BGer 2C_1050/2015 |
BGer 2C_1050/2015 vom 13.06.2016 |
{T 0/2}
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2C_1050/2015, 2C_1051/2015
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Urteil vom 13. Juni 2016 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Seiler, Präsident,
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Bundesrichterin Aubry Girardin,
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nebenamtlicher Bundesrichter Benz,
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Gerichtsschreiber Winiger.
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Verfahrensbeteiligte |
A.A.________ und B.A.________, Beschwerdeführer,
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vertreten durch KMU Treuhand & Steuerberatung C.________,
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gegen
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Steuerverwaltung des Kantons Thurgau.
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Gegenstand
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2C_1050/2015
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Staats- und Gemeindesteuern 2010,
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2C_1051/2015
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Direkte Bundessteuer 2010,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 9. September 2015.
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Sachverhalt: |
A. Der Steuerpflichtige A.A.________ betrieb bis 2010 eine Einzelunternehmung mit dem Zweck "Spenglerei und sanitäre Installationen". Mit Kaufvertrag vom 28. September 2010 veräusserte er "die Aktivposten Fahrzeuge, Maschinen, Geräte, EDV, Einrichtungen, Materialvorräte und angefangene Arbeiten" seiner Einzelfirma an D.________. Als Vollzugsdatum wurde der 1. Januar 2011 vereinbart. Gemäss Kaufvertrag wurde ein Kaufpreis von Fr. 550'000.-- festgesetzt, der im Betrag von Fr. 350'000.-- am 1. Januar 2011 an A.A.________ zu überweisen war. In der Höhe von Fr. 200'000.-- gewährte dieser D.________ ein zinsloses Darlehen, welches in einem separatem Darlehensvertrag geregelt wurde. Weiter wurde im Kaufvertrag vereinbart, dass A.A.________ weiterhin als Brunnenmeister tätig sei und dafür sowie für Unterhaltsarbeiten an den eigenen Liegenschaften die Einrichtungen des Käufers benützen könne.
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Die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau besteuerte im Steuerjahr 2010 vorerst die Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit von Fr. 274'643.-- gemäss Buchhaltung und veranlagte die Eheleute A.A.________ und B.A.________ mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 294'200.-- (direkte Bundessteuer) und Fr. 299'100.-- (Staats- und Gemeindesteuern). Mit Nachsteuerverfügungen vom 6. Januar 2014 wurden die Eheleute für das Steuerjahr 2010 mit einem um Fr. 500'000.-- erhöhten steuerbaren Einkommen (direkte Bundessteuer und Staats- und Gemeindesteuern) veranlagt, indem die Steuerverwaltung zusätzlich den Verkaufserlös von Fr. 550'000.-- besteuerte und davon eine Rückstellung für AHV-Beiträge in der Höhe von Fr. 50'000.-- abzog.
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B. Einspracheweise beantragten die Steuerpflichtigen, die Nachsteuerverfügungen seien aufzuheben. Sie machten zum einen geltend, dass der Verkaufserlös erst im Steuerjahr 2011 realisiert worden sei und er zum andern als Liquidationsgewinn separat vom übrigen Einkommen zu besteuern sei. Die Steuerverwaltung wies die Einsprache am 14. April 2014 ab. Kantonale Rechtsmittel an die Steuerrekurskommission (Entscheid vom 1. Dezember 2014) und an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (Urteil vom 9. September 2015) blieben erfolglos.
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C. Mit Eingabe vom 24. November 2015 erheben A.A.________ und B.A.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragen, der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben. Es sei das steuerbare Einkommen je um den Nettoerlös aus dem Verkauf des Geschäfts von Fr. 500'000.-- zu reduzieren und entsprechend auf Fr. 294'200.-- (direkte Bundessteuer 2010) bzw. Fr. 299'100.-- (Staats- und Gemeindesteuern 2010) festzusetzen. Der Nettoerlös aus dem Verkauf des Geschäfts von Fr. 500'000.-- sei getrennt vom übrigen Einkommen zu besteuern.
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Die Kantonale Steuerverwaltung und das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau beantragen die Beschwerde sei abzuweisen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung schliesst in Bezug auf die direkte Bundessteuer auf Abweisung der Beschwerde, in Bezug auf die Staats- und Gemeindesteuern verzichtet sie auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid über die Staats- und Gemeindesteuern bzw. die direkte Bundessteuer. Dagegen steht gemäss Art. 82 ff. BGG in Verbindung mit Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) und Art. 146 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht grundsätzlich offen. Die Beschwerdeführer sind gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten legitimiert. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 42 und 100 BGG).
