BGer 8C_88/2007
 
BGer 8C_88/2007 vom 30.07.2007
Tribunale federale
{T 0/2}
8C_88/2007
Urteil vom 30. Juli 2007
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, nebenamtlicher Richter Bühler,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.
Parteien
Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Rechtsdienst, 8085 Zürich, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Hermann Rüegg, Bahnhofstrasse 11, 8630 Rüti,
gegen
M.________, Beschwerdegegner,
vertreten durch lic. iur. Max S. Merkli, Praxis für Sozialversicherungsrecht, Friedheimstrasse 17, 8057 Zürich.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 31. Januar 2007.
Sachverhalt:
A.
Der 1940 geborene M.________ ist seit 1977 als Geschäftsführer und Handelsreisender in der Einzelfirma seiner Ehefrau S.________ tätig. S.________ schloss bei der Zürich Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Zürich) mit Wirkung ab 1. Januar 1984 für sich und ihren Ehemann eine freiwillige Unfallversicherung ab, wobei für M.________ ein versicherter Verdienst von Fr. 70'000.- vorgesehen wurde.
Am 25. September 1998 stürzte M.________ und zog sich eine Meniskusruptur posteromedial rechts zu; diagnostiziert wurden weiter ein "Knorpelschaden Grad II medialer Femurkondylus und Sulcus" sowie eine leichte Chondrocalcinose. Am 30. November 1998 kam es zu einer arthroskopischen Behandlung durch Dr. med. D.________. Die Zürich übernahm die Heilbehandlungskosten und erbrachte Taggeldleistungen nach Massgabe eines versicherten Verdienstes von Fr. 70'000.-. Mit Verfügung vom 21. September 1999 stellte sie die Behandlungs- und Taggeldleistungen zum 31. Juli bzw. 30. April 1999 ein. Die dagegen erhobene Einsprache hiess sie mit Einspracheentscheid vom 23. Oktober 2000 gut und hob ihre Verfügung vom 21. September 1999 wieder auf. In der Folge übernahm die Zürich die Kosten der Heilbehandlung bis 30. November 2000, erbrachte bis zu diesem Datum zusätzliche Taggeldleistungen und sprach M.________ mit Verfügung vom 25. Juni 2002 rückwirkend ab 1. Dezember 2001 eine Invalidenrente von 15 % nach Massgabe des im Jahr vor dem Unfall von seiner Ehefrau mit der AHV abgerechneten Lohnes von Fr. 36'000.- sowie eine Integritätsentschädigung von 10 % in der Höhe von Fr. 9720.- zu. Ausserdem korrigierte sie ihre Taggeldabrechnungen für die Zeit vom 28. September 1998 bis 30. April 1999, indem sie den dafür massgebenden versicherten Verdienst ebenfalls auf Fr. 36'000.- herabsetzte und die entsprechende Rückforderung von Fr. 8607.05 mit den aufgelaufenen Rentenbetreffnissen und der Integritätsentschädigung verrechnete. M.________ erhob Einsprache, worauf die Zürich von H.________, dipl. Wirtschaftsprüfer, ein Gutachten vom 8. April 2005 mit Ergänzung vom 8. November 2005 zum Status des Versicherten als Selbstständig-/Unselbstständigerwerbender, zu den Gründen für den Abschluss einer freiwilligen statt einer obligatorischen Unfallversicherung, zum AHV-beitragspflichtigen Jahreslohn sowie zur marktkonformen Entlöhnung der von M.________ "tatsächlich erbrachte(n) Leistung" einholte. Gestützt darauf wies sie die Einsprache mit Entscheid vom 20. Dezember 2005 ab.
B.
Beschwerdeweise liess M.________ beantragen, die Invalidenrente sei auf der Basis eines versicherten Verdienstes von Fr. 70'000.- zu bemessen. Mit Entscheid vom 31. Januar 2007 hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde gut und wies die Sache zur Neuberechnung der Taggelder sowie der Rente auf der Grundlage eines versicherten Verdienstes von Fr. 70'000.- an die Zürich zurück.
C.
Die Zürich lässt Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2005 sei zu bestätigen.
M.________ lässt in seiner Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid betrifft Renten- und Taggeldleistungen der obligatorischen Unfallversicherung. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- und der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BBG).
2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über den für die Bemessung der Taggelder und der Renten massgebenden versicherten Verdienst (Art. 15 Abs. 1 und 2 UVG) und die vom Bundesrat gestützt auf die ihm in Art. 15 Abs. 3 Satz 3 lit. c UVG eingeräumte Delegationskompetenz erlassene Sonderbestimmung von Art. 22 Abs. 2 lit. c UVV, wonach als versicherter Verdienst von mitarbeitenden Familienmitgliedern mindestens der berufs- und ortsübliche Lohn berücksichtigt wird, zutreffend dargelegt. Richtig festgehalten hat die Vorinstanz auch den Sinn und Zweck dieser Sonderregel sowie die daraus resultierende Rechtsfolge, dass der berufs- und ortsübliche Lohn als versicherter Verdienst von mitarbeitenden Familienmitgliedern nur zu berücksichtigen ist, wenn er höher ist als der effektive Verdienst (RKUV 2001 Nr. U 420 S. 104 E. 3a [U 120/00]; Urteil vom 29. August 2002 [U 48/02] E. 2c). Darauf kann verwiesen werden.
3.
3.1 Die Beschwerdeführerin rügt, nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts sei bei der Anwendung der Sonderregel von Art. 22 Abs. 2 lit. c UVV zunächst festzustellen, welche "Mitarbeit bzw. Leistung" der Versicherte "in zeitlicher und anderer Hinsicht" im Betrieb eines Familienmitgliedes erbracht habe. Danach sei abzuklären, welcher Lohn "für diese Mitarbeit bzw. Leistung arbeitsmarktkonform wäre". Dafür trage der Versicherte die Beweislast, weshalb der Beschwerdegegner beweisen müsse, dass er die von einem Vergleichsbetrieb für den bezahlten marktkonformen Lohn geforderte Leistung im Betrieb seiner Ehefrau tatsächlich erbracht habe. Vorliegend habe sich der Beschwerdegegner aber geweigert, entsprechende Nachweise zu erbringen. Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts sei sodann die Feststellung des Gutachters H.________, dass für die Einzelfirma der Ehefrau des Beschwerdegegners lediglich der ihm tatsächlich ausgerichtete Lohn von Fr. 36'000.-, nicht aber der in einem anderen vergleichbaren Betrieb (bei voller Leistung und in einem Vollpensum) erzielbare Lohn von Fr. 70'000.- wirtschaftlich tragbar sei, nicht irrelevant. Vielmehr stelle dieser Umstand ein Indiz dafür dar, dass der Beschwerdegegner "bei weitem" nicht die in einem Vergleichsbetrieb (in einer Vollzeitstelle) zu erbringende Leistung erbracht habe.
3.2
3.2.1 Die Beschwerdeführerin verkennt, dass der berufs- und ortsübliche Lohn gemäss Art. 22 Abs. 2 lit. c UVV nach seinem Sinn und Zweck ein hypothetisches Erwerbseinkommen ist, das die versicherte Person in einem anderen Betrieb erzielen könnte. Die von der versicherten Person im angestammten Betrieb, an den sie familiär oder persönlich gebunden ist, effektiv erbrachte Leistung ist für die Ermittlung des hypothetischen Vergleichslohnes nur insofern relevant, als es sich dabei um einen arbeitsmarktlich lohnbestimmenden Faktor handelt, der einen rein ökonomisch handelnden Arbeitgeber veranlassen würde, der versicherten Person einen unter- oder überdurchschnittlichen Lohn zu zahlen, um den unter- oder überdurchschnittlichen Wert der geleisteten Arbeit zu kompensieren. Sind auf Seiten der versicherten Person keine solchen arbeitsmarktlich relevante Konkurrenzvor- oder -nachteile gegeben, ist der berufs- und ortsübliche Lohn stets ein Durchschnittslohn, der auf möglichst einfache Weise ohne Mitwirkung der versicherten Person und ihres Arbeitgebers anhand von Tabellenlöhnen oder Lohnauskünften von hypothetischen Arbeitgebern zu ermitteln ist (Urteil vom 30. November 2001 [U 282/99] E. 5c). Es besteht daher unter Vorbehalt der erwähnten, im Einzelfall allenfalls gegebenen Besonderheiten eine natürliche Vermutung dafür, dass der berufs- und ortsübliche Lohn im Sinne von Art. 22 Abs. 2 lit. c UVV ein arbeitsmarktlicher Durchschnittslohn ist, wie er von einem anderen Arbeitgeber nach rein ökonomischen Gesichtspunkten bezahlt worden wäre.
3.2.2 Die Beschwerdeführerin stellt damit, dass sie vom Beschwerdegegner den Nachweis verlangt, im Betrieb seiner Ehefrau eine vollwertige marktkonforme Leistung als Geschäftsführer und Handelsreisender erbracht zu haben, diese Rechtslage auf den Kopf. Statt selbst Tatsachen und Indizien für das Vorliegen von Besonderheiten zu ermitteln, welche Zweifel an der Richtigkeit der Vermutungsfolge (berufs- und ortsüblicher Lohn = Durchschnittslohn) wecken könnten, will sie dem Beschwerdegegner die Beweislast für die Vermutungsbasis (arbeitsmarktkonforme Leistung im Betrieb der Ehefrau) zuschieben. Damit kehrt sie die Beweislast in unzulässiger Weise um. Zudem wurde damit die aus dem Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1 ATSG) fliessende Abklärungspflicht des Unfallversicherers verletzt, indem eine Sachverhaltsabklärung, die der Versicherer ohne weiteres selbst tätigen könnte, ohne Durchführung eines Mahn- und Bedenkzeitverfahrens (Art. 43 Abs. 3 ATSG) als Verletzung der Mitwirkungspflicht des Versicherten qualifiziert und so die Beweislast im Ergebnis ebenfalls umgekehrt wurde.
3.2.3 Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die Ergebnisse des von Wirtschaftsprüfer H.________ erstellten Gutachtens, namentlich den darin aufgezeigten, mangelnden wirtschaftlichen Erfolg des Betriebes der Ehefrau des Beschwerdegegners beruft, hat die Vorinstanz die entsprechenden gutachterlichen Feststellungen zu Recht als irrelevant angesehen. Auch der Rechtsvertreter des Beschwerdegegners hat die Beschwerdeführerin bereits im Einspracheverfahren mehrfach auf die fehlende Erheblichkeit und die Rechtsnatur der dem Gutachter unterbreiteten Fragen hingewiesen. Denn der Schutzzweck von Art. 22 Abs. 2 lit. c UVV verlangt gerade, dass ein Versicherter nicht zu jenem niedrigeren Lohn versichert ist, den der Betrieb, an den er verwandtschaftlich, familiär oder aus anderen persönlichen Gründen gebunden ist, zu erwirtschaften und zu bezahlen in der Lage ist. Vielmehr soll mit dieser Bestimmung auch für mitarbeitende Familienmitglieder eine Versicherung sichergestellt werden, wie sie bestünde, wenn die betreffenden Versicherten ihren Arbeitgeber frei wählen könnten. Im vorliegenden Fall hat aber der Beschwerdegegner nachgewiesen, dass er als Handelsreisender bei europaweitem Einsatz zwischen Fr. 78'600.- und Fr. 117'000.- pro Jahr verdienen könnte. Der entsprechende arbeitsmarktliche Durchschnittsverdienst von rund Fr. 98'000.- liegt eindeutig über dem seinerzeit freiwillig versicherten und vom Beschwerdegegner als obligatorisch versicherter, berufs- und ortsüblicher Lohn anerkannten versicherten Verdienst von Fr. 70'000.-.
4.
Für das Verfahren vor Bundesgericht sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin Gerichtskosten zu erheben (Art. 65 und 66 Abs. 1 BGG). Dem obsiegenden Beschwerdegegner steht eine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1286.55 (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 30. Juli 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: