BGer 6B_1181/2016 |
BGer 6B_1181/2016 vom 13.12.2017 |
6B_1181/2016
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Urteil vom 13. Dezember 2017 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
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Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiber Held.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt B.________,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Vernachlässigung von Unterhaltspflichten,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 15. August 2016 (SBR.2016.18).
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Sachverhalt: |
A. |
Die Staatsanwaltschaft Frauenfeld sprach mit Strafbefehl vom 29. Juni 2015gegen X.________ eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 130.-- sowie eine Busse von Fr. 4'700.-- wegen Vernachlässigung von Unterhaltspflichten aus. Gleichzeitig auferlegte sie ihm die Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 9'600.-- und zog zur Deckung der Busse und Verfahrenskosten Fr. 14'300.-- der beschlagnahmten Gelder ein.
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B. |
X.________ erhob gegen den Strafbefehl Einsprache. Anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Frauenfeld vom 25. Januar 2016 schlossen A.________ und X.________, in Begleitung von Rechtsanwalt B.________, auf Vermittlung des Gerichts eine "umfassende Vereinbarung zur Erledigung des Einspracheverfahrens". A.________ zog sämtliche Strafanträge gegen X.________ zurück und dieser verpflichtete sich, ihr in Abgeltung sämtlicher Unterhaltsansprüche für die Kinder Fr. 20'000.-- zu bezahlen. Die Parteien einigten sich darauf, ihre eigenen Kosten zu tragen.
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Mit Urteil vom selben Tag stellte das Bezirksgericht Frauenfeld das Strafverfahren gegen X.________ wegen Vernachlässigung der Unterhaltspflichten infolge "Rückzugs sämtlicher Strafanträge bzw. Anzeigen" ein und nahm gleichzeitig im Dispositiv von der zuvor getroffenen gerichtlichen Vereinbarung Vormerk. Es sprach X.________ für das Strafverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 7'350.-- zu und verfügte, dass die Staatsanwaltschaft ihm nach Eintritt der Rechtskraft des Entscheids (unter Verrechnung noch offener Forderungen der Gerichtskasse aus einem anderen Verfahren und einer von dessen Rechtsvertreter an A.________ geleisteten Akontozahlung von Fr. 3'000.--) Fr. 2'750.-- entrichtet. Die Genugtuungsforderungen von X.________ wies es ab und nahm die Gerichts- und Verfahrenskosten auf die Staatskasse. Das Bezirksgericht verwies in seiner Rechtsmittelbelehrung auf die Berufung.
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C. |
Das Obergericht des Kantons Thurgau wies die von Rechtsanwalt B.________ "im Namen" von X.________ erhobene Berufung gegen den erstinstanzlichen Entscheid ab, soweit es darauf eintrat und auferlegte X.________ die Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 2'000.--.
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D. |
Rechtsanwalt B.________ führt "im Namen" von X.________ Beschwerde in Strafsachen und beantragt sinngemäss, das obergerichtliche Urteil sei vollumfänglich aufzuheben.
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Das Bundesgericht forderte Rechtsanwalt B.________ mit Verfügung vom 20. Dezember 2016 auf, die fehlende Anwaltsvollmacht nachzureichen (vgl. Art. 42 Abs. 5 BGG). Am 4. Januar 2017 ging eine handschriftliche, mit X.________ unterzeichnete Eingabe ein, dass er die Verfügung vom 20. Dezember 2016 von seinem "ehemaligen Scheidungsanwalt" erhalten habe. Er erkläre sich mit dem Schreiben von Rechtsanwalt B.________ ans Bundesgericht vollständig einverstanden. Die Staatsanwaltschaft Frauenfeld solle ihn in Ruhe lassen und aufhören, böswillig Rechtsanwaltskosten zu verursachen. Die Eingabe trägt das Datum vom 2. Januar 2017. Als Absender des am 3. Januar 2017 in CH-8472 Seuzach per Einschreiben aufgegebenen Briefes firmiert X.________.
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Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau respektive die Staatsanwaltschaft-Frauenfeld verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Obergericht beantragt mit Eingabe vom 26. September 2017 unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Rechtsanwalt B.________ hat sich zur Stellungnahme des Obergerichts nicht geäussert.
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Erwägungen: |
1. |
Rechtsanwalt B.________ bringt vor, der ursprünglich beschuldigte und angeklagte Beschwerdeführer sei von allen ihm vorgeworfenen Delikten (neben Vernachlässigung der Unterhaltspflicht wurden mittels separater [Teil-]Einstellungsverfügungen auch Verfahren wegen Vergehen gegen das BVG, Urkundenfälschung und Betrug abgeschlossen) mangels nachgewiesener Schuld vollumfänglich freizusprechen. Dem "dringend auf notwendige Verteidigung angewiesenen" Beschwerdeführer seien die bis zur Berufungsverhandlung entstandenen Anwaltskosten von Fr. 64'763.85 sowie eine Genugtuung von Fr. 50'000.-- wegen eines nicht genau bezifferbaren Schadens im beruflichen Fortkommen unter solidarischer Haftung von A.________ und der Staatskasse zu zahlen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz unter Berücksichtigung von Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK i.V.m. Art. 29 BV und Art. 130 - 135, 136 - 138 StPO zurückzuweisen.
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2. |
2.1. Das Bundesgericht ist weder an die in der Beschwerde vorgetragene Begründung noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder sie mit einer von den rechtlichen Überlegungen der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 143 V 19 E. 2.3 S. 23 f.; 141 III 426 E. 2.4 S. 429).
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2.2. Entscheide, in denen über Straf- und Zivilfragen materiell befunden wird, ergehen in Form eines Urteils, die anderen Entscheide, insbesondere die Einstellung des Verfahrens, in Form eines Beschlusses bzw. einer Verfügung (vgl. Art. 80 Abs. 1 StPO; Urteil 6B_991/2013 vom 24. April 2014 E. 2.3).
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Eine Verfahrenseinstellung kann nach Anklageerhebung auch vom Gericht angeordnet werden, wenn ein Urteil wegen fehlender Prozessvoraussetzungen oder vorhandener Prozesshindernisse (Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO) nicht gefällt werden kann (vgl. Urteil 6B_991/2013 vom 24. April 2014 E. 2.3; STEPHENSON/ZALUNARDO-WALSER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 13 zu Art. 329 StPO).
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2.3. Beschlüsse und Verfügungen erstinstanzlicher Gerichte unterliegen der Beschwerde (vgl. Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO). Gegen Urteile erstinstanzlicher Gerichte, mit denen das Verfahren ganz oder teilweise abgeschlossen wurde, ist die Berufung gegeben (Art. 398 Abs. 1 StPO). Aus der Qualifikation des anzufechtenden Entscheids als Urteil oder Beschluss respektive Verfügung ergibt sich demnach (grundsätzlich) das zu erhebende Rechtsmittel (BGE 143 IV 40 E. 3.2.3 mit Hinweis).
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3. |
3.1. Das Bezirksgericht Frauenfeld stellte das Strafverfahren infolge "Rückzugs sämtlicher Strafanträge bzw. Anzeigen" aus prozessualen Gründen ein. Die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verletzung der Unterhaltspflichten beurteilte es nicht materiell. Der Entscheid des Dreiergerichts hätte demnach nicht in Form eines Urteils, sondern in Form eines (Einstellungs-) Beschlusses ergehen müssen (vgl. vorstehend E. 2.2), gegen den die Beschwerde das zulässige Rechtsmittel ist. Die Vorinstanz hat das vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eingereichte Rechtsmittel als Berufung entgegengenommen und beurteilt, anstatt es an die für Beschwerdeverfahren materiell und funktionell zuständige zweite Abteilung weiterzuleiten (vgl. Art. 20 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1, Art. 39 Abs. 1, Art. 403 Abs. 1 StPO und Ziff. 5.2 der Geschäftsordnung des Obergerichts [des Kantons Thurgau] vom 1. Oktober 2010; Urteil 6B_333/2016 vom 30. Juni 2016 E. 1.4 und 1.6). Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache an die 2. Abteilung des Obergerichts des Kantons Thurgau als Beschwerdeinstanz in Strafsachen zu überweisen.
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3.2. Offenbleiben kann insoweit, ob die Eingabe von Rechtsanwalt B.________ den Formerfordernissen gemäss Art. 42 BGG genügt und ob die handschriftliche Eingabe vom 2. Januar 2017 eine wirksame Prozessvollmacht seitens des Beschwerdeführers darstellt. Dies erscheint u.a. deshalb fraglich, weil der Beschwerdeführer anscheinend verkennt, dass nicht die Staatsanwaltschaft Frauenfeld, sondern Rechtsanwalt B.________ verhindert, dass das vorliegende (sowie weitere) Strafverfahren nicht mit dem Entscheid des Bezirksgerichts und der vor diesem geschlossen Vereinbarung beendet wurde.
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Die Beschwerdeinstanz wird in Ausübung ihrer gerichtlichen Fürsorgepflicht namentlich klären müssen, ob noch ein wirksames Mandatsverhältnis besteht und ob eine sachgerechte und unabhängige Interessenwahrnehmung durch Rechtsanwalt B.________ (noch) gewährleistet ist. Ein Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers an der Anfechtung des erstinstanzlichen Entscheids ist aufgrund der "umfassenden Vereinbarung zur Erledigung des Einspracheverfahrens" unter Rückzug der Strafanträge durch A.________ nicht ohne Weiteres ersichtlich und es erscheint zweifelhaft, ob sich der Beschwerdeführer der Konsequenzen und Tragweite der Rechtshandlungen von Rechtsanwalt B.________ bewusst ist.
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4. |
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 BGG) und keine Entschädigungen zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 und 4 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 15. August 2016 wird aufgehoben und die Sache zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens an das Obergericht des Kantons Thurgau, 2. Abteilung, zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen ausgerichtet.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 13. Dezember 2017
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Held
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