BGer 1P.362/2006
 
BGer 1P.362/2006 vom 23.11.2006
Tribunale federale
{T 0/2}
1P.362/2006 /ggs
Urteil vom 23. November 2006
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Steinmann.
Parteien
G.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat
Dr. Nicolas Roulet,
gegen
Staatsanwaltschaft Basel-Stadt,
Binningerstrasse 21, 4001 Basel,
Strafgericht Basel-Stadt, Rekurskammer, Schützenmattstrasse 20, 4003 Basel.
Gegenstand
Vernichtung des erkennungsdienstlichen Materials,
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Strafgerichts Basel-Stadt, Rekurskammer,
vom 21. März 2006.
Sachverhalt:
A.
Gegen G.________ wurde ein Strafverfahren wegen einfacher Körperverletzung (evtl. Angriffs) geführt, in dessen Verlauf er erkennungsdienstlich behandelt wurde. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt erhob am 8. Februar 2005 Anklage. Anlässlich der Hauptverhandlung vom 13. Oktober 2005 vor dem Strafgericht Basel-Stadt wurde das Verfahren gegen G.________ infolge Rückzugs des Strafantrags eingestellt.
B.
In der Folge ersuchte G.________ am 18. Oktober 2005 darum, es seien sämtliche im Strafverfahren erlangten persönlichen Daten zu vernichten und die entsprechenden Registereinträge zu löschen.
Dieses Ersuchen wurde mit Verfügung vom 26. Oktober 2005 und Einspracheentscheid des Ersten Staatsanwalts vom 10. November 2005 abgelehnt. Den dagegen erhobenen Rekurs wies die Rekurskammer des Strafgerichts Basel-Stadt am 21. März 2006 ab. Das Strafgericht hielt im Wesentlichen fest, dass die Einstellung des Verfahrens infolge Rückzugs des Strafantrages einer Einstellung des Verfahrens mangels Beweisen gleichzustellen sei und nach § 8 Abs. 3 lit. a der Verordnung über die erkennungsdienstliche Behandlung gemäss § 76 der Strafprozessordnung lediglich nach Ablauf von fünf Jahren zur Vernichtung des erkennungsdienstlichen Materials führe; die Einstellung des Verfahrens infolge Rückzugs des Strafantrags sei insoweit nicht einer Einstellung wegen erwiesener Unschuld oder einem Freispruch im Sinne von § 8 Abs. 2 der Verordnung gleichzustellen, für welche Fälle erkennungsdienstliches Material vorzeitig vernichtet werden könne.
C.
Gegen diesen Entscheid des Strafgerichts hat G.________ beim Bundesgericht am 14. Juni 2006 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und ersucht darum, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, das erkennungsdienstliche Material unverzüglich zu vernichten. Er macht im Wesentlichen eine Verletzung von Art. 13 Abs. 2 BV geltend.
Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Strafgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde legitimiert und hat diese nach Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges rechtzeitig erhoben. Wegen der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde ist auf die Beschwerde nicht einzutreten, soweit mit ihr mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheides verlangt wird; einer ausdrücklichen Anordnung bedarf es nicht.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer bemängelt nicht, dass im Laufe des nunmehr abgeschlossenen Strafverfahrens erkennungsdienstliche Daten über ihn erhoben worden sind. Ebenso wenig rügt er, dass die vom kantonalen Verfahrensrecht allgemein vorgesehene Dauer der Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Daten verfassungswidrig sei (vgl. dazu BGE 120 Ia 147, 122 I 360, 124 I 80). Mit der vorliegenden Beschwerde beanstandet er vielmehr, dass die über ihn eingeholten erkennungsdienstlichen Daten nicht vernichtet und über die Einstellung des Strafverfahrens infolge Rückzugs des Strafantrags hinaus aufbewahrt würden. Er macht geltend, der angefochtene Entscheid halte vor der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt (StPO) und vor der Verordnung über die erkennungsdienstliche Behandlung gemäss § 75 der Strafprozessordnung (VO; Rechtssammlung 257.130) nicht stand und verletze Art. 13 Abs. 2 BV.
2.2 Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Anspruchs der sog. informationellen Selbstbestimmung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 BV geltend. Unter der Herrschaft der alten Bundesverfassung hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Erhebung erkennungsdienstlicher Daten wie auch deren Aufbewahrung und Bearbeitung in den Schutzbereich der als ungeschriebenes Verfassungsrecht anerkannten persönlichen Freiheit eingreifen (BGE 122 I 360 E. 5a S. 362, 124 I 85 E. 2b S. 87). Mit der neuen Bundesverfassung haben die einzelnen Elemente der persönlichen Freiheit in spezifischen Bestimmungen Eingang gefunden (BGE 127 I 6 E. 5a S. 11). Danach kann die persönliche Freiheit gemäss Art. 10 Abs. 2 BV als das grundlegende Freiheitsrecht bezeichnet werden. Demgegenüber schützt Art. 13 BV in besonderer Weise die verschiedenste Aspekte umfassende Privatsphäre mit ihren spezifischen Bedrohungsformen (BGE 127 I 6 E. 5a S. 13). Dazu gehört namentlich der Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten gemäss Art. 13 Abs. 2 BV. Der Beschwerdeführer kann sich demnach auf Art. 13 Abs. 2 BV berufen. Hingegen macht er keine Verletzung von Art. 8 Ziff. 1 EMRK geltend (vgl. hierzu BGE 122 I 360 E. 5a S. 362, 124 I 85 E. 2c S. 87, 120 Ia 147 E. 2 S. 149).
Nach der Rechtsprechung wiegt die Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Daten für sich allein nicht schwer (BGE 120 Ia 147 E. 2b S. 150; vgl. auch BGE 128 II 259 E. 3.3 S. 269 hinsichtlich Erstellung eines DNA-Profils). Daraus folgt, dass die Anwendung des kantonalen Rechts lediglich auf Willkür hin geprüft wird.
3.
§ 76 Abs. 1 StPO erlaubt die Erhebung erkennungsdienstlicher Daten; § 76 Abs. 2 StPO ermächtigt den Regierungsrat, die Erhebung, Aufbewahrung und Vernichtung von erkennungsdienstlichem Material zu regeln. Diese Regelung ist in der genannten Verordnung enthalten.
Nach § 8 Abs. 2 der Verordnung kann erkennungsdienstliches Material auf Gesuch hin vorzeitig vernichtet werden, wenn das Verfahren wegen erwiesener Unschuld eingestellt oder mit einem Freispruch abgeschlossen wird; demgegenüber sieht § 8 Abs. 3 lit. a der Verordnung die Vernichtung erst nach fünf Jahren vor, wenn das Verfahren mangels Beweisen nicht zu einer Verurteilung geführt hat. Die unterschiedliche Behandlung des erkennungsdienstlichen Materials wird im angefochtenen Entscheid mit dem unterschiedlichen Gewicht begründet, welches der Beendigung in den jeweiligen Konstellationen beigemessen wird. Vor diesem Hintergrund sei die Einstellung des Verfahrens infolge Rückzugs des Strafantrags einem Verfahrensabschluss mangels Beweisen gleichzustellen, in welchem Falle § 8 Abs. 3 lit. a der Verordnung die Vernichtung des erkennungsdienstlichen Materials erst nach fünf Jahren erlaube.
Der angefochtene Entscheid anerkennt, dass die Verordnung den Fall einer Einstellung infolge Rückzugs des Strafantrags nicht ausdrücklich regelt. Es lässt sich mit guten Gründen vertreten, hierfür auf die Beweislage und die dazu ergangene abschliessende Beurteilung abzustellen. Bei einem Verfahrensabschluss wegen erwiesener Unschuld und einem Freispruch wird die Unschuld förmlich festgestellt. Demgegenüber erscheint das Beweisverfahren im Falle einer Beendigung mangels Beweisen nicht förmlich abgeschlossen (vgl. BGE 120 Ia 147 E. 2e S. 151); dies rechtfertigt die weitere Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen Unterlagen im Hinblick auf eine allfällige spätere Verwendung (vgl. Urteil 1P.46/2001 vom 2. März 2001, E. 2b).
Im Falle der Einstellung eines Strafverfahrens infolge Rückzugs des Strafantrags bleibt der Sachverhalt ebenfalls offen und förmlich unbeurteilt. Im Gegensatz zu einer Verfahrensbeendigung mangels Beweisen kann das Verfahrens diesfalls nicht wieder aufgenommen werden. Nach Art. 31 StGB kann ein Strafantrag zurückgezogen werden; wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn indes nicht nochmals neu stellen. Das bedeutet, dass auf den nicht vollständig abgeklärten Sachverhalt nicht mehr zurückgekommen werden kann und die Aufbewahrung des erkennungsdienstlichen Materials entbehrlich ist und vor dem Hintergrund von Art. 13 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 2 und 3 BV als unverhältnismässig erscheint (vgl. Urteil 1P.46/2001 vom 2. März 2001, E. 2d).
Dies schliesst es aus, die Einstellung des Strafverfahrens infolge Rückzugs des Strafantrags im vorliegenden Fall § 8 Abs. 3 lit. a der Verordnung zuzuordnen. Vielmehr gebietet es die Interessenlage, das erkennungsdienstliche Material auf Gesuch hin - gleich wie nach § 8 Abs. 2 der Verordnung - zu vernichten. Die Beschwerde erweist sich daher als begründet. Auf das Vorbringen, das Beweisverfahren sei anlässlich der Hauptverhandlung vom 13. Oktober 2005 abgeschlossen worden, braucht daher nicht weiter eingegangen zu werden.
4.
Demnach ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben. Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil der Rekurskammer des Strafgerichts Basel-Stadt vom 21. März 2006 aufgehoben.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Strafgericht Basel-Stadt, Rekurskammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. November 2006
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: