BGer 4P.324/2005
 
BGer 4P.324/2005 vom 27.02.2006
Tribunale federale
{T 0/2}
4P.324/2005 /ruo
Urteil vom 27. Februar 2006
I. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiber Luczak.
Parteien
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
B.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Meier,
Obergericht des Kantons Uri, Zivilrechtliche Abteilung, Postfach 449, 6460 Altdorf.
Gegenstand
Art. 9, 29 Abs. 1 und 2 BV (Zivilprozess; Anwaltshonorar),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri, Zivilrechtliche Abteilung, vom 19. Oktober 2005.
Sachverhalt:
A.
Mit Beschluss vom 23. August 2004 schrieb das Landgerichtspräsidium Uri eine von A.________ (Beschwerdeführer) gegen B.________ (Beschwerdegegner) eingereichte Klage auf Bezahlung eines Anwaltshonorars von Fr. 4'322.10 zuzüglich Zins und Zahlungsbefehlskosten zufolge Anerkennung am Protokoll ab. Die Gerichtskosten von Fr. 650.-- auferlegte es dem Beschwerdeführer, welcher den Beschwerdegegner für prozessuale Umtriebe mit Fr. 700.-- zu entschädigen hatte. Das Obergericht des Kantons Uri wies den vom Beschwerdeführer gegen den Entscheid des Landgerichtspräsidiums erhobenen Rekurs am 19. Oktober 2005 ab.
B.
Der Beschwerdeführer beantragt dem Bundesgericht mit staatsrechtlicher Beschwerde, die Entscheide des Landgerichtspräsidiums und des Obergerichts aufzuheben. Der Beschwerdegegner schliesst auf kostenfällige Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist in der Regel nur gegen letztinstanzliche Entscheide zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Entscheid einer unteren Instanz kann nur dann mitangefochten werden, wenn entweder der letzten kantonalen Instanz nicht sämtliche vor Bundesgericht erhobenen Rügen unterbreitet werden konnten oder solche Rügen zwar von der letzten kantonalen Instanz zu beurteilen waren, jedoch mit einer engeren Prüfungsbefugnis, als sie dem Bundesgericht zusteht (BGE 120 Ia 19 E. 2b S. 23; 118 Ia 165 E. 2b S. 169, je mit Hinweisen). Gemäss Art. 251 ZPO/UR kann, wie das Obergericht in seinem Entscheid ausdrücklich festhält, mit dem Rekurs jede Rechtsverletzung und jede unrichtige Feststellung des Sachverhalts gerügt werden. Nach dem kantonalen Prozessrecht konnte der Beschwerdeführer dem Obergericht mithin sämtliche Rügen unterbreiten, die er im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde erheben kann. Soweit der Beschwerdeführer die Aufhebung des Entscheides des Landgerichtspräsidiums verlangt, ist er daher nicht zu hören. Zu prüfen ist einzig, ob der Entscheid des Obergerichts verfassungskonform ist.
2.
Das Landgerichtspräsidium begründete die Abweichung von der Regel, wonach die unterliegende Partei die Prozesskosten zu tragen hat (Art. 107 Abs. 1 ZPO/UR), mit dem Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von Art. 109 ZPO/UR. Solche sind nach Auffassung des Landgerichtspräsidiums gegeben, wenn der Berechtigte Klage erhebt, ohne zuvor den Verpflichteten zur Erfüllung angehalten zu haben und ohne dass dieser die Verpflichtung bestritten oder sonst wie zu erkennen gegeben hätte, dass er diese nicht erfüllen werde. Zwar habe der Beschwerdeführer vor Klageeinreichung den Beschwerdegegner zur Begleichung der Honorarrechnung aufgefordert. Dennoch habe er sich nicht in guten Treuen zur Erhebung der Klage veranlasst sehen dürfen. Aus einem Schreiben des Beschwerdeführers an den Beschwerdegegner gehe hervor, dass dieser an der Vermittlerverhandlung behauptete, er habe eine detaillierte Rechnung verlangt, was der Beschwerdeführer als frei erfundene Behauptung bezeichnet habe. Damit sei aber dem Beschwerdeführer der Wunsch des Beschwerdegegners, in den Besitz einer detaillierten Abrechnung zu gelangen, spätestens anlässlich der Vermittlungsverhandlung vom 11. März 2004 zur Kenntnis gelangt. Hätte der Beschwerdeführer unmittelbar nach der Vermittlungsverhandlung und nicht erst auf Verlangen des Beschwerdegegners im Laufe des Verfahrens dem Beschwerdegegner eine detaillierte Honorarrechnung zugestellt, hätte dieser den klägerischen Anspruch möglicherweise bereits damals anerkannt, und die Klage hätte nicht anhängig gemacht werden müssen.
3.
In seinem Rekurs rügte der Beschwerdeführer sinngemäss, die Annahme des Landgerichts, der Beschwerdegegner habe an der Vermittlungsverhandlung seinen Wunsch nach einer detaillierten Honorarrechnung kundgetan, sei in Verweigerung seines Gehörsanspruchs zustande gekommen. Die Begründung für das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von Art. 109 ZPO/UR sei für ihn überraschend gewesen, weshalb er dazu hätte angehört werden müssen. Der Beschwerdegegner habe ihn anlässlich der Vermittlungsverhandlung aufs Übelste beschimpft. Er habe ihm grundlos vorgeworfen, schlechte Arbeit geleistet und zu viel Honorar verlangt zu haben und behauptet, es sei eine Detaillierung verlangt worden. Der Beschwerdegegner habe jegliche Diskussion und jeglichen Vergleich abgelehnt und erklärt, die Sache sei vom Gericht zu entscheiden. Er diskutiere nicht. Dadurch sei dem Beschwerdeführer verunmöglicht worden, aufgrund der zur Verhandlung mitgebrachten detaillierten Kontoblätter die Richtigkeit der Honorarnote zu belegen. Zum Beweis dieser Darstellung berief sich der Beschwerdeführer auf den Vermittler als Zeugen.
4.
Das Obergericht erwog, ein Anwalt habe zwar nicht von sich aus, jedoch auf erstes Verlangen eine detaillierte Rechnung zu erstellen. Es stellte gleich wie die erste Instanz fest, für den Beschwerdeführer sei spätestens an der Vermittlungsverhandlung vom 11. März 2004 klar geworden, dass der Beschwerdegegner in den Besitz einer detaillierten Honorarnote habe kommen wollen. Daher habe sich der Beschwerdeführer nicht in guten Treuen zur Klageeinreichung veranlasst sehen dürfen, ohne dem Beschwerdegegner zuvor eine detaillierte Abrechnung unterbreitet zu haben. Die Einreichung der Klage verstosse unter diesen Umständen gegen das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben (Art. 54 ZPO/UR). Den Antrag auf Zeugenbefragung lehnte das Obergericht aufgrund des absoluten Novenverbots gemäss Art. 256 ZPO/UR ab, wobei es darauf hinwies, dass sich der Rekurs auf eine Rechtskontrolle beschränke. Die Rüge, das erstinstanzliche Gericht habe zu Lasten des Beschwerdeführers dem Dossier Fakten entnommen und für die Entscheidfindung benutzt, welche die Gegenpartei nicht behauptet und zu denen der Beschwerdeführer nicht habe Stellung nehmen können, hielt das Obergericht für unbegründet, weil der Beschwerdeführer die entsprechenden Akten selbst eingereicht habe.
5.
