BGer 6S.72/2006
 
BGer 6S.72/2006 vom 24.03.2006
Tribunale federale
{T 0/2}
6S.72/2006 /Rom
Urteil vom 24. März 2006
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Borner.
Parteien
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh., 9043 Trogen,
Beschwerdeführerin,
gegen
S.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Fidel Cavelti.
Gegenstand
Strafzumessung; bedingter Strafvollzug,
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung, vom 30. August 2005.
Sachverhalt:
A.
S.________ fuhr am 1. Dezember 2003 um ca. 18.15 Uhr mit seinem Personenwagen auf der Thalerstrasse in Lutzenberg in Richtung Thal. Unmittelbar vor der Unfallstelle geriet er auf die Gegenfahrbahn, auf welcher ihm ein Personenwagen entgegenkam. In der Folge lenkte er seinen Wagen zurück auf die Fahrbahn Richtung Thal, kollidierte mit einem Zaun und fuhr ein Wiesenbord hinunter. Dabei entstand Sachschaden von ca. Fr. 5'000.--; davon waren Fr. 3'000.-- Drittschaden.
Nachdem das Fahrzeug zum Stillstand gekommen war, demontierte S.________ die Kontrollschilder und verliess die Unfallstelle zu Fuss, ohne die Polizei über das Unfallereignis informiert zu haben. Als zwei Polizeibeamte, die von Nachbarn informiert worden waren, um 19.00 Uhr bei S.________ zu Hause eintrafen, entdeckten sie auf der Bar eine halb leere Flasche Wein (500 ml, 11,5 %). Eine Blutentnahme um 20.00 Uhr ergab für diesen Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens 1.05 Promille. Da S.________ angab, zu Hause Wein getrunken zu haben, war eine Rückrechnung seiner BAK auf den Unfallzeitpunkt nicht möglich.
S.________ war 1999 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand (FiaZ) zu einer bedingten Gefängnisstrafe von drei Wochen und Fr. 600.-- Busse verurteilt worden. Wegen desselben Vergehens erhielt er am 2. November 2000 eine unbedingte Gefängnisstrafe von drei Wochen und Fr. 100.-- Busse. Die beiden FiaZ-Vorfälle hatten zwei Führerausweisentzüge von 2 bzw. 3 Monaten zur Folge.
Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen entzog S.________ am 2. Juli 2004 den Führerausweis wegen Suchtmittelmissbrauchs (Mischkonsum von Alkohol, Drogen und Medikamenten) auf unbestimmte Zeit (Sicherungsentzug).
B.
Das Kantonsgericht Appenzell A.Rh. verurteilte S.________ am 29. November 2004 wegen mehrfacher grober Verletzung von Verkehrsregeln, pflichtwidrigen Verhaltens nach einem Unfall mit Sachschaden sowie Vereitelung der Blutprobe zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 7 Monaten.
Auf Appellation des Verurteilten erkannte das Obergericht des Kantons Appenzell A.Rh. am 30. August 2005 im Anklagepunkt des Rechtsfahrgebots auf einfache statt auf grobe Verkehrsregelverletzung und bestätigte die übrigen Schuldsprüche des Kantonsgerichts. Es setzte die Gefängnisstrafe jedoch auf 14 Wochen fest und gewährte S.________ den bedingten Strafvollzug. Gleichzeitig erteilte es ihm die Weisung, sich bezüglich seiner Alkohol-, Drogen- und Medikamentenprobleme durch einen Arzt ambulant behandeln zu lassen, solange es dieser für notwendig erachtet.
C.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz sprach den Beschwerdegegner unter anderem der Vereitelung der Blutprobe (aArt. 91 Abs. 3 SVG) schuldig, was nicht angefochten ist. Die Beschwerdeführerin rügt jedoch im Rahmen der Strafzumessung und des bedingten Strafvollzugs eine falsche Anwendung der erwähnten Bestimmung. Indem die Vorinstanz den Beschwerdegegner insoweit als Ersttäter betrachte, setze sie sich in Widerspruch zum geltenden Recht und zur Rechtsprechung. Dabei gehe es nicht um die eigentliche Beweiswürdigung, sondern um die Tatsache, dass sich die Vorinstanz bei der Anwendung von aArt. 91 Abs. 3 SVG weder mit aktenkundigen Indizien noch mit der massgeblichen Rechtsprechung auseinandergesetzt habe. Deshalb könne auch die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft werden.
2.
Mit dem Straftatbestand der Vereitelung der Blutprobe gemäss aArt. 91 Abs. 3 SVG will das Gesetz verhindern, dass der korrekt sich einer Blutprobe unterziehende Fahrer schlechter wegkommt als derjenige, der sich ihr entzieht oder sie sonstwie vereitelt. In der strafrichterlichen Praxis wird die Vereitelung der Blutprobe daher sowohl hinsichtlich der Strafzumessung als auch in Bezug auf die Gewährung des bedingten Strafvollzuges grundsätzlich gleich wie das Fahren in angetrunkenem Zustand behandelt. Diese Gleichstellung rechtfertigt sich nach Sinn und Zweck von aArt. 91 Abs. 3 SVG, wenn einerseits der Fahrzeuglenker aufgrund der vorhandenen Beweismittel (Alkoholtest, eigene Aussagen sowie Aussagen von Auskunftspersonen und von Zeugen, die weniger genau sind als die Blutprobenanalyse) nicht des Fahrens in angetrunkenem Zustand überführt werden kann und wenn anderseits aber die Möglichkeit besteht, dass der Fahrzeuglenker bei korrektem Verhalten aufgrund des Ergebnisses der Analyse der ihm abgenommenen Blutprobe wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand verurteilt worden wäre, er sich also durch die Vereitelungshandlung einem solchen Risiko entzog. In diesem Fall hat der Fahrzeuglenker, soweit es um die Strafzumessung und den bedingten Strafvollzug geht, keinen Anspruch darauf, dass er so behandelt werde, als ob auch durch die Analyse der Blutprobe, die ihm bei korrektem Verhalten abgenommen worden wäre, Angetrunkenheit nicht hätte nachgewiesen werden können.
Eine Gleichbehandlung ist aber nicht gerechtfertigt, wenn der Fahrzeuglenker, der sich nach dem Unfall pflichtwidrig verhielt, zur Zeit der Fahrt erwiesenermassen nüchtern war und ihm daher nicht der Vorwurf gemacht werden kann, er habe sich in alkoholisiertem Zustand ans Steuer gesetzt. Ebenso verhält es sich, wenn trotz der Vereitelungshandlung - etwa durch Auswertung einer doch noch abgenommenen Blutprobe - erwiesen ist, dass der Fahrzeugführer im massgebenden Zeitpunkt einen Blutalkoholgehalt von weniger als 0,8 Gewichtspromille hatte. In einem solchen Fall hat objektiv kein Risiko einer Verurteilung wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand bestanden und kann sich der Fahrzeuglenker somit durch sein pflichtwidriges Verhalten nicht einem solchen Risiko entzogen haben (BGE 117 IV 297 E. 2a mit Hinweisen).
3.
Die Vorinstanz hatte zu beurteilen, ob beim Beschwerdegegner die Möglichkeit bestand, dass er bei korrektem Verhalten aufgrund des Ergebnisses der Analyse einer Blutprobe wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand verurteilt worden wäre. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht, handelt es sich bei der Beurteilung dieser Möglichkeit um eine Rechtsfrage (vgl. Erhard Schweri, Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen, S. 199 ff. N 635 ff., insbesondere N 637). Dieser Umstand hindert den Richter nicht daran, dass er zunächst bei der Beweiswürdigung Tatsachen feststellen kann, welche die fragliche Möglichkeit zum vornherein ausschliessen.
Die Vorinstanz hält fest, zugunsten des Beschwerdegegners sei davon auszugehen, dass die ermittelte BAK von mindestens 1.05 Promille vollumfänglich vom Nachtrunk herrühre (angefochtener Entscheid S. 16 unten). Dabei handelt es sich um eine tatsächliche Feststellung, die im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angezweifelt werden kann (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Gestützt auf diese Feststellung hat die Vorinstanz zutreffend die Möglichkeit verneint, dass der Beschwerdegegner bei korrektem Verhalten wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand verurteilt worden wäre. Folglich hat sie den Tatbestand der Vereitelung der Blutprobe im Rahmen der Strafzumessung und des bedingten Strafvollzugs zu Recht nicht als FiaZ-Rückfall beurteilt. Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet.
Die Beschwerdeführerin verweist auf Aktenstellen, wonach der Beschwerdegegner einem Zeugen angegeben haben soll, vor dem Unfall nur ein Bier oder ein "Zweierli" getrunken zu haben, eine Zeugin bei ihm Mundgeruch festgestellt habe oder dass an seinem Wohnort lediglich eine halbvolle 5-dl-Flasche Wein festgestellt worden sei usw. All diese Hinweise laufen darauf hinaus, die Feststellung der Vorinstanz, dass die ermittelte BAK von mindestens 1.05 Promille vollumfänglich vom Nachtrunk herrühre, in Zweifel zu ziehen. Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin handelt es sich dabei aber um Beweiswürdigung, weshalb darauf nicht einzutreten ist. Ob die Würdigung der verschiedenen Indizien auch den Schluss zugelassen hätte, die BAK von 1.05 Promille rühre nur teilweise vom Nachtrunk her, ist hier nicht zu entscheiden.
4.
Nach dem Gesagten ist die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Da die öffentliche Anklägerin unterliegt, werden keine Kosten erhoben. Der Beschwerdegegner hatte vor Bundesgericht keine Umtriebe, weshalb auch eine Entschädigung entfällt (Art. 278 Abs. 2 und 3 BStP).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Es werden keine Kosten erhoben und es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 24. März 2006
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: