
|
Sachverhalt:
|
A.
|
Der 1968 geborene L.________ arbeitete als Dachdecker von Januar 1992 bis Dezember 1997 bei der Firma X.________, Zimmerei, ehe er für den Juli 1998 bei dieser Firma erneut ein Arbeitsverhältnis einging. Während er für den Juli 1998 entschädigt wurde, blieb die Firma die letzten drei Monatslöhne aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis trotz mehrmaliger gegenteiliger Zusicherung schuldig. Nachdem L.________ durch die Ausgleichskasse am 4. August 1998 über ausgebliebene AHV-Beiträge der Jahre 1995 bis 1997 in Kenntnis gesetzt worden war, leitete die von ihm mit der Interessenwahrung beauftragte Gewerkschaft die entsprechenden Gutschriften durch die Firma in die Wege. Gleichzeitig wandte sie sich wegen der Lohnforderungen für die Monate Oktober bis Dezember 1997 an die Paritätische Berufskommission vom Holzgewerbe Oberwallis, welche die Firma am 2. Dezember 1998 anwies, innert 10 Tagen die Nettoausstände von Fr. 14'050.05 auszugleichen, ansonsten die Gegenpartei den Rechtsweg beschreiten werde, was diese in der Folge dann auch tat: Sie setzte den Betrag zunächst in Betreibung und versuchte anschliessend erfolglos, den dagegen erhobenen Rechtsvorschlag im Rechtsöffnungsverfahren beseitigen zu lassen, ehe sie diese Lohnausstände beim Kantonalen Arbeitsgericht neben einer weiteren hier nicht interessierenden Forderung einklagte. Am 6. Oktober 1999 schrieb das Gericht diese Angelegenheit infolge Schuldanerkennung ab. Das Geld wurde aber nicht mehr überwiesen, und am 26. Mai 2000 wurde der Konkurs über die Firma eröffnet.
|
Mitte Juli 2000 beantragte L.________ die Ausrichtung von Insolvenzentschädigung für die Monate Oktober bis Dezember 1997. Mit Verfügung vom 26. September 2000 lehnte die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Wallis dieses Begehren mit der Begründung ab, die Insolvenzentschädigung decke nur insoweit offene Lohnforderungen, als sie aus dem jeweils letzten Arbeitsverhältnis stammen; den Lohn für die einmonatige Tätigkeit im Juli 1998 habe die konkursite Firma indessen beglichen.
|
B.
|
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess die kantonale Rekurskommission in Sachen Arbeitslosigkeit mit Entscheid vom 7. September 2004 gut und hob die Kassenverfügung vom 26. September 2000 mit der Begründung auf, die Insolvenzentschädigung decke gemäss Art. 52 Abs. 1 AVIG in der seit 19. März 1999 geltenden Fassung (recte: 1. September 1999 [AS 1999 2383 und 2385]) jeweils Lohnforderungen für die letzten vier Monate des von der Insolvenz berührten Arbeitsverhältnisses, vorliegend also jenes, das am 31. Dezember 1997 geendigt hatte.
|
C.
|
Die Kasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.
|
Während L.________ von einer Stellungnahme absieht, verzichtet das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung.
|
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
|
1.
|
Im Streit steht die Frage, welches der beiden Arbeitsverhältnisse von der Insolvenzentschädigung erfasst ist.
|
2.
|
Mangels besonderer übergangsrechtlicher Bestimmung findet den allgemeinen Regeln des intertemporalen Rechts folgend Art. 51 Abs. 1 AVIG in der vom 1. Januar 1996 bis am 31. August 1999 gültig gewesenen Fassung Anwendung (vgl. BGE 130 V 425 Erw. 1.1, 127 V 467 Erw. 1; AS 1996 293, 1999 2383 und 2385). Dessen hier interessierender 1. Satz lautet in den drei Amtssprachen:
|
"Die Insolvenzentschädigung deckt Lohnforderungen für die letzten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses, für jeden Monat jedoch nur bis zum Höchstbetrag nach Artikel 3 Absatz 1."
|
"L'indemnité couvre les créances de salaire portant sur les six derniers mois du rapport de travail, jusqu'à concurrence, pour chaque mois, du montant maximum visé à l'art. 3, 1er alinéa."
