BGer 1B_594/2012 |
BGer 1B_594/2012 vom 07.06.2013 |
{T 0/2}
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1B_594/2012
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Urteil vom 7. Juni 2013 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
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Bundesrichter Karlen, Eusebio,
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Gerichtsschreiber Härri.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwälte Stefan Wehrenberg und Friedrich Frank,
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gegen
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Y.________,
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Beschwerdegegner,
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vertreten durch Rechtsanwältin Katrin Napierkowski,
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Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn.
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Gegenstand
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Einstellung des Strafverfahrens; Beschwerdelegitimation,
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Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
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des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, vom 4. September 2012.
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Sachverhalt: |
A. |
Zwischen dem 12. und 14. Juli 1992 wurde die damals 81jährige Z.________ Opfer eines Raubes. Dabei wurde sie gefesselt und geknebelt. Sie starb durch Erstickung.
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B. |
Auf die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde trat das Obergericht des Kantons Solothurn (Beschwerdekammer) am 4. September 2012 nicht ein. Es befand, X.________ fehle die Beschwerdelegitimation.
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C. |
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und die Angelegenheit zum neuen Entscheid an dieses zurückzuweisen.
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D. |
Das Obergericht beantragt unter Verzicht auf Gegenbemerkungen die Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen: |
1. |
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben.
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2. |
Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten beigezogen. Dem entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers ist damit Genüge getan.
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3. |
3.1. Die Parteien können die Einstellungsverfügung innert 10 Tagen bei der Beschwerdeinstanz anfechten (Art. 322 Abs. 2 StPO). Zur Beschwerde befugt ist jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung der Verfügung hat (Art. 382 Abs. 1 StPO). Partei ist unter anderem die Privatklägerschaft (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO). Als geschädigte Person gilt die Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO).
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3.2. Z.________ ist Opfer gemäss Art. 116 Abs. 1 StPO.
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3.3. Soweit die Vorinstanz die Beschwerdeberechtigung gestützt auf Art. 121 StPO verneint, ficht der Beschwerdeführer ihren Entscheid ausdrücklich nicht an (Beschwerde S. 12 f. Ziff. 56). Da insoweit eine Bundesrechtsverletzung nicht offensichtlich ist, hat sich das Bundesgericht dazu nicht weiter zu äussern (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
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3.4. Der Beschwerdeführer macht geltend, der angefochtene Entscheid verletze Art. 116 Abs. 2 StPO. Die Vorinstanz hätte ihm die Stellung eines Angehörigen zuerkennen müssen (Beschwerde S. 9 ff.).
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3.4.1. Art. 116 Abs. 2 StPO zählt im Einzelnen auf, wer als Angehöriger des Opfers gilt. Es sind dies: Dessen Ehegattin oder Ehegatte, Kinder und Eltern sowie die Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahe stehen. Gleich umschreibt den Begriff des Angehörigen Art. 1 Abs. 2 OHG (SR 312.5).
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3.4.2. Unter dem Opfer nach Art. 116 Abs. 2 StPO in ähnlicher Weise nahe stehenden Personen sind solche des nahen Umfelds gemeint, die nicht notwendig durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden sind. Massgebend sind die sich aus den konkreten Lebensverhältnissen ergebenden faktischen Bindungen, so z.B. beim Konkubinat, aber unter Umständen auch bei besonders engen Freundschaften sowie dem Opfer besonders nahe stehenden Geschwistern ( GORAN MAZZUCCHELLI/MARIO POSTIZZI, in: Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2011, N. 17 zu Art. 116 StPO). Ausschlaggebend ist die Intensität der Bindung zum Opfer ( CHRISTINE GUY-ECABERT, in: Code de procédure pénale suisse, Commentaire Romand, 2011, N. 14 zu Art. 116 StPO). Diese ist danach zu prüfen, ob sie in ihrer Qualität jener mit den in Art. 116 Abs. 2 StPO ausdrücklich Erwähnten entspricht (vgl. DOMINIK ZEHNTNER, in: Kommentar zum Opferhilfegesetz, 3. Aufl., 2009, N. 51 zu Art. 1 OHG).
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3.4.3. Bei Enkeln kommt es in erster Linie darauf an, ob sie den Grosseltern in ähnlicher Weise nahe stehen wie deren Kinder. So verhält es sich namentlich, wenn die Grosseltern einen Elternersatz darstellen und ihre Enkel grossziehen, weil deren Eltern verstorben oder wegen Krankheit, Drogensucht o.ä. nicht in der Lage sind, sich um ihre Kinder zu kümmern. Dabei handelt es sich um Ausnahmefälle. Art. 116 Abs. 2 StPO anerkennt nicht einmal Geschwister ohne Weiteres als Angehörige. Damit Enkel als solche gelten können, müssen somit umso mehr besondere Verhältnisse vorliegen, da man zu den Grosseltern in der Regel einen weniger engen Kontakt hat.
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3.4.4. Die Vorinstanz erwägt, nach den Angaben des Beschwerdeführers sei er während seiner ersten Lebensjahre wegen einer schweren Erkrankung seiner Schwester der Grossmutter regelmässig und jeweils für längere Perioden in Obhut gegeben worden. Nach dem Tod der Schwester sei seine Familie in die unmittelbare Nachbarschaft der Grossmutter gezogen und er habe diese während der Schulzeit täglich besucht. Seit dem Jahr 1984 lebe seine Familie in Zürich. Die Grossmutter habe ab 1985 während eineinhalb Jahren aus gesundheitlichen Gründen bei ihnen gelebt. Ab 1986 habe sein Vater zahlreiche und langfristige arbeitsbedingte Auslandaufenthalte gehabt. Während dieser Zeit habe die Grossmutter seine Betreuung übernommen.
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3.4.5. Die Vorinstanz unterstellt somit offensichtlich die tatsächlichen Vorbringen des Beschwerdeführers als wahr. Wenn sie gestützt darauf angenommen hat, er sei dem Opfer nicht im Sinne von Art. 116 Abs. 2 StPO in ähnlicher Weise nahe gestanden, hat sie den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Der Vater des Beschwerdeführers ist im Jahr 2000 gestorben. Seine Mutter lebt noch. Er ist somit - auch wenn der Vater zeitweise berufsbedingt landesabwesend gewesen sein mag - grundsätzlich bei seinen Eltern aufgewachsen. Zwar mag er eine nahe Beziehung zur Grossmutter gehabt haben und dieser während seiner ersten Lebensjahre auch für längere Perioden in Obhut gegeben worden sein. Es bestehen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass er zur Grossmutter eine so nahe Beziehung wie zur eigenen Mutter hatte. Wenn die Vorinstanz in der Sache einen Ausnahmefall, wie oben (E. 3.4.3) dargelegt, verneint hat, hält das vor Bundesrecht stand.
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3.4.6. Ist der Beschwerdeführer nicht Angehöriger, kann offen bleiben, ob er gemäss Art. 117 Abs. 3 StPO Zivilansprüche geltend macht (vgl. dazu zur amtlichen Publikation bestimmtes Urteil 6B_591/2012 vom 21. Dezember 2012 E. 2.2).
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3.4.7. Die Beschwerde ist im vorliegenden Punkt danach unbegründet.
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4. |
4.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, indem die Vorinstanz trotz Anhaltspunkten dafür, dass er der Grossmutter im Sinne von Art. 116 Abs. 2 StPO in ähnlicher Weise nahe gestanden sei, keine weiteren Abklärungen getroffen habe, habe sie den Untersuchungsgrundsatz nach Art. 6 StPO verletzt (Beschwerde S. 13 ff.).
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4.2. Gemäss Art. 6 StPO klären die Strafbehörden von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab (Abs. 1). Sie untersuchen die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (Abs. 2).
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5. |
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 107 StPO (Beschwerde S. 15 f.).
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6. |
Klar unbegründet ist die Beschwerde ebenso, soweit der Beschwerdeführer überspitzten Formalismus rügt (Beschwerde S. 16 f.). Die Vorinstanz hat die Beschwerdelegitimation gestützt auf die massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen verneint und diese nicht mit übertriebener Schärfe gehandhabt.
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7. |
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt offensichtlich unvollständig festgestellt (Beschwerde S. 17 f.).
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8. |
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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2. Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist, gutgeheissen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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4. Der Beschwerdeführer hat der Vertreterin des Beschwerdegegners, Rechtsanwältin Katrin Napierkowski, eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen. Bei Uneinbringlichkeit wird die Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.
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5. Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Solothurn (Beschwerdekammer) schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 7. Juni 2013
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Fonjallaz
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Der Gerichtsschreiber: Härri
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