BGer 2C_1124/2012 |
BGer 2C_1124/2012 vom 27.08.2013 |
{T 0/2}
|
2C_1124/2012
|
Urteil vom 27. August 2013 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
|
Bundesrichter Zünd, Präsident,
|
Bundesrichter Donzallaz,
|
Bundesrichter Kneubühler,
|
Gerichtsschreiber Zähndler.
|
Verfahrensbeteiligte |
X.________,
|
Beschwerdeführer,
|
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Kreis,
|
gegen
|
Migrationsamt des Kantons St. Gallen,
|
St. Leonhard-Strasse 40, 9001 St. Gallen,
|
Sicherheits- und Justizdepartement
|
des Kantons St. Gallen,
|
Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen.
|
Gegenstand
|
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung,
|
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 15. Oktober 2012.
|
Sachverhalt: |
A. |
B. |
C. |
D. |
Mit Verfügung vom 15. Juni 2011 weigerte sich das Migrationsamt des Kantons St. Gallen, die Aufenthaltsbewilligung von X.________ erneut zu verlängern und wies ihn aus der Schweiz weg. Es begründete dies mit den strafrechtlichen Verurteilungen, seinen finanziellen Verhältnissen sowie der mangelnden Integration in den Arbeitsprozess. Diesen Entscheid bestätigten das Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 4. Mai 2012 und das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen mit Urteil vom 15. Oktober 2012.
|
E. |
Die Vorinstanz, das Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen sowie das Bundesamt für Migration beantragen die Abweisung der Beschwerde.
|
Mit Verfügungen vom 16. November 2012 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses verzichtet.
|
Erwägungen: |
1. |
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG).
|
Gemäss Art. 43 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) haben ausländische Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren von Personen mit Niederlassungsbewilligung Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen. Ein analoger Anspruch besteht zudem aufgrund des in Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV garantierten Rechts auf Achtung des Familienlebens. Der Beschwerdeführer ist mit einer in der Schweiz niedergelassenen Ausländerin verheiratet und wohnt mit ihr zusammen. Er hat damit einen grundsätzlichen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung. Ob der Anspruch erloschen ist, weil - wie die Vorinstanzen angenommen haben - ein Widerrufsgrund nach Art. 51 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 62 lit. c oder lit. d AuG vorliegt, ist eine Frage der materiellen Beurteilung und nicht der Zulässigkeit des Rechtsmittels (BGE 128 II 145 E. 1.1.5 S. 149 f.).
|
Demgegenüber vermitteln die Art. 30 ff. AuG keinen Rechtsanspruch auf eine Härtefallbewilligung. Soweit der Beschwerdeführer die Erteilung einer solchen Bewilligung beantragt, ist das Rechtsmittel aufgrund der Ausnahmeklausel von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG unzulässig.
|
1.2. Die Beschwerde wurde unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von einer durch die Entscheidung besonders berührten Partei mit einem schutzwürdigen Interesse an deren Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG) eingereicht. Sie richtet sich gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG und Art. 90 BGG). Auf die Beschwerde kann daher grundsätzlich eingetreten werden.
|
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
|
2. |
Die vorinstanzliche Begründung, wonach eine Invalidisierung des Beschwerdeführers dessen finanzielle Lage nicht positiv zu beeinflussen vermöge, erscheint zwar diskutabel, könnte doch eine IV-Rente zusammen mit allfälligen Ergänzungsleistungen die Einkommenssituation des Beschwerdeführers durchaus stabilisieren und dadurch die Gefahr einer weiteren Verschuldung reduzieren. Allerdings kommt der Behörde beim Entscheid über die Sistierung ein erhebliches Ermessen zu (Urteil 2C_157/2008 vom 28. April 2008 E. 2.3.2). Daher verstösst die Verweigerung einer beantragten Sistierung in der Regel nur dann gegen Bundesrecht, wenn sich die Pflicht zur Sistierung aus einer bundesrechtlichen Norm ergibt. Trifft dies nicht zu, verletzt die Ablehnung des Sistierungsbegehrens höchstens dann prozessuale Ansprüche des Antragstellers, wenn die verfügende Behörde ihr Ermessen überschritten oder missbraucht und damit das Willkürverbot verletzt hat. Dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn Zweckmässigkeitsgründe für eine Sistierung sprechen könnten, insbesondere weil das Urteil von der Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit beeinflusst werden kann (vgl. Art. 6 Abs. 1 BZP). Bei dieser Konstellation liegen zwar zureichende Gründe für eine Sistierung vor, sodass dieser Schritt unter dem Gesichtspunkt des Rechtsverzögerungsverbots zulässig wäre; hingegen verpflichtet das Vorliegen solcher Gründe die Behörde nicht zu einer Sistierung (Urteil 2A.80/2005 vom 9. März 2005 E. 2.2.2). Dies gilt vorliegend umso mehr, als ein allfälliger negativer Rentenentscheid vom Beschwerdeführer angefochten werden und die Rechtshängigkeit des Sozialversicherungsprozesses die Fortführung des ausländerrechtlichen Verfahrens dergestalt während einer langen Periode blockieren könnte. Aus diesem Grund hat die Vorinstanz weder gegen das Fairnessgebot verstossen noch den Gehörsanspruch des Beschwerdeführers verletzt, als sie sein Sistierungsgesuch abgewiesen hat.
|
3. |
4. |
4.1. Die Vorinstanz hält fest, beim Beschwerdeführer sei der Widerrufsgrund von Art. 62 lit. d AuG erfüllt, denn seine Verschuldung habe nach der fremdenpolizeilichen Verwarnung im März 2009 bis zum 23. März 2011 um Fr. 28'880.35 zugenommen. Zwar sei richtig, dass in dieser Zeit einige Verlustscheine aus dem Betreibungsregister gelöscht wurden, doch resultiere netto noch immer eine Zunahme der Schuldenlast um Fr. 1'116.75. Zudem sei er seinen Unterhaltspflichten gegenüber seinen Töchtern nicht nachgekommen, was für sich allein bereits einen Verstoss gegen die ihm auferlegten Bedingungen darstelle und somit die Nichtverlängerung der Bewilligung rechtfertige. Ob ihn diesbezüglich ein Verschulden treffe, sei nicht von Belang. Sodann sei auch der Widerrufsgrund von Art. 62 lit. c AuG erfüllt, da der Beschwerdeführer seinen finanziellen Verpflichtungen mutwillig nicht nachgekommen sei: Der Beschwerdeführer habe sich in früheren Jahren unter anderem zur Finanzierung von Spielschulden und zum Kauf von Autos verschuldet und seine Schulden seien selbst dann gestiegen, wenn er kurzzeitig erwerbstätig gewesen sei. Auch nach erfolgter Verwarnung habe er weder Unterhaltszahlungen für seine Töchter noch Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge geleistet. Er habe sich nicht ernsthaft um Arbeit bemüht und die in jüngster Zeit aufgetretene Erkrankung vermöge an dieser Gesamtbeurteilung nichts zu ändern.
|
Die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers ist nach Auffassung der Vorinstanz auch verhältnismässig. Zwar lebe er schon lange in der Schweiz, doch habe er sehr hohe Schulden angehäuft und sich beruflich nicht integrieren können. Er habe bis ins Erwachsenenalter in seinem Heimatland gelebt und werde sich dort auch wieder zurecht finden. Seine verschiedenen Krankheiten könnten auch dort behandelt werden, und es sei nicht nachgewiesen, dass er "ein Pflegefall" sei. Schliesslich seien auch seine verschiedenen Straftaten und Übertretungen in Betracht zu ziehen. Ein unzulässiger Eingriff in das Familienleben liege nicht vor, denn der Gattin des Beschwerdeführers wäre es zuzumuten, ihm in ihr gemeinsames Heimatland zu folgen; falls sie es vorziehe, in der Schweiz zu verbleiben, könnten die beiden auch mittels Besuchen, Telefonaten usw. Kontakt zueinander halten.