|
"L'indennità per insolvenza copre i crediti salariali concernenti gli ultimi sei mesi del rapporto di lavoro, tuttavia, per ogni mese, fino a concorrenza dell'importo massimo di cui all'articolo 3 capoverso 1."
|
Demnach knüpft der Wortlaut einzig an dasjenige Arbeitsverhältnis an, in welchem die angestellte Person von der Insolvenz des Arbeitgebers betroffen ist, oder - auf vorliegenden Fall bezogen - auf jenes, das am 31. Dezember 1997 geendigt hatte. In diesem Sinne hat die Vorinstanz denn auch entschieden.
|
3.
|
Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, über den Wortlaut von Art. 52 Abs. 1 AVIG hinausgehend seien zumindest in Fällen wie dem vorliegenden, in dem eine versicherte Person beim von der Insolvenz betroffenen Arbeitgeber mehrere Arbeitsverhältnisse eingegangen war, ausschliesslich aus dem letzten Arbeitsverhältnis herrührende Lohnausstände erfasst, ansonsten es der Versicherte in der Hand hätte, durch geschickte Zuordnung zuletzt bezahlter Löhne auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse eine maximale Insolvenzentschädigung zu erwirken.
|
3.1 Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf indessen nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt (BGE 130 II 71 Erw. 4.2, 130 V 232 Erw. 2.2, 295 Erw. 5.3.1, 428 Erw. 3.2, 475 Erw. 6.5.1, 484 Erw. 5.2, 129 V 284 Erw. 4.2, je mit Hinweisen).
|
3.2 Die ratio legis der Insolvenzentschädigung besteht darin, bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers unter den in Art. 51 Abs. 1 AVIG genannten weiteren Bedingungen während begrenzter Zeit die Lohnguthaben zu schützen und damit den Lebensunterhalt des betreffenden Arbeitnehmers zu garantieren (Urteil B. vom 18. Februar 2000, C 362/98, Erw. 3b/cc, auszugsweise wiedergegeben in SZS 2001 S. 92 ff., mit Verweis auf BGE 114 V 58 Erw. 3c und die darin erwähnten Materialien sowie Gerhards, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. I, Vorbemerkungen zu den Art. 51-58, N. 17 f. und Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz 492). Dabei besteht die Schutzbedüftigkeit in diesem Sinne nicht nur, wenn während des Arbeitsverhältnisses der Konkurs eröffnet oder das Pfändungsbegehren eingereicht wird, sondern auch wenn das Arbeitsverhältnis zwar wegen der Insolvenz des Arbeitgebers beendet wird, sich die Eröffnung des Konkurses oder die Einreichung des Pfändungsbegehrens aus Gründen, die der Versicherte nicht zu vertreten hat, verzögern (BGE 114 BV 58 Erw. 3c). Ein gleiches Schutzbedürfnis hat das Eidgenössische Versicherungsgericht ebenfalls bejaht für den Fall, dass die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erst nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses eintritt, da es bei der Realisierung eines der Tatbestände gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. a-c AVIG nicht darauf ankommt, aus welchen - häufig nicht eruierbaren - Gründen die Arbeitsbeziehung beendigt worden war (Urteil B. vom 18. Februar 2000, C 362/98, Erw. 3b/cc, auszugsweise wiedergegeben in SZS 2001 S. 92 ff.). Weiter wurde in diesem Urteil in Erw. 3c festgehalten, dass der Anspruch auf Insolvenzentschädigung einzig durch die Verjährung von Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern gemäss Art. 128 Ziff. 3 OR begrenzt ist. Dies muss sinngemäss auch für die ohnehin selten anzutreffende Fallkonstellation Geltung haben, in welcher der Leistungsansprecher bei demselben (insolventen) Arbeitnehmer zwei zeitlich voneinander getrennte Arbeitsverhältnisse eingegangen war.
