BGer 4A_288/2014
 
BGer 4A_288/2014 vom 06.08.2014
{T 0/2}
4A_288/2014
 
Urteil vom 6. August 2014
 
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Kiss, Niquille,
Gerichtsschreiber Kölz.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
B.________ AG,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Vergleich, Rechtskraft,
Beschwerde gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer, vom 13. März 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
Am 19. (bzw. 21.) September 2011 reichte A.________ (Kläger, Beschwerdeführer) gegen die B.________ AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) eine Klage beim Handelsgericht des Kantons Aargau ein. Er verlangte die Zusprechung von EUR 80'000.-- nebst Zins sowie Auskunftserteilung über provisionsrelevante wirtschaftliche Erfolge im Zusammenhang mit dem "Beratungsvertrag" vom 6. Februar 2007. Am 4. September 2012, anlässlich der Instruktionsverhandlung, schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich ab. Dieser lautete wie folgt:
"1. Der Kläger verpflichtet sich, dem Beklagten innert 7 Tagen nach Unterzeichnung dieser Vergleichsvereinbarung den Modulprotoypen inkl. Zubehör auszuhändigen. Dieser wird von der Beklagten abgeholt.
2. Die Beklagte verpflichtet sich, bis spätestens 3 Tage nach Abholung des Modulprototypen dem Kläger EUR 24'000.00 zu bezahlen. C.________ übernimmt die solidarische Haftung für die Bezahlung dieses Betrages.
3. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger während fünf Jahren ab Unterzeichnung der Vergleichsvereinbarung ein Mal pro Jahr schriftlich Auskunft darüber zu erteilen, ob sich aus dem Vertrag vom 6. Februar 2007 provisionsrelevante Zahlungen ergeben haben, erstmals per Ende 2013.
4. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.00 werden von der Klägerin und der Beklagten je zur Hälfte getragen.
5. Die Parteikosten werden wettgeschlagen.
6. Die Parteien erklären sich als per Saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt, vorbehältlich Provisionsansprüche aus dem Vertrag vom 6. Februar 2007."
 
B.
Mit Klage vom 1. Juli 2013 beantragte der Kläger dem Handelsgericht des Kantons Aargau, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm den Betrag von EUR 85'000.00 nebst Zins zu 5 % seit dem 6. Juli 2010 zu bezahlen. In der Klageantwort beantragte die Beklagte, "das Verfahren einzustellen", da es sich "inhaltlich um das gleiche Verfahren" handle "wie das abgeschlossene HOR.2011.41". Daraufhin wurde das Verfahren vom Instruktionsrichter auf die Frage der abgeurteilten Sache (res iudicata) beschränkt.
 
C.
Der Kläger beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Handelsgerichts vom 13. März 2014 aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Erwägungen:
 
1.
Der angefochtene Entscheid des Handelsgerichts ist ein verfahrensabschliessender Endentscheid gemäss Art. 90 BGG. Gegen Entscheide der als einzige kantonale Instanzen im Sinne von Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG urteilenden Handelsgerichte (Art. 6 ZPO) ist die Beschwerde an das Bundesgericht streitwertunabhängig gegeben (BGE 139 III 67 E. 1.2).
 
2.
2.1. Materielle Rechtskraft bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, dass ein zwischen zwei Parteien ergangenes Urteil in einem späteren Prozess verbindlich ist. In positiver Hinsicht bindet die materielle Rechtskraft das Gericht in einem späteren Prozess an alles, was im Urteilsdispositiv des früheren Prozesses festgestellt wurde (sog. Präjudizialitäts- oder Bindungswirkung). In negativer Hinsicht verbietet die materielle Rechtskraft jedem späteren Gericht, auf eine Klage einzutreten, deren Streitgegenstand mit dem rechtskräftig beurteilten identisch ist, sofern der Kläger nicht ein schutzwürdiges Interesse an der Wiederholung des früheren Entscheids geltend machen kann (BGE 139 III 126 E. 3.1 mit Hinweisen). In diesem Sinn ist in Art. 59 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. e ZPO vorgesehen, dass das Gericht auf eine Klage nicht eintritt, wenn die Sache bereits rechtskräftig entschieden ist.
2.2. Der gerichtliche Vergleich hat die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids (Art. 241 Abs. 2 ZPO; siehe BGE 139 III 133 E. 1.3).
 
3.
3.1. Gemäss dem angefochtenen Urteil hatten beide Klagen den Provisions- bzw. Schadenersatzanspruch aus dem Vertrag vom 6. Februar 2007 zwischen den Parteien zum Gegenstand. Die Vorinstanz folgerte daraus, die Ansprüche basierten auf demselben Rechtsgrund und Sachverhalt, und demnach sei das Tatsachenfundament identisch.
3.2. Die Vorinstanz legte den Vergleich aus:
 
4.
Der Beschwerdeführer rügt eine bundesrechtswidrige Auslegung des Vergleichs.
4.1. In erster Linie tritt er der Annahme entgegen, dass nur 
4.2. Ferner bringt der Beschwerdeführer vor, unter "alle Ansprüche" in der Saldoklausel hätten die Parteien diejenigen verstehen dürfen und müssen, die er mit der ersten Teilklage geltend gemacht habe, d.h. die Bezahlung einer Teilsumme von EUR 80'000.00 und die Auskunftserteilung. Nur über diese Ansprüche sei mit dem Vergleich eine Streiterledigung bezweckt gewesen.
4.2.1. Die Möglichkeit, in einen gerichtlichen Vergleich auch von der Klage nicht erfasste, ausserhalb des Verfahrens liegende Streitfragen einzubeziehen, wird in der Lehre befürwortet (siehe Killias, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 12 zu Art. 241 ZPO; Steck, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 22 zu Art. 241 ZPO). Sie ist in Art. 201 Abs. 1 ZPO für das Schlichtungsverfahren ausdrücklich vorgesehen, besteht aber auch in Vergleichsverhandlungen vor Gericht.
4.2.2. Der Auffassung des Beschwerdeführers hielt die Vorinstanz zu Recht entgegen, dass die Parteien in Ziffer 1 des Vergleichs gerade ausdrücklich Ansprüche regelten (Rückgabe des Modulprototypen), die nicht Gegenstand der ersten Teilklage waren, und damit zum Ausdruck brachten, dass sie ihr ungewisses bzw. streitiges Rechtsverhältnis mit dem Vergleich insgesamt regeln wollten.
4.3. Nach dem Gesagten ist die normative Auslegung durch die Vorinstanz, wonach der gerichtliche Vergleich vom 4. September 2012 sämtliche Ansprüche aus dem Vertrag vom 6. Februar 2007 (mit Ausnahme allfälliger zukünftiger Provisionsansprüche) betraf, bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
 
5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnerin ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (vgl. BGE 133 III 439 E. 4 S. 446).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. August 2014
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Klett
Der Gerichtsschreiber: Kölz