BGer 2C_581/2011 |
BGer 2C_581/2011 vom 27.03.2012 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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2C_581/2011
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2C_582/2011
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Urteil vom 27. März 2012
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II. öffentlich-rechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Bundesrichter Seiler,
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Bundesrichter Stadelmann,
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Gerichtsschreiberin Dubs.
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Verfahrensbeteiligte |
Kantonale Steuerverwaltung Schaffhausen, J.J. Wepfer-Strasse 6, 8200 Schaffhausen,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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X.________,
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Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Uhlmann.
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Gegenstand
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Direkte Bundesteuer sowie Kantons- und Gemeindesteuern 2001 und 2002,
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Beschwerden gegen die Entscheide des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 10. Juni 2011.
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Erwägungen:
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1.
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1.1 Der Steuerpflichtige X.________ (Beschwerdegegner) liess sämtliche Veranlagungen zu den Kantons- und Gemeindesteuern sowie zur direkten Bundessteuer per 1999/2000 bis 2006 in Rechtskraft erwachsen (2000: ordentliche Veranlagung; 2001 und 2002: Veranlagung nach Ermessen; 2003, 2004, 2005: ordentliche Veranlagung nach Einreichung der Steuererklärung; 2006: wiederum Veranlagung nach Ermessen).
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Am 30. Dezember 2004 reichte X.________ zusammen mit der Steuererklärung 2003 auch Steuererklärungen per 2001 und 2002 nach. Da diese höhere Einkünfte aufwiesen als nach Ermessen veranlagt, wurde je ein Nach- und Strafsteuerverfahren durchgeführt. Die Nachsteuerverfügungen per 2001 und 2002 vom 30. Mai 2005 erwuchsen ihrerseits unangefochten in Rechtskraft.
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1.2 X.________ stellte am 5. März 2009 ein Revisionsgesuch für die Jahre 2000-2006, das die kantonale Steuerverwaltung des Kantons Schaffhausen mit Verfügung vom 18. August 2010 abwies. Die darauf erfolgte Einsprache blieb ohne Erfolg. Die dagegen von X.________ beim Obergericht des Kantons Schaffhausen eingereichten Rechtsmittel (Beschwerde und Rekurs) hiess dieses mit zwei Entscheiden vom 10. Juni 2011 insofern teilweise gut, als dem Revisionsbegehren bezüglich der Steuerperioden 2001 und 2002 stattgegeben und die Sache an die kantonale Steuerverwaltung zurückgewiesen wurde.
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1.3 Mit zwei separaten Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 12. Juli 2011 beantragt die Kantonale Steuerverwaltung Schaffhausen, den jeweiligen Entscheid des Obergerichts vom 10. Juni 2011 aufzuheben, soweit er die Nachsteuer- und Bussenverfügung vom 30. Mai 2005 für die Steuerperioden 2001 und 2002 betrifft, und die Verfügung der Kantonalen Steuerverwaltung vom 18. August 2010 bzw. den Einspracheentscheid der kantonalen Steuerkommission Schaffhausen vom 2. Oktober 2010 vollumfänglich zu bestätigen.
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Das Obergericht des Kantons Schaffhausen stellt in seiner Vernehmlassung keinen ausdrücklichen Antrag, hält aber an seiner Auffassung fest. X.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen und ihm die unentgeltliche Rechtspflege und (sinngemäss) Verbeiständung zu gewähren. Die Eidgenössische Steuerverwaltung schliesst auf Gutheissung der Beschwerde.
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2.
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2.1 Angefochten sind zwei Entscheide des Obergerichts des Kantons Schaffhausen betreffend die direkte Bundessteuer (2C_581/2011) sowie die Kantons- und Gemeindesteuern (2C_582/2011). Sie betreffen die gleichen Sach- und Rechtsfragen, weshalb die beiden Verfahren zu vereinigen und die Beschwerden in einem einzigen Urteil zu erledigen sind (vgl. Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 24 BZP).
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2.2 Die Beschwerden richten sich gegen Entscheide einer letzten kantonalen Instanz in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Eine Ausnahme gemäss Art. 83 BGG liegt nicht vor. Im Hinblick auf die Vorinstanz und den Streitgegenstand erweist sich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten damit grundsätzlich als zulässig (vgl. Art. 82 lit. a und Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Die Beschwerdeführerin ist dazu legitimiert.
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2.3 Angefochten sind vorliegend zwei Rückweisungsentscheide. Da sie die Beschwerdeführerin dazu verpflichten, entgegen ihrer Rechtsauffassung neu zu verfügen, liegt ein nicht wieder gut zu machender Nachteil vor, womit die Beschwerden nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zulässig sind (BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 128).
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I. Direkte Bundessteuer
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3.
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3.1 Nach Art. 147 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) ist die Revision ausgeschlossen, wenn der Antragsteller als Revisionsgrund vorbringt, was er bei der ihm zumutbaren Sorgfalt schon im ordentlichen Verfahren hätte geltend machen können. Dabei sind hohe Anforderungen an das Mass der Sorgfalt zu stellen. Die Revision bezweckt nicht, vermeidbare Unterlassungen während des ordentlichen Verfahrens nachholen zu können. Es ist unbestritten, dass der Steuerpflichtige die Nichtberücksichtigung der Verluste im Nachsteuerverfahren hätte geltend machen können. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen festzustellen, dass das veranlagte Einkommen nicht mit den von ihm erzielten Einkünften übereinstimmt. Unter diesen Umständen ist die Revision ausgeschlossen (vgl. Urteile 2P.34/2006 vom 16. Juni 2006, 2P.201/2004 vom 8. Februar 2006).
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3.2 Auf Nachsteuerverfahren sind nach Art. 153 Abs. 3 DBG die Vorschriften über die Verfahrensgrundsätze, das Veranlagungs- und das Beschwerdeverfahren sinngemäss anwendbar. Es besteht somit kein Raum für die von der Vorinstanz vorgenommene Abweichung von Art. 147 Abs. 2 DBG. Entgegen den vorinstanzlichen Ausführungen ist keine Verschuldensabwägung vorzunehmen. Massgebend ist nach dem klaren Gesetzeswortlaut ausschliesslich, ob der Steuerpflichtige die Revisionsgründe bereits im Nachsteuerverfahren hätte vorbringen können. Wie erwähnt ist dies vorliegend der Fall.
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3.3 Die Beschwerde betreffend die direkte Bundessteuer erweist sich demnach als offensichtlich begründet und ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG gutzuheissen.
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II. Kantons- und Gemeindesteuern
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4.
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4.1 Art. 165 Abs. 2 des Gesetzes über die direkten Steuern des Kantons Schaffhausen vom 20. März 2000 (StG/SH; 641.100) sowie Art. 51 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) entsprechen Art. 147 Abs. 2 DBG. Weiter stimmt Art. 171 Abs. 4 StG/SH mit Art. 153 Abs. 3 DBG überein. Daraus folgt, dass die Erwägungen zur direkten Bundessteuer für die kantonalen Steuern analog massgebend sind und sich für die Kantonssteuer das gleiche Ergebnis ergibt wie bei der direkten Bundessteuer.
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4.2 Die Beschwerde betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern erweist sich demnach gleichermassen als offensichtlich begründet und ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG gutzuheissen.
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III. Kosten und Entschädigung
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5.
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Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die Mittellosigkeit des unterliegenden Beschwerdegegners erscheint als glaubhaft. Zudem wurde er durch die Beschwerde der Kantonalen Steuerverwaltung ins bundesgerichtliche Verfahren gezwungen, weshalb es für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung nicht auf die Erfolgsaussichten seiner Begehren ankommt. Da die Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten unentgeltlichen Rechtspflege erfüllt sind, sind die Gerichtskosten vorläufig auf die Gerichtskasse zu nehmen. Ferner wird dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners eine Entschädigung aus der Gerichtskasse ausgerichtet (Art. 64 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdegegner wird indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach er als Begünstigter der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn er später dazu in der Lage ist.
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Über die Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens hat die Vorinstanz neu zu entscheiden (Art. 67 a contrario und 68 Abs. 5 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Verfahren 2C_581/2011 und 2C_582/2011 werden vereinigt.
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2.
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Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten betreffend die direkte Bundessteuer (2C_581/2011) wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 10. Juni 2011 aufgehoben, soweit er die Nachsteuer- und Bussenverfügung vom 30. Mai 2005 für die Steuerperioden 2001 und 2002 betrifft. Die Sache wird zur Neuregelung der vorinstanzlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen an das Obergericht des Kantons Schaffhausen zurückgewiesen.
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3.
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Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern (2C_582/2011) wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 10. Juni 2011 aufgehoben, soweit er die Nachsteuer- und Bussenverfügung vom 30. Mai 2005 für die Steuerperioden 2001 und 2002 betrifft. Die Sache wird zur Neuregelung der vorinstanzlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen an das Obergericht des Kantons Schaffhausen zurückgewiesen.
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4. Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung gewährt.
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4.1 Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, zufolge Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.
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4.2 Rechtsanwalt Jürg Uhlmann (Sporrengasse 5, 8200 Schaffhausen) wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand des Beschwerdegegners bestellt und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.- ausgerichtet.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 27. März 2012
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Die Gerichtsschreiberin: Dubs
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