BGer 2C_57/2013 |
BGer 2C_57/2013 vom 20.02.2013 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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2C_57/2013
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Urteil vom 20. Februar 2013
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II. öffentlich-rechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Bundesrichterin Aubry Girardin,
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Bundesrichter Stadelmann,
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Gerichtsschreiber Hugi Yar.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________, Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Jürg W. Leutenegger,
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gegen
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Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht Graubünden, Karlihof 4, 7000 Chur,
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Zwangsmassnahmengericht des Kantons Graubünden, Theaterweg 1, 7002 Chur.
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Gegenstand
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Ausschaffungshaft,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden, II. Strafkammer,
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vom 20. Dezember 2012.
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Sachverhalt:
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A.
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X.________ (geb. 1979) stammt aus Ägypten. Am 15. Oktober 2010 heiratete er eine Schweizer Bürgerin (geb. 1970); am 7. November 2010 wurde der gemeinsame Sohn Y.________ geboren. Nur wenige Wochen danach trennten sich die Ehegatten, worauf das Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht Graubünden am 18. April 2011 die Aufenthaltsbewilligung von X.________ widerrief und ihn anhielt, das Land zu verlassen. Das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden wies die hiergegen gerichtete Beschwerde am 3. August 2011 ab. Hiergegen gelangte X.________ erfolglos an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und an das Bundesgericht (Nichteintretensentscheide vom 4. Mai bzw. 5. Juni 2012 [Urteil 2C_538/2012]).
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B.
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Das Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht Graubünden forderte X.________ in der Folge erneut wiederholt auf, das Land zu verlassen. Nachdem X.________ nicht mehr erreicht werden konnte, wurde er am 18. Juli 2012 zur Anhaltung ausgeschrieben und am 27. November 2012 in Chur verhaftet. Das Amt für Migration und Zivilrecht Graubünden ordnete noch gleichentags die Ausschaffungshaft an, welche das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Graubünden am 29. November 2012 prüfte und bis zum 26. Februar 2013 bestätigte. Das Kantonsgericht von Graubünden trat am 20. Dezember 2012 auf eine hiergegen gerichtete Beschwerde, weil verspätet, nicht ein; gleichzeitig legte es dar, dass die Eingabe in der Sache selber unbegründet erscheine.
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C.
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X.________ beantragte am 19. Januar 2013 dem Bundesgericht sinngemäss, er sei aus der Haft zu entlassen. Die Vorinstanz sei zu Unrecht davon ausgegangen, seine Beschwerde sei verspätet eingereicht worden. Mit Verfügung vom 22. Januar 2013 entsprach der Abteilungspräsident dem Gesuch von X.________ um unentgeltliche Rechtspflege und gab ihm Rechtsanwalt Jürg W. Leutenegger als Beistand bei. Dieser ergänzte am 30. Januar 2013 die Eingabe von X.________. Das Amt für Migration und Zivilrecht Graubünden beantragt, die Beschwerde abzuweisen; das Haftgericht und das Bundesamt für Migration haben darauf verzichtet, sich vernehmen zu lassen; das Kantonsgericht äusserte sich innert der ihm gesetzten Frist nicht. X.________ hat auf eine weitere Vernehmlassung verzichtet.
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D.
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Mit Entscheid vom 28. Januar 2013 wies das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Graubünden ein Haftentlassungsgesuch von X.________ ab.
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Erwägungen:
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1.
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Der Beschwerdeführer macht in formeller Hinsicht geltend, das Kantonsgericht sei zu Unrecht und in willkürlicher Art und Weise auf seine Beschwerde nicht eingetreten. Die entsprechende Rüge erweist sich aufgrund der Akten als offensichtlich berechtigt: Der Beschwerdeführer hat seine Rechtsschrift gegen die Haftgenehmigung durch das Haftgericht am 8. Dezember 2012 und damit fristgerecht der Schweizerischen Post zu Handen des Kantonsgerichts übergeben. Zwar fehlte auf der Eingabe seine Unterschrift, doch setzte das Kantonsgericht ihm zur Verbesserung dieses Mangels am 10. Dezember 2012 eine Nachfrist bis zum 14. Dezember 2012 an, die der Beschwerdeführer eingehalten hat. Wenn dennoch wegen Verspätung auf die Beschwerde nicht eingetreten wurde, beruhte dieser Entscheid auf einem offensichtlich fehlerhaft bzw. in willkürlicher Weise festgestellten Sachverhalt; die Vorinstanz beging damit eine unzulässige formelle Rechtsverweigerung (vgl. BGE 117 Ia 116 E. 3a S. 117 f.).
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2.
