BGer 9C_318/2013 |
BGer 9C_318/2013 vom 28.06.2013 |
{T 0/2}
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9C_318/2013
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Urteil vom 28. Juni 2013 |
II. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Kernen, Präsident,
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Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
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Gerichtsschreiber Fessler.
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Verfahrensbeteiligte |
D.________,
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vertreten durch Rechtsanwältin Daniela Kissling,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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1. IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach,
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2. Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kollegiumstrasse 28, 6430 Schwyz,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 6. März 2013.
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Sachverhalt: |
A. |
D.________ bezog ab 1. Dezember 2002 eine ganze Rente der Invalidenversicherung samt Zusatzrente für die Ehefrau und zwei Kinderrenten sowie seit 1. Februar 2004 Hilflosenentschädigung für schwere Hilflosigkeit. U.a. gestützt auf das Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts X.________ vom 29. Juli 2011 hob die IV-Stelle Schwyz mit Verfügung vom 7. Dezember 2011 die Leistungen auf. Mit zwei weiteren Verfügungen vom 15. Dezember 2011 forderte sie die Summe von Fr. 104'955.- und Fr. 75'160.- zurück, was das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 16. Mai 2012 bestätigte. Auf die hiegegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 9C_564/2012 vom 12. September 2012 nicht ein.
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B. |
Mit Verfügung vom 31. Oktober 2012 wies die IV-Stelle das Erlassgesuch des D.________ ab. Dessen Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 6. März 2013 ab, soweit es darauf eintrat.
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C. |
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt D.________ zur Hauptsache, der Entscheid vom 6. März 2013 sei aufzuheben und die Rückzahlung von Fr. 75'160.- (Hilflosenentschädigung) und Fr. 104'955.- (Invalidenrente) sei ganz oder teilweise zu erlassen.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf ein unabhängiges, unparteiisches Gericht nach Art. 30 Abs. 1 BV. Am angefochtenen Entscheid hätten zwei Richter mitgewirkt, die bereits über die Rückerstattungsfrage geurteilt hätten, und der vorsitzende Richter, Vizepräsident des kantonalen Verwaltungsgerichts, habe seinerzeit (noch) als Gerichtsschreiber fungiert. Da im vorliegenden Verfahren derselbe Sachverhalt und ähnliche Rechtsfragen zu beurteilen seien, erschienen diese als befangen. Es sei kaum anzunehmen, dass sie sich in Widerspruch zur eigenen früheren Beurteilung in ihrem Entscheid vom 16. Mai 2012 setzen würden, und zwar umso weniger, als darin moralische Wertungen offen gelegt und sachfremde Wertungen vorgenommen worden seien.
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1.2. Nach der in Art. 30 Abs. 1 BV (und auch in Art. 6 Ziff. 1 EMRK) enthaltenen Garantie des verfassungsmässigen Richters hat die rechtsuchende Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt (BGE 127 I 196 E. 2b S. 198 mit Hinweisen). Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein Richter oder eine Richterin durch Äusserungen vor oder während des Prozesses erkennen lassen, dass sie sich schon eine Meinung über den Ausgang des Verfahrens gebildet haben, dieser mithin nicht mehr als offen erscheint (BGE 133 I 89 E. 3.2 S. 92; SVR 2007 IV Nr. 22 S. 77, I 478/04 E. 2.2.1). Besteht gegen einen Richter oder eine Richterin der Verdacht der Voreingenommenheit, so sind sie so früh wie möglich abzulehnen. Ein echter oder vermeintlicher Organisationsmangel ist nach dessen Kenntnis bei erster Gelegenheit geltend zu machen. Es verstösst gegen Treu und Glauben, Einwände dieser Art erst im Rechtsmittelverfahren vorzubringen, wenn der Mangel schon vorher hätte festgestellt und gerügt werden können (BGE 134 I 20 E. 4.3.1 S. 21; 132 II 485 E. 4.3 S. 496 f.; 124 I 121 E. 2 S. 123; je mit Hinweisen; Urteil 8C_837/2008 vom 26. Juni 2009 E. 5.5).
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1.3. Der Beschwerdeführer macht - zu Recht - nicht geltend, der Spruchkörper für die Beurteilung der Erlassfrage müsse grundsätzlich ein anderer sein als derjenige, welcher über die Frage der Rückerstattungspflicht entschieden hat. Er musste sodann damit rechnen, dass das kantonale Verwaltungsgericht in gleicher oder ähnlicher Besetzung über die Beschwerde gegen das mit Verfügung vom 31. Oktober 2012 abgewiesene Erlassgesuch entscheiden würde wie schon über die Beschwerde gegen die Rückerstattungsverfügungen vom 15. Dezember 2011. Gemäss dem Staatskalender 2012 - 2014 des Kantons Schwyz bestand die für die Beurteilung von Beschwerden im Bereich der Invalidenversicherung zuständige Kammer I aus fünf Personen, von denen zwei sich alternierend den Vorsitz teilten. Einer von diesen hatte als Gerichtsschreiber, zwei der drei übrigen Mitglieder als Richter am Entscheid vom 16. Mai 2012 mitgewirkt. Dass sich die betreffenden Personen aufgrund der beanstandeten Bemerkungen selber als befangen betrachten würden, war nicht zu erwarten. Der Beschwerdeführer wäre daher nach Treu und Glauben gehalten gewesen, in der Beschwerde zumindest vorsorglich ein Ablehnungsbegehren zu stellen. Die erst im bundesgerichtlichen Verfahren erhobene Befangenheitsrüge ist verspätet (vgl. Urteil 1P.346/2000 vom 17. August 2000 E. 3).
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2. |
2.1. In materieller Hinsicht hat die Vorinstanz nach Darlegung der Rechtsprechung zum Begriff des guten Glaubens als Erlassvoraussetzung erwogen, gemäss dem Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts X.________ vom 29. Juli 2011 bestehe keine relevante psychische Störung. Der Expertise sei im Entscheid vom 16. Mai 2012 (volle) Beweiskraft zuerkannt worden, was aufgrund der Rechtskraft dieses Erkenntnisses auch im vorliegenden Verfahren zu gelten habe. Im Wesentlichen gestützt auf die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung im Entscheid vom 16. Mai 2012 ist die Vorinstanz zum Ergebnis gelangt, der Beschwerdeführer könne sich in Anbetracht des aktenkundigen, d.h. widersprüchlichen und inkonsistenten Verhaltens nicht auf den guten Glauben berufen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, wie eine behauptete schwere Hilflosigkeit damit vereinbar sein soll, dass er zur gleichen Zeit habe Auto fahren und selbständig Autopneus einladen und transportieren können etc.
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2.2. Es kann offenbleiben, ob die Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung im Entscheid vom 16. Mai 2012 betreffend die Rückerstattung von unrechtmässig bezogenen Leistungen (Invalidenrente, Hilflosenentschädigung) für die Vorinstanz verbindlich waren. Der Umstand allein, dass sie für die Erlassfrage im Wesentlichen darauf abgestellt hat, verletzt jedenfalls kein Bundesrecht, zumal dem Beschwerdeführer eine den Begründungsanforderungen genügende Bestreitung ohne weiteres möglich war. Seine diesbezüglichen Vorbringen sind indessen nicht geeignet, das Tatsachenfundament des angefochtenen Entscheids als (offensichtlich) unrichtig oder unvollständig erscheinen zu lassen.
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2.2.1. Der Beschwerdeführer begründet seinen guten Glauben hauptsächlich mit seines Erachtens nicht in seinem Machtbereich stehenden bzw. aufgrund seines angeschlagenen Gesundheitszustandes von ihm nicht beeinflussbaren Umständen. So habe nicht er, sondern seine ebenfalls nur ungenügend Deutsch sprechende Ehefrau die Angaben zu seiner Hilfsbedürftigkeit gegenüber der Abklärungsperson gemacht; sie habe auch die Anmeldung und die Fragebogen für die Revision der Invalidenrente/Hilflosenentschädigung ausgefüllt. Die Beschwerdegegnerin habe dies akzeptiert, und zwar auch dann noch, als bereits der Verdacht eines unberechtigten Leistungsbezugs bestanden habe. Sodann habe er im Vertrauen auf die Berichte der ihn behandelnden Ärzte und aufgrund der Tatsache der anstandslosen Ausrichtung der Leistungen im fraglichen Zeitraum von deren Rechtmässigkeit ausgehen dürfen. Jedenfalls könne ihm diesbezüglich nicht grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden.
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2.2.2. Diese Vorbringen, soweit sie über unzulässige appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356) hinausgehen, zeichnen vom Beschwerdeführer ein Bild, das mit den Akten, namentlich mit den Observationsunterlagen und dem Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts X.________ vom 29. Juli 2011 nicht übereinstimmt. Sie äussern sich zudem nicht substanziiert dazu, wie es zusammengeht, dass er gemäss der Anmeldung zum Bezug einer Hilflosenentschädigung vom 17. Februar 2005 nicht in der Lage gewesen sein soll, die Haare zu kämmen, sich selbständig anzuziehen, die Nahrung zu zerkleinern oder sich ohne Aufforderung zu setzen etc., umgekehrt im März xxxx dabei beobachtet wurde, wie er u.a. problemlos Auto fahren und schwere Pneus einladen und transportieren konnte. Diese Diskrepanz ist nicht erklärbar, woran nichts ändert, dass die Observierung letztlich aus Momentaufnahmen besteht. Ebenso wenig kann dem Beschwerdeführer helfen, dass ihn namentlich der Hausarzt in seinen Berichten vom 18. Dezember 2006 und 16. Februar 2010 als gänzlich hilfsbedürftig bezeichnet hatte. Abgesehen davon, dass diese Beurteilung im Wesentlichen auf seinen subjektiven Angaben (und denjenigen seiner Ehefrau) beruhte, musste er selber am besten wissen, dass sein Gesundheitszustand nicht derart schlecht war, dass er selbst in den einfachsten Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen gewesen wäre (Art. 37 Abs. 1 IVV und BGE 127 V 94 E. 3c S. 97). Davon ist auch die Vorinstanz implizit ausgegangen. Der Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik Z.________ vom 23. August bis 21. September 2010 ist insofern nicht von Bedeutung, als er ausserhalb des Rückerstattungszeitraums (1. Dezember 2006 bis 31. Mai 2010) stattfand. Schliesslich vermag er die seines Erachtens sachfremde Berücksichtigung von Strafakten letztlich einzig damit zu begründen, das Verfahren sei ja eingestellt worden. Damit vermag er indessen die vorinstanzliche Beweiswürdigung in diesem Punkt nicht als bundesrechtswidrig, d.h. willkürlich, unhaltbar (BGE 134 V 53 E. 4.3 S. 63) darzutun.
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2.3. Nach dem Gesagten verletzt der angefochten Entscheid kein Bundesrecht, und zwar auch insoweit nicht, als die Vorinstanz das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wegen Aussichtslosigkeit des Prozesses abgewiesen hat. Die Beschwerde ist unbegründet.
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3. |
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 28. Juni 2013
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Kernen
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Der Gerichtsschreiber: Fessler
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