|
4.2. Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, für einen allfälligen Widerrufsgrund seiner Aufenthaltsbewilligung könne nur sein Verhalten seit der Verwarnung im März 2009 massgeblich sein. Es gehe nicht an, ihm im Frühling 2009 die Aufenthaltsbewilligung provisorisch zu verlängern und sich dann für die Begründung des Widerrufs auf frühere Vorkommnisse abzustützen. Er habe alle Bedingungen eingehalten, die ihm in der Verwarnung auferlegt worden seien. Zwar seien seine Schulden um Fr. 1'116.75 gestiegen, doch sei dieser Betrag sehr gering und es treffe ihn daran kein Verschulden. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz habe er im massgeblichen Zeitpunkt keine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Töchtern mehr gehabt, denn diese seien damals beide volljährig gewesen. Er sei seit der Verwarnung auch nicht mehr straffällig geworden. Zudem seien in den letzten Jahren Schuldscheine gelöscht worden. Er habe seine Schulden nicht weiter abbauen können, weil er arbeitslos gewesen sei. Dies sei ihm nicht anzulasten, da er zwei Herzinfarkte erlitten habe; sein angeschlagener Gesundheitszustand sei durch zahlreiche Arztberichte gut dokumentiert. Dennoch habe er sich intensiv um eine Arbeitsstelle bemüht. Trotz Arbeitslosigkeit hätten er und seine Gattin seit der Verwarnung bloss während zwei Monaten, im Herbst 2009, Sozialhilfe bezogen. Hinsichtlich des Widerrufstatbestands von Art. 62 lit. c AuG hält der Beschwerdeführer ausserdem fest, dieser sei auch deshalb nicht erfüllt, weil er nicht mutwillig gegen finanzielle Verpflichtungen verstossen habe. Die Autos, die er gekauft habe, habe er jeweils für den Arbeitsweg benötigt.
|
5. |
Vorliegend ist unbestritten, dass zwischen der Verwarnung vom 18. März 2009 und der verfügten Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung am 15. Juni 2011 im Betreibungsregister des Beschwerdeführers neue Verlustscheine über rund Fr. 28'000.-- eingetragen wurden. Der Beschwerdeführer beruft sich in diesem Zusammenhang auf die gleichzeitig erfolgte Löschung von Verlustscheinen über mehr als Fr. 27'000.--, weshalb sich lediglich ein Neuverschuldungssaldo von Fr. 1'116.75 ergebe. Indessen erscheint fraglich, ob der Beschwerdeführer aus dem letztgenannten Umstand etwas für sich herleiten kann, denn es ist sachverhaltlich nicht erstellt, wie diese Löschungen zustande gekommen sind. Insbesondere ist unklar, ob es dabei bloss um verjährte Forderungen gegangen war, denen keine Tilgung zugrunde gelegen hatte (vgl. Art. 149a SchKG), oder ob die Reduktion der Schuldenlast auf eigene Bemühungen des Beschwerdeführers, d.h. auf Rückkäufe der Verlustscheine mit eigenen finanziellen Mitteln zurückzuführen war.
|
Die Klärung dieses Punktes erweist sich für die Beurteilung der vorliegenden Angelegenheit als wesentlich: Ist die Reduktion der im Betreibungsregister aufgeführten Verlustscheine auf eigene Anstrengungen des Beschwerdeführers zurückzuführen, so wäre die Nichtverlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung einzig aufgrund einer Nettoneuverschuldung von Fr. 1'116.75 unverhältnismässig. Erfolgte der Wegfall der genannten Verlustscheine dagegen ohne Zutun des Beschwerdeführers (sondern etwa aufgrund der eingetretenen Verjährung) stände dagegen fest, dass dieser sein Finanzgebaren nicht wie vom Ausländeramt verlangt signifikant geändert hätte: Bis zur Verwarnung am 18. März 2009 wuchs der Schuldenberg während gut 20 Jahren auf rund Fr. 300'000.--, was im Schnitt einer Verschuldung von rund Fr. 15'000.-- pro Jahr entspricht. Wenn nun zwischen der Verwarnung vom 18. März 2009 und der Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung am 15. Juni 2011 neue Verlustscheine über ca. Fr. 28'000.-- (d.h. rund Fr. 14'000.--/Jahr) ergingen, ohne dass dieser Neuverschuldung aus eigener Kraft getätigte Rückzahlungen des Beschwerdeführers gegenüber ständen, so wäre erstellt, dass er trotz fremdenpolizeilicher Verwarnung in unverändertem Ausmass weiter über seine Verhältnisse und auf Kosten anderer leben würde, was einen weiteren Verbleib in der Schweiz ausschlösse.
|
Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Angelegenheit zur Prüfung dieses Punktes und zur entsprechenden Ergänzung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen.
|
6. |
Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1.
|
2.
|
3.
|
4.
|
5.
|
Lausanne, 27. August 2013
|
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
|
des Schweizerischen Bundesgerichts
|
Der Präsident: Zünd
|
Der Gerichtsschreiber: Zähndler
|