BGer 2C_455/2013
 
BGer 2C_455/2013 vom 31.01.2014
{T 0/2}
2C_455/2013
 
Urteil vom 31. Januar 2014
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler,
Bundesrichter Kneubühler,
Gerichtsschreiber Zähndler.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Karl Spühler
und Rechtsanwältin Julia Gschwend,
gegen
Veterinäramt des Kantons Thurgau, Spannerstrasse 22, 8510 Frauenfeld,
Departement für Inneres und Volkswirtschaft
des Kantons Thurgau, Verwaltungsgebäude, 8510 Frauenfeld.
Gegenstand
Widerhandlung gegen Vorschriften der Tierschutz- und Hundegesetzgebung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 27. März 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
In der Folge beschwerte sich X.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau. Mit Urteil vom 27. März 2013 wies dieses die Beschwerde ebenfalls ab.
 
C.
Mit Schreiben vom 13. November 2013 lädt das Bundesgericht schliesslich das Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) zur Vernehmlassung ein. Dieses nimmt in der Folge am 12. Dezember 2013 zur Angelegenheit Stellung. Mit Eingabe vom 8. Januar 2014 äussert sich die Beschwerdeführerin zur Stellungnahme des BVET und beantragt erneut die Gutheissung der ursprünglichen Anträge. Mit separaten Schreiben vom 14. Januar 2014 geben sowohl das kantonale Veterinäramt als auch das Departement für Inneres und Volkswirtschaft des Kantons Thurgau bekannt, dass sie nach wie vor die Abweisung der Beschwerde beantragen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau äussert sich nicht zur Vernehmlassung des BVET.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid eines oberen Gerichts in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, die unter keinen Ausschlussgrund gemäss Art. 83 BGG fällt und daher mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden kann (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG zur Ergreifung dieses Rechtsmittels legitimiert.
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Indes prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 BGG; vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 245 f.), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rügepflicht: Das Bundesgericht prüft solche Rügen nur, wenn sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden sind (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254; 133 IV 286 E. 1.4 S. 287). Auf ungenügend begründete Rügen und bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246).
1.3. Das Bundesgericht stellt grundsätzlich auf den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt ab (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diese Sachverhaltsfeststellungen können vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Die Rüge, der Sachverhalt sei offensichtlich unrichtig festgestellt worden, ist gleichbedeutend mit der Willkürrüge und muss daher gemäss den Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG in der Beschwerdeschrift begründet werden (BGE 133 II 249 E. 1.2.2 und E. 1.4.3 S. 252 ff.; 134 II 349 E. 3 S. 351 f.). Vorausgesetzt ist zudem, dass die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
 
2.
Ob diese formalen Rügen der Beschwerdeführerin zutreffen bzw. inwieweit die gestellten Beweisanträge überhaupt geeignet sind, rechtserhebliche Erkenntnisse zu gewinnen, kann im vorliegenden Fall offen bleiben, zumal sich die Beschwerde nach der heute geltenden Rechtslage jedenfalls in materieller Hinsicht als begründet erweist, wie die nachfolgenden Erwägungen zeigen.
 
3.
3.1. Art. 76 Abs. 2 der Tierschutzverordnung vom 23. April 2008 (TschV; SR 455.1; in Kraft seit 1. September 2008) lautet wie folgt:
3.2. Die Beschwerdeführerin bestreitet dagegen, dass es sich beim fraglichen Elektrozaun um ein "Gerät" i.S.v. Art. 76 Abs. 2 TschV handelt: Die Installation messe ca. 40 x 60 Meter und bestehe aus vielen einzelnen Teile wie Verstrebungen, Haltestangen und Isolatoren. Eine derartige Anlage sei eindeutig kein Gerät, sondern vielmehr etwas "Käfigartiges". Unter "Geräten" i.S.v. Art. 76 Abs. 2 TschV seien historisch betrachtet nur die bei Ausbildung und Dressur verwendeten stromführenden Halsbänder, Fussfesseln und dergleichen zu verstehen. Falls der Verordnungsgeber beabsichtigt hätte, elektrische Zaunsysteme ebenfalls zu verbieten, so wäre angesichts der hohen Regelungsdichte und der hohen Detaillierung in der Tierschutzverordnung eine ausdrückliche Regelung zu erwarten gewesen.
3.3. Entscheidend und durch Auslegung zu klären ist somit, ob die im Streit liegende Installation als verbotenes elektrisierendes Gerät i.S.v. Art. 76 Abs. 2 TschV zu bezeichnen ist. Die Materialien zu dieser Bestimmung erweisen sich als wenig ergiebig: Aus den letztmals am 6. Dezember 2010 überarbeiteten "Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen der neuen Tierschutzverordnung" des BVET geht einzig hervor, dass die vormaligen (d.h. vor dem 1. September 2008 bestehenden) Ausnahmen für die unsichtbaren elektrisierenden Zaunsysteme gestrichen wurden und solche Installationen seither verboten sind; gemäss der Vernehmlassung des BVET handelt es sich bei den unsichtbaren Zaunsystemen um im Boden vergrabene Drähte, die beim Überqueren ein am Körper des Hundes angebrachtes Empfängergerät aktivieren, welches dem Tier einen Stromstoss versetzt. Zu anderen Zaunsystemen äussern sich die Erläuterungen des BVET nicht; namentlich bringen sie auch nicht zum Ausdruck, dass diesbezüglich nach wie vor Ausnahmen bestehen würden. Somit liesse sich diesbezüglich sowohl ein Analogieschluss rechtfertigen (generelles Verbot von elektrischen Zäunen, da keine explizite Ausnahme für oberirdische, sichtbare Zäune besteht) als auch ein Umkehrschluss begründen (oberirdische, sichtbare Zäune bleiben erlaubt, da nur die Ausnahmen für die unsichtbaren Zäune gestrichen wurden).
3.4. Indessen wurde die Tierschutzverordnung mit Änderung vom 23. Oktober 2013, in Kraft seit 1. Januar 2014, u.a. wie folgt ergänzt:
Art. 35 Abs. 5 TschV
Die genannte Bestimmung ist im Kapitel über die Haustiere bei den allgemeinen Bestimmungen aufgeführt und folglich auch für Hunde anwendbar. Dass die Auslauffläche im hier zu beurteilenden Fall ausreichend gross ist, wird von keiner Seite bestritten und kann angesichts der Abmessungen von ca. 40 x 60 Metern als erstellt gelten. Nicht zu folgen ist dem kantonalen Veterinäramt sowie dem thurgauischen Departement für Inneres und Volkswirtschaft insoweit, als diese Behörden -ebenfalls unter Hinweis auf eine Stellungnahme des BVET - die Auffassung vertreten, aufgrund des Abstandes von 30 cm zum Zaun seien die beiden stromführenden Drähte nicht mehr als Teil der Umzäunung, sondern als eigenständiges, für die Hunde nicht sichtbares Gerät zu betrachten: Die stromführende, oberirdisch verbaute und mindestens 60 cm hohe Drahtinstallation verläuft deckungsgleich mit der Aussenumzäunung und erscheint als Bestandteil bzw. als Erweiterung derselben. Insofern ist es ausreichend, dass die Hunde die Umzäunung als Ganzes wahrnehmen und die mit einer Berührung verbundene unangenehme Erfahrung der Annäherung an den Zaun zuordnen können.
3.5. Somit steht fest, dass die im Streit liegende stromführende Umzäunung jedenfalls seit dem 1. Januar 2014 zulässig ist. Da die Anlage gegenwärtig noch montiert ist, drängt es sich auf, den hier vorliegenden zeitlich offenen Dauersachverhalt nach der heute geltenden Rechtslage zu beurteilen: Falls die Beschwerde nach der bis zum 31. Dezember 2013 in Kraft gewesenen Fassung der Verordnung abzuweisen gewesen wäre - was an dieser Stelle offen bleiben kann -, so hätte dies eine Verpflichtung zum Rückbau zur Folge, obschon die gleiche Anlage sogleich neu erstellt werden dürfte. Eine solche Verpflichtung erschiene jedoch a priori als sinn- und zwecklos und mithin auch als unverhältnismässig.
 
4.
Bei diesem Verfahrensausgang werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Der Kanton Thurgau hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen. Da die Rechtslage und infolgedessen der mutmassliche Prozessausgang zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und des vorinstanzlichen Urteils als offen zu bezeichnen gewesen wäre (vgl. E. 3.3 und E. 3.5 hiervor), rechtfertigt es sich indes, die Parteientschädigung zu reduzieren (Art. 68 Abs. 1 BGG). Aus demselben Grund besteht für das Bundesgericht auch keine Veranlassung, die Kosten des vorangegangenen Verfahrens anders zu verteilen (Art. 67 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. 
2. 
3. 
4. 
Lausanne, 31. Januar 2014
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Der Gerichtsschreiber: Zähndler