|
3.3 Man könnte sich einzig fragen, ob die in Art. 52 Abs. 1 AVIG vorgesehene zeitliche Begrenzung des Entschädigungsanspruchs auf die Lohnforderungen der - je nach Geltungszeitraum der Bestimmung - letzten drei, vier oder sechs Monate des Arbeitsverhältnisses in Abkehr vom Wortlaut nicht als eine sämtliche Arbeitsverhältnisse eines Versicherten bei einer Firma erfassende Obergrenze anzusehen wäre. Allenfalls wäre die in einer derartigen Ausgangslage befindliche versicherte Person gegenüber jenen Angestellten in unsachgemässer Weise privilegiert, die bei der nachmalig konkursiten Firma durchgehend tätig waren. Wie es sich damit verhält, braucht indessen nicht beantwortet zu werden, da die noch offen gebliebenen Lohnausstände vom Oktober bis Dezember 1997 ohnehin innerhalb der im massgebenden Zeitraum geltenden Sechsmonatsfrist liegen (entschädigtes Arbeitsverhältnis Juli 1998 = 1 Monat; Ende des anderen Anstellungsvertrages: Dezember 1997; die sechs letzten Monate der Arbeitsverhältnisse: August - Dezember 1997 + Juli 1998).
|
3.4 Zusammengefasst verbieten Grund und Zweck der Insolvenzentschädigung geradezu die von der Verwaltung vertretene, über den Wortlaut von Art. 52 Abs. 1 AVIG hinausgehende Auffassung, von der Insolvenzentschädigung könne ein Angestellter nur profitieren, wenn es sich um Lohnforderungen aus dem letzten Arbeitsverhältnis der insolvent gewordenen Firma handle. Auch den weiteren bei der Auslegung zu berücksichtigenden Gesichtspunkten (vgl. dazu die in Erw. 3.1 hiervor erwähnte Rechtsprechung) ist nichts derartiges zu entnehmen. Entscheidend ist allein, dass die aus einem Arbeitsverhältnis mit einem insolventen Arbeitgeber stammenden offenen Lohnforderungen nicht mehr als die letzten sechs Monate dieses Angestelltenverhältnisses umfassen. Als äussere zeitliche Grenze für die Geltendmachung des Anspruchs gilt die in Art. 128 Ziff. 3 OR genannte Verjährungsfrist von fünf Jahren, die vorliegend eingehalten ist.
|
3.5 Selbstredend steht jede Rechtsausübung unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Anhaltspunkte, dass ein solcher vorliegen könnte, finden sich indessen nicht.
|
4.
|
Die Vorinstanz hat sich in ihrem Entscheid auf die Beantwortung der Frage beschränkt, ob die vom Versicherten geltend gemachten Lohnausstände für die Monate Oktober bis Dezember 1997 in den in Art. 52 Abs. 1 AVIG genannten Zeitraum fallen, für welchen eine Insolvenzentschädigung bei Erfüllung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen geschuldet ist. Obwohl sie diese Frage bejaht hatte, unterliess sie es, die weiteren Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, sondern beschränkte sich darauf, die angefochtene Verfügung aufzuheben. Nachdem diese Vorgehensweise von keiner Partei bemängelt worden ist und diese sich bis dato auch nicht zu den weiteren Anspruchsvoraussetzungen geäussert haben, verzichtet auch das Eidgenössische Versicherungsgericht darauf, über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung abschliessend zu befinden. Es wird der Verwaltung obliegen, die weiteren Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, um anschliessend in der Angelegenheit neu zu verfügen. Es sei in diesem Zusammenhang einzig der Hinweis erlaubt, dass dem Beschwerdegegner bei im Sachverhalt zum Ausdruck kommender derzeitiger Aktenlage kaum vorgeworfen werden kann, er habe nur unzureichende Anstrengungen zur Wahrung der Lohnansprüche unternommen.
|
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
|
1.
|
In Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Dispositiv Ziffer 1 des Entscheids der Kantonalen Rekurskommission in Sachen Arbeitslosigkeit vom 7. September 2004 insoweit abgeändert, als die Sache an die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Wallis zurückgewiesen wird, damit sie über den Anspruch des Beschwerdegegners auf Insolvenzentschädigung im Sinne der Erwägungen neu verfüge.
|
2.
|
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
|
3.
|
Dieses Urteil wird den Parteien, der Kantonalen Rekurskommission in Sachen Arbeitslosigkeit, Sitten, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
|
Luzern, 28. April 2005
|
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
|
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
|