BGer 1B_213/2014
 
BGer 1B_213/2014 vom 27.08.2014
{T 0/2}
1B_213/2014
 
Urteil vom 27. August 2014
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.
 
Verfahrensbeteiligte
1. A.________,
Beschwerdeführer 1,
vertreten durch Rechtsanwalt Ivo Doswald,
2. B.________,
Beschwerdeführer 2,
gegen
Armin  Steinmann, Statthalter, c/o Statthalteramt Horgen, Seestrasse 124, 8810 Horgen,
Beschwerdegegner,
Statthalteramt des Bezirkes Horgen, Bezirksgebäude, Seestrasse 124, Postfach, 8810 Horgen.
Gegenstand
Strafverfahren, Ausstand,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 7. Mai 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
Der Statthalter des Bezirks Horgen, Armin Steinmann, führt gegen A.________, Geschäftsführer mit Einzelunterschrift der U.________ GmbH, sowie gegen die U.________ GmbH ein Strafverfahren wegen Verstosses gegen das Lotteriegesetz. Sie stehen im Verdacht, durch illegale Sportwetten Umsätze in Millionenhöhe erzielt zu haben. Beide werden durch Rechtsanwalt B.________ vertreten.
Am 13. Januar 2014 lehnte Statthalter Steinmann ein von A.________, der U.________ GmbH und Rechtsanwalt Doswald gegen ihn gestelltes Ablehnungsbegehren ab.
Am 16. Januar 2014 eröffnete Statthalter Steinmann eine Strafuntersuchung gegen Rechtsanwalt Doswald wegen Widerhandlung gegen das Lotteriegesetz. Daraufhin forderte Rechtsanwalt Doswald Statthalter Steinmann erneut auf, in den Ausstand zu treten.
Am 13. Februar 2014 beantragten A.________ und Rechtsanwalt Doswald beim Obergericht, Statthalter Steinmann in den Ausstand zu versetzen.
Am 7. Mai 2014 wies das Obergericht das Ausstandsgesuch gegen Statthalter Steinmann für beide Strafverfahren ab.
 
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragen A.________ und Rechtsanwalt Doswald, diesen Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Weisung, den Ausstand von Statthalter Steinmann für die beiden Strafverfahren anzuordnen. Ausserdem ersuchen sie, ihrer Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Statthalter Steinmann beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen.
 
C.
Am 4. Juli 2014 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab.
 
Erwägungen:
 
1.
Der angefochtene Entscheid schliesst die Strafverfahren gegen die Beschwerdeführer nicht ab, er ermöglicht vielmehr deren Weiterführung. Es handelt sich um einen selbstständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig ist. Als Beschuldigte sind die Beschwerdeführer zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.
 
2.
Nach Art. 29 Abs. 1 BV kann ein Staatsanwalt oder ein in einem Übertretungsverfahren diese Funktion ausübender Statthalter abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die nach objektiven Gesichtspunkten geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken (BGE 127 I 196 E. 2b S. 198 f. mit Hinweisen). Der Unvoreingenommenheit des Untersuchungsrichters kann unter gewissen Gesichtspunkten zwar eine ähnliche Bedeutung zukommen wie der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Die Grundsätze von Art. 30 Abs. 1 BV dürfen jedoch nicht unbesehen auf nicht richterliche Behörden bzw. auf Art. 29 Abs. 1 BV übertragen werden (vgl. BGE 125 I 119 E. 3b S. 124; 125 I 209 E. 8 S. 217; Urteil 1B_56/2008 vom 24. Juni 2008 E. 4).
Von Untersuchungsrichtern sind Sachlichkeit, Unbefangenheit und Objektivität namentlich insofern zu erwarten, als sie sich vor Abschluss der Untersuchung grundsätzlich nicht darauf festlegen sollen, ob dem Beschuldigten ein strafbares Verhalten zur Last zu legen oder ein strafbares Verhalten auszuschliessen sei. Auch haben sie den entlastenden Indizien und Beweismitteln ebenso Rechnung zu tragen wie den belastenden (vgl. BGE 124 I 274 E. 3e S. 282; Urteil 1B_56/2008 vom 24. Juni 2008 E. 4; HAUSER/SCHWERI / HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 26 Rz. 12). So können Staatsanwälte oder Untersuchungsrichter abgelehnt werden, wenn Umstände wie etwa strafprozessual unzulässige vorverurteilende Äusserungen vorliegen, welche nach objektiven Gesichtspunkten geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken (BGE 112 Ia 142 E. 2d S. 148; Urteile 1P.709/2005, E. 3.2). Es kann indessen vorkommen, dass sich die Untersuchungsbehörden in Erfüllung ihrer Aufgaben bereits vor Abschluss des Verfahrens in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zum Gegenstand der Untersuchung zu äussern haben; dabei kommen sie nicht umhin, die aufgrund des jeweiligen Verfahrensstands vorläufig gebildete Meinung offenzulegen. Diesfalls kann und muss vorausgesetzt werden, dass der Untersuchungsrichter in der Lage ist, seine Beurteilung des Prozessstoffs entsprechend dem jeweils neuesten Stand des Verfahrens ständig neu zu überprüfen und allenfalls zu revidieren. Unter diesen Umständen vermag eine auf den aktuellen Verfahrensstand abgestützte vorläufige Beurteilung und Bewertung keine Vorverurteilung oder Befangenheit zu begründen (vgl. BGE 127 I 196 E. 2d S. 200; Urteil des Bundesgerichts 1B_155/2008 vom 13. November 2008 E. 2.5).
In der Regel vermögen allgemeine Verfahrensmassnahmen, seien sie nun richtig oder falsch, als solche keine Voreingenommenheit der verfügenden Justizperson zu begründen. Soweit konkrete Verfahrensfehler eines Untersuchungsrichters beanstandet werden, sind in erster Linie die entsprechenden Rechtsmittel zu ergreifen. Als Ablehnungsgrund fallen nur besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Versäumnisse und Mängel in Betracht (vgl. die Rechtsprechung zu Art. 30 Abs. 1 BV: BGE 125 I 119 E. 3e S. 124; 115 Ia 400 E. 3b S. 404; 114 Ia 153 E. 3b/bb S. 158; Urteil 1B_60/2007 vom 21. September 2007 E. 3; Urteile 1B_224/2010 vom 11. Januar 2011 E. 4.5; 1B_283/2010 vom 7. Oktober 2010 E. 2).
 
3.
3.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, sie seien zunächst durch "geringfügige Verhaltensauffälligkeiten" des Statthalters "irritiert" worden. So habe er ihnen am 15. November 2011 aus "kleinlichen Gründen", d.h. wegen Verspätung, die Siegelung verweigert, was dann vom Bundesgericht korrigiert worden sei (Urteil 1B_309/2012 vom 6. November 2012). In seinem Entsiegelungsgesuch vom 14. Dezember 2012 habe er dann versucht, ihnen das rechtliche Gehör zu verweigern; er habe angezweifelt, dass es sich beim Beschwerdeführer 2 um den langjährigen Anwalt des Beschwerdeführers 1 handle und ihnen in diesem Zusammenhang eine Schutzbehauptung, "mithin und abseits von Juristendeutsch - eine Lüge", vorgeworfen. Eine Aufforderung des Beschwerdeführers 2 vom 21. November 2011, einen beschwerdefähigen Entscheid betreffend Verfügungssperre über diverse Konti zu erlassen, habe der Beschwerdegegner unbeantwortet gelassen. Vor diesem Hintergrund erwecke der Statthalter subjektiv den Eindruck der Voreingenommenheit (Beschwerde Ziff. 2.1 S. 8 f.). Zwar könne nicht bereits aufgrund dieser kumulierter Versäumnisse des Beschwerdegegners und aufgrund von subjektivem Empfinden auf Befangenheit geschlossen werden, aber sicher dann, wenn er durch seine Amtshandlungen objektiv den Anschein erwecke, sich von sachfremden Motiven leiten zu lassen. Das sei der Fall bei der Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer 2.
Dem Statthalter sei seit dem 24. November 2011, als ihm der Bericht des Sachverständigen E.________ zum E-Mail-Verkehr in ausgedruckter Form vorgelegen habe, bekannt gewesen, dass sich die beiden Beschwerdeführer "über Wetten ausgetauscht" hätten. Er habe im Wissen um diese (kompromittierenden) E-Mails zunächst gut zwei Jahre nichts unternommen und dann ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer 2 eröffnet, unmittelbar nachdem dieser ein Ablehnungsgesuch gegen ihn gestellt habe. Das zeige, dass es ihm dabei um eine Retourkutsche bzw. um die Zügelung des Verteidigers gegangen sei, und nicht um dessen ernsthafte Verfolgung wegen ohnehin beinahe verjährter Übertretungen. Der Beschwerdegegner habe diese Strafuntersuchung somit aus einem offensichtlich sachfremden Motiv eröffnet, was ihn objektiv als befangen erscheinen lasse.
3.2. Erhält ein Beschuldiger Kenntnis von einem Ablehnungsgrund gegen den das Verfahren führenden Statthalter, so hat er ihn nach Treu und Glauben innert kurzer Frist geltend zu machen. Die Beschwerdeführer begründen die Ablehnung des Beschwerdegegners daher zu Recht nicht mit den von ihnen als "geringfügige Verhaltensauffälligkeiten" bezeichneten, Jahre zurückliegenden Handlungen bzw. Unterlassungen des Beschwerdegegners.
3.3. Es ist weder bekannt, weshalb der Beschwerdegegner gegen den Beschwerdeführer 2 eine Strafuntersuchung eröffnete, noch warum er das am 16. Januar 2014 tat. Die Eröffnungsverfügung enthält dazu keine Angaben, was rechtens ist, da sie weder begründet werden muss noch anfechtbar ist (Art. 309 Abs. 3 StPO). Über die Gründe, weshalb diese Strafuntersuchung zu diesem Zeitpunkt eröffnet wurde, kann daher - was die Beschwerdeführer auch ausgiebig tun - nur spekuliert werden. Damit lässt sich ein Ablehnungsgesuch nicht mit Erfolg begründen. Die zeitliche Abfolge allein beweist nicht, dass der Beschwerdegegner die Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer 2 nur eröffnete, um ihm wegen des missliebigen Ablehnungsgesuchs im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer 1 eins auszuwischen und ihm die weitere Vertretung des Beschwerdeführers 1 zu erschweren, mithin aus einem sachfremden persönlichen Rachemotiv.
Es steht im Übrigen entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer keineswegs fest, dass dem Statthalter der Inhalt der sichergestellten E-Mails zwischen den beiden Beschwerdeführern, auf denen nach ihrer Mutmassung der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer 2 offenbar beruhen soll, seit dem 24. November 2011 aufgrund des Sachverständigenberichts von E.________ bekannt war. Das Obergericht geht im angefochtenen Entscheid jedenfalls nicht davon aus, und die Behauptung der Beschwerdeführer, dies ergebe sich aus dem erwähnten Bericht, konnte es nicht überprüfen, weil er ihm nicht vorlag (angefochtener Beschluss E. 3.3 S. 8 2. Absatz). Dieser Bericht - Urkunde Nr. 41 gemäss Aktenverzeichnis des Statthalteramts Horgen - fehlt in den Akten, die zurzeit im Verfahren 1B_197/2014 beim Bundesgericht liegen und die, dem Antrag der Beschwerdeführer entsprechend, für das vorliegende Verfahren zugezogen wurden. Nachdem die Beschwerdeführer aber aufgrund des angefochtenen Beschlusses wussten, dass der erwähnte Bericht nicht in den Akten liegt, hätten sie ihn dem Bundesgericht einreichen müssen, um sich mit Erfolg auf ihn zu berufen.
3.4. Die Beschwerdeführer machen geltend, da der Beschwerdegegner im Verfahren gegen den Beschwerdeführer 2 befangen sei, müsse dies auch für das Verfahren gegen den Beschwerdeführer 1 gelten. Nachdem sich das Ablehnungsbegehren gegen den Beschwerdeführer 2 als unbegründet herausgestellt hat, entbehrt diese Folgerung jeder Grundlage.
 
4.
Die Beschwerde ist damit als unbegründet abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Statthalteramt des Bezirkes Horgen und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. August 2014
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Störi