BGer 2C_780/2010
 
BGer 2C_780/2010 vom 21.03.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
2C_780/2010
Urteil vom 21. März 2011
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Seiler,
Gerichtsschreiber Küng.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Hermann Rüegg,
gegen
Kantonales Steueramt Zürich, Dienstabteilung Recht, Postfach, 8090 Zürich.
Gegenstand
Art. 9 BV; Zustellung des Einspracheentscheids (direkte Bundessteuer 2008),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. August 2010.
Sachverhalt:
A.
X.________ wurde mit Verfügung vom 31. August 2009 vom Kantonalen Steueramt Zürich für die direkte Bundessteuer 2008 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 154'800.-- veranlagt. Dagegen erhob er am 3. September 2009 Einsprache, die am 1. Oktober 2009 abgewiesen wurde. Am 9. April 2010 versandte das kantonale Steueramt die "Rechnung aufgrund des Einspracheverfahrens" für die direkte Bundessteuer 2008. Gegen diese gelangte X.________ am 14. April 2010 mit Beschwerde an die kantonale Steuerrekurskommission, wobei er geltend machte, der Einspracheentscheid sei ihm nicht zugestellt worden. Am 9. Juni 2010 trat der Einzelrichter der Steuerrekurskommission auf die Beschwerde infolge Verspätung nicht ein. Die gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde von X.________ wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 25. August 2010 abgewiesen.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________ dem Bundesgericht, den erwähnten Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Rekurskommission anzuweisen, auf die Beschwerde einzutreten und sie materiell zu beurteilen.
Das kantonale Steueramt stellt den Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
In seiner Replik zu den Eingaben der kantonalen Instanzen hat der Beschwerdeführer an seinen Begehren festgehalten.
Auf eine Vernehmlassung zu dieser Stellungnahme haben das Verwaltungsgericht und das kantonale Steueramt verzichtet.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene, kantonal letztinstanzliche Entscheid betreffend die direkte Bundessteuer kann mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten werden (Art. 82 Abs. 1 lit. a BGG; Art. 146 DBG; SR 642.11). Die Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt.
2.
2.1 Gemäss Art. 140 Abs. 1 DBG kann der Steuerpflichtige gegen den Einspracheentscheid der Veranlagungsbehörde innert 30 Tagen nach Zustellung bei einer von der Steuerbehörde unabhängigen Rekurskommission schriftlich Beschwerde erheben.
2.2 Streitgegenstand bildet die Frage, ob der Einspracheentscheid des kantonalen Steueramtes vom 1. Oktober 2009 dem Beschwerdeführer am 2. bzw. 15. Oktober 2009 zugestellt wurde.
2.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Briefkasten- und Postfachzustellung gilt die Fiktion, dass eine eingeschriebene Sendung spätestens am letzten Tag einer Frist von sieben Tagen ab Eingang bei der Poststelle am Ort des Empfängers als zugestellt zu betrachten ist, sofern tatsächlich ein erfolgloser (Briefkasten- oder Postfach-)Zustellungsversuch (mit entsprechender Abholungseinladung) unternommen wurde und der Adressat mit der fraglichen Zustellung rechnen musste (BGE 134 V 49 E. 4 mit Hinweisen; vgl. Art. 20 Abs. 2bis VwVG [SR 172.021] und Art. 44 Abs. 2 BGG).
2.4 Die Beweislast für die Zustellung von Veranlagungsverfügungen und Einspracheentscheiden trägt die Steuerbehörde. Sie hat auf geeignete Art den Beweis dafür zu erbringen, dass und wann die Zustellung erfolgt ist (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.2).
Entgegen dieser allgemeinen Beweislastverteilung gilt bei eingeschriebenen Sendungen eine widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert wurde. Es findet also in diesem Fall hinsichtlich der Ausstellung der Abholungseinladung insofern eine Umkehr der Beweislast in dem Sinn statt, als im Fall der Beweislosigkeit zuungunsten des Empfängers zu entscheiden ist, der den Erhalt der Abholungseinladung bestreitet (Urteil 2C_38/2009 vom 5. Juni 2009 E. 3.2). Diese Vermutung gilt so lange, als der Empfänger nicht den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung erbringt. Da der Nichtzugang einer Abholungseinladung eine negative Tatsache ist, kann dafür naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden (Urteil 2C_38/2009 vom 5. Juni 2009 E. 4.1).
Der pauschale Einwand des Beschwerdeführers, diese Praxis des Bundesgerichts verstosse gegen Art. 8 ZGB, ist unbegründet. Er bringt nichts vor, dass diese Rechtsprechung, die kürzlich bestätigt worden (Urteil 2C_86/2010 vom 4. Oktober 2010 E. 2) und an der festzuhalten ist, bundesrechtswidrig erscheinen liesse.
2.5 Die Vorinstanz macht geltend, das kantonale Steueramt habe mit Einreichung der Kopien der Briefumschläge sowie der Zustellungsnachweise der Post belegt, dass es dem Pflichtigen den Einspracheentscheid vom 1. bzw. 14. Oktober 2009 per Einschreiben zugestellt habe und dass die Post diese Sendungen am 10. bzw. 23. Oktober 2009 retourniert habe, da sie nicht innert der Frist von sieben Tagen abgeholt worden seien.
2.6 Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, der Einspracheentscheid sei ihm nicht zugestellt worden. Er habe bereits am 17. November 2009, als ihm die Rechnung für die Staats- und Gemeindesteuern 2008 zugegangen sei, dem Gemeindesteueramt mitgeteilt, dass er keinen Einspracheentscheid erhalten habe und diesen anfechten werde, falls er ihm noch zugehen sollte. Zudem habe er auch nach Erhalt der Rechnung für die direkte Bundessteuer am 12. April 2010 am 14. April 2010 Beschwerde erhoben. Er hole Sendungen, für welche ein Avis in seinen Briefkasten gelegt werde, in aller Regel noch am gleichen Tag bei der Post ab, was auch bei der Zustellung der Entscheide der Steuerrekurskommission und des Verwaltungsgerichts der Fall gewesen sei. Auf den für diese beiden Sendungen ausgedruckten Belegen der Post ("Track & Trace") sei vor dem Hinweis "Sortierung - Weiterleitung" der Vermerk "Zur Abholung gemeldet" angebracht, woraus sich ergebe, dass der Avis in seinen Briefkasten gelegt worden sei. Ein solcher Vermerk fehle jedoch auf den beiden Ausdrucken betreffend die Zustellungen des Einspracheentscheides vom 1. und 14. Oktober 2009; bei diesen folge dem Eintrag "Aufgabe" direkt der Eintrag "Ankunft Abhol-/Zustellstelle" (kant. act. 8/7 und 8/9). Daraus müsse der Schluss gezogen werden, dass bei diesen Sendungen kein Avis in seinen Briefkasten gelegt worden sei.
2.7 Gemäss "Begriffserklärung Status" der Post zu "Track & Trace" bedeutet der Vermerk "Zur Abholung gemeldet", dass ein Zustellversuch stattgefunden hat und der Empfänger nicht vor Ort war; die Sendung sei per Abholungsanweisung dem Empfänger gemeldet worden (www.post.ch). Das Fehlen entsprechender Vermerke legt nahe, dass für die beiden fraglichen Sendungen jeweils keine Abholungseinladung in den Briefkasten gelegt wurde. Denn wenn die Post für die Zustellung von eingeschriebenen Sendungen schon über ein solches Nachweissystem verfügt und im konkreten Fall auch angewendet hat, darf grundsätzlich auf diese Vermerke abgestellt werden; dieses System dient ja gerade dem Nachweis des Ablaufs des Zustellungsvorgangs. Auf der in den Akten liegenden Kopie des Umschlages, mit dem die erste Zustellung erfolgt ist, findet sich zwar der Vermerk "Zur Abholung am Postschalter gemeldet". Es ist jedoch nicht einzusehen, weshalb dann eine Erfassung im System "Track & Trace" unterblieben ist.
Für die Behauptung des Beschwerdeführers, der Einspracheentscheid sei ihm nicht korrekt zugestellt worden, spricht auch sein weiteres Verhalten. Er hat am 17. November 2009, als ihm die definitive Rechnung für die Staats- und Gemeindesteuern 2008 zuging, das Steueramt Männedorf mittels E-Mail darauf hingewiesen, dass in dieser Rechnung auf einen Einspracheentscheid unbekannten Datums Bezug genommen werde; ein solcher sei ihm allerdings bis zu diesem Tag nicht zugegangen; falls er ihm noch zugehen sollte, werde er ihn anfechten; den Rechnungsbetrag werde er somit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Gerichtsverfahrens nicht bezahlen. Diese Mitteilung, deren Existenz und Inhalt von keiner Seite bestritten wird, lässt die Darstellung des Beschwerdeführers zumindest glaubhaft erscheinen.
Die vorliegende Beschwerde wurde dem kantonalen Steueramt zugestellt; dieses hat indessen auf Gegenbemerkungen dazu verzichtet. Auch auf die Replik des Beschwerdeführers, in welcher er zusätzlich geltend macht, die Originalcouverts der Zustellungen befänden sich nicht in den Akten, hat das Steueramt keine Stellungnahme eingereicht.
Die erwähnten Umstände begründen erhebliche Zweifel daran, dass am 2. und 15. Oktober 2009 jeweils eine Abholungseinladung in den Briefkasten des Beschwerdeführers gelegt wurde. Diese Zweifel müssen sich zugunsten des Beschwerdeführers auswirken, zumal eine Nichtzustellung naturgemäss nicht direkt nachgewiesen werden kann. Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, die sich allein auf die Kopien der Zustellumschläge - von deren Echtheit sich der Beschwerdeführer nicht überzeugen konnte, da sie in den Akten fehlen - stützt, ist daher unter Berücksichtigung aller genannten Gesichtspunkte als willkürlich zu bezeichnen.
3.
Das angefochtene Urteil und die Nichteintretensverfügung der kantonalen Steuerrekurskommission sind deshalb aufzuheben und die Sache zur weiteren Behandlung an die kantonale Steuerrekurskommission sowie zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
Bei diesem Ausgang sind die Gerichtskosten dem Kanton Zürich, der Vermögensinteressen verfolgt, aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Dieser hat zudem den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. August 2010 sowie die Verfügung der kantonalen Steuerrekurskommission vom 9. Juni 2010 werden aufgehoben und die Sache zur weiteren Behandlung an die kantonale Steuerrekurskommission sowie zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Kanton Zürich auferlegt.
3.
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- auszurichten.
4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. März 2011
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zünd Küng