BGer 1P.102/2006
 
BGer 1P.102/2006 vom 26.06.2006
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
1P.102/2006 /ast
Urteil vom 26. Juni 2006
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Scherrer.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher lic. iur. Roland Padrutt,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.
Gegenstand
Strafverfahren,
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 17. November 2005.
Sachverhalt:
A.
X.________ wurde am 14. Januar 2003 von der Kantonspolizei Aargau festgenommen und befindet sich seither in Haft, seit dem 24. März 2004 im vorzeitigen Strafvollzug. Es werden ihm zahlreiche Drogendelikte vorgeworfen. Gemäss Anklageschrift der aargauischen Staatsanwaltschaft vom 28. Juni 2004 soll es sich beim Beschuldigten um die zentrale Figur einer Gruppe von Betäubungsmittelhändlern handeln.
B.
Mit Urteil vom 13. Oktober 2004 wurde X.________ vom Bezirksgericht Aarau zahlreicher Drogendelikte für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Gegen diesen Entscheid reichten sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein.
In teilweiser Gutheissung beider Berufungen hob das Obergericht des Kantons Aargau den erstinstanzlichen Entscheid mit Urteil vom 17. November 2005 auf und sprach X.________ der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 in Verbindung mit Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetMG für schuldig. Hierfür verurteilte es ihn zu einer Zuchthausstrafe von 12 Jahren.
C.
Mit Eingabe vom 24. Februar 2006 erhebt X.________ staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils unter Rückweisung an das Obergericht. Die Rückweisung sei mit den Auflagen zu verbinden, dass eine allfällige Neubeurteilung von einer anderen Strafkammer des Obergerichts vorzunehmen sei und dass die allenfalls als nicht verwertbar erklärten Akten vorgängig aus dem Dossier zu entfernen seien. Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Der Beschwerdeführer macht geltend, er und die weiteren Mitbeschuldigten und Auskunftspersonen seien bei den Einvernahmen nicht rechtsgenüglich belehrt worden. Auch die Konfrontationseinvernahmen seien rechtsungenüglich durchgeführt worden. Zudem wirft er den kantonalen Instanzen willkürliche Beweiswürdigung, rechtsungenügliche Übersetzung und fehlerhafte Instruktion der Dolmetscher vor.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Mit Verfügung vom 20. März 2006 hat der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid (Art. 86 Abs. 1 OG), gegen den mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde unter Vorbehalt von E. 1.2 hiernach einzutreten.
1.2 Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, Verfahrensrechte von Mitbeschuldigten seien verletzt worden, ist auf seine Rügen mangels persönlicher Betroffenheit im Sinne von Art. 88 OG nicht einzutreten.
2.
Der Beschwerdeführer bemängelt zunächst, nicht hinreichend über sein Aussageverweigerungsrecht (Art. 31 Abs. 2 BV) aufgeklärt worden zu sein.
2.1 Neben dem Recht auf Information haben die Betroffenen aufgrund von Art. 31 Abs. 2 BV Anspruch darauf, in für sie verständlicher Art und Weise über ihre Rechte unterrichtet zu werden (Belehrungspflicht). Dabei beschränkt sich die Vorschrift aber auf die beispielhafte Erwähnung des Rechts, die nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen. Zu diesen Rechten zählt auch das Schweige- oder Aussageverweigerungsrecht der in einem Strafverfahren beschuldigten Person (vgl. BGE 130 I 126 E. 2.4 S. 130; Urteil 1P.97/2004 des Bundesgerichts vom 3. Juni 2004 E. 3.2.2; René Rhinow, Die Bundesverfassung 2000, Basel/Genf/München 2000, S. 220; Andreas Auer/Giorgio Malinverni/Michel Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Vol. II, Bern 2000, N. 333; Hans Vest, in: Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, St. Gallen 2002, Rz. 16 ff. zu Art. 31 Abs. 2; Benjamin Schindler, Miranda Warning - bald auch in der Schweiz-, in: Strafrecht als Herausforderung [Hrsg. Jürg-Beat Ackermann], Zürich 1999, S. 467 ff., S. 472 f.; Martin Philipp Wyss, "Miranda Warnings" im schweizerischen Verfassungsrecht-, Inhalt und Tragweite von Art. 31 Abs. 2 BV, in: recht 2001 Heft 4 S. 132 ff.; Stefan Flachsmann/Stefan Wehrenberg, Aussageverweigerungsrecht und Informationspflicht in: SJZ 97 [2001] Nr. 14 S. 313 ff.; Sven Zimmerlin, Miranda-Warning und andere Unterrichtungen nach Art. 31 Abs. 2 BV, in: ZstrR 121/2003 S. 311 ff., S. 317 f.; Marc Forster, Gefangenenrechte und Polizeigewalt, in: Plädoyer 21 [2003] H. 6, S. 30 ff.). Das Recht auf sofortigen Beizug eines Verteidigers (Anwalt der ersten Stunde) gehört jedoch nicht zu den Rechten von Art. 31 Abs. 2 BV (Botschaft VE 96, S. 185, 187; Jean-François Aubert, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zürich/Basel/Genf 2003, Rz. 6 zu Art. 31; Rhinow, a.a.O., S. 220; Zimmerlin, a.a.O., S. 323). So sieht denn auch der am 1. Januar 2003 in Kraft getretene § 62 des Aargauer Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 11. November 1958 (Strafprozessordnung, StPO-AG; AGS 251.100) vor, dass der Beschuldigte vor der ersten Einvernahme unter anderem darauf hinzuweisen ist, dass er die Aussage verweigern kann (§ 62 Abs. 1 lit. b StPO-AG).
Nach dem Wortlaut von Art. 31 Abs. 2 BV müssen die Betroffenen die Möglichkeit haben, diese Rechte effektiv geltend zu machen (Zimmerlin, a.a.O., S. 323, spricht von der Effektivitätsgarantie).
2.2 Wie das Obergericht richtig festhält, wurde der Beschwerdeführer anlässlich seiner ersten Einvernahme am 14. Januar 2003 vom einvernehmenden Polizisten ausdrücklich auf sein Aussageverweigerungsrecht und sein Recht, einen Verteidiger beizuziehen, hingewiesen. Der Beschwerdeführer hat dies zur Kenntnis genommen (act. 244). Desgleichen hat der Beschwerdeführer auf entsprechende Frage hin bestätigt, dass er den Polizisten verstehe, wenn dieser Englisch mit ihm rede. Zwar sagte er wörtlich: "Ich verstehe ein bisschen Englisch" (act. 245), seine Antworten stimmten jedoch mit allen Fragen überein, was zeigt, dass seine Sprachkenntnisse durchaus ausreichend waren. Abschliessend hatte der Beschwerdeführer auf Nachfrage durch den Polizisten hin weder Berichtigungen noch Ergänzungen anzubringen. Er hat denn das Protokoll auch als "vorgelesen und bestätigt" unterschrieben (act. 246). Zusätzlich hat er jede einzelne Protokollseite unterzeichnet.
2.3 Diese Belehrung über die Rechte gemäss Art. 31 Abs. 2 BV ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Obergericht ist zu Recht davon ausgegangen, der Beschwerdeführer habe die Unterrichtung über seine Rechte sowohl sprachlich als auch inhaltlich verstanden. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen, zumal er nicht bestreitet, vor der ersten Einvernahme auf seine Rechte hingewiesen worden zu sein. Weder Art. 31 Abs. 2 BV noch § 62 StPO-AG sehen vor, dass vor jeder weiteren Einvernahme eine Aufklärung stattfinden müsste (siehe dazu auch Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Auflage, Basel/Genf/München 2005, § 61 N. 5 f.).
2.4 Soweit der Beschwerdeführer die seines Erachtens mangelnde Aufklärung der übrigen Mitbeschuldigten rügt, fehlt es ihm an der persönlichen Betroffenheit im Sinne von Art. 88 OG, weshalb darauf nicht einzutreten ist (siehe E. 1.4 hiervor). Der Hinweis über das Aussageverweigerungsrecht und den möglichen Verteidigerbeizug der Mitbeschuldigten (respektive der Auskunftspersonen) soll vorab deren Verfahrensrechte gewähren, nicht diejenigen des Beschwerdeführers. Dient aber eine Verfahrensvorschrift nicht oder nicht in erster Linie dem Beschuldigten, so liegt bei deren Verletzung kein Beweisverbot vor (Hauser/Schweri/Hartmann, a.a.O., § 60 N. 7). Selbst wenn also auf die entsprechende Rüge einzutreten wäre und nicht sämtliche Mitbeschuldigten anlässlich der ersten Befragung umfassend auf ihre Rechte hingewiesen worden wären, wäre sie grundsätzlich abzuweisen.
3.
Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, die Konfrontationseinvernahmen seien konventions- respektive verfassungswidrig gewesen, da er nicht bei allen Einvernahmen anwaltlich vertreten gewesen sei.
3.1 Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des Angeschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Entsprechend sind Beschwerden wie die hier zu beurteilende unter dem Blickwinkel beider Bestimmungen zu prüfen. Mit der Garantie von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wurde, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen. Dieser Anspruch wird als Konkretisierung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) auch durch Art. 32 Abs. 2 BV gewährleistet. Ziel der genannten Normen ist die Wahrung der Waffengleichheit und die Gewährung eines fairen Verfahrens (Urteil 6P.22/2005 des Bundesgerichts vom 12. Oktober 2005 E. 2.2; BGE 129 I 151 E. 3.1 S. 153 mit ausführlichen Hinweisen). Aussagen von Zeugen und Auskunftspersonen dürfen in der Regel nur nach erfolgter Konfrontation zum Nachteil eines Angeschuldigten verwertet werden. Dem Anspruch, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt insofern grundsätzlich ein absoluter Charakter zu. Er erfährt in der Praxis aber eine gewisse Relativierung. Er gilt uneingeschränkt nur, wenn dem streitigen Zeugnis alleinige oder ausschlaggebende Bedeutung zukommt, dieses also den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt (BGE 129 I 151 E. 3.1 S. 154 mit Hinweisen). Damit die Verteidigungsrechte gewahrt sind, ist erforderlich, dass die Gelegenheit der Befragung angemessen und ausreichend ist und die Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann. Der Beschuldigte muss namentlich in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage prüfen und den Beweiswert in kontradiktorischer Weise auf die Probe und in Frage stellen zu können (BGE 129 I 151 E. 4.2 S. 157 mit Hinweisen). Das kann entweder zum Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Belastungszeuge seine Aussage macht, oder auch in einem späteren Verfahrensstadium (BGE 125 I 129 E. 6b S. 132 f. mit Hinweisen).
3.2 Das Obergericht hat sich einlässlich mit dieser Rüge befasst und eingeräumt, die von der Polizei durchgeführten Konfrontationseinvernahmen hätten alle ohne Verteidiger des Beschwerdeführers stattgefunden, weshalb sie den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK sowie Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV nicht genügten. Indes falle auf, dass der amtliche Verteidiger des Beschwerdeführers mit Brief der Ermittlungsbehörde vom 25. September 2003 (unter Beilage verschiedener Einvernahmeprotokolle) darüber in Kenntnis gesetzt worden sei, dass in zirka einem Monat die ersten Konfrontationseinvernahmen durchgeführt würden. Falls er dabei anwesend sein wolle, sollte er dies mitteilen (act. 53). In einem weiteren Schreiben vom 24. Oktober 2003 (wiederum unter Beilage der Einvernahmeprotokolle) wurde der amtliche Verteidiger darüber informiert, dass am 29. Oktober 2003 eine Konfrontation mit einem Mitbeschuldigten stattfinden werde. Die Polizei bat erneut um Benachrichtigung, falls er dabei zu sein wünsche (act. 54). Aus dem Umstand, dass sich der amtliche Verteidiger nicht gemeldet hat, schliesst das Obergericht, der Beschwerdeführer habe auf die Anwesenheit des amtlichen Verteidigers anlässlich der Konfrontationseinvernahmen verzichtet. Eine Verletzung des Konfrontationsrechts sei darum von vornherein zu verneinen.
3.3 Diese Argumentation ist weder konventions-, noch verfassungsrechtlich zu beanstanden. Nachdem die Polizei den amtlichen Verteidiger rechtzeitig von den bevorstehenden Konfrontationseinvernahmen in Kenntnis gesetzt und insbesondere auf eine entscheidende Einvernahme eines Mitbeschuldigten separat nochmals hingewiesen hatte, waren die kantonalen Behörden nicht gehalten, zusätzliche Schritte zu unternehmen. Die Einvernahmeprotokolle wurden dem Verteidiger zudem ebenfalls zugestellt, so dass er jederzeit hätte reagieren und eine Wiederholung der Einvernahmen beantragen können. Bezieht sich der Beschwerdeführer auf BGE 120 Ia 48 und fordert, der Verteidiger hätte von Amtes wegen vorgeladen werden müssen, verkennt er, dass sich die beiden Fälle nicht vergleichen lassen. Zwar hat das Bundesgericht in BGE 120 Ia 48 E. 2b/bb S. 51 festgehalten, dass auch der amtlich verteidigte Angeschuldigte Anspruch auf sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung seiner Parteiinteressen hat. Wird von den Behörden untätig geduldet, dass der amtliche Verteidiger seine anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum Schaden des Angeschuldigten in schwerwiegender Weise vernachlässigt, kann darin eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte liegen. Ein unfähiger amtlicher Verteidiger, der wiederholt seine Berufspflichten verletzt, muss daher rechtzeitig von Amtes wegen ersetzt werden (BGE 120 Ia 48 E. 2b/bb S. 52). Dem Verteidiger im zitierten Entscheid wurden jedoch diverse schwere Verletzungen der Berufspflicht vorgeworfen, wie etwa krasse Versäumnisse bei der Aktenrückgabe, mangelnde Vorsorge für Stellvertretungen, ständige Termin- und Fristversäumnisse und grobe Unregelmässigkeiten bei der Rechnungsstellung. Solche schwerwiegende Verfehlungen des amtlichen Verteidigers wurden im vorliegenden Fall weder dargetan, noch sind solche ersichtlich. Die Behörden hatten darum keinen Anlass, weitergehende Massnahmen zu ergreifen.
Sowohl die Praxis des Bundesgerichtes als auch diejenige der Strassburger Rechtsprechungsorgane verlangen grundsätzlich, dass der Angeschuldigte oder sein Anwalt zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte rechtzeitig und in angemessener Weise aktiv werden müssen (BGE 120 Ia 48 E. 2e/bb S. 55; 118 Ia 462 E. 2b/bb S. 466 f. mit Hinweisen; EGMR vom 25. November 1993 i.S. Imbrioscia c. CH, Série A, vol. 275, Ziff. 40 ff.; EGMR vom 19. Dezember 1989 i.S. Kamasinsky c. A, Série A, vol. 168, Ziff. 65; vgl. Jean-François Egli, La protection de la bonne foi dans le procès, in: Verfassungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtsprechung, Sammlung von Beiträgen veröffentlicht von der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des schweizerischen Bundesgerichts, Zürich 1992, S. 239 f.). Wenn eine entsprechende zumutbare Intervention unterbleibt, kann nach Treu und Glauben und von Grundrechts wegen kein entsprechendes Tätigwerden der Strafjustizbehörden erwartet werden. Dies gilt nach der Praxis des Bundesgerichtes insbesondere für das Recht auf Befragung von Belastungszeugen (BGE 118 Ia 462 E. 5b S. 470 f.) und für den Anspruch des Angeschuldigten auf Beizug seines Verteidigers zu polizeilichen und untersuchungsrichterlichen Einvernahmen (BGE 120 Ia 48 E. 2e/bb S. 55 mit Hinweis).
3.4 Hinzu kommt, dass mit zehn Mitbeschuldigten respektive Auskunftspersonen am 13. Oktober 2004 vor dem Bezirksgericht Aarau nochmals Konfrontationseinvernahmen in Anwesenheit des amtlichen Verteidigers durchgeführt wurden (act. 2331 ff.).
Der Beschwerdeführer hält dazu fest, die Befragten hätten ihre vor der Polizei gemachten Aussagen anlässlich dieser nachgeholten Konfrontationseinvernahme nicht im gleichen Umfang bestätigt, sondern diese sogar zum Teil widerrufen oder zumindest stark relativiert. Wenn das Obergericht in diesem Zusammenhang behaupte, der Beschwerdeführer habe die Auskunftspersonen zwischen der polizeilichen und der gerichtlichen Konfrontation bedroht und sie zu den für ihn günstigeren Aussagen gezwungen, handle es sich um eine unzulässige Schlussfolgerung. Über diese angeblichen Bedrohungen sei keinerlei Beweis geführt worden. Die Strafverfolgungsbehörden selber hätten die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Kollusionshandlungen erst ermöglicht, indem sie alle Mitbeschuldigten in der Strafanstalt Lenzburg untergebracht hätten. Es sei willkürlich, Kollusionshandlungen lediglich während der Strafuntersuchung zu verhindern, um Belastungsaussagen zu sichern, jedoch die während des Gerichtsverfahrens gemachten, entlastenden Aussagen wegen angeblicher Bedrohung nicht mehr zuzulassen. Zudem hätten die beiden Hauptbelastungszeugen dem Obergericht handschriftliche Aussagen zukommen lassen, in welchen sie die vor der Polizei gemachten Aussagen ein weiteres Mal widerrufen und präzisiert hätten. Der Beschwerdeführer habe deshalb die neuerliche Befragung der beiden Zeugen beantragt, was das Obergericht abgelehnt habe. Dieses Vorgehen des Obergerichts erweise sich als insgesamt krass willkürlich und verletze das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers massiv.
3.5 Der Widerruf einer Belastungsaussage im Rahmen einer Konfrontation mit dem Angeschuldigten, führt nicht ohne weiteres zur Unverwertbarkeit der früheren Aussage. Welche Bedeutung den ursprünglichen Aussagen angesichts des Widerrufs zukommt, ist eine Frage der freien richterlichen Beweiswürdigung. Voraussetzung für die Verwertbarkeit der früheren Aussagen ist im Sinne der vorstehend genannten Rechtsprechung, dass diese dem Belastungszeugen anlässlich der Konfrontationseinvernahme vorgehalten werden, er zu den Widersprüchen - auch zur neuen Aussage - befragt wird und der Angeklagte bzw. sein Verteidiger Gelegenheit erhält, Ergänzungsfragen zu stellen, wobei es ihm freisteht, ob er von diesem Recht Gebrauch machen will (Urteil 1P.591/1999 des Bundesgerichts vom 2. Februar 2000 E. 2c, publ. in Pra 2000 Nr. 163 mit Hinweisen; Hauser/Schweri/Hartmann, a.a.O., § 54 N. 4). Dass diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt seien, macht der Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend.
3.6 Das Obergericht legt in seinem Urteil ausführlich und überzeugend dar, weshalb der Eindruck erweckt wurde, die am 13. Oktober 2004 zum Teil widerrufenen, zum Teil stark relativierten Aussagen der Auskunftspersonen seien unter Druck und Bedrohung durch den Beschwerdeführer entstanden. Mit Blick auf die Akten (act. 2331 ff.) ist dieser Rückschluss durchaus nachvollziehbar und mitnichten willkürlich. So mutet insbesondere seltsam an, dass einer der Befragten Wert darauf legte, dass seine Aussagen für den Beschwerdeführer übersetzt würden (act. 2346). Offenbar schien ihm wichtiger, dass der Beschwerdeführer seine neue Aussage höre, als dass das Gericht davon Kenntnis nehme. Keine der Auskunftspersonen war in der Lage, plausibel darzulegen, weshalb sie die früher gemachten Aussagen nicht vollumfänglich bestätigen konnten. Insgesamt ist hierzu auf die schlüssige Argumentation des Obergerichts zu verweisen (Urteil des Obergerichts vom 17. November 2005, S. 24 ff.).
3.7 In Bezug auf die an der Berufungsverhandlung nicht mehr angehörten Hauptbelastungszeugen ist dem Beschwerdeführer zuzugestehen, dass sich das Obergericht im angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich dazu äussert, weshalb es von einer weiteren Befragung absieht. Indes liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wenn ein Gericht auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichtet, weil es auf Grund der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 124 I 208 E. 4a S. 211; 122 II 464 E. 4a S. 469, je mit Hinweisen). Auch sind die Begründungspflicht und der Anspruch auf Begründung nicht bereits dadurch verletzt, dass sich die urteilende Behörde nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (vgl. BGE 126 I 97 E. 2b S. 102; 124 II 146 E. 2a S. 149; 124 V 180 E. 1a S. 181; 123 I 31 E. 2c S. 34; 121 I 54 E. 2c S. 57, je mit Hinweisen).
Die beiden Zeugen wurden bereits vor dem Bezirksgericht Aarau angehört. Im angefochtenen Urteil verweist das Obergericht zunächst auf ein Schreiben, welches einer der beiden Zeugen respektive Mitbeschuldigten am 26. März 2004 verfasst hatte; danach seien alle Beschuldigungen, welche er gegen den Beschwerdeführer und einen anderen Mitbeteiligten erhoben habe, unwahr und gelogen. Nur rund zehn Tage später ersuchte dessen Verteidiger um die Verlegung seines Mandanten in eine andere Strafanstalt, mit der Begründung, letzterer sei mit mehreren Mitbeschuldigten (u.a. dem Beschwerdeführer) inhaftiert und fürchte um seine Gesundheit (act. 2214). Sodann zieht das Obergericht in Erwägung, der Inhalt der beiden ihm eingereichten Briefe sei auffallend ähnlich. Es werde darin ausgeführt, die beiden Belastungszeugen hätten gegenüber der Polizei in Bezug auf den Beschwerdeführer die Unwahrheit gesagt. Unter den gegebenen Umständen drängt sich für das Obergericht unweigerlich der Eindruck auf, all diese Briefe seien im Hinblick auf die jeweils bevorstehenden Gerichtsverhandlungen auf Veranlassung des Beschwerdeführers geschrieben worden. Daraus wird deutlich, dass sich das Obergericht von einer nochmaligen Befragung der Belastungszeugen keine neuen Erkenntnisse versprach. Gegen diese antizipierte Beweiswürdigung ist verfassungsrechtlich nichts einzuwenden.
4.
Der Beschwerdeführer rügt überdies, die Dolmetscher seien in der Mehrheit der Fälle nicht rechtsgenüglich über ihre Wahrheitspflicht aufgeklärt worden (Art. 307 StGB), weshalb die entsprechenden Protokolle nicht verwertbar seien. Lediglich bei den Konfrontationseinvernahmen seien die Dolmetscher ausnahmslos belehrt worden. Andere Belehrungen seien nicht dokumentiert. Somit würden die meisten Einvernahmen der Belastungszeugen an einem nicht rückgängig zu machenden Mangel leiden. Zudem seien aus vielen Protokollen die Namen der Übersetzer nicht ersichtlich, weshalb für die Verteidigung die Qualifikationen des Dolmetschers nicht überprüfbar gewesen seien.
