BGer 1B_30/2014
 
BGer 1B_30/2014 vom 31.01.2014
{T 0/2}
1B_30/2014
 
Urteil vom 31. Januar 2014
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Störi.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Kenad Melunovic,
gegen
Staatsanwaltschaft Baden, Täfernhof, Mellingerstrasse 207, 5405 Dättwil.
Gegenstand
Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug,
Beschwerde gegen die Verfügung vom 16. Januar 2014 des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, Präsident.
 
Sachverhalt:
A. Die Staatsanwaltschaft Baden liess X.________ am 18. April 2011 wegen des Verdachts auf qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und qualifizierte Geldwäscherei festnehmen. Sie befindet sich seither in Untersuchungshaft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug.
B. Mit Beschwerde vom 20. Januar 2014 beantragt X.________, sie unverzüglich aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu entlassen. Ausserdem beantragt sie, sie sei im Sinne einer vorsorglichen Massnahme sofort - vor Abschluss des bundesgerichtlichen Verfahrens - zu entlassen. Eventuell sei sie unter Anordnung von geeigneten Ersatzmassnahmen (Schriftensperre, Meldepflicht etc.) aus der Haft zu entlassen. Ausserdem ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
C. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf Vernehmlassung. Das Obergericht beantragt, das Gesuch um Erlass einer vorsorglichen Massnahme abzuweisen.
Die Beschwerdeführerin hat auf eine Replik verzichtet.
 
Erwägungen:
1. Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Haftentscheid des Obergerichts. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben. Der Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Haftentlassung ist zulässig (BGE 132 I 21 E. 1). Die Beschwerdeführerin ist durch die Verweigerung der Haftentlassung in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen und damit zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Sie macht die Verletzung von Bundesrecht geltend, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde eingetreten werden kann.
2. Sicherheitshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen sowie Fluchtgefahr besteht (Art. 221 Abs. 1 StPO). Unbestritten und aufgrund der erstinstanzlichen Verurteilung erstellt ist der dringende Tatverdacht. Für das Obergericht besteht zudem als besonderer Haftgrund Fluchtgefahr.
Für die Annahme von Fluchtgefahr genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich allein nicht. Eine solche darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3; 107 Ia 3 E. 6; Urteil 1B_353/2013 vom 4. November 2013 E. 4.1).
 
3.
3.1. Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen von Fluchtgefahr. Ihr Bezug zu ihrem Heimatland Serbien sei so schwach, dass sie nicht dorthin flüchten würde, zumal sie ihre beiden schulpflichtigen Kinder niemals in der Schweiz zurücklassen würde. Vor allem aber habe sie die ihr Ende 2013/Anfang 2014 gewährten Urlaube nicht zur Flucht missbraucht und damit den "Tatbeweis" erbracht, sich dem weiteren Strafverfahren nicht entziehen zu wollen.
3.2. Das Bundesgericht hatte sich bereits im Urteil 1B_18/2012 vom 27. Januar 2012 mit der Frage zu beschäftigen, ob im Fall der Beschwerdeführerin Fluchtgefahr bestehe. Es hat dies in Anbetracht der Höhe der drohenden Freiheitsstrafe und des ausgeprägten Auslandbezugs der Beschwerdeführerin - sie spricht fliessend serbisch und hat verwandtschaftliche Kontakte in ihre Heimat, hat einen Halbbruder in Deutschland und selber mehrere Jahre in Österreich gelebt - bejaht. Daran hat sich grundsätzlich nichts geändert. Es stellt sich daher nur die Frage, ob die seither eingetretenen Entwicklungen - insbesondere die erstinstanzliche Verurteilung, die Dauer der erstandenen Haft und der Umstand, dass sie die Hafturlaube nicht zur Flucht nutzte - zu einer anderen Beurteilung führen.
3.3. Der Beschwerdeführerin droht, da die Staatsanwaltschaft keine Berufung erhoben hat, nach dem erstinstanzlichen Urteil eine Freiheitsstrafe von maximal 5 ½ Jahren (Art. 391 Abs. 2 StPO); davon wird sie im Zeitpunkt dieses bundesgerichtlichen Urteils rund 2 Jahre und 10 Monate erstanden haben. Die Möglichkeit der bedingten Entlassung nach zwei Dritteln der Strafe bzw. 3 Jahren und 8 Monaten bzw. Ende 2014 (Art. 86 Abs. 1 StGB) ist zwar nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bei der Beurteilung der Frage, ob Überhaft drohe, grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (BGE 133 I 270 E. 3.4.2. S. 281 f. mit Hinweisen). Allerdings sinkt naturgemäss der Fluchtanreiz umso mehr, je näher die erstandene Haft an diese zwei Drittel-Grenze herankommt, jedenfalls wenn eine bedingte Entlassung wie hier aufgrund des offenbar bisher klaglosen Verhaltens der Beschwerdeführerin im Vollzug nicht unwahrscheinlich erscheint.
3.4. Gegen das Vorliegen einer relevanten Fluchtgefahr spricht klarerweise auch die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin die ihr gewährten Urlaube nicht zur Flucht missbrauchte. Allerdings bietet dieser Umstand keine Gewähr dafür, dass sie sich in Freiheit - z.B. weil sie mehr Zeit für die Organisation einer Flucht hätte - nicht anders besinnen und versuchen würde, sich dem Vollzug des allfälligen Strafrests von immerhin einigen Monaten Dauer zu entziehen. Dies auch im Hinblick darauf, dass sie sich nicht sicher sein kann, ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu behalten.
3.5. Somit ergibt sich zusammenfassend, dass die Fluchtgefahr im Vergleich zum ersten in dieser Sache ergangenen Bundesgerichtsentscheid stark abgenommen hat und sich mit fortdauernder Haft weiter abschwächt. Nach wie vor Geltung beanspruchen kann allerdings die Feststellung, dass sie durch Ersatzmassnahmen - wie etwa eine Schriftensperre - nicht weiter gesenkt werden kann. In Würdigung aller Umstände und auch im Hinblick auf die in Kürze bevorstehende Berufungsverhandlung - sie soll vor April 2014 stattfinden - lässt es sich bis längstens Ende März 2014 rechtfertigen, Fluchtgefahr als besonderen Haftgrund aufrechtzuerhalten.
4. Die Beschwerde erweist sich somit als (zurzeit) unbegründet und ist im Sinne der Erwägungen abzuweisen. Mit dem Urteil in der Sache wird das Gesuch um Haftentlassung als vorsorgliche Massnahme gegenstandslos. Es war im Übrigen ohnehin unbehelflich, kann doch nicht vorsorglich verlangt werden, was erst mit der Beschwerde selber zu erreichen ist.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen:
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
2.2. Rechtsanwalt Kenad Melunovic, wird für das bundesgerichtliche Verfahren als amtlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der Kasse des Bundesgerichts entschädigt.
3. Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft Baden und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, Präsident, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 31. Januar 2014
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Störi