BGer 8C_84/2014
 
BGer 8C_84/2014 vom 14.10.2014
8C_84/2014
{
T 0/2
}
 
Urteil vom 14. Oktober 2014
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Frésard, Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsdienst Integration Handicap,
Beschwerdeführer,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA),
Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung (Prozessvoraussetzung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 19. Dezember 2013.
 
Sachverhalt:
A. A.________ (Jg. 1962) erhielt nach mehreren Unfällen von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) mit Verfügung vom 5. November 2012 eine Invalidenrente auf der Basis einer 10%igen Erwerbsunfähigkeit zugesprochen. Auf die hiegegen erhobene Einsprache ist die SUVA zufolge verspäteter Rechtsmittelergreifung mit Entscheid vom 13. September 2013 nicht eingetreten.
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Einzelrichterentscheid vom 19. Dezember 2013 ab.
C. A.________ lässt beschwerdeweise beantragen, die SUVA sei unter Aufhebung des kantonalen Entscheids zu verpflichten, auf seine Einsprache gegen die Verfügung vom 5. November 2012 einzutreten.
D. Das Bundesgericht hat am 14. Oktober 2014 eine öffentliche Beratung durchgeführt.
 
Erwägungen:
1. 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden.
Weil es im vorliegenden Verfahren um die vorinstanzlich bestätigte Zulässigkeit der Erledigung des Einspracheverfahrens durch die SUVA mittels Nichteintretensentscheids zufolge Rechtsmittelversäumnis und damit um eine rein prozessuale Frage geht, kommt die Ausnahmeregelung in den Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG, wonach das Bundesgericht in Streitigkeiten über die Bewilligung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder der Unfallversicherung nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden ist, nicht zum Zuge. Das Gericht hat seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde zu legen, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 135 V 412 E. 1.2 S. 413 f.).
1.2. Im zur Beurteilung anstehenden Fall ist die grundsätzliche Bindung des Bundesgerichts an die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung von untergeordneter Bedeutung, da diese unbestritten geblieben ist.
2. Mit zutreffenden Ausführungen zu den nach Gesetz (Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 38 und 39 [je Abs. 1] ATSG) und Rechtsprechung (BGE 103 V 63 E. 2a S. 65 f.) geltenden Grundsätzen bei der Berechnung der gegen eine Verfügung des Unfallversicherers gegebenen 30-tägigen Einsprachefrist und den Voraussetzungen für die Wiederherstellung einer versäumten Rechtsmittelfrist (Art. 41 ATSG; BGE 114 II 181 E. 2 S. 182 f.; vgl. auch ZAK 1989 S. 222 f. E. 2a) ist das kantonale Gericht zum Ergebnis gelangt, dass die mit Datum vom 5. November 2012 versehene Rentenverfügung dem damaligen Rechtsvertreter des heutigen Beschwerdeführers gleichentags - also auch am 5. November 2012 - zugestellt worden und die 30-tägige Einsprachefrist dementsprechend am 5. Dezember 2012 abgelaufen sei. Auf die - unbestrittenermassen - erst am 6. Dezember 2012 der Post übergebene und damit verspätete Einsprache sei die SUVA somit zu Recht nicht eingetreten.
3. 
3.1. Die Vorinstanz hat erwogen, die nach Erhalt der Verfügung vom 5. November 2012 neu mandatierte Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers hätte die Verspätung der Einsprache durch zumutbare Vorkehren vermeiden können, hätte sie sich doch bei dessen früherem Vertreter nach dem genauen Tag der Inempfangnahme dieser Verfügung, die sie mittels Einsprache anfechten wollte, erkundigen können und auch müssen. Zudem wäre ihr genügend Zeit verblieben, um das effektive Zustelldatum der Verfügung vom 5. November 2012 bei der Beschwerdegegnerin direkt in Erfahrung zu bringen. Dass sie dies unterlassen hat, müsse dem Beschwerdeführer angerechnet werden. Das Vorliegen eines Fristwiederherstellungsgrundes verneinte das kantonale Gericht, weil ein solcher weder ersichtlich noch geltend gemacht worden sei.
3.2. In dem vom Beschwerdeführer zur Begründung seines Begehrens angerufenen Urteil I 579/98 des seinerzeitigen Eidgenössischen Versicherungsgerichts (seit 1. Januar 2007: I. und II. sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) vom 13. Juni 2001 hat dieses - nachdem es in E. 3a die sich bietenden Möglichkeiten, um das Zustelldatum einer postalischen Sendung ausfindig zu machen (Nachforschungsbegehren bei der Post, Ermittlung anhand der Sendungsnummer auf dem Zustellcouvert [Strichcode-Kleber] über das Internet oder, falls bekannt, anhand des Versanddatums [Poststempel]), eingehend dargelegt hatte - erwogen, der Empfänger einer Verfügung oder eines sonstigen Schreibens einer Amtsstelle dürfe in Fällen, in welchen er nicht mehr über das Zustellcouvert verfüge, vorbehältlich offensichtlicher Unrichtigkeit, darauf vertrauen, dass Brief- und Absendedatum übereinstimmten. Es erkannte deshalb in E. 3b seines damaligen Urteils, eine Amtsstelle, welche - aus welchen Gründen auch immer - eine Verfügung vordatiert, schaffe damit eine Situation, welche eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Empfängers, der dagegen Beschwerde führen wolle, in dem Sinne gebiete, dass die Rechtsmittelfrist erst an dem Tag zu laufen beginne, der dem sich bei zeitidentischem Verfügungs- und Versanddatum ergebenden Zustelldatum folgen würde. Als Zustelldatum wurde dabei der dem Versanddatum folgende Werktag angesehen. Diese Rechtsprechung ist in E. 5 des bundesgerichtlichen Urteils 8C_50/2007 der I. sozialrechtlichen Abteilung vom 4. September 2007 bestätigt worden.
3.3. Dieser - hypothetischen - Annahme folgend würde das Verfügungsdatum vom 5. November 2012 (Montag) dem Versanddatum entsprechen und als Zustelldatum der folgende Tag, somit der 6. November 2012 (Dienstag), gelten. Die Einsprachefrist hätte am 7. November 2012 (Mittwoch) zu laufen begonnen und wäre am 6. Dezember 2012 (Donnerstag) abgelaufen. So besehen, hätte die am 6. Dezember 2012 der Post übergebene Einsprache noch als rechtzeitig erhoben zu gelten.
4. 
4.1. Diese Berechnungsweise deckt sich mit der Argumentation des Beschwerdeführers in seiner dem Bundesgericht eingereichten Rechtsschrift. In Wirklichkeit aber hat die Beschwerdegegnerin ihre das Datum des 5. November 2012 tragende Verfügung nicht erst an diesem Tag, sondern bereits an dem diesem Montag vorangegangenen Freitag, dem 2. November 2012 also, der Post übergeben. Die Verfügung wurde darauf bereits am 5. und nicht erst am 6. November 2012 von einer Mitarbeiterin des damaligen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers in Empfang genommen. Die Verfügung war also um drei Tage vordatiert worden. Zu einer unrichtigen Berechnung der Rechtsmittelfrist kam es in der Folge nur, weil der frühere Rechtsvertreter seine Tätigkeit zwischenzeitlich wegen Pensionierung aufgegeben und der Beschwerdeführer nach Erhalt der Verfügung vom 5. November 2012 am 8. November 2012 eine andere Rechtsvertreterin mit der Führung seines Mandats betraut hatte, welche - ohne den Zeitpunkt der Eröffnung der Verfügung vom 5. November 2012 zu kennen - davon ausging, diese sei frühestens an dem ihrem Erlass folgenden Tag erfolgt.
4.2. Bei der Begründung seines Standpunktes verkennt der Beschwerdeführer nun allerdings - worauf die SUVA in ihrer Vernehmlassung vom 19. November 2013 im kantonalen Verfahren mit Recht hingewiesen hat -, dass sich Berechnungsmodalitäten, wie sie im erwähnten Urteil I 579/98 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 13. Juni 2001 umschrieben worden sind (E. 3.2 hievor) und welche auf fiktiven Annahmen, hypothetischen Vermutungen basieren, nur so lange behelfsweise rechtfertigen lassen, als aus entschuldbaren Gründen schlicht keine realistische Möglichkeit besteht, das entscheidende Zustelldatum einer Verfügung oder eines sonstigen Verwaltungsaktes und damit die exakte Dauer des Rechtsmittellaufs zu eruieren. Dies ist anhand der konkreten Gegebenheiten in jedem jeweils zur Diskussion stehenden Einzelfall zu prüfen und wurde im erwähnten Urteil I 579/98 (E. 3.2 hievor) mit dem in E. 3b enthaltenen Zusatz: "vorbehältlich offensichtlicher Unrichtigkeit" zum Ausdruck gebracht.
4.3. Wie die SUVA in besagter Vernehmlassung vom 19. November 2013 aufgezeigt hat, lagen die Verhältnisse beim Beschwerdeführer indessen so, dass es zur Bestimmung des Ablaufs der Einsprachefrist bei zumutbarem Einsatz gar nicht nötig war, zu beweismässig nicht gesicherten, behelfsmässigen Annahmen zu greifen. Die Verfügung vom 5. November 2012 wurde vom Beschwerdeführer wie auch von seinem damaligen Vertreter am selben Tag empfangen, sodass ihm eine Rechtsmittelfrist von dreissig Tagen in vollem Umfang zur Verfügung stand, um rechtzeitig Einsprache zu erheben. Nach dem Empfang der Verfügung wandte sich der Beschwerdeführer am 8. November 2012 an eine neue, seine heutige Rechtsvertreterin, welche von der früheren Vertretung Kenntnis hatte, an welche die fragliche Verfügung adressiert war. Sie hätte sich dort über das genaue Zustelldatum erkundigen können und auch müssen. Ohne weitere Abklärungen durfte sie nicht einfach annehmen, die Verfügung sei erst am 6. November 2012 zugestellt worden. Gerade bei einem Wechsel des Anwaltes oder der Anwältin muss von der neu zugezogenen Vertretung verlangt werden, dass sie sich - bestehen bezüglich des Zustelldatums einer Verfügung, die angefochten werden soll, Unsicherheiten - bei der früheren nach den konkreten Gegebenheiten erkundigt. Immerhin entspricht es einer Erfahrungstatsache, dass Versand- und Zustelldatum identisch sein können. Von vornherein ausgeschlossen ist dies jedenfalls nicht. In zeitlicher Hinsicht wären der Vertreterin des Beschwerdeführers solche Anstrengungen ohne weiteres möglich gewesen, hatte sie ihr neues Mandat doch schon in den ersten Novembertagen angenommen. Auch hätte ein entsprechendes Unterfangen mit grösster Wahrscheinlichkeit zu einem Erfolg geführt, musste sich der frühere Rechtsbeistand aufgrund seiner anwaltlichen Betätigung doch bewusst sein, dass er dem Zustellungsbeweis dienliche Dokumente - so namentlich das die Verfügung vom 5. November 2012 enthaltende Umschlagscouvert - aufzubewahren hatte. Abgesehen davon hätte sich die neue Rechtsvertretung jederzeit auch direkt an die SUVA wenden können. Wenn sie von diesen - mit geringem Aufwand, einer einfachen Anfrage verbundenen und daher durchaus zumutbaren - Möglichkeiten absah und ihre Einsprache dennoch erst am ihrer - beweismässig nicht abgesicherten, sondern auf blossen Spekulationen beruhenden - Meinung nach letzten Tag der Rechtsmittelfrist einreichte, verdient die zum Nichteintretensentscheid der SUVA vom 13. September 2013 führende Fristversäumnis keine Entschuldigung, womit auch eine Wiederherstellung derselben ausser Betracht fällt. Von einer Bundesrechtsverletzung kann, entgegen der Argumentation in der Beschwerdeschrift, keine Rede sein.
5. Aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich nichts anderes zu Gunsten des Beschwerdeführers ableiten.
5.1. Noch vor den beiden in E. 3.2 hievor genannten Urteilen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts resp. der späteren I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts hat die II. öffentlichrechtliche Abteilung im Urteil 2A.178/1996 vom 9. September 1996 einen auf Nichteintreten wegen Fristversäumnis lautenden Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission geschützt, welcher eine Beschwerde gegen einen bereits am 10. Oktober 1995 ergangenen und versandten, fälschlicherweise aber mit dem Datum des 11. Oktober 1995 versehenen Einspracheentscheid betraf. Dies geschah, weil die dortige Rechtsvertretung das tatsächliche Zustelldatum des angefochtenen, vom 11. Oktober 1995 datierenden und am selben Tag auch zugestellten Einspracheentscheids nicht nur - wie hier - leicht in Erfahrung hätte bringen können, sondern sich dessen Kenntnis sogar anrechnen lassen musste, nachdem der Entscheid seinerzeit in seiner Anwaltskanzlei in Empfang genommen worden war. An diesem Ergebnis änderte unter diesen Umständen nichts, dass das Bundesgericht im damaligen Urteil noch ausdrücklich festgehalten hatte, dass die falsche Datierung des Entscheids um einen Tag an sich geeignet sei, beim Empfänger einen Irrtum über das Zustelldatum herbeizuführen, wenn er einzig auf das Entscheiddatum achtet, und nicht weiter prüft, wann ihm der Entscheid eröffnet worden ist; der Bürger könne grundsätzlich darauf bauen, dass die Behörde sorgfältig arbeite, und müsse demnach nicht damit rechnen, dass ein Entscheid falsch datiert sei.
5.2. Im Urteil 2A.495/1999 vom 31. März 2000 hat die II. öffentlichrechtliche Abteilung zwar einen entschuldbaren Irrtum eines Verfügungsempfängers über den Zeitpunkt der Zustellung anerkannt, weil die kantonale Steuerverwaltung die eingeschrieben und mit einem individuellen Begleitschreiben versandte Bundessteuerveranlagungen vor dem angegebenen Entscheid- und Versanddatum zur Post gegeben und damit diese Verfügungen mangelhaft eröffnet habe. Damit war eine Vertrauenslage geschaffen worden, in welcher die Beschwerde führende Firma zu schützen war. Anders als im hier beurteilten Fall waren die beanstandeten Verwaltungsakte aber nicht der professionellen Rechtsvertretung - eine Treuhandgesellschaft - der Beschwerdeführerin, sondern dieser selbst eröffnet worden und enthielten zusätzlich einen ausdrücklichen Versandvermerk, sodass nicht allein das unrichtige Verfügungsdatum für die fehlerhafte Berechnung der Rechtsmittelfrist verantwortlich war. Damit aber kann nicht von vergleichbaren tatsächlichen Verhältnissen ausgegangen werden.
6. Da die Beschwerde abzuweisen ist (E. 4.3 hievor), sind die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) vom Beschwerdeführer als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 14. Oktober 2014
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl