BGer 1B_160/2017 |
BGer 1B_160/2017 vom 19.07.2017 |
1B_160/2017
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Urteil vom 19. Juli 2017 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Merkli, Präsident,
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Bundesrichter Karlen, Eusebio, Chaix, Kneubühler,
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Gerichtsschreiber Stohner.
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Verfahrensbeteiligte |
Staatsanwaltschaft des Kantons Bern,
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Region Berner Jura-Seeland,
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Ländtestrasse 20, Postfach 1180, 2501 Biel,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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A.________,
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Beschwerdegegner,
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vertreten durch Fürsprecher Lukas Bürge,
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Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern,
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Maulbeerstrasse 10, Postfach 6250, 3001 Bern.
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Gegenstand
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Strafverfahren; Entsiegelung,
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Beschwerde gegen den Entscheid vom 23. März 2017 des Regionalen Zwangsmassnahmengerichts Berner Jura-Seeland.
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Sachverhalt: |
A. Die Staatsanwaltschaft Region Berner Jura-Seeland führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen einfacher Körperverletzung, Betrugs, Urkundenfälschung, Widerhandlungen gegen das Gesundheitsgesetz des Kantons Bern sowie Widerhandlungen gegen das Heilmittelgesetz. Dem Beschuldigten wird insbesondere vorgeworfen, Patienten zahnmedizinisch behandelt zu haben, obwohl er dazu mangels zahnmedizinischer Ausbildung nicht befugt gewesen sei und ohne dass die Betroffenen um diesen Umstand gewusst hätten. Zudem hätten die Behandlungen teilweise zu Beschwerden geführt.
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Am 2. Juni 2016 führte die Kantonspolizei Bern auf Anordnung der Staatsanwaltschaft in der Praxis von A.________ eine Hausdurchsuchung durch. Der sich in Sicherheitshaft befindende A.________ war nicht anwesend, jedoch dessen Tochter. Anlässlich der Hausdurchsuchung wurden drei Patientendossiers und drei Computer sichergestellt.
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Am 13. September 2016 ordnete die Staatsanwaltschaft zwecks Sicherstellung eines weiteren Patientendossiers eine zweite Hausdurchsuchung an. Am 22. September 2016 gab die Tochter von A.________ das verlangte Patientendossier der Kantonspolizei heraus.
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Am 20. Dezember 2016 wies die Kantonspolizei A.________ anlässlich eines Besuchs im Regionalgefängnis auf die Möglichkeit der Siegelung hin. Auf dem ihm hierbei vorgelegten Siegelungsformular gab A.________ an, im Moment nicht damit einverstanden zu sein, dass die Daten im Computer ausgewertet würden. Er verlange nicht grundsätzlich die Versiegelung, wolle sich aber zunächst noch mit seinem Anwalt besprechen, welcher den Entscheid dann der Staatsanwaltschaft mitteilen werde.
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Mit - nicht aktenkundigem - Schreiben vom 23. Januar 2017 informierte der Anwalt von A.________ die Staatsanwaltschaft dahingehend, dass sein Mandant aus daten- und patientenschutzrechtlichen Gründen einer Entsiegelung nicht zustimmen könne.
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Am 7. Februar 2017 stellte die Staatsanwaltschaft beim Regionalen Zwangsmassnahmengericht Berner Jura-Seeland einen Antrag auf Entsiegelung der "am 23. Januar 2017 versiegelten Gegenstände/ Unterlagen".
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Mit Entscheid vom 23. März 2017 trat das Zwangsmassnahmengericht auf das Entsiegelungsgesuch vom 7. Februar 2017 nicht ein. Es entschied, die Aufzeichnungen und Gegenstände seien dem Inhaber A.________ zurückzugeben. Zur Begründung führte es aus, es hätte eine Siegelung von Amtes wegen erfolgen müssen. Die 20-tägige Frist zur Einreichung des Entsiegelungsgesuchs gemäss Art. 248 Abs. 2 StPO habe mit der Hausdurchsuchung bzw. der Aktenherausgabe zu laufen begonnen und sei folglich am 22. Juni 2016 bzw. am 12. Oktober 2016 abgelaufen. Das Entsiegelungsgesuch vom 7. Februar 2017 sei verspätet gestellt worden, weshalb hierauf nicht eingetreten werden könne.
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B. Mit Eingabe vom 21. April 2017 führt die Staatsanwaltschaft Region Berner Jura-Seeland Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht mit den Hauptanträgen, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und das Verfahren zur Beurteilung in der Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Zwangsmassnahmengericht verzichtet auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde. A.________ beantragt die Bestätigung des Entscheids des Zwangsmassnahmengerichts. Die Staatsanwaltschaft Region Berner Jura-Seeland hält an ihrem Standpunkt fest.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und frei, ob auf die Beschwerde eingetreten werden kann (BGE 140 IV 57 E. 2 S. 59).
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Die Legitimation zur Beschwerde in Strafsachen richtet sich nach Art. 81 BGG. Der Staatsanwaltschaft steht das Beschwerderecht in Strafsachen nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG grundsätzlich ohne Einschränkung zu (BGE 134 IV 36 E. 1.4 S. 39 ff. mit Hinweisen).
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Bund und Kantone bestimmen ihre Strafbehörden und deren Bezeichnungen (Art. 14 Abs. 1 StPO). Sie regeln Wahl, Zusammensetzung, Organisation und Befugnisse der Strafbehörden, soweit dieses Gesetz oder andere Bundesgesetze dies nicht abschliessend regeln (Art. 14 Abs. 2 StPO). Ob jedoch nur einem und gegebenenfalls welchem oder mehreren Staatsanwälten nebeneinander die Befugnis zukommt, Beschwerde in Strafsachen zu führen, entscheidet sich nach dem Bundesgerichtsgesetz. Besteht eine für den ganzen Kanton zuständige Oberstaatsanwaltschaft oder eine vergleichbare Behörde, die innerhalb des Kantons für eine einheitliche Rechtsanwendung zu sorgen hat und Rechtsmittel vor den letzten kantonalen Instanzen ergreifen kann, ist diese allein zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert (vgl. zum Ganzen BGE 142 IV 196 E. 1.2 ff. S. 198 ff.; Urteile 6B_117/2014 vom 5. Februar 2015 E. 1.1 und 6B_949/2013 vom 3. Februar 2014 E. 1.2 ff.). Die Frage dagegen, wer innerhalb dieser Behörde zu deren Vertretung zuständig ist, ist eine Frage der Gerichtsorganisation, das heisst eine Frage, die in die Zuständigkeit des kantonalen Rechts fällt (vgl. Art. 14 StPO; BGE 142 IV 196 E. 1.5.2 S. 200).
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1.2. Im Kanton Bern ist somit allein die Generalstaatsanwaltschaft zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert. Der Regionalen Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland ist die Beschwerdeberechtigung hingegen abzusprechen.
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Mit Verfügung vom 26. April 2017 hat zwar die Generalstaatsanwaltschaft die regionale Staatsanwältin in Anwendung von Art. 90 Abs. 4 des kantonalen Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft vom 11. Juni 2009 (GSOG; BSG 161.1) mit der Wahrnehmung der staatsanwaltschaftlichen Aufgaben betraut und als ausserordentliche Generalstaatsanwältin eingesetzt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Generalstaatsanwaltschaft nicht selbst Beschwerde geführt hat. Die Staatsanwaltschaft Region Berner Jura-Seeland ihrerseits hat die Beschwerde nicht im Namen der Generalstaatsanwaltschaft, sondern ausdrücklich in eigenem Namen eingereicht und sich hierzu in Widerspruch zur publizierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 142 IV 196) als berechtigt erachtet.
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Im Übrigen erfolgte die Einsetzung (26. April 2017) ohnehin erst nach Ablauf der Beschwerdefrist (24. April 2017).
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1.3. Auf die von der nicht legitimierten Staatsanwaltschaft Region Berner Jura-Seeland in eigenem Namen erhobene Beschwerde kann nach dem Gesagten nicht eingetreten werden (vgl. auch Urteil 6B_949/2013 vom 3. Februar 2014 E. 2.2).
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2. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Hingegen hat der Kanton Bern den obsiegenden Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 BGG). Damit wird sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Der Kanton Bern hat Rechtsanwalt Lukas Bürge für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und dem Regionalen Zwangsmassnahmengericht Berner Jura-Seeland schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 19. Juli 2017
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Merkli
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Der Gerichtsschreiber: Stohner
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