BGer 9C_799/2014 |
BGer 9C_799/2014 vom 20.02.2015 |
9C_799/2014
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{T 0/2}
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Urteil vom 20. Februar 2015 |
II. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
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Bundesrichter Meyer, Parrino,
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Gerichtsschreiber Traub.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
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St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
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vom 24. September 2014.
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Sachverhalt: |
A. A.________ (geb. 1962), Mitarbeiter Logistik, Firma B.________, meldete sich am 6. November 2002 unter Hinweis auf Heuschnupfen, Asthma (mit zehn Jahren), Neurodermitis (seit Kindsalter) und Chronic Fatigue Syndrom bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Auf den 1. November 2003 wurde er bei einem Invaliditätsgrad von 40 % teilpensioniert, wobei er fortan anstatt der behinderungsbedingt nicht mehr uneingeschränkt ausübbaren angestammten Tätigkeit als Betriebsfachmann Logistik neu im Transport- und Innendienst arbeitete (Schreiben der Firma B.________ vom 11. September 2003). Nach Beizug eines Gutachtens der MEDAS vom 13. Februar 2004 beschloss die IV-Stelle des Kantons Thurgau bei einem Invaliditätsgrad von 40 % die Ausrichtung einer Viertelsrente ab 1. Juni 2002. Nach revisionsweisen Bestätigungen des Rentenanspruchs in den Jahren 2006/2007 und 2009 ersuchte der Versicherte im Juli 2011 um Revision, da sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe. Mit Verfügung vom 15./18. November 2011 sprach ihm die IV-Stelle mit Wirkung ab 1. Juli 2011 eine ganze Invalidenrente zu. Nach Einleitung eines Revisionsverfahrens von Amtes wegen im Februar 2012 teilte die IV-Stelle A.________ mit Vorbescheid vom 20. August 2012 mit, sie gedenke seine ganze auf eine Viertels-Invalidenrente herabzusetzen. Auf Einwendungen hin zog die Durchführungsstelle ein polydisziplinäres Gutachten der MEDAS vom 23. Dezember 2013 bei. Aufgrund der gutachterlich attestierten 100%igen Arbeitsfähigkeit in adaptierten Tätigkeiten hob die IV-Stelle die ganze Invalidenrente mit Verfügung vom 6. März 2014 auf.
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B. Beschwerdeweise beantragte der Versicherte die Aufhebung der Revisionsverfügung vom 6. März 2014 und die weitere Ausrichtung der ganzen Invalidenrente. Im Hinblick auf die in der Beschwerde am MEDAS-Gutachten vom 23. Dezember 2013 geübten Kritik und ein seitens des Versicherten beigebrachtes Privatgutachten des Prof. Dr. med. C.________, u.a. Facharzt für Hämatologie, für medizinische Onkologie sowie für allgemeine innere Medizin, vom 6. Mai 2014, unterbreitete das Versicherungsgericht der MEDAS ergänzende Fragen. Nachdem die Parteien sich geäussert hatten (der Versicherte unter Einreichung einer Stellungnahme des Prof. Dr. med. C.________ vom 30. Juli 2014 zur Antwort der MEDAS vom 16. Juli 2014 und zu einem Schreiben des onkologischen Teilgutachters Dr. med. D.________ vom 3. Juli 2014), wies das Versicherungsgericht des Kantons Thurgau die Beschwerde ab (Entscheid vom 24. September 2014).
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C. A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen auf Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides und der angefochtenen Revisionsverfügung (Ziff. 1), der Weiterausrichtung der ganzen Invalidenrente ab 1. Mai 2014 (Ziff. 2) und der Auferlegung sämtlicher Kosten und Entschädigungen des vorinstanzlichen Verfahrens, einschliesslich der vom Privatgutachter in Rechnung gestellten Kosten für seine Bemühungen im Betrag von Fr. 3'570.-, an die IV-Stelle (Ziff. 3). Auf die Begründung der Beschwerde wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
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Während kantonales Gericht und IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliessen, hat das Bundesamt für Sozialversicherungen von einer Vernehmlassung abgesehen.
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Erwägungen: |
1. Das wiedergegebene Rechtsbegehren Ziff. 3 ist insoweit neu und daher unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG), als es in der Bedeutung eines selbstständigen Beschwerdeantrages gestellt wird. Denn im vorinstanzlichen Verfahren hatte der Beschwerdeführer (vgl. seine Eingabe vom 8. August 2014) lediglich beantragt, die ihm von Prof. Dr. med. C.________ in Rechnung gestellten Bemühungen für das Privatgutachten vom 6. Mai 2014 und die Stellungnahme vom 30. Juli 2014 für den Fall des Obsiegens im Prozess - somit als Bestandteil der diesfalls geschuldeten Parteientschädigung - vergütet zu erhalten.
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2. Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Abs. 2). Die Voraussetzungen für eine Sachverhaltsrüge nach Art. 97 Abs. 1 BGG und für eine Berichtigung des Sachverhalts von Amtes wegen nach Art. 105 Abs. 2 BGG stimmen im Wesentlichen überein. Soweit es um die Frage geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt. Entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG genannten Rügen. Demzufolge genügt es nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr ist in der Beschwerdeschrift nach den erwähnten gesetzlichen Erfordernissen darzulegen, inwiefern diese Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung einer verfahrensrechtlichen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind. Andernfalls können Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der von den Feststellungen im angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt werden. Vorbehalten bleiben offensichtliche Sachverhaltsmängel im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG, die dem Richter geradezu in die Augen springen (BGE 133 IV 286 E. 6.2 S. 288; 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255).
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3. Streitig und zu prüfen ist, ob im Zeitraum vom 15./18. November 2011 (Zusprechung der ganzen Invalidenrente mit Wirkung ab 1. November 2011) bis zur angefochtenen Revisionsverfügung vom 6. März 2014 Tatsachenänderungen eingetreten sind, welche die verfügte und vorinstanzlich bestätigte Rentenaufhebung rechtfertigen (Art. 17 Abs. 1 ATSG).
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3.1. Umstritten sind im Rahmen dieses revisionsrechtlichen Prozessthemas einzig die onkologischen Aspekte. Während das kantonale Gericht das Fortdauern einer Cancer-related Fatigue im Revisionszeitpunkt verneint und die Arbeitsunfähigkeit daher nicht im Lichte von BGE 139 V 346 geprüft hat, beruft sich der Beschwerdeführer auf den Privatgutachter Prof. Dr. med. C.________, wonach er an einer tumorassoziierten körperlichen und mentalen Fatigue leide, welche die Aktivität erheblich reduziere und wahrscheinlich deutliche kognitive Störungen nach sich ziehe, welch letzte durch ergänzende neuropsychologische Testung vertieft abzuklären gewesen wären. Diese Kontroverse betrifft ausschliesslich Tatfragen, deren Beantwortung durch das kantonale Gericht verbindlich bleibt (Art. 105 Abs. 1 BGG), sofern nicht eine qualifiziert unrichtige Tatsachenfeststellung (oben E. 2) vorliegt.
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3.2. Der Beschwerdeführer wirft dem kantonalen Gericht vor, dass es sich "inhaltlich überhaupt nicht mit dem wissenschaftlichen, medizinisch begründeten Privatgutachten von Prof. Dr. med. M.E. C.________ vom 6. Mai 2014 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30. Juli 2014 auseinandergesetzt und diese dem Gutachten der MEDAS vom 23. Dezember 2013, inklusive den Ergänzungen vom 3./16. Juli 2014, kritisch gegenübergestellt" habe. Der onkologische Teilgutachter der MEDAS habe sich lediglich auf den "subjektiven Eindruck" und seine "Erfahrung" gestützt, währenddessen der Privatgutachter "mit wissenschaftlich validierten Methoden abgeklärt" habe, ob er unter einer Cancer-related Fatigue leide oder nicht.
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3.3. Diese und die weiteren sich zum Teil überschneidenden und wiederholenden Vorbringen in der Beschwerde vermögen keine offensichtlich unrichtige oder sonst rechtsfehlerhafte Tatsachenfeststellung durch das kantonale Gericht darzutun.
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3.3.1 Zunächst befasst sich der angefochtene Entscheid durchaus im Rahmen einer pflichtgemässen und sorgfältigen freien Beweiswürdigung mit den abweichenden medizinischen Beurteilungen der MEDAS (bzw. deren Onkologen Dr. med. D.________) einerseits, des Privatgutachters Prof. Dr. med. C.________ andererseits. Das kantonale Gericht führt auch im Einzelnen die Gründe an, warum es der einen und nicht der anderen medizinischen These gefolgt ist (E. 4.3, S. 10-14 des vorinstanzlichen Entscheides). Was hiegegen vorgebracht wird, ist im Kern appellatorische Kritik, die im Rahmen der gesetzlichen Kognition des Bundesgerichts (E. 2) nicht genügt. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung beruhen medizinische Beurteilungen immer auf medizinischer Erfahrung des sachverständigen Arztes, gewonnen mit Vorteil aus langjähriger klinischer Prüfung betroffener Patienten. Im Falle einer Cancer-related Fatigue verhält es sich nicht anders. Es gibt ferner keine Korrelation zwischen gestellter Diagnose und Arbeitsunfähigkeit (BGE 140 V 193 E. 3.1 in fine S. 195).
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3.3.2 Die Beschwerde übersieht auch den Umstand, dass der Versicherte, der zweimal an einem Hodgkin-Lymphom erkrankte (1996 und 2011, wobei es beide Male zu einer vollständigen Remission kam), ausweislich der Akten im Anschluss an den ersten Krankheitsfall (1996) nicht an einer Cancer-related Fatigue litt, sondern an einem Chronic fatigue Syndrom (Bericht des Dr. med. E.________ vom 17. März 2003). Dies allein zeigt, dass es sich bei solchen Zuständen und Entwicklungen nach durchgemachten Krankheiten um interpretationsbedürftige Befunde und Symptomatiken handelt, deren unterschiedliche Erfassung und Bewertung durch medizinische Sachverständige - bis zu einem gewissen Grade mindestens - in der Natur der Sache liegt. Nehmen - wie hier - zwei ausgewiesene Fachärzte ihren erheblichen Beurteilungsspielraum in je überzeugender Weise wahr, verletzt das kantonale Gericht nicht Bundesrecht, wenn es sich beweiswürdigend, unter Angabe der materiellen (inhaltlichen) Gründe, der einen Auffassung anschliesst, ausser wenn von einem dritten oder Obergutachten zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten wären, was hier jedoch nicht zur Diskussion steht. Formelle Aspekte wie die Frage, wer wann welchen Facharzttitel zuerst erworben hat u.a.m., sind demgegenüber nicht entscheidend.
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3.3.3 Dass beim Beschwerdeführer während der Akutbehandlung nach dem zweiten Krankheitsausbruch (2011) wahrscheinlich eine Cancer-related Fatigue bestand, räumen auch die MEDAS-Gutachter ein. Hingegen ergeben sich aus den Angaben des Privatgutachters keine zwingenden Hinweise, welche den Schluss des kantonalen Gerichts, beim Beschwerdeführer dauere aus den von den MEDAS-Gutachtern dargelegten Gründen nach Abschluss der erfolgreichen Behandlung keine erheblich limitierende Cancer-related Fatigue fort, als offensichtlich unrichtig oder unhaltbar, geschweige denn willkürlich (E. 2), erscheinen liessen.
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4. Hat das kantonale Gericht somit den Eintritt einer rentenausschliessenden Arbeitsfähigkeit im massgeblichen Vergleichszeitraum bundesrechtskonform festgestellt, erübrigen sich, da die weiteren Schritte der Invaliditätsbemessung nicht angefochten werden, zusätzliche Ausführungen.
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5. Entsprechend dem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer als unterliegende Partei die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Pensionskasse F.________ schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 20. Februar 2015
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Glanzmann
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Der Gerichtsschreiber: Traub
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