BGer 2C_540/2011
 
BGer 2C_540/2011 vom 19.12.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
2C_540/2011
Urteil vom 19. Dezember 2011
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Donzallaz,
Gerichtsschreiber Savoldelli.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Vedat Erduran,
gegen
Fachstelle Migration des Kantons Glarus, Postgasse 29, 8750 Glarus,
Departement Sicherheit und Justiz
des Kantons Glarus, Postgasse 29, 8750 Glarus.
Gegenstand
Erlöschen der Niederlassungsbewilligung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus, I. Kammer, vom 25. Mai 2011.
Sachverhalt:
A.
X.________ (geb. 1987) stammt aus dem Kosovo. Ihm wurde am 28. Mai 2003 im Rahmen des Familiennachzugs zu seinen Eltern eine Niederlassungsbewilligung erteilt.
B.
Mit Verfügung vom 7. Oktober 2009 stellte die Fachstelle Migration des Kantons Glarus fest, die Niederlassungsbewilligung von X.________ sei infolge eines Auslandaufenthalts von über sechs Monaten erloschen. Sie führte in diesem Zusammenhang aus, X.________ lebe seit September 2007 in seiner Heimat, wo er bis 2003 sein Leben bereits verbracht hatte, und studiere dort Wirtschaft an der Universität.
Sowohl das Departement Sicherheit und Justiz (3. November 2010) als auch das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus (25. Mai 2011) wiesen ein gegen den Entscheid der Fachstelle Migration gerichtetes Rechtsmittel ab. Anders als das Departement bejahte die Vorinstanz das Erlöschen der Niederlassungsbewilligung nicht mit Bezug auf einen Auslandaufenthalt von über sechs Monaten, sondern mit der Feststellung, X.________ habe seinen Lebensmittelpunkt in den Kosovo verlegt.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 27. Juni 2011 beantragt X.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus - gleich wie den vorangegangenen Entscheid des Departements Sicherheit und Justiz - aufzuheben und die Fachstelle Migration anzuweisen, seine Niederlassungsbewilligung zu verlängern.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus sowie das Bundesamt für Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Die Fachstelle Migration und das Departement Sicherheit und Justiz haben sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen:
1.
1.1 Gegen Entscheide über die Feststellung des Erlöschens einer Niederlassungsbewilligung ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig, weil grundsätzlich ein Anspruch auf das Fortbestehen dieser Bewilligung gegeben ist (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG a contrario; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4; Urteil 2C_853/2010 vom 22. März 2011 E. 2.1 mit Hinweisen). Diesbezüglich ist der Beschwerdeführer als Adressat des angefochtenen, kantonal letztinstanzlichen Urteils (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG), so dass in diesem Umfang auf das im Übrigen form- und fristgerecht eingereichte Rechtsmittel (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 45 Abs. 1 BGG) einzutreten ist.
1.2 Unzulässig ist das Rechtsmittel jedoch, soweit es sich auch gegen den Entscheid des Departements Sicherheit und Justiz richtet, da dieser durch das vorinstanzliche Urteil ersetzt worden ist und als mitangefochten gilt (sog. Devolutiveffekt; Urteil 2C_270/2009 vom 15. Januar 2010 E. 2.3, nicht publ. in: BGE 136 II 78; BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144).
1.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252; 133 III 393 E. 7.1 S. 398). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Bestätigung des Generalsekretärs der Universität (College) Illiria vom 5. Juli 2011 ist daher als echtes Novum unbeachtlich, wobei sie am Ausgang des Verfahrens ohnehin nichts zu ändern vermöchte.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt zuerst eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Er meint, die Vorinstanz hätte ihm Gelegenheit geben müssen, sich zur Frage der Verschiebung des Lebensmittelpunkts zu äussern. Als Folge dieser Verletzung macht er gleichzeitig geltend, die Sachverhaltsfeststellung beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG.
2.2 Das rechtliche Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört das Recht des Betroffenen, sich vor dem Entscheid zur Sache zu äussern. Nach der Rechtsprechung hat eine Partei aber lediglich dann Anspruch, sich zur rechtlichen Würdigung zu äussern, wenn die Behörde ihren Entscheid auf eine völlig neue rechtliche Basis zu stützen gedenkt, namentlich wenn sie den Entscheid mit einer Rechtsnorm oder einem Rechtsgrund zu begründen beabsichtigt, welche im bisherigen Verfahren weder erwähnt noch von einer der beteiligten Parteien geltend gemacht worden sind und mit deren Heranziehen sie auch nicht rechnen musste (BGE 126 I 19 E. 2c/aa S. 22; 116 V 182 E. 1a S. 185, je mit Hinweisen).
2.3 Dies ist vorliegend indessen nicht der Fall. Zwar sind sowohl die Fachstelle Migration als auch das Departement Sicherheit und Justiz des Kantons Glarus davon ausgegangen, die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers sei infolge eines Auslandaufenthalts von über sechs Monaten erloschen.
Entgegen seiner Behauptung wurde die Frage der Verlegung des Lebensmittelpunkts aber bereits vor dem Departement aufgeworfen und thematisiert (vgl. Entscheid des Departements Sicherheit und Justiz E. 3 S. 4, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts). Für den durch einen Anwalt vertretenen Beschwerdeführer lag es daher sachlich nahe, auch diese Problematik in seine Überlegungen einzubeziehen, was der ehemalige Vertreter des Beschwerdeführers im Übrigen - zumindest ansatzweise - auch tatsächlich gemacht hat (Beschwerde an das Verwaltungsgericht S. 3).
Unter diesen Umständen kann von einer Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV und von einer darauf beruhenden rechtswidrigen Sachverhaltsfeststellung keine Rede sein.
3.
3.1 Gemäss Art. 61 Abs. 2 AuG erlischt die Niederlassungsbewilligung unter anderem dann, wenn sich der Ausländer, ohne sich abzumelden, während sechs Monaten tatsächlich im Ausland aufhält. Auf ein vor Ablauf dieser Frist gestelltes Gesuch hin kann die Niederlassungsbewilligung jedoch während vier Jahren aufrechterhalten werden (Art. 79 Abs. 2 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, VZAE; SR 142.201). Art. 61 Abs. 2 AuG entspricht in Bezug auf die Niederlassungsbewilligung Art. 9 Abs. 3 lit. c des ausser Kraft gesetzten Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG), weshalb die dazu ergangene Rechtsprechung massgebend bleibt (Urteil 2C_853/2010 vom 22. März 2011 E. 5.1).
3.2 Für ein Erlöschen infolge eines sechsmonatigen Auslandaufenthalts genügt das formale Kriterium eines solchen Aufenthalts (BGE 120 Ib 369 E. 2c und d S. 372 f.; 112 Ib 1 E. 2a S. 2 f.; Urteile 2C_853/2010 vom 22. März 2011 E. 5.1 und 2C_43/2011 vom 4. Februar 2011 E. 2). Eine Verlegung des Lebensmittelpunkts ist nicht zwingend erforderlich; wenn dieser jedoch ins Ausland verschoben wird, so unterbrechen vorübergehende Besuchs-, Tourismus- oder Geschäftsaufenthalte in der Schweiz die Frist nicht (SILVIA HUNZIKER, in: Caroni et al. [Hrsg.], Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, Kommentar, 2010, N. 19 f. zu Art. 61; ZÜND/ARQUINT HILL, in Uebersax et al. [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl., 2009, Rz. 8.9; vgl. auch neurechtlich Art. 79 Abs. 1 VZAE).
3.3 Das Verwaltungsgericht würdigt die Landesabwesenheit des Beschwerdeführers - der kein Gesuch um Aufrechterhaltung seiner Niederlassungsbewilligung gestellt hat - und die zeitweiligen Aufenthalte in der Schweiz auf der Grundlage dieser Rechtsprechung:
3.3.1 Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz studierte der Beschwerdeführer - der zum Zeitpunkt ihres Entscheids bereits dreiundzwanzig Jahre alt war - seit September 2007 an der Universität Illiria in Pristina. Zu diesem Zweck hielt er sich während längerer Zeit im Kosovo auf.
Neben der Dauer des Wirtschaftsstudiums (3 Jahre oder 6 Semester) im Ausland fällt zudem ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Studienbeginns - kurz vor seinem 20. Geburtstag - bereits volljährig war und sich in einem Alter befand, in welchem gemeinhin eine weitgehende Selbständigkeit erreicht wird (Urteile 2C_853/2010 vom 22. März 2011 E. 5.2; 2A.66/2000 vom 26. Juli 2000 E. 4b und 2A.311/1999 vom 26. November 1999 E. 2 c).
3.3.2 Unter diesen Umständen war mithin seine Situation nicht mit derjenigen eines (minderjährigen) Jugendlichen zu vergleichen, der im Ausland zwar die Schule besucht, in der Schweiz aber trotzdem - solange er die sechsmonatige Frist von Art. 61 Abs. 2 AuG regelmässig unterbricht - seine Niederlassungsbewilligung aufrechterhalten kann (Urteile 2A.153/2002 vom 19. Juli 2002 E. 3.2 und 2A.66/2000 vom 26. Juli 2000 E. 4b).
Bei volljährigen Ausländern, die - wie der Beschwerdeführer - im Heimatland aufgewachsen sind und die sich vorwiegend im Heimatland aufhalten, darf demgegenüber davon ausgegangen werden, dass sich ihr Lebensmittelpunkt im Heimatland befindet und dies selbst dann, wenn die Eltern dauernd in der Schweiz leben und sie von ihren Kindern regelmässig besucht werden (Urteil 2A.311/1999 vom 26. November 1999 E. 2c).
3.3.3 Die Abwägung der Vorinstanz trägt schliesslich der Tatsache Rechnung, dass der Beschwerdeführer 2003 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz gekommen ist.
Auch laut der entsprechenden Weisung des Bundesamts für Migration (Fassung vom 30. September 2011; Ziff. 6.1.1 und 6.15) ist Sinn und Zweck des Familiennachzugs von Kindern, das Zusammenleben der Familie zu ermöglichen und die Integration der Kinder durch den Schulbesuch zu fördern. Diese Ziele sind aber hier gerade nicht erreicht worden. Der Beschwerdeführer bestätigt selber, noch heute nur mittelmässig Deutsch zu sprechen. In diesem Zusammenhang macht er andererseits auch nicht geltend, er habe sich ins Heimatland begeben, um ein Studium zu belegen, das in der Schweiz gar nicht existiere (Urteile 2C_853/2010 vom 22. März 2011 E. 5.2 und 2A.311/1999 vom 26. November 1999 E. 2b und 2c).
3.4 Es lässt sich somit nicht beanstanden, wenn die Vorinstanz zum Schluss gelangt, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensmittelpunkt in den Kosovo verlegt hat, wo er - wie den Akten zu entnehmen ist - bis 2003 praktisch sein ganzes Leben verbrachte und wohin er ab September 2007 zu Studienzwecken zurückgekehrt ist.
4.
Soweit sich der Beschwerdeführer im Übrigen auf Art. 8 EMRK beruft, kann seiner Rüge ebenfalls nicht gefolgt werden: Diese Norm schützt in erster Linie die Kernfamilie, d.h. die Gemeinschaft der Ehegatten mit ihren minderjährigen Kindern (BGE 135 I 143 E. 1.3.2 S. 146; 127 II 60 E. 1d/aa S. 64 f.). Die Beziehung zu einem volljährigen Kind kann nur ausnahmsweise, wenn ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, ein Anwesenheitsrecht verschaffen (BGE 129 II 11 E. 2 S. 14; 120 Ib 257 E. 1d und e S. 261; 115 Ib 1 E. 2 S. 4 ff.). Ein solches Verhältnis wird hier aber nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.
5.
Soweit darauf eingetreten werden kann, ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten deshalb abzuweisen. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Fachstelle Migration, dem Departement Sicherheit und Justiz sowie dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus, I. Kammer, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. Dezember 2011
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Der Gerichtsschreiber: Savoldelli