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2.1 Der Beschwerdeführer ersucht wegen der festgestellten Mängel, aus der Haft entlassen zu werden ("...die Ausschaffungshaft sei zu sistieren"); die Sache sei zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften führt indessen zur Haftentlassung. Es kommt vielmehr jeweils darauf an, welche Bedeutung den verletzten Vorschriften für die Wahrung der Rechte des Betroffenen einerseits und dem Interesse an einer reibungslosen Durchsetzung seiner Ausschaffung andererseits zukommt (vgl. BGE 121 II 105 E. 2c S. 109; Urteil 2C_334/2008 vom 30. Mai 2008 E. 4.3). Das Bundesgericht kann eine unzutreffende Begründung auch durch eine eigene, bundesrechtskonforme ersetzen und den angefochtenen Entscheid mit dieser bestätigen ("Begründungssubstitution", vgl. BGE 133 III 545 E. 2.2 S. 550; Urteile 2C_963/2010 vom 11. Januar 2011 E. 2.3.3 und 2C_945/2010 vom 5. Januar 2011 E. 2.3).
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2.2 Nach Art. 76 Abs. 1 lit. b AuG kann die zuständige Behörde eine ausländische Person, der ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet worden ist, zur Sicherstellung von dessen Vollzug in Ausschaffungshaft nehmen, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sie sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere weil sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (Ziff. 3) oder ihr bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass sie sich behördlichen Anordnungen widersetzt (Ziff. 4). Der Beschwerdeführer ist rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesen worden. Trotz wiederholter Aufforderungen, kontrolliert auszureisen, hält er sich nach wie vor im Land auf und weigert er sich, in seine Heimat zurückzukehren. Die Behörden konnten mit ihm nur über eine "Postlagernd"-Adresse verkehren, weshalb die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, er habe sich für seine Ausschaffung nicht zur Verfügung des Amtes für Migration und Zivilrecht gehalten, nicht offensichtlich unhaltbar oder willkürlich erscheint (Art. 105 BGG). Auch die Tatsache, dass er nicht bereit ist, diesem seinen Originalpass auszuhändigen, unterstreicht seine fehlende Kooperationsbereitschaft und bildet eine Verletzung der verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten (vgl. Art. 90 lit. c AuG). Gestützt auf dieses Verhalten besteht bei ihm Untertauchensgefahr im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 130 II 56 E. 3.1 S. 58 f.). Es ist zudem nicht ersichtlich, welches mildere Mittel geeignet sein könnten, den Vollzug der Wegweisung sicherzustellen, nachdem er sich den Behörden bewusst nicht zur Verfügung gehalten hat und deren Bemühungen nach wie vor zu vereiteln versucht. Da auch alle übrigen Haftvoraussetzungen erfüllt sind - insbesondere der Vollzug seiner Wegweisung absehbar erscheint und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Behörden nicht weiterhin mit Nachdruck hierum bemühen werden - , verletzt die Ausschaffungshaft kein Bundesrecht.
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2.3 Der Beschwerdeführer verkennt, dass die von ihm seit seiner Wegweisung anhängig gemachten Verfahren, nichts daran ändern, dass er sich illegal im Land aufhält; er hat deren Ausgang in seiner Heimat abzuwarten (Art. 17 Abs. 1 AuG). Soweit er geltend macht, seine "psychisch angeschlagene" Frau sei am Scheitern der Beziehung schuld und diese betreibe boshaft seine Ausschaffung, verkennt er, dass der Bewilligungs- und Wegweisungsentscheid nicht (mehr) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet; das Bundesgericht kann einzig prüfen, ob die kantonalen Behörden in Verletzung von Bundesrecht das Vorliegen der Haftvoraussetzung bejaht haben (vgl. BGE 128 II 193 E. 2.2.2 S. 198 mit Hinweisen; 121 II 59 E. 2c; 130 II 56 E. 2 S. 58). Dies ist - wie dargelegt - nicht der Fall.
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2.4 Das öffentliche Interesse an der Sicherstellung des Vollzugs der Wegweisung überwiegt unter diesen Umständen das private des Beschwerdeführers daran, dass der verfahrensrechtliche Fehler des Kantonsgerichts zu seiner Haftentlassung führt: Das Kantonsgericht hat den Entscheid des Haftgerichts zumindest in einer Eventualbegründung geprüft; zwar geschah dies durch den Einzelrichter und nicht wie allenfalls erforderlich in der ordentlichen Gerichtsbesetzung, doch ist der Haftentscheid bereits erstinstanzlich durch einen unabhängigen Richter genehmigt worden, womit die Voraussetzungen von Art. 5 Ziff. 3 EMRK erfüllt sind. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer sich parallel zum bundesgerichtlichen Verfahren mit einem Haftentlassungsgesuch an das Haftgericht Graubünden gewandt, welches dieses am 28. Januar 2013 abwies; hiergegen konnte sich der Beschwerdeführer wiederum an das Kantonsgericht wenden. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich nicht, ihn aus der Haft zu entlassen oder das Verfahren zu neuem (materiellem) Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerde ist im Sinne der vorstehenden Erwägungen abzuweisen.
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3.
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Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Graubünden hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 und Art. 66 Abs. 3 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird dadurch gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
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2.
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2.1 Es werden keine Kosten erhoben.
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2.2 Der Kanton Graubünden hat Rechtsanwalt Jürg W. Leutenegger, St. Moritz, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 993.60 zu entschädigen.
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2.3 Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als gegenstandslos abgeschrieben.
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3.
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Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht von Graubünden, II. Strafkammer, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 20. Februar 2013
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar
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