BGer 2C_686/2011
 
BGer 2C_686/2011 vom 25.01.2012
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
2C_686/2011
Urteil vom 25. Januar 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiber Errass.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, vertreten durch ihre Eltern,
A.________ und B.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet,
gegen
Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt.
Gegenstand
Antrag auf Verlängerung der Bewilligung von Homeschooling für das Schuljahr 2011/2012,
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht vom 14. Juli 2011.
Sachverhalt:
A.
A.________ und B.________ liessen ihre drei schulpflichtigen Kinder an einer französischen Fernschule (Centre National d'Enseignement à Distance [CNED]) unterrichten; die Mutter war zu Hause "accompagnatrice". Mit Verfügung vom 1. März 2011 wies das Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt ihr Gesuch, X.________, das älteste der drei Kinder, weiterhin nach dem bisher gewählten System zu unterrichten, ab. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht stützte das Erziehungsdepartement.
B.
Vor Bundesgericht beantragt die durch ihre Eltern gesetzlich vertretene X.________, das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht aufzuheben, ihr für das Schuljahr 2011/2012 die Bewilligung des Heimunterrichts gemäss den Richtlinien des CNED zu erteilen bzw. zu verlängern, eventualiter die Angelegenheit zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt zurückzuweisen.
C.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht und das Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
D.
Der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung hat mit Verfügung vom 13. September 2011 das Gesuch um aufschiebende Wirkung bzw. vorsorgliche Massnahmen abgewiesen.
Erwägungen:
1.
1.1 Die Beschwerde ist innert der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereicht worden und richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Der Ausschlussgrund nach Art. 83 lit. t BGG ist vorliegend nicht anwendbar. Die Beschwerdeführerin ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.
1.2 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich eine Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (Art. 95 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten, insbesondere des Willkürverbots, gilt zudem eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 136 I 229 E. 4.1 S. 235 mit Hinweisen). Bei der Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts bildet nur das Willkürverbot Prüfmassstab (BGE 134 I 153 E. 4.2.2 S. 158). Dabei haben die Beschwerdeführer in der Beschwerde im Einzelnen darzulegen (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG), inwiefern der angefochtene Entscheid willkürlich sein soll (vgl. BGE 133 I 201 E. 1 S. 203), d.h. an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 130 I 258 E. 1.3 S. 261 mit Hinweisen).
1.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil zudem den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
2.1 Die Privatschulen und der Heimunterricht werden im Kanton Basel-Stadt in den § 130 ff. des Schulgesetzes vom 4. April 1929 (SchulG; GS 410.100) geregelt. Nach § 130 SchulG bedarf es zur Errichtung von Schulen durch Private einer Bewilligung des Regierungsrates (zu den Voraussetzungen vgl. § 131 SchulG). Privatschulen unterstehen der Aufsicht (§ 132 SchulG). Schulen, welche schulpflichtige Kinder aufnehmen, haben zudem besondere Anforderungen an Lehrer und Lehrerinnen, an den Unterrichtsplan (zur Erreichung des Lernziels) und an die Lehrmittel zu erfüllen (§ 131 Ziff. 4 und 5, § 133 SchulG). Eltern, welche Kinder im schulpflichtigen Alter zu Hause unterrichten lassen wollen, haben jedes Jahr beim Erziehungsdepartement ein Gesuch um Erlaubnis zu stellen (§ 135 Abs. 1 SchulG). Diese wird erteilt, wenn die Persönlichkeit des Lehrers oder der Lehrerin für einen guten Privatunterricht Gewähr leistet (§ 135 Abs. 2 Satz 1 SchulG).
2.2 Die Beschwerdeführerin wurde für die ersten vier Jahre nach dem System des Centre National d'Enseignement à Distance fernunterrichtet (zum Fernunterricht siehe Urteil 2C_593/2010 vom 20. September 2011 E. 2.2 und 2.3; 2C_592/2010 vom 20. September 2011 E. 2.2 und 2.3); dabei begleitete ihre Mutter sie zu Hause beim Lernen. Die Beschwerdeführerin soll für ein weiteres Jahr nach diesem System unterrichtet werden. Das CNED hat keine Bewilligung als Privatschule für den Kanton Basel-Stadt, weshalb es sich hier - grundsätzlich unbestritten - um Heimunterricht handelt. Folglich und entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin tragen die Lehrerinnen und Lehrer des CNED keine Verantwortung für deren Ausbildung. Diese obliegt - unter Vorbehalt der staatlichen Verantwortung (§ 135 Abs. 2 Satz 2 SchulG) - einzig dem Lehrer bzw. der Lehrerin, welche gestützt auf § 135 SchulG heimunterrichtet.
2.3
2.3.1 Die Vorinstanzen haben eine erneute Bewilligung für Heimunterricht aus einem doppelten Grund abgewiesen: Einerseits erfülle die Mutter der Beschwerdeführerin die Anforderungen nach § 135 SchulG für das fünfte Schuljahr nicht mehr, andererseits stünde dem Heimunterricht die entwicklungsspezifische Förderung der Kinder zur Gemeinschaftsfähigkeit eher entgegen.
2.3.2 Zu prüfen ist zunächst, ob das Gesuch auf Heimunterricht gestützt auf das kantonale Gesetzesrecht zu Recht abgelehnt worden ist. Prüfmassstab für die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts bildet - wie bereits dargelegt - das Willkürverbot (BGE 134 I 153 E. 4.2.2 S. 158; zu den Begründungsanforderungen vgl. E. 1.2).
Nach der ständigen Praxis des Bundesgerichts liegt Willkür in der Rechtsanwendung dann vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 136 I 316 E. 2.2.2 S. 318 f.; 134 II 124 E. 4.1 S. 133; je mit Hinweisen).
2.3.3 Nach § 135 Abs. 2 SchulG erteilt das Erziehungsdepartement die Erlaubnis zum Heimunterricht, wenn die Persönlichkeit des Lehrers oder der Lehrerin für einen guten Privatunterricht Gewähr leistet. Bei der Auslegung dieser Norm muss im Auge behalten werden, dass diese Bestimmung auch den bundesrechtlichen Anforderungen des ausreichenden Grundschulunterrichts (Art. 19 i.V.m. Art. 62 BV) zu genügen hat; auch der private Einzelunterricht muss ausreichend sein (vgl. Urteil 2C_738/2010 vom 24. Mai 2011 E. 3.3.2, E. 3.5.4, in: EuGRZ 2011, S. 692 ff.; 2C_593/2010 vom 20. September 2011 E. 3.3.1).
Die Ausbildung muss für den Einzelnen angemessen und geeignet sein sowie genügen, um die Schüler gebührend auf ein selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag vorzubereiten (BGE 129 I 35 E. 7.3 S. 38). Der Anspruch auf ausreichenden Grundschulunterricht wird verletzt, wenn die Ausbildung des Kindes - sei es durch den Staat, sei es durch die Eltern - in einem Masse eingeschränkt wird, dass die Chancengleichheit nicht mehr gewahrt ist bzw. wenn das Kind Lehrinhalte nicht vermittelt erhält, die in der hiesigen Wertordnung als unverzichtbar gelten (BGE 129 I 35 E. 7.3 i.f. S. 39 mit weiteren Hinweisen), oder es von einer nicht genügend ausgebildeten oder fähigen Lehrperson unterrichtet wird (vgl. ASTRID EPINEY/BERNHARD WALDMANN, § 224 Soziale Grundrechte und soziale Zielsetzungen, in: Merten/Papier/Müller/Thürer, Handbuch der Grundrechte, Bd. VII/2, Grundrechte in der Schweiz und in Liechtenstein, 2007, S. 611 ff., N. 36 zu § 224), oder dass es in der Gesellschaft oder im demokratischen Gemeinwesen nicht (mehr) partizipieren kann (vgl. PASCAL MAHON, in: Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse [...], 2003, Rz. 8 ad art. 19 Cst). Ein ausreichender Grundschulunterricht muss folglich nicht nur schulisches Wissen vermitteln, sondern auch die soziale Kompetenz der Schülerinnen und Schüler entwicklungsspezifisch fördern (Urteil 2C_738/2010 vom 24. Mai 2011 E. 3.5.4 und 3.5.6, in: EuGRZ 2011, S. 692 ff.; siehe auch 2C_593/2010 vom 20. September 2011 E. 3.3.1).
2.3.4 Vergleichsmassstab für die Beurteilung, ob der Heimunterricht ausreichend ist, bildet der staatliche Unterricht (vgl. Art. 62 Abs. 2 BV); dass dieser nicht ausreichend sei, wird nicht geltend gemacht. Der Kanton Basel-Stadt kennt vier Primarschuljahre (§ 17 SchulG). In diesen sollen den Schülerinnen und Schülern die Elementarkenntnisse vertraut gemacht werden, es soll ihre Beobachtungs-, Denk- und Ausdrucksfähigkeit gepflegt werden, damit sie dadurch auf die folgenden Stufen vorbereitet sind (§ 18 SchulG; zu den einzelnen Anforderungen vgl. http://www.ed-bs.ch/bildung/pzbs/unterricht/lehrplaene/lehrplan-primarschule). Nach der Primarschule folgt die dreijährige Orientierungsschule. Ihr Ziel bildet die Erziehung und Bildung der Schüler und Schülerinnen im Sinne einer allseitig ausgewogenen Entwicklung und Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Neigungen (§ 31 Abs. 3 SchulG), und der Lehrplan soll demgemäss den Schülern und Schülerinnen ermöglichen, ihre Neigungen und Fähigkeiten kennen zu lernen und zu entfalten (vgl. § 32 SchulG; http://www.ed-bs.ch/bildung/pzbs/ unterricht/lehrplaene/lehrplan-orientierungsschule). Mit dem Wechsel von der Primar- in die Orientierungsschule sollen den Schulkindern nicht mehr die elementaren Schulkenntnisse vermittelt werden, sondern es soll eine allseitig ausgewogene Entwicklung und Entfaltung derer Fähigkeiten und Neigungen gefördert werden. Der Fächerkanon wird erweitert, und der Unterrichtsstoff wird anspruchsvoller: Es werden die Fächer Deutsch, Mathematik, Französisch, Geographie/ Naturlehre, Zeichnen, Manuelles Gestalten, Musik und Sport unterrichtet; dieser breite Strauss von verschiedenen Fächern muss, was offensichtlich ist, von verschiedenen Fachlehrerinnen und -lehrern vermittelt werden. Die Orientierungsschule bildet Voraussetzung für die Aufnahme in die Weiterbildungsschule oder in das Gymnasium (vgl. § 34 und 37 SchulG).
Angesichts dieses Ausgangslage, der bundesrechtlichen Vorgaben (E. 2.3.3) und auch eines Vergleichs mit den Anforderungen an Privatschulen, deren gesetzliche Regelung auch den Heimunterricht umfasst (vgl. § 130 ff. SchulG), ist es nicht willkürlich, dass die Vorinstanzen unter dem Passus "wenn die Persönlichkeit des Lehrers oder der Lehrerin für einen guten Privatunterricht Gewähr leistet" gewisse pädagogische und fachliche Voraussetzungen verstehen. Diese sind - entsprechend dem oben dargestellten Vergleichsmassstab - umso höher, je anspruchsvoller und zahlreicher die zu vermittelnden Lehrfächer sind. Die Mutter der Beschwerdeführerin verfügt zwar über ein Baccalauréat (? Matura) mit Schwerpunkt Naturwissenschaft und ein Diplom als Übersetzerin (Französisch und Deutsch), aber nicht über pädagogische und fachliche Ausbildungen (abgesehen von der fachlichen Ausbildung als Übersetzerin). Insofern ist es auch nicht willkürlich, dass die Vorinstanzen ihr die Kompetenz für diese höhere Unterrichtsstufe abgesprochen haben. Dabei ist es unbeachtlich, dass die Beschwerdeführerin bislang von ihrer Mutter gut und entsprechend dem Wohl des Kindes unterrichtet wurde; massgebend ist für das neue Schuljahr eine prospektive und nicht retrospektive Sicht, was sich aus § 135 SchulG zwangsläufig ergibt. Insofern hat die Vorinstanz willkürfrei festgehalten, dass die Mutter der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen von § 135 SchulG nicht erfüllt.
2.3.5 Die Beschwerdeführerin führt sodann eine Verletzung von Art. 13 des Internationalen Paktes der Vereinten Nationen vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Uno-Pakt I; SR 0.103.1), von Art. 8 EMRK und von Art. 11 Abs. 1 lit. o der Verfassung des Kantons Basel-Stadt vom 23. März 2005 (SR 131.222.1) an und nimmt Bezug einerseits auf das - hier kantonalrechtlich vorgesehene und von der Vorinstanz grundsätzlich unbestrittene - Recht auf Heimunterricht und andererseits auf die entwicklungsspezifische Förderung zur Gemeinschaftsfähigkeit; sie unterlässt es allerdings zu rügen und zu zeigen, inwiefern die in § 135 SchulG enthaltenen fachlichen und pädagogischen Anforderungen für die Lehrperson dem Völkerrecht bzw. dem bundesrechtskonformen kantonalen Verfassungsrecht widersprechen würden. Auf diese Ausführungen kann deshalb nicht näher eingegangen werden (vgl. oben E. 1.2).
2.3.6 Da bereits in diesem Punkt die Auffassung der Vorinstanz als begründet beurteilt werden konnte, erübrigt sich zu prüfen, ob die Vorinstanz sich zu Recht bei der Abweisung des Gesuchs auf die fehlende entwicklungsspezifische Förderung zur Gemeinschaftsfähigkeit abgestützt hat.
3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Verfahrensausgang entsprechend ist die unterliegende Beschwerdeführerin, die durch ihre Eltern vertreten ist, kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin bzw. deren Eltern auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 25. Januar 2012
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Der Gerichtsschreiber: Errass