BGer 4D_66/2012 |
BGer 4D_66/2012 vom 03.12.2012 |
{T 0/2}
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4D_66/2012
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Urteil vom 3. Dezember 2012 |
I. zivilrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
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Bundesrichter Corboz,
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Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
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Bundesrichter Kolly,
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Bundesrichterin Kiss,
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Gerichtsschreiber Luczak.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________ GmbH,
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vertreten durch Rechtsanwalt Carmine Baselice,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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1. Y.________ Stiftung, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Siegenthaler,
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2. Z.________ AG, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Robert Simmen,
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Beschwerdegegnerinnen.
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Gegenstand
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Auferlegung von Kosten,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer, vom 6. Juni 2012.
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Sachverhalt: |
A. |
B. |
C. |
D. |
Erwägungen: |
1. |
1.1. Der angefochtene Entscheid betrifft ein Gesuch um vorsorgliche Beweisführung, auf das die Bestimmungen über die vorsorglichen Massnahmen Anwendung finden (Art. 158 Abs. 2 ZPO). Massnahmeentscheide gelten nur dann als Endentscheide im Sinne von Art. 90 BGG, wenn sie in einem eigenständigen Verfahren ergehen und dieses abschliessen (BGE 138 III 46 E. 1.1 mit Hinweisen). Der angefochtene Entscheid ist in einem Gesuchsverfahren betreffend vorsorgliche Beweisführung ergangen, das von der Einleitung eines Hauptverfahrens unabhängig und damit eigenständig ist. Das Verfahren wurde in Dispositiv Ziff. 2 für beendet erklärt und damit jeder Zweifel am Vorliegen eines Endentscheides (Art. 90 BGG) beseitigt. Die Beschwerde ist daher zulässig.
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1.2. Die Frage, ob die Beschwerde als Beschwerde in Zivilsachen oder als subsidiäre Verfassungsbeschwerde zu behandeln ist, kann offen bleiben. Da es sich beim Entscheid über die vorsorgliche Beweisführung um einen Entscheid über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG handelt (BGE 138 III 46 E. 1.1), kann mit der Beschwerde in Zivilsachen, wie generell mit der Verfassungsbeschwerde (Art. 116 BGG), nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. Die Verletzung von Grundrechten prüft das Bundesgericht nur insofern, als eine solche Rüge präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 und 117 BGG; BGE 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; 133 III 439 E. 3.2 S. 444). Macht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 9 BV geltend, genügt es nicht, wenn er einfach behauptet, der angefochtene Entscheid sei willkürlich; er hat vielmehr im Einzelnen zu zeigen, inwiefern der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist (BGE 134 II 349 E. 3 S. 352 mit Hinweis).
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2. |
3.
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4. |
4.1. Dem Gesuch um vorsorgliche Beweisführung wurde entsprochen. Keine Partei hat dessen Abweisung verlangt. Die Vorinstanz hat denn auch bei der Verteilung der Gerichtskosten nicht auf Obsiegen und Unterliegen abgestellt, sondern die Beschwerdegegnerin 1 mit der Begründung, sie habe das Verfahren eingeleitet, dafür kostenpflichtig erklärt. In Bezug auf die Kosten der Beweisführung, d.h. die Kosten des Gutachtens (Art. 95 Abs. 2 lit. c ZPO), entschied die Vorinstanz jedoch nicht analog, sondern erklärte die Gesuchsgegnerinnen gestützt auf Art. 107 Abs. 1 lit. f ZPO für kostenpflichtig, weil sie Zusatzfragen gestellt hatten.