Der Beschwerdeführer rügt als Verletzung des rechtlichen Gehörs, dass ihm auch das Obergericht die Möglichkeit versagte, sich zu den vom Landgerichtspräsidium unterstellten Gründen dafür zu äussern, dass die Klage verfrüht eingereicht worden sei. Bereits vor dem Landgerichtspräsidium habe er zu der in Aussicht genommenen ungewöhnlichen Kostenverteilung keine Stellung nehmen können. Indem das Obergericht diesen Mangel nicht behob, sondern den Antrag des Beschwerdeführers um Einvernahme des Vermittlungsbeamten als Zeugen ablehnte, habe es seinerseits Art. 29 Abs. 2 BV verletzt. Weiter macht der Beschwerdeführer sinngemäss geltend, er habe dem Obergericht dargelegt, dass der Beschwerdegegner die Zahlung nicht mangels detaillierter Honorarrechnung verweigert habe, was aus dessen Verhalten klar hervorgehe. So habe der Beschwerdegegner den Rechtsvorschlag damit begründet, dass er keine Mahnung für die Rechnung erhalten habe. Auch habe er auf das Schreiben des Beschwerdeführers, in dem dieser nach der Vermittlungsverhandlung bestritten habe, dass der Beschwerdegegner eine detaillierte Rechnung verlangt habe, nicht reagiert. Indem der Beschwerdegegner an der Vermittlungsverhandlung erklärt habe, das Gericht habe so oder so über die Sache zu entscheiden, habe er den Beschwerdeführer geradezu aufgefordert, den Klageweg zu beschreiten. Wenn das Obergericht das Gegenteil folgere, verfalle es in Willkür.
6.
6.1 Art. 29 Abs. 2 BV umfasst allgemein die Rechte der Parteien auf Teilnahme am Verfahren und auf Einflussnahme auf den Prozess der Entscheidfindung. Der in Art. 29 Abs. 2 BV verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör gibt dem Betroffenen namentlich das Recht, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56, mit Hinweisen). Dem Mitwirkungsrecht entspricht die Pflicht der Behörde, die Argumente und Verfahrensanträge der Partei entgegenzunehmen und zu prüfen sowie die ihr rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel abzunehmen, es sei denn, diese beträfen eine nicht erhebliche Tatsache oder seien offensichtlich untauglich, über die streitige Tatsache Beweis zu erbringen (BGE 124 I 241 E. 2 S. 242, mit Hinweisen). Eine Anspruch auf vorgängige Anhörung besteht namentlich, wenn die Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde ihren Entscheid mit einer Rechtsnorm oder einem Rechtsgrund zu begründen beabsichtigt, die oder der im bisherigen Verfahren nicht herangezogen wurde, auf die sich die beteiligten Parteien nicht berufen haben und mit deren Erheblichkeit im konkreten Fall sie nicht rechnen konnten (BGE 128 V 272 E. 5b/bb S. 278; 126 I 19 E. 2c/aa S. 22; 125 V 368 E. 4a S. 370; 124 I 49 E. 3c S. 52, je mit Hinweisen). Auch erfordert die verfassungskonforme Gewährung des rechtlichen Gehörs unter Umständen, dass die Behörde, bevor sie in Anwendung einer unbestimmt gehaltenen Norm oder in Ausübung eines besonders grossen Ermessensspielraums einen Entscheid von grosser Tragweite für die Betroffenen fällt, diese über ihre Rechtsauffassung orientiert und ihnen Gelegenheit bietet, dazu Stellung zu nehmen (BGE 128 V 272 E. 5b/dd S. 279; 127 V 431 E. 2b/cc S. 235, je mit Hinweisen; zur Bestimmtheit der angewendeten Rechtssätze BGE 123 I 1 E. 4b S. 5 f. mit Hinweisen).
6.2 Das Obergericht verweigerte die Abnahme des Zeugenbeweises nicht mangels Beweiseignung, sondern mit dem Hinweis auf ein absolutes Verbot nach kantonalem Zivilprozessrecht, dem Obergericht mit dem Rekurs vor erster Instanz nicht vorgebrachte Tatsachen und Beweisanträge zu unterbreiten (Art. 256 ZPO/UR). Der Frage, ob dem Obergericht neue Beweisanträge unterbreitet werden können, kommt indessen keine Bedeutung zu. Entscheidend ist, dass der Beschwerdeführer in seinem Rekurs eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt hat. Nach dem Gesagten ist eine derartige Verletzung nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil der Beschwerdeführer selbst das Dokument eingereicht hat, auf das sich die erste Instanz abstützte. Würdigte diese das Dokument in einem für den Beschwerdeführer überraschenden Zusammenhang, ohne ihm Gelegenheit zur Stellungsnahme zu geben, kann darin gleichwohl eine Verletzung seines Mitwirkungsrechtes liegen, da er in Bezug auf die für ihn unerwartet auf das Schriftstück gestützte Argumentation des Gerichts allenfalls weitere Umstände oder Beweise hätte anführen können, die den Entscheid beeinflusst hätten, wie er dies in seinem Rekurs getan hat. Damit bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer bereits vor erster Instanz Anlass hatte, die entsprechenden Behauptungen aufzustellen, oder ob die erste Instanz die Parteien vor Fällung des Urteils zu einer Stellungnahme hätte einladen müssen.
6.3 Aus dem angefochtenen Entscheid geht nicht hervor und aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdegegner substanziiert behauptet hätte, an der Vermittlungsverhandlung klargestellt zu haben, dass er eine detaillierte Rechnung wünsche. Der Beschwerdegegner hat die Vorgänge an der Vermittlungsverhandlung in keiner Rechtsschrift thematisiert. Der Beschwerdeführer hatte somit keinen Anlass, sich seinerseits zu entsprechenden Sachbehauptungen zu äussern. Er konnte sich vielmehr in seiner Stellungnahme zum Schreiben der Gegenpartei betreffend Anerkennung der Klageforderung damit begnügen, erneut seinen Standpunkt zu bekräftigen, dass der Beschwerdegegner vorprozessual nie eine detaillierte Rechnung verlangt habe. Im Schreiben betreffend Anerkennung der Forderung vom 11. August 2004 hat der Beschwerdegegner ausgeführt, das ganze Verfahren sei durch das Verhalten des Beschwerdeführers verursacht worden. Dem durfte der Beschwerdeführer in guten Treuen entnehmen, der Beschwerdegegner beziehe sich auf sein Verhalten vor Einleitung des Verfahrens, so dass sich der Beschwerdeführer nicht veranlasst sehen musste, zu dem an der Vermittlungsverhandlung Vorgefallenen Stellung zu nehmen. Dies gilt erst recht für den aus Vorgängen an der Vermittlungsverhandlung in tatsächlicher Hinsicht gezogenen Schluss, der Beschwerdegegner hätte die Rechnung nach der Vermittlungsverhandlung und ohne dass eine Klageeinleitung nötig gewesen wäre, beglichen, wenn ihm der Beschwerdeführer unmittelbar danach die detaillierte Honorarnote zugestellt hätte.
6.4 Nach dem Gesagten haben sich die kantonalen Gerichte auf Vorgänge gestützt, von deren Relevanz der Beschwerdeführer aufgrund der Vorbringen der Gegenpartei nicht ausgehen musste. Wenn sie dennoch darauf abstellen wollten, hätten sie den Parteien die Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen müssen, zumal sie in Ausübung ihres weiten Ermessens daraus zu Lasten des Beschwerdeführers eine Ausnahme von den Grundsätzen über die Kostenverlegung ableiten wollten. Dies haben sie unterlassen und dadurch den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV verletzt.
7.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist gutzuheissen und das angefochtene Urteil aufzuheben. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdegegner kostenpflichtig. Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen. Wenn ein Anwalt in eigener Sache prozessiert, ist nur ausnahmsweise - z.B. beim Vorliegen einer komplizierten Sache mit hohem Streitwert oder bei hohem Arbeitsaufwand, welcher den üblichen Aufwand für die Besorgungen der persönlichen Angelegenheiten übersteigt - eine Prozessentschädigung zuzusprechen (vgl. BGE 110 V 132 E. 4d S. 134 f.). Solche Umstände, die ausnahmsweise eine Prozessentschädigung an den in eigener Sache prozessierenden Beschwerdeführer zuliessen, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri vom 19. Oktober 2005 wird aufgehoben.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Uri, Zivilrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Februar 2006
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: