BGer 9C_364/2011
 
BGer 9C_364/2011 vom 05.04.2012
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
9C_364/2011
Urteil vom 5. April 2012
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Traub.
 
Verfahrensbeteiligte
G.________, vertreten durch
Herrn Prof. Dr. Hardy Landolt,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle Glarus, Burgstrasse 6, 8750 Glarus,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom 13. April 2011.
Sachverhalt:
A.
Der 1949 geborene G.________ erlitt am 8. Januar 2008 bei einem Arbeitsunfall eine Verletzung der linken Schulter. Ausserdem bestehen lumbale Rückenschmerzen. Auf seine Anmeldung bei der Invalidenversicherung hin klärte die IV-Stelle Glarus den medizinischen und erwerblichen Sachverhalt ab. Mit Verfügung vom 17. Mai 2010 lehnte die Verwaltung den Anspruch auf eine Invalidenrente ab. Sie ging von einem Invaliditätsgrad von 31 Prozent aus. Die bisherige mittelschwere bis schwere Tätigkeit als Lagermitarbeiter sei nicht mehr zumutbar; hingegen sei G.________ in leichten Tätigkeiten, die kein repetitives Bücken und/oder monotone Rumpfzwangshaltungen erforderten, vollständig arbeitsfähig.
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus wies die gegen die Verfügung vom 17. Mai 2010 erhobene Beschwerde - unter Annahme eines Invaliditätsgrades von 33 Prozent - ab (Entscheid vom 13. April 2011).
C.
G.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Rahmen der Beschwerdebegründung ergänzt er das Rechtsbegehren mit dem Eventualantrag, es sei ihm eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von über 40 Prozent mit Wirkung ab Dezember 2008 zuzusprechen.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem wegen Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Der Beschwerdeführer beanstandet zunächst, die vorinstanzliche Feststellung, er könne eine angepasste Tätigkeit ganztägig ausführen, sei offensichtlich unrichtig und beruhe auf einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes.
2.1 Das kantonale Gericht erkannte, sämtliche medizinischen Berichte stimmten darin überein, dass der Beschwerdeführer in angepassten Tätigkeiten vollständig arbeitsfähig ist. Es bestünden somit keine Zweifel hinsichtlich des Zumutbarkeitsprofils. Die Verwaltung sei zu Recht davon ausgegangen, eine weitergehende Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts, so auch eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL), sei für den Verfahrensausgang nicht entscheidend. Es handle sich nicht um gesundheitliche Einschränkungen, welche eine detaillierte Abklärung der zumutbaren Tätigkeiten notwendig machen würden.
2.2 Der Vorschlag einer EFL bzw. einer stationären Abklärung der Leistungsfähigkeit (Berichte des Neurochirurgen Dr. M.________, vom 15. Februar 2010 und des Allgemeinmediziners Dr. H.________, vom 4. Juni 2010) zielt darauf ab, die Grenzen der Belastbarkeit des Bewegungsapparats näher auszuloten. Wie das kantonale Gericht nicht offensichtlich unrichtig festgestellt hat (vgl. oben E. 1), ist die grundsätzliche Zumutbarkeit einer schonenden Arbeit als solche unter den beteiligten Ärzten indessen unbestritten; stark einschränkende Rahmenbedingungen für leidensangepasste Beschäftigungen existieren nicht (vgl. SVR 2009 IV Nr. 26 S. 73, 8C_547/2008 E. 4.2.2.1). Somit durfte die Vorinstanz mangels greifbarer Anhaltspunkte für eine anderslautende Einschätzung dem Beschwerdeführer das aus einer solchen angepassten Tätigkeit erzielbare Invalideneinkommen anrechnen, ohne sich hierfür zwingend auf die Ergebnisse einer spezifischen Abklärung der funktionellen Leistungsfähigkeit abstützen zu müssen. Auch die Anregung des Hausarztes zu einer Abklärung des weiteren therapeutischen, allenfalls operativen Vorgehens stellt die - von allen beteiligten Medizinern geteilte - Einschätzung der Arbeitsfähigkeit nicht in Frage. Die Rüge ist somit auch unter diesem Gesichtspunkt nicht geeignet, die vorinstanzliche Feststellung über die Arbeitsfähigkeit als offensichtlich unrichtig oder ungenügend abgeklärt (Art. 61 lit. c ATSG) erscheinen zu lassen.
3.
3.1 Weiter rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz lege nicht dar, welche Verweisungstätigkeiten ihm, der während Jahrzehnten als Lagerist tätig gewesen sei, noch möglich und zumutbar seien.
Die Arbeitsmöglichkeiten, die mit der gesundheitlichen Beeinträchtigung vereinbar und nach den objektiven und subjektiven Umständen zumutbar sind, bilden strukturell nur dann den in Art. 16 ATSG vorausgesetzten Arbeitsmarkt, wenn sie in verschiedenen Ausformungen und hinreichender Zahl, also in ausreichender qualitativer und quantitativer Bandbreite, tatsächlich vorhanden sind. Je enger umschrieben das Anforderungsprofil und damit der Kreis der geeigneten Verweisungstätigkeiten ist, desto weiter geht die Substantiierungspflicht der Verwaltung bei der Bezeichnung entsprechender Arbeitsgelegenheiten (Urteil 9C_1032/2009 vom 12. April 2010 E. 2.3 mit Hinweisen). Da vorliegend jedoch in Bezug auf eine Vielzahl von Beschäftigungen auf dem allgemeinen und ausgeglichenen Arbeitsmarkt keine Einschränkung besteht, ist die vorinstanzliche Definition des Marktes von Verweisungstätigkeiten - leichte Arbeiten unter Vermeidung bestimmter Zwangshaltungen - auch in dieser allgemeinen Form bundesrechtsmässig.
3.2 Im gleichen Zusammenhang macht der Beschwerdeführer (Jahrgang 1949) weiter geltend, kurz vor der Pensionierung stehende Versicherte seien auch in einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nicht mehr in der Lage, eine Leistungsfähigkeit, die nur noch einfache, wechselbelastende leichte Tätigkeiten umfasse, erwerblich zu verwerten.
Das kantonale Gericht hat im Rahmen seiner Ausführungen zur Frage des leidensbedingten Abzugs (vgl. unten E. 3.3) zu Recht festgehalten, im Zeitpunkt des (allfälligen) Rentenbeginns sei der am 31. Dezember 1949 geborene Beschwerdeführer 59-jährig gewesen. Es sei nicht zu erwarten, dass eine Realisierung der Restarbeitsfähigkeit angesichts dieses Alters gänzlich unmöglich wäre; dem Beschwerdeführer verblieben ab dem genannten Zeitpunkt immerhin noch sechs Jahre einer Betriebszugehörigkeit (vorinstanzlicher Entscheid, E. 7a; vgl. auch SVR 2009 IV Nr. 27 S. 75, 9C_93/2008 E. 7.3). Diese Erwägungen halten auch hinsichtlich der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage, ob ihm angesichts seines Alters grundsätzlich überhaupt noch ein Invalideneinkommen (Art. 16 ATSG) angerechnet werden dürfe, vor Bundesrecht stand (dazu etwa Urteile I 819/04 vom 27. Mai 2005 E. 2.2 und I 392/02 vom 23. Oktober 2003 E. 3.3).
Im Übrigen erachtet die Rechtsprechung das Alter für die Vermittelbarkeit regelmässig nicht als allein ausschlaggebend; vielmehr kommt auch der verbliebenen Restarbeitsfähigkeit erhebliches Gewicht zu (Urteil 8C_657/2010 vom 19. November 2010 E. 5.2.3 mit Hinweis). Die altersbedingte Erschwernis, eine Arbeitsstelle zu finden, wirkt sich vor allem dann mittelbar invaliditätsbegründend aus, wenn auch in leidensangepassten Tätigkeiten nur noch ein eingeschränktes Leistungsvermögen vorhanden ist, dessen Verwertung angesichts des fortgeschrittenen Alters unrealistisch erscheint. Der Beschwerdeführer kann jedoch wie erwähnt auf ein relativ weites Segment leidensangepasster Tätigkeiten verwiesen werden, in dessen Rahmen keine erheblichen zeitlichen oder funktionellen Einschränkungen anfallen.
3.3 Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, die funktionelle Restleistungsfähigkeit sei monetär unzutreffend bewertet worden; der vorinstanzlich herangezogene Durchschnittslohn aller Branchen im privaten Sektor beinhalte auch schwere und mittelschwere Arbeiten, die erfahrungsgemäss besser entlöhnt würden als leichtere Arbeiten.
3.3.1 Der angeführte Umstand kann im Rahmen des sogenannten leidensbedingten Abzugs berücksichtigt werden: Die zur Bemessung des Invalideneinkommens heranzuziehenden Tabellenlöhne gemäss der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik sind gegebenenfalls angemessen herabzusetzen, wenn angenommen werden muss, der versicherte Gesundheitsschaden werde per se oder in Verbindung mit persönlichen Eigenschaften der versicherten Person das zu erwartende Einkommen zusätzlich schmälern (vgl. BGE 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481; 126 V 75). Die Rechtsfrage, ob ein statistisch ermittelter Lohnansatz mit Blick auf die persönlichen und beruflichen Umstände im Einzelfall herabgesetzt werden muss, ist bundesgerichtlich frei überprüfbar. Die Festlegung des Ausmasses der Kürzung ist derweil Ermessenssache. In die bundesgerichtliche Überprüfungsbefugnis fällt die Höhe des Abzuges nur bei rechtsfehlerhafter Ermessensbetätigung (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; SVR 2009 IV Nr. 43 S. 127 E. 3.1, 9C_235/2008).
3.3.2 Eine solche Überschreitung der Grenzen pflichtgemässer Ermessensausübung ist vorliegend nicht auszumachen. Zwar ist dem Beschwerdeführer beizupflichten, dass das kantonale Gericht den geltend gemachten Umstand bei der Bemessung des leidensbedingten Abzugs - soweit aus der Entscheidbegründung ersichtlich - ausser Acht gelassen hat. Indessen hält die vorinstanzliche Betrachtungsweise im Ergebnis stand. Der übergangene Abzugsgrund findet im vorinstanzlich zuerkannten Abzug von 15 Prozent immer noch Platz, weil sich die gesundheitlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers auch unter Berücksichtigung seines fortgeschrittenen Alters in leidensangepassten Arbeiten nicht stark auswirken. Wie die Vorinstanz gezeigt hat (E. 7d), zöge ausserdem auch die Anrechnung eines Abschlags von 20 Prozent keinen rentenbegründenden Invaliditätsgrad nach sich.
4.
Andere Parameter der Invaliditätsbemessung sind nicht strittig. Die vorinstanzliche Schlussfolgerung, der Invaliditätsgrad betrage nicht rentenbegründende 33 Prozent, ist daher bundesrechtskonform.
5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend werden die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 5. April 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Meyer
Der Gerichtsschreiber: Traub