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4.2. Nach Art. 107 Abs. 1 ZPO kann das Gericht von den Verteilungsgrundsätzen gemäss Art. 106 ZPO - entsprechend dem Erfolg der Parteien im Prozess - abweichen und die Prozesskosten nach Ermessen verteilen, um besonderen Umständen Rechnung zu tragen. Das Gesetz räumt dem Gericht den Spielraum ein, auf Billigkeitserwägungen zurückzugreifen, wenn im Einzelfall die Belastung der unterlegenen Partei mit Prozesskosten als ungerecht erscheint ( RÜEGG, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 1 zu Art. 107 ZPO). Dazu wurden in Art. 107 Abs. 1 lit. a-f ZPO typisierte Fallgruppen geschaffen. So nennt Art. 107 Abs. 1 lit. f ZPO andere besondere Umstände und bildet damit einen Auffangtatbestand. Als Beispiele werden sodann in der Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), BBl 2006 7298 Ziff. 5.8.2 zu Art 105 E-ZPO ein sehr ungleiches finanzielles Kräfteverhältnis zwischen den Parteien (vgl. die Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses einer AG durch einen Aktionär, wie sie in aArt. 706a Abs. 3 OR geregelt war) aufgeführt sowie das Verhalten der obsiegenden Partei, das entweder zur Klageerhebung Anlass bot (aArt. 756 Abs. 2 OR für die Verantwortlichkeitsklage eines Aktionärs) oder zusätzlichen ungerechtfertigten Verfahrensaufwand verursachte (Beispiel: Obsiegen mit einer Verrechnungseinrede, wenn das Gericht zahlreiche unbegründete Verrechnungsforderungen beurteilen muss, bevor die Klage abgewiesen werden kann). In all diesen Fällen rechtfertigen besondere Umstände eine Abweichung von der üblichen Kostenverteilung nach Obsiegen und Unterliegen mit den gestellten Rechtsbegehren. Daraus lässt sich der Grundsatz ableiten, dass die Anwendung des Auffangtatbestandes einerseits bei erheblicher wirtschaftlicher Disparität der Parteien greifen kann und andererseits gestützt auf die angeführte Bestimmung eine Kostenauflage gegenüber der nicht unterlegenen Partei begründet ist, wenn und soweit diese durch ihr Verhalten ungerechtfertigten Aufwand zu verantworten hat.
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4.3. Die Vorinstanz erblickt besondere Umstände im Sinne von Art. 107 Abs. 2 (recte: Abs. 1) lit. f ZPO darin, dass die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin 2 dem Gutachter Ergänzungsfragen stellen liessen. Selbst wenn diese Fragen einen Mehraufwand des Gutachters zur Folge gehabt haben sollten, würde dies indessen für sich genommen nicht rechtfertigen, die Partei, die diese Fragen eingereicht hat, mit den für deren Beantwortung anfallenden Kosten zu belasten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin 1 darf die Ergänzungsfragen stellende Partei, auch wenn sie mit der Anordnung der vorsorglichen Beweisabnahmen einverstanden war, nicht so behandelt werden, wie wenn sie selbst ein Gesuch um vorsorgliche Beweisführung gestellt hätte. Es ist nämlich Sache des Gerichts, dafür zu sorgen, dass der durch das Gesuch definierte Prozessgegenstand gewahrt bleibt und nicht durch Ergänzungsfragen erweitert wird. Die (mutmassliche) Gegenpartei des (künftigen) Prozesses ist zwar im Verfahren der vorsorglichen Beweisführung anzuhören (Art. 158 Abs. 2 i.V.m. Art. 248 lit. d und Art. 253 ZPO; BBl 2006 7315 Ziff. 5.10.1 zu Art. 155 E-ZPO). Stellt sie bei der Wahrnehmung ihres Gehörsanspruchs jedoch Fragen, die den durch die das Gesuch stellende Partei abgesteckten Rahmen sprengen, hat das Gericht diese als unzulässig zu erklären und dem Gutachter nicht zu unterbreiten ( ZÜRCHER, a.a.O., N. 19 zu Art. 158 ZPO; HANS SCHMID, in: ZPO: Schweizerische Zivilprozessordnung, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 5 zu Art. 158 ZPO in Verbindung mit N. 5 zu Art. 172 - 174 ZPO und N. 5 f. zu Art. 187 ZPO). Der endgültige Entscheid über die Formulierung der Fragen obliegt stets dem Gericht ( SCHMID, a.a.O., N. 4 zu Art. 185 ZPO).
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4.4. An diese Regel hat sich die Vorinstanz denn auch gehalten und die von den Parteien gestellten Fragen überprüft, teilweise umformuliert und über deren Zulassung entschieden, bevor sie sie dem Experten unterbreitete, dies in der Erkenntnis, dass der Umfang der vorsorglichen Beweisführung durch den Gesuchsteller bestimmt wird (vgl. den Entscheid der Vorinstanz vom 2. November 2011 E. 7.2 und 8). Daraus ist zu schliessen, dass die Ergänzungsfragen das von der Beschwerdegegnerin 1 bestimmte Beweisthema betrafen, dazu beitrugen, die Aussagekraft des Gutachtens zu erhöhen und damit dem erklärten Interesse der Beschwerdegegnerin 1 dienten, im Hinblick auf eine Klage die Verantwortlichkeit für die Schäden zu klären. Dass die Beschwerdeführerin den Sachverständigen zu Tatsachen hätte befragen lassen wollen, deren Beantwortung lediglich in ihrem eigenen Interesse lag, geht aus dem angefochtenen Entscheid nicht hervor, und die zusätzlich angebotenen Beweismittel (Edition) wurden nicht abgenommen, so dass hiefür auch keine Kosten anfielen. Welche Art. 107 Abs. 1 lit. f ZPO zugrunde liegenden Billigkeitserwägungen geboten hätten, die Beschwerdeführerin zu einem Drittel an den Kosten des von der Beschwerdegegnerin 1 veranlassten Gutachtens zu beteiligen, legt die Vorinstanz nicht dar und ist nicht ersichtlich.
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4.5. Eine tragbare Begründung lässt sich auch aus der im angefochtenen Entscheid erwähnten Möglichkeit nicht ableiten, wonach für den Fall, dass ein Hauptprozess stattfinde, "das Gericht, welches die Hauptsache entscheidet, die Prozesskosten der vorliegenden Beweisführung abweichend verteilen" kann. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend anführt, liegt es im Belieben der Beschwerdegegnerin 1, ob und gegen wen sie einen ordentlichen Prozess anstrengen will. Entschliesst sie sich dazu und obsiegt sie im Hauptprozess, kann sie die Kosten der vorsorglichen Beweisführung auf die dort unterliegende Partei abwälzen. Die Möglichkeit, den vorsorglichen Kostenentscheid umzustossen, bleibt demgegenüber verschlossen, wenn es gegenüber einer für das Beweisverfahren ins Recht gefassten Partei aufgrund des Beweisergebnisses nicht zu einem Hauptprozess kommt. Diese bliebe ungeachtet der Frage ihrer Verantwortlichkeit für die behaupteten Mängel mit den ihr auferlegten Kosten der vorsorglichen Beweisführung belastet, obwohl sie diese nicht verlangt hat. Von ihr zu verlangen, im Rahmen einer negativen Feststellungsklage selbst einen Hauptprozess anzustrengen, liefe, soweit dies überhaupt denkbar wäre, dem Zweck der zu beurteilenden vorsorglichen Beweisführung, unnötige Prozesse zu verhindern, diametral zuwider.
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4.6. Damit erweist sich der Entscheid der Vorinstanz, wegen des blossen Stellens von Ergänzungsfragen, die den von der Beschwerdegegnerin 1 bestimmten Themenkreis nicht überschritten, der Beschwerdeführerin einen Teil der Kosten des Gutachtens aufzuerlegen, sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis als stossend. Er läuft dem Regelungsgedanken von Art. 107 Abs. 1 lit. f ZPO, der Billigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, stracks zuwider. Willkür ist mithin rechtsgenüglich dargetan.
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5. |
Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. In Gutheissung der Beschwerde wird Ziff. 4 des Entscheids des Handelsgerichts des Kantons Aargau vom 6. Juni 2012 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdegegnerin 1 auferlegt.
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3. Die Beschwerdegegnerin 1 hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 3. Dezember 2012
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Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Klett
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Der Gerichtsschreiber: Luczak
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