BGer 8C_123/2007
 
BGer 8C_123/2007 vom 19.02.2008
Tribunale federale
{T 0/2}
8C_123/2007
Urteil vom 19. Februar 2008
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Durizzo.
Parteien
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), 6002 Luzern, Beschwerdeführerin,
gegen
M.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Winterthur-ARAG Rechtsschutz, Monbijoustrasse 22, 3011 Bern.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 20. Februar 2007.
Sachverhalt:
A.
M.________, geboren 1962, war als Zustellbeamtin bei der Unternehmung X.________ beschäftigt, als sie am 2. Februar 1999 über einen Absatz stolperte und stürzte. Dabei erlitt sie eine Distorsion am rechten Fuss. Am 26. September 2000 meldete sie der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) einen Rückfall. Wegen anhaltender Beschwerden wurden am 13. November 2000 die Bänder am oberen Sprunggelenk rekonstruiert und eine Knorpelverletzung operiert. Die Schmerzen nahmen indessen zu, sodass M.________ am 26. November 2001 (Arthrodese des unteren Sprunggelenks) und nach ungünstigem Verlauf am 12. Februar 2003 (Arthroskopie, Synovektomie, Schraubenentfernung, Re-Arthrodese, Verlängerung der Achillessehne) erneut operiert wurde. Die Versicherte konnte ihre Erwerbstätigkeit nicht mehr aufnehmen. Mit Verfügung vom 14. September 2005 und Einspracheentscheid vom 7. Juni 2006 - nach Begutachtung in der medizinischen Abklärungsstelle im Auftrag der Invalidenversicherung - sprach die SUVA M.________ eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 44 % und eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 20 % zu.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 20. Februar 2007 teilweise gut und sprach der Versicherten eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 70 % zu. Dem Begehren auf eine höhere Integritätsentschädigung wurde hingegen nicht stattgegeben.
C.
Die SUVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Des Weiteren ersucht sie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde.
Während M.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen lässt, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
D.
Mit Verfügung vom 29. Juni 2007 hat das Bundesgericht das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen.
Erwägungen:
1.
1.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
2.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers gemäss Art. 6 Abs. 1 UVG vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181; bei psychischen Unfallfolgen BGE 115 V 133 E. 6 S. 138 ff.) sowie zum Beweiswert von Arztberichten und medizinischen Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff., 122 V 157 E. 1c S. 160 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
3.
Die Vorinstanz hat zwar die adäquate Kausalität psychischer Unfallfolgen mit der SUVA verneint. Zur Begründung der Zusprechung einer höheren Invalidenrente führte sie indessen an, dass die SUVA zufolge fehlgeschlagener Heilbehandlung gestützt auf Art. 6 Abs. 3 UVG für die geltend gemachten Knie-, Becken-, Rücken- und psychischen Beschwerden hafte.
4.
Gemäss Art. 6 Abs. 3 UVG erbringt die Versicherung ihre Leistungen für Schädigungen, die dem Verunfallten bei der Heilbehandlung zugefügt werden (Art. 10 UVG). Der Unfallversicherer hat danach für Schäden einzustehen, die durch Krankenpflegemassnahmen im Anschluss an versicherte Unfälle herbeigeführt werden, ohne dass diese behandlungsbedingte Schadensverursachung den Unfallbegriff, den Tatbestand des haftpflichtrechtlichen Kunstfehlers oder der strafrechtlich relevanten Körperschädigung erfüllen müsste (BGE 118 V 286 E. 3b S. 292 f.). Das Bundesgericht hat in SVR 2007 UV Nr. 37 S. 125 (U 292/05), E. 3.1, erkannt, dass die Adäquanzbeurteilung im Anwendungsbereich dieser Bestimmung nicht nach Massgabe der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen unter Berücksichtigung unfallbezogener Kriterien (BGE 115 V 133) vorzunehmen, sondern auf die allgemeine Adäquanzformel zurückzugreifen und damit zu prüfen sei, ob die allenfalls nicht lege artis durchgeführte ärztliche und psychotherapeutische Behandlung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet sei, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheine (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181, 402 E. 2.2 S. 405, 125 V 456 E. 5a S. 461 f.).
5.
5.1 In sachverhaltlicher Hinsicht hat sich die Vorinstanz auf das zuhanden der Invalidenversicherung erstellte Gutachten in der medizinischen Abklärungsstelle vom 14. Februar 2006 gestützt. Demnach besteht eine Arbeitsfähigkeit von 40 %.
5.2 Was zunächst die Knie-, Becken- und Rückenschmerzen betrifft, ist dem Gutachten Folgendes zu entnehmen: Aus internistischer Sicht ergab sich keine Arbeitsunfähigkeit der Versicherten. Die funktionelle Untersuchung der Hüftgelenke durch den Orthopäden zeigten volle Bewegungsumfänge. Bei Endphasenbewegungen an der rechten Hüfte gab die Versicherte Schmerzen an (im Tractus-Bereich), welche der Gutachter auf die Fehlbelastung im Gangbild zurückführte; Impingement-Zeichen im Sinne einer Limbusläsion bestanden indessen nicht. Die funktionelle Untersuchung der Kniegelenke war unauffällig. In sämtlichen Wirbelsäulenbereichen wurden Druck- und Klopfdolenzen paravertebral beidseits angegeben, bei problemlosen und vollen Beweglichkeitsumfängen, voller Reklinations- und Seitenneigungsfähigkeit nach beiden Seiten, allerdings mit Schmerzangabe in sämtlichen Endbereichen, vor allem im Bereich von Lendenwirbelsäule/Sakrum. In der Beurteilung erachtete der Orthopäde die Wiedereingliederung in einen regelmässigen Arbeitsprozess als unwahrscheinlich. Aus neurologischer Sicht war der klinische Befund im Bereich des Kreuzes trotz Angabe von Schmerzen unauffällig, insbesondere war die Beweglichkeit frei und die Muskulatur nicht vermehrt tonisiert.
Die geklagten Schmerzen in Knie, Becken und Rücken finden damit keine hinreichende somatische Erklärung. Dass sie durch die Verletzung des Fusses verursacht wurden, ist nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360, 130 III 321 E. 3.2 u. 3.3 S. 324 f.). Im Übrigen geben die Ärzte in den Teilgutachten keine konkreten Stellungnahmen zur Einschränkung der Arbeitsfähigkeit ab.
5.3 In der Gesamtbeurteilung wird die 40%ige Arbeitsfähigkeit in einer leidensbedingten Tätigkeit denn auch mit "der chronischen Schmerzproblematik und der verminderten psychophysischen Belastbarkeit" begründet. Der begutachtende Psychiater diagnostizierte eine depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode mit somatischem Syndrom (ICD-10 F32.01), als Ausdruck einer chronifizierten Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (ICD-10 F43.21), sowie eine depressive Neurose bzw. Dysthymie (ICD-10 F34.1).
Nach der Rechtsprechung ist eine Invalidisierung durch eine Schmerzstörung nur ausnahmsweise anzunehmen, wobei das Kriterium der psychischen Komorbidität von erheblicher Schwere, Ausprägung und Dauer im Vordergrund steht (BGE 130 V 352, 131 V 49 E. 1.2 S. 50). Daran fehlt es vorliegend. Weder der Diagnosestellung noch der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit kann entnommen werden, dass der Versicherten die Ressourcen für den Umgang mit ihren Schmerzen fehlen.
5.4 Selbst wenn vom Vorliegen invalidisierender Knie-, Becken-, Rücken- und psychischer Beschwerden auszugehen und überdies ein natürlich-kausaler Zusammenhang zur fehlgeschlagenen Heilbehandlung anzunehmen wäre (was mit dem Gutachten der medizinischen Abklärungsstelle nicht abzuklären war und daher nicht erstellt ist), müsste die adäquate Kausalität - im Sinne der allgemeinen Adäquanzformel (E. 4) - verneint werden. Wie die SUVA in ihrer Beschwerde richtig anmerkt, ist Ausgangspunkt der Beurteilung nicht das Unfallereignis, sondern die von der Versicherten als traumatisch empfundene Heilbehandlung, nämlich die Operation vom 26. November 2001 (Arthrodese des unteren Sprunggelenks) und der nachfolgende ungünstige Verlauf mit Re-Arthrodese am 12. Februar 2003. Auch in Anbetracht der weiten Bandbreite der Versicherten ist ein solcher Eingriff nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht geeignet, eine schmerzbedingte Arbeitsunfähigkeit von 60 % zu bewirken, auch unter Berücksichtigung der hier unbestrittenen Einschränkung, die allein auf die Fussbeschwerden zurückzuführen ist (Arbeitsfähigkeit von 6 Stunden pro Tag).
Damit hat die SUVA - gestützt auf die spezialärztlichen Untersuchungen ihres Dr. med. S.________ und dessen Stellungnahmen insbesondere vom 6. April 2004 und vom 29. Juli 2004 - zu Recht nur die Beschwerden am rechten Fuss als unfallbedingt berücksichtigt. Zu ergänzen ist in diesem Zusammenhang mit Blick auf die beschwerdegegnerische Rüge, dass von der geltend gemachten kurzen Dauer der Untersuchung nicht auf die Mangelhaftigkeit der ärztlichen Stellungnahme geschlossen werden kann, zumal Dr. med. S.________ durch die medizinischen Vorakten über den Verlauf des Leidens ausführlich dokumentiert war. Der vorinstanzliche Entscheid ist daher aufzuheben und der Einspracheentscheid der SUVA vom 7. Juni 2006 zu bestätigen.
6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem Prozessausgang entsprechend der Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Eine Parteientschädigung zugunsten des obsiegenden Beschwerde führenden Unfallversicherers wird gemäss Art. 68 Abs. 3 BGG nicht zugesprochen (vgl. die zu Art. 159 Abs. 2 OG ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 126 V 143 E. 4a S. 150).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 20. Februar 2007 aufgehoben.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 19. Februar 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Ursprung Durizzo