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1.2. Die Vorinstanz hat ein einziges Urteil für die Staats- und Gemeindesteuern sowie für die direkte Bundessteuer erlassen, was zulässig ist, soweit die zu entscheidende Rechtsfrage im Bundesrecht und im harmonisierten kantonalen Recht - wie im vorliegenden Fall - gleich geregelt ist (BGE 135 II 260 E. 1.3.1 S. 262 f.). Unter diesen Umständen ist den Beschwerdeführern nicht vorzuwerfen, nicht zwei getrennte Beschwerden eingereicht und keine getrennten Anträge gestellt zu haben; aus ihrer Eingabe geht hervor, dass sie beide Steuerarten betrifft (BGE 135 II 260 E. 1.3.3 S. 264; Urteil 2C_1086/2012, 2C_1087/2012 vom 16. Mai 2013 E. 1.1). Das Bundesgericht hat hier für die Staats- und Gemeindesteuern (2C_1050/2015) und die direkte Bundessteuer (2C_1051/2015) getrennte Dossiers angelegt. Da beide Verfahren auf demselben Sachverhalt beruhen und sich dieselben Rechtsfragen stellen, sind die Verfahren zu vereinigen und die Beschwerde ist in einem einzigen Urteil zu erledigen (vgl. Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 24 BZP [SR 273]; BGE 131 V 59 E. 1 S. 60 f. mit Hinweis).
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1.3. Der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt ist vorliegend unbestritten und damit für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (Art. 105 Abs. 1 und 2, Art. 97 Abs. 1 BGG).
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I. Direkte Bundessteuer
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2. |
2.1. Zu den Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit zählen auch alle Kapitalgewinne aus Veräusserung, Verwertung oder buchmässiger Aufwertung von Geschäftsvermögen (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 DBG).
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2.2. Steuerrechtlich gilt Einkommen oder Ertrag als realisiert, sobald die steuerpflichtige Person Leistungen vereinnahmt oder zumindest einen festen Rechtsanspruch darauf erwirbt, über den sie tatsächlich verfügen kann ("Soll-Methode"). Erforderlich ist ein abgeschlossener Erwerbsvorgang. Auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Erfüllung des Anspruchs kommt es grundsätzlich nicht an (Urteile 2C_941/2012 vom 9. November 2013 E. 2.5, in: ASA 82 S. 375, StR 69/2014 S. 207; 2A.44/2003 vom 15. Oktober 2004 E. 4.2.5; XAVIER OBERSON, Droit fiscal suisse, 4. Aufl. 2012, § 7 N. 12; MARKUS REICH, Steuerrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 N. 51; PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, I. Teil, 2001, Art. 16 DBG N. 18). Der Rechtserwerb kann sich als Forderungs- (obligatorisches Recht) oder Eigentumserwerb (dingliches Recht) darstellen (Urteil 2C_776/2012, 2C_777/2012 vom 19. Februar 2013 E. 3.1, in: StE 2013 B 21.1 Nr. 22). Von der "Soll-Methode" wird in der Steuerpraxis nur abgewichen, soweit die Erfüllung der Forderung - die eigentliche Gegenleistung - als besonders unsicher erscheint. Diesfalls wird mit der Besteuerung bis zur Erfüllung zugewartet ("Ist-Methode"; Urteile 2C_78/2015 vom 10. September 2015 E. 4.2; 2C_835/2013 vom 16. Dezember 2014 E. 2.1; vgl. zum Ganzen Urteil 2C_941/2012 vom 9. November 2013 E. 2.5 mit zahlreichen weiteren Hinweisen, in: ASA 82 S. 375, StR 69/2014 S. 207; grundlegend BGE 105 Ib 238 E. 4b S. 242 f.; 113 Ib 23 E. 2e S. 26).
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2.3. Die Vorinstanz hat diese Praxis korrekt dargestellt und gestützt darauf den Zeitpunkt der Realisierung der stillen Reserven im Umfang von Fr. 500'000.-- auf den Abschluss des Kaufvertrages am 28. September 2010 festgelegt, womit der Kapitalgewinn in der Steuerperiode 2010 zu versteuern war. Was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, vermag nicht aufzuzeigen, inwiefern die Ausführungen der Vorinstanz bundesrechtswidrig sein sollen: So haben die Beschwerdeführer keine Risiken für die Ertragsrealisierung dargetan, die nach Vertragsabschluss am 28. September 2010 noch bestanden hätten. Dass der Vollzug des Vertrages erst am 1. Januar 2011 erfolgt ist, ändert unter den gegebenen Umständen nichts daran, dass der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2010 einen sicheren Anspruch auf den Kaufpreis erworben hatte, womit der Ertrag erzielt war.
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3. |
3.1. Wird die selbständige Erwerbstätigkeit nach dem vollendeten 55. Altersjahr oder wegen Unfähigkeit zur Weiterführung infolge Invalidität definitiv aufgegeben, so ist die Summe der in den letzten zwei Geschäftsjahren realisierten stillen Reserven getrennt vom übrigen Einkommen zu besteuern (Art. 37b Abs. 1 Satz 1 DBG). Als Liquidationsjahr gilt das Geschäftsjahr, in dem die Liquidation abgeschlossen wird (Art. 2 der Verordnung vom 17. Februar 2010 über die Besteuerung der Liquidationsgewinne bei definitiver Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit [LGBV; SR 642.114]). Damit der vom Beschwerdeführer im Geschäftsjahr 2010 realisierte Ertrag von Fr. 500'000.-- Gegenstand der privilegierten Besteuerung sein kann, müsste die Liquidation des Geschäfts demnach im Geschäftsjahr 2011 abgeschlossen worden sein.
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3.2. Die Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit muss Die Aufgabe einer selbständigen Erwerbstätigkeit vollzieht sich nicht bereits im Moment, in dem der Steuerpflichtige aufhört, die zur Einkommenserzielung charakteristische betriebliche Leistung zu erbringen. Sie vollzieht sich erst im Moment der letzten Liquidationshandlung aus dieser Tätigkeit (Urteil 2C_376/2011 vom 27. April 2012 E. 6.3.5). Da die letzten Inkassohandlungen manchmal marginale Beträge betreffen, sollen ausnahmsweise auch andere Umstände das Ende der Liquidation darstellen können, so zum Beispiel, wenn die Erwerbs- und Verkaufstätigkeiten eingestellt und/oder die Arbeitsverträge mit den Angestellten aufgelöst werden (Kreisschreiben Nr. 28, a.a.O., Ziff. 3).
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3.3. Der Beschwerdeführer weist nach einem Geschäftserfolg im Jahr 2011 in der Höhe von Fr. 193'212.60 in der Jahresrechnung 2012 einen Gewinn von Fr. 43'731.09 aus. Nettoerlösen in der Höhe von Fr. 100'911.03 und Bankzinsen von Fr. 30.85 auf der einen Seite stehen Materialeinkäufe von Fr. 31'134.25 und Gemeinkosten von Fr. 26'076.54 auf der andern Seite gegenüber. Letztere umfassen namentlich Versicherungsprämien, Fahrzeugkosten, Gehälter für Büropersonal und Verwaltungs-/Rechts-/Beratungsaufwand. Dies deutet darauf hin, dass der Beschwerdeführer im Jahre 2012 entweder noch wesentliche Liquidationshandlungen ausgeführt hat oder sich die weitergeführten geschäftlichen Aktivitäten nicht in der von der Praxis noch tolerierten geringfügigen selbständigen Erwerbstätigkeit ohne feste Einrichtung und ohne Personal erschöpften.
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Was die Beschwerdeführer dagegen ausführen, ist nicht geeignet, um die Indizien, wonach das Geschäft über das Jahr 2011 hinaus fortgeführt wurde, zu entkräften: Sie unterteilen den Geschäftserfolg in den Jahren 2011 und 2012 in realisierte stille Reserven aus der Aufgabe der Haupterwerbstätigkeit als Sanitär bzw. Spengler sowie in Einkünfte aus Brunnenmeistertätigkeiten einerseits und aus sporadischen Einsätzen für Expertisen und Bauleitungen für die Stadt Diessenhofen andererseits. Diese Untergliederung der geschäftlichen Aktivitäten vermag jedoch am Gesamtbild einer im Geschäftsjahr 2012 fortgesetzten selbständigen Erwerbstätigkeit nichts zu ändern.
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3.4. Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht zu Recht für das Jahr 2012 die Fortführung der selbständigen Erwerbstätigkeit bejaht und folgerichtig die definitive Aufgabe des Geschäfts im Jahr 2011 verneint. Eine privilegierte Besteuerung des Liquidationsgewinns nach Art. 37b DBG fällt damit ausser Betracht.
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3.5. Diese Erwägungen führen zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der direkten Bundessteuer.
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II. Staats- und Gemeindesteuern
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4. Die hier für die Staatssteuer massgeblichen Vorschriften bezüglich Kapitalgewinnen aus selbständiger Tätigkeit (§ 20 Abs. 2 Ziff. 1 des Ge-setzes [des Kantons Thurgau] über die Staats- und Gemeindesteuern vom 14. September 1992 [Steuergesetz, StG/TG; RB 640.1] bzw. Art. 8 Abs. 1 StHG) sowie bezüglich der Liquidationsgewinnbesteuerung (§ 38b Abs. 1 StG/TG bzw. Art. 11 Abs. 5 StHG) lauten im Wesentlichen gleich wie Art. 18 Abs. 2 Satz 1 DBG respektive wie Art. 37b Abs. 1 DBG. Insofern ist das zur direkten Bundessteuer Ausgeführte ebenfalls für die kantonalen Steuern massgebend. Die Beschwerde ist daher auch hinsichtlich der Staats- und Gemeindesteuern abzuweisen.
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III. Kosten- und Entschädigungsfolgen
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5. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftung aufzuerlegen (Art. 65 f. BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht auszurichten (Art. 68 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Verfahren 2C_1050/2015 und 2C_1051/2015 werden vereinigt.
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2. Die Beschwerde hinsichtlich der direkten Bundessteuer (2C_1051/ 2015) wird abgewiesen.
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3. Die Beschwerde hinsichtlich der Staats- und Gemeindesteuern (2C_1050/2015) wird abgewiesen.
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4. Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 4'500.-- werden den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftung auferlegt.
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5. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 13. Juni 2016
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Seiler
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Der Gerichtsschreiber: Winiger
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