BGer 2C_713/2011 |
BGer 2C_713/2011 vom 01.11.2011 |
Bundesgericht
|
Tribunal fédéral
|
Tribunale federale
|
{T 0/2}
|
2C_713/2011
|
Urteil vom 1. November 2011
|
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
|
Besetzung
|
Bundesrichter Zünd, Präsident,
|
Bundesrichter Karlen, Bundesrichterin Aubry Girardin,
|
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
|
Verfahrensbeteiligte |
X.________,
|
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Christian von Wartburg,
|
gegen
|
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt, Spiegelgasse 12, 4001 Basel,
|
Justiz- und Sicherheitsdepartement
|
des Kantons Basel-Stadt, Bereich Recht, Spiegelgasse 6-12, 4001 Basel.
|
Gegenstand
|
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung,
|
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts
|
des Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungsgericht) vom 20. Juni 2011.
|
Erwägungen:
|
1.
|
1.1 X.________ (geb. 1981) stammt aus dem Kosovo und kam 1994 im Familiennachzug in die Schweiz. Seit dem 28. Juni 1996 verfügt er in Basel über eine Niederlassungsbewilligung. Am 30. April 2002 heiratete er eine Landsfrau. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor (geb. 2003 und 2008).
|
1.2 Mit Urteil vom 28. November 2007 sprach das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt X.________ der vorsätzlichen Tötung (mittäterschaftlich in einem unentschuldbaren Notwehrexzess begangen), der Beschimpfung und der mehrfachen Drohung schuldig und verurteilte ihn zu 34 Monaten Freiheitsstrafe, wovon 20 Monate bedingt. Der Tat lag ein seit Längerem schwelender Familienkonflikt zugrunde, der auf den Auszug der Schwestern von X.________ aus dem elterlichen Haushalt zurückging, da sie mit zwei ebenfalls aus dem Kosovo stammenden Brüdern zusammenleben wollten, was der Familie von X.________ wegen der Religionszugehörigkeit und dem angeblich schlechten Ruf der Partner inakzeptabel erschien. In diesem Kontext kam es am 18. August 2003 zu einem (weiteren) Streit, in dessen Verlauf der von mehreren männlichen Mitgliedern der Familie von X.________ eingekreiste und festgehaltene Z.________ erschossen wurde.
|
1.3 Gestützt auf die Verurteilung vom 28. November 2007 widerrief das Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt am 13. August 2009 die Niederlassungsbewilligung von X.________ und wies ihn weg. Mit Urteil vom 2. Februar 2011 trat das Bundesgericht auf eine gegen die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung für das weitere Verfahren gerichtete Beschwerde nicht ein (Urteil 2C_832/2010). Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungsgericht) wies den von X.________ gegen den Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung und seine Wegweisung gerichteten Rekurs am 20. Juni 2011 ab. Am 12. Juli 2011 ist die Familie von X.________ mit ihren Kindern in den Kosovo ausgereist.
|
1.4 X.________ beantragt vor Bundesgericht mit Eingabe vom 13. September 2011, den Entscheid des Appellationsgerichts vom 20. Juni 2011 aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, auf den Widerruf der Niederlassungsbewilligung und die Wegweisung zu verzichten. Die entsprechenden Massnahmen seien unverhältnismässig und trügen den Interessen der Kinder zu wenig Rechnung.
|
2.
|
Die Eingabe erweist sich gestützt auf die eingeholten Akten als offensichtlich unbegründet und kann ohne Weiterungen im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG erledigt werden:
|
2.1
|
2.1.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann diesen bloss berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig oder in Verletzung wesentlicher Verfahrensrechte ermittelt worden ist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Der Betroffene muss rechtsgenügend dartun, dass und inwiefern der festgestellte Sachverhalt klar und eindeutig mangelhaft und im Resultat damit willkürlich erscheint (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3; 133 III 350 E. 1.3, 393 E. 7.1, 462 E. 2.4). Auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsermittlung und an der Beweiswürdigung tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 136 II 101 E. 3 S. 104 f.).
|
2.1.2 Der Beschwerdeführer behauptet zwar, die Vorinstanz habe den rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig und unvollständig festgestellt, er führt indessen nicht aus, inwiefern dies offensichtlich der Fall sein soll. Er beschränkt sich darauf, seine Sicht der Dinge, wie er sie bereits der Vorinstanz dargelegt und im Verfahren 2C_832/2010 auch vor Bundesgericht vorgetragen hat, zu wiederholen, was den gesetzlichen Begründungsanforderungen - wie ihm bereits im Urteil vom 2. Februar 2011 dargelegt worden ist (dort E. 2.2.1) - nicht genügt. Mit den sachverhaltsbezogenen Ausführungen im angefochtenen Entscheid setzt er sich erneut nicht vertieft auseinander; er legt nicht dar, inwiefern diese klar unhaltbar wären.
|
2.1.3 Das Appellationsgericht hat - entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers - im Übrigen nicht verkannt, dass nicht er, sondern Y.________ das Opfer getötet hat. Die Vorinstanz legte diesbezüglich ihrem Entscheid lediglich die Qualifikation aus dem Strafverfahren zugrunde, in dem der Tatbeitrag des Beschwerdeführers als Mittäterschaft (und nicht blosse Gehilfenschaft) qualifiziert wurde; alle Beteiligten hätten den Hauptverantwortlichen psychisch unterstützt und mit der aktiv eingesetzten zahlenmässigen Übermacht einen entscheidenden Beitrag zur Tötungshandlung geleistet. Zwar liege keine Absichtsprovokation vor, doch sei die Notwehrsituation im Familienverband mit dem aggressiven Verhalten beim Auftauchen des späteren Opfers rechtswidrig herbeigeführt worden. Soweit der Beschwerdeführer diesbezüglich (erneut) versucht, das Strafurteil infrage zu stellen, verkennt er, dass dieses hier nicht Verfahrensgegenstand bildet und die entsprechenden Fragen vom Bundesgericht am 27. Juni 2008 rechtskräftig beurteilt worden sind (Urteil 6B_104/2008 E. 4 - 8).
|
2.1.4 Dasselbe gilt, soweit der Beschwerdeführer einwendet, die Vorinstanz gehe zu Unrecht davon aus, dass er seine Tat nicht bereue: Auch diesbezüglich hat das Appellationsgericht lediglich die Einschätzung aus dem Strafverfahren übernommen, dass sich der Beschwerdeführer "bis heute vollkommen uneinsichtig" zeige und letztlich nicht den von ihm mitverschuldeten Tod eines Menschen, sondern allein die nachteiligen Auswirkungen des Strafverfahrens auf ihn selbst und seine Familie bedauere. Dass der Beschwerdeführer dies bestreitet, lässt die Beweiswürdigung der Vorinstanz aufgrund der von ihm im Strafverfahren gemachten Aussagen nicht bereits als offensichtlich unhaltbar erscheinen ("Wir sind Moslem und könnten nie die Einwilligung für eine Verbindung mit einem Andersgläubigen geben", "Es handelt sich dabei um die Kränkung der Familienehre. Das ist das Schlimmste, was uns Albanern passieren kann; [...] Dieses Thema kreist einem stets im Kopf herum, das ganze Leben lang" usw.).
|
2.2
|
Aufgrund des für das Bundesgericht damit verbindlich festgestellten Sachverhalts ist der angefochtene Entscheid nicht zu beanstanden:
|
2.2.1 Die Niederlassungsbewilligung kann widerrufen werden, wenn der Ausländer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe, d.h. zu einer solchen von mehr als einem Jahr (BGE 135 II 377 E. 4.2 S. 381; 137 II 297 E. 2), verurteilt worden ist. Dabei spielt keine Rolle, ob die Strafe bedingt, (wie hier) teilbedingt oder unbedingt ausgesprochen wurde (Urteil 2C_515/2009 vom 27. Januar 2010 E. 2.1). Der Widerruf muss sich jedoch als verhältnismässig erweisen (vgl. dazu BGE 135 II 377 E. 4.3 u. 4.5; Art. 63 Abs. 1 lit. a und b i.V.m. Abs. 2 sowie Art. 62 lit. b AuG [SR 142.20]). Bei der entsprechenden Beurteilung sind namentlich die Schwere des Delikts und des Verschuldens des Betroffenen, der seit der Tat vergangene Zeitraum, das Verhalten des Ausländers während diesem, der Grad seiner Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 135 II 377 E. 4.3; vgl. auch das Urteil des EGMR Trabelsi gegen Deutschland vom 13. Oktober 2011 [41548/06], Ziff. 53 ff.).
|
2.2.2 Der Beschwerdeführer ist der vorsätzlichen Tötung, begangen in unentschuldbarem Notwehrexzess, der Beschimpfung und der mehrfachen Drohung schuldig gesprochen und zu 34 Monaten Freiheitsstrafe, davon 20 Monate mit bedingtem Strafvollzug, als Zusatzstrafe zu einer Verurteilung von 30 Tagen Gefängnis (bedingt) wegen fahrlässiger Körperverletzung und Führerflucht verurteilt worden. Das Verschulden des Beschwerdeführers wurde dabei als "schwer" bezeichnet: Er habe mit seinem aggressiven und unbeherrschten Verhalten dem Freund seiner Schwester gegenüber - ohne nachvollziehbaren Grund - den Anlass für das spätere Auftauchen von dessen Bruder und die anschliessende verhängnisvolle Auseinandersetzung gegeben, bei der er dann "aktiv und streitlustig" mitgewirkt habe. Seiner bis anhin geliebten Schwester gegenüber habe er sich in den Monaten nach ihrem Auszug "äusserst aggressiv und unversöhnlich" gezeigt und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit bedroht und "wüst beschimpft". Der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten hätten "nach ihren eigenen archaischen und atavistischen Regeln" gehandelt, indem sie jegliches Gesprächsangebot und Vermittlungsbemühungen zurückgewiesen, "ihre Töchter/Schwestern/Nichten" verstossen und fortan im "Krieg" mit ihnen und ihren Partnern gelebt hätten, verbunden mit steten Provokationen und Angst vor den dadurch ausgelösten Reaktionen. Derartige Verhaltensweisen seien einer fortschrittlichen Gesellschaft fremd und auch durch den nachvollziehbaren Schmerz über das Verhalten der Töchter oder Schwestern in keiner Art und Weise gerechtfertigt. "Schäbig" - so das Strafurteil - erscheine schliesslich, dass die drei Angeklagten ihre wesentlichen Tatbeiträge abstritten und verharmlosten. Entgegen der Kritik des Beschwerdeführers besteht keine Veranlassung, im vorliegenden Zusammenhang von dieser Einschätzung abzuweichen.
|
2.2.3 Zwar hält sich der Beschwerdeführer seit 1994 in der Schweiz auf und hat er sich hier beruflich zu integrieren vermocht; er ist aber erst mit 13 Jahren in die Schweiz gekommen und mit Sprache, Sitte und Gebräuchen in seiner Heimat nach wie vor vertraut. Seine Ehefrau stammt ebenfalls aus dem Kosovo, wo sie aufgewachsen ist; sie kam erst mit 19 Jahren im Familiennachzug in die Schweiz, wobei sie nur Albanisch sprach, sodass ihr im Jahr 2009 nahegelegt wurde, einen Deutschkurs zu besuchen. Die zwei gemeinsamen Kinder befinden sich noch in einem anpassungsfähigen Alter und sind mit den heimatlichen Werten vertraut; sie haben ausserhalb der Familie in der Schweiz keinen wesentlichen eigenen Bezugs- und Integrationsrahmen aufgebaut. Es ist ihnen zuzumuten, ihren Eltern in die gemeinsame Heimat zu folgen, falls die Mutter dem Vater in den Kosovo nachziehen sollte. Die (definitive) Rückkehr dorthin dürfte zwar für den Beschwerdeführer und seine Familie mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein, erscheint indessen nicht ausgeschlossen, wie die Tatsache belegt, dass die ganze Familie - und nicht nur der Beschwerdeführer - inzwischen das Land verlassen hat und nunmehr bereits im Kosovo lebt.
|
2.2.4 Was der Beschwerdeführer hiergegen einwendet, überzeugt nicht: Die Tatsache, dass es sich bei seiner Tat um ein Delikt in Notwehrexzess gehandelt hat, ändert nichts daran, dass er in unentschuldbarer Weise ein Gewaltverbrechen beging, welches es selbst bei Ausländern der zweiten Generation rechtfertigen könnte, ihre Anwesenheit in der Schweiz zu beenden (vgl. BGE 130 II 176 E. 4.4.2; vgl. das bereits zitierte Urteil des EGMR Trabelsi, a.a.O., Ziff. 53 ff.). Zwar will der Beschwerdeführer aus der Verurteilung seine Lehren gezogen haben; dies erscheint gestützt auf die verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz indessen zweifelhaft; entgegen seinen Vorbringen genügte die entsprechende Beteuerung mit Blick auf die Schwere seiner Tat aber so oder anders nicht, um die Gefahr eines Rückfalls bzw. einer erneuten Gewaltanwendung in Konfliktsituationen aufgrund seiner kulturellen Verankerung in den heimatlichen Werten auszuschliessen und sein privates Interesse an einem Verbleib im Land dem öffentlichen am sicherheitspolizeilichen Schutz der Bevölkerung vor potenziell rückfallgefährdeten ausländischen Straftätern aus Drittstaaten vorgehen zu lassen. Es besteht ein wesentliches - auch generalpräventives - migrationsrechtliches Interesse daran, dass nicht im Widerspruch zum Integrationserfordernis (vgl. Art. 4 AuG) stehende archaische Familienverständnisse und damit verbundene Problemlösungsstrukturen in der Schweiz zu Gewalttaten führen. Zwar ist es positiv zu würdigen, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Tat wohlverhalten hat, doch kann gestützt auf die verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 2 BGG) nicht gesagt werden, dass er und seine Familie hier vertieft integriert wären. Im Übrigen befand er sich in den acht Jahren seit der Tat im Strafvollzug (Halbgefangenschaft) und war ein korrektes Verhalten mit Blick auf die hängigen straf- bzw. ausländerrechtlichen Rechtsmittelverfahren nichts als normal und naheliegend.
|
2.2.5 Der angefochtene Entscheid gibt die bundesgerichtliche Praxis zutreffend wieder und das Appellationsgericht hat die auf dem Spiele stehenden Interessen im Rahmen von Art. 62 lit. b AuG (in Verbindung mit Art. 63 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 AuG) bzw. Art. 8 EMRK in vertretbarer Weise gegeneinander abgewogen. Es kann für alles Weitere auf seine Überlegungen verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).
|
3.
|
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit der Eingabe abzuweisen (Art. 64 BGG); der Beschwerdeführer hat demnach die Kosten für das bundesgerichtliche Verfahren zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
|
Demnach erkennt das Bundesgericht:
|
1.
|
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
|
2.
|
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
|
2.2 Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
|
3.
|
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungsgericht) sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
|
Lausanne, 1. November 2011
|
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
|
des Schweizerischen Bundesgerichts
|
Der Präsident: Zünd
|
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar
|