4.1 Das Obergericht nimmt im angefochtenen Entscheid zu diesen Vorwürfen Stellung und hält zunächst fest, es sei gerichtsnotorisch, dass die im Kanton Aargau tätigen Gerichtsdolmetscher in jedem Verfahren vor ihrem ersten Einsatz auf ihre Pflicht zur wahrheitsgemässen Übersetzung und die Folgen einer falschen Belehrung aufgeklärt würden. Beim Erfordernis, die Dolmetscher bei jeder einzelnen Einvernahme von Neuem zu belehren, handle es sich um eine Ordnungsvorschrift, die im Fall der Missachtung der Verwertbarkeit der betreffenden Einvernahmen nicht entgegenstehe. Auch die Verwendung von Namenkürzeln sei insbesondere in Verfahren, in welchen der Dolmetscher mit Repressalien seitens des Angeklagten oder von Tatbeteiligten rechnen müsse, durchaus üblich. Abgesehen davon habe der Beschwerdeführer offensichtlich gewusst, wer hinter den (nur) teilweise verwendeten Abkürzungen stehe, wie das Plädoyer des frei gewählten Verteidigers vor Obergericht zeige. Andernfalls hätte er bei den Ermittlungsbehörden detailliert nachfragen können, für welche Übersetzer die Kürzel in den Protokollen gesetzt worden waren. Selbst bei der Annahme, die Dolmetscher seien zwingend vor jeder Einvernahme auf ihre Pflichten aufmerksam zu machen und müssten durch Namensangabe erkennbar sein, seien die Einvernahmeprotokolle verwertbar. Das öffentliche Interesse an der Bekämpfung des im grossen Stil aufgezogenen Drogenhandels überwiege das private Interesse des Beschwerdeführers daran, dass ihn belastende Protokolle nicht verwertet werden dürften.
4.2 Nicht zu überzeugen vermag der pauschale Einwand des Obergerichts, es sei gerichtsnotorisch, dass die Dolmetscher jeweils vor dem ersten Einsatz über ihre Pflichten belehrt würden (vgl. BGE 129 I 85 E. 4.3 S. 90). Im vorliegenden Fall gilt es indes zu berücksichtigen, dass die Belehrung bei den Konfrontationseinvernahmen jeweils stattgefunden hat und dokumentiert ist. Dies gesteht der Beschwerdeführer selber zu. Zudem sind die Dolmetscher in den Protokollen zumindest mit einem Kürzel angegeben, so dass es ein Leichtes ist, deren Namen bei den Behörden in Erfahrung zu bringen. Zum Teil ergibt sich dieser auch aus anderen Protokollen, in welchen der Name voll ausgeschrieben wurde. Ein solches Beispiel hat der freie Verteidiger anlässlich seines Plädoyers vor Obergericht offensichtlich selber gemacht ("H für Hamami", Plädoyernotizen S. 8). Nach der Rechtsprechung können in Abwägung der entgegenstehenden Interessen auch gewisse unrechtmässig beschaffte Beweise zu Lasten eines Angeschuldigten verwendet werden. Je schwerer die zu beurteilende Straftat ist, umso eher überwiegt das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse des Angeklagten daran, dass der fragliche Beweis unverwertet bleibt (BGE 109 Ia 244 E. 2b S. 246; 120 Ia 314 E. 2c S. 320; Hauser/Schweri/Hartmann, a.a.O., § 60 N. 6). Mitzuberücksichtigen ist dabei auch, ob das rechtswidrig erlangte Beweismittel an sich zulässig und auf gesetzmässigem Weg erreichbar gewesen wäre (BGE 96 I 437 E. 3b S. 440 f). In Anbetracht der schweren Drogendelikte, welche dem Beschwerdeführer vorgeworfen werden und mit welchen er die Gesundheit zahlreicher Menschen stark gefährdet hat, und den nur zum Teil mangelhaft erfolgten Einvernahmen, kann der Argumentation des Obergerichts gefolgt werden, wonach die Protokolle dennoch verwertbar seien. Gleiches gilt für die ersten Einvernahmen, in welchen der Polizist selber auf Englisch übersetzt hat, zumal der Beschwerdeführer nie geltend gemacht hat, er verstehe ihn nicht. Die schlüssige Beantwortung der Fragen belegt, dass offenkundig keine wesentlichen Verständigungsprobleme bestanden haben.
Soweit der Beschwerdeführer fehlerhafte Übersetzungen rügt, handelt es sich um durch keinerlei Anhaltspunkte belegte Behauptungen, auf welche nicht einzutreten ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f.; 129 I 185 E. 1.6 S. 189; 127 I 38 E. 3c und 4 S. 43).
5.
Demzufolge ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschwerdeführer hat um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ersucht. Da die Voraussetzungen erfüllt sind, ist dem Ersuchen im Sinne von Art. 152 Abs. 1 und 2 OG stattzugeben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.
2.2 Fürsprecher Roland Padrutt, Lenzburg, wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. Juni 2006
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: