BGer 9C_857/2017
 
BGer 9C_857/2017 vom 24.08.2018
 
9C_857/2017
 
Urteil vom 24. August 2018
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Huber.
 
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdeführerin,
gegen
vertreten durch Rechtsanwalt Serge Flury,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 2. November 2017 (VBE.2017.410).
 
Sachverhalt:
A. A.________ meldete sich im November 2014 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau der Versicherten mit Verfügung vom 28. März 2017 eine vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 befristete Viertelsrente zu.
B. Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 2. November 2017 gut. Es hob die Verfügung vom 28. März 2017 auf und sprach der Versicherten ab dem 1. Juli 2015 bis zum 31. Dezember 2015 eine halbe Rente und ab dem 1. Januar 2016 eine Viertelsrente zu (Dispositiv-Ziffern 1 und 2; Kosten- und Entschädigungsfolgen in Dispositiv-Ziffern 3 und 5). Ausserdem überband es der IV-Stelle Abklärungskosten in der Höhe von Fr. 28.45 (Dispositiv-Ziffer 4).
C. Die IV-Stelle des Kantons Aargau führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und die Bestätigung der Verfügung vom 28. März 2017.
 
Erwägungen:
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2. Unter Berücksichtigung der Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft das Bundesgericht nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 138 I 274 E. 1.6 S. 280). Im angefochtenen Entscheid erkannte die Vorinstanz in Dispositiv-Ziffer 4, die IV-Stelle habe die Abklärungskosten in der Höhe von Fr. 28.45 zu übernehmen. Diese beantragt im bundesgerichtlichen Verfahren zwar die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und die Bestätigung der Verfügung vom 28. März 2017, macht jedoch in der Beschwerde keinerlei Ausführungen zu den auferlegten Kosten und begründet den Antrag auf Aufhebung dieser Dispositiv-Ziffer folglich nicht, weshalb darauf nicht einzutreten ist (Art. 42 Abs. 2 BGG).
3. In medizinischer Hinsicht ging die Vorinstanz von einem der Versicherten zumutbaren Arbeitspensum von 50 % ab dem 30. Juli 2015 und von einem solchen von 60 % ab dem 22. September 2015 aus. Das kantonale Gericht ermittelte durch einen Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG und Art. 28a Abs. 1 IVG) bei einem Valideneinkommen von Fr. 46'239.- und einem Invalideneinkommen von Fr. 23'160.- ab dem 30. Juli 2015 einen Invaliditätsgrad von 50 % und bei einem Invalideneinkommen von Fr. 27'791.- ab dem 22. September 2015 einen Invaliditätsgrad von 40 %, was ab dem 1. Juli 2015 bis zum 31. Dezember 2015 einen Anspruch auf eine halbe Rente und ab dem 1. Januar 2016 auf eine Viertelsrente ergab. Dabei stützte die Vorinstanz das Vorgehen der IV-Stelle, welche die Invalideneinkommen auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2014 des Bundesamtes für Statistik (LSE) ermittelte. Ebenfalls bestätigte das kantonale Gericht die von der Verwaltung vorgenommene "Parallelisierung" der Vergleichseinkommen im Umfang von 9,8 %, da das Valideneinkommen unter den branchenüblichen Tabellenlöhnen lag (vgl. BGE 135 V 297). Zusätzlich nahm die Vorinstanz einen Abzug vom Tabellenlohn von 5 % nach BGE 126 V 75 vor.
4. Die Beschwerdeführerin rügt einzig, ein Abzug vom Tabellenlohn bei der Festsetzung des Invalideneinkommens verletze Bundesrecht.
4.1. 
4.1.1. Mit dem Abzug vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301).
4.1.2. Entgegen der Beschwerdegegnerin ist die Frage, ob ein (behinderungs- bzw. leidensbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen ist, eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72; Urteil 8C_114/2017 vom 11. Juli 2017 E. 3.2).
4.2. Gemäss kantonalem Gericht würden sich das Alter der im März 1966 geborenen Versicherten (LSE 2014, Tabelle T17, 30-49 Jahre, Frauen, Berufshauptgruppe 9) wie auch deren Niederlassungsbewilligung der Kategorie C (LSE 2014, Tabelle T12_b, ohne Kaderfunktion) lohnsenkend auswirken, weshalb der insgesamt zu schätzende Abzug vom Tabellenlohn mit 5 % zu veranschlagen sei.
4.3. 
4.3.1. Das Alter wirkt sich bei Frauen im Segment von 40 bis 64/65 Jahren bei Stellen ohne Kaderfunktion eher lohnerhöhend aus (vgl. LSE 2014, Tabelle TA9, Frauen, Median, ohne Kaderfunktion; Urteil 8C_558/2017 vom 1. Februar 2018 E. 5.3.2 mit weiteren Hinweisen). Auch unter Berücksichtigung der von der Vorinstanz für diese Frage herangezogenen Tabelle T17 (vgl. E. 4.2 hiervor) wirkt sich das Alter der Beschwerdegegnerin nicht signifikant lohnmindernd aus. Mithin vermag dieses Kriterium keinen Abzug vom Tabellenlohn zu begründen.
4.3.2. Was den Ausländerstatus anbelangt, ist ebenfalls kein Abzug angezeigt, verdienen doch Frauen mit Niederlassungsbewilligung (Kategorie C, was auf die Beschwerdegegnerin zutrifft) ohne Kaderfunktion zwar weniger als Schweizerinnen (LSE 2014, Tabelle T12_b, Frauen, Median), aber dennoch mehr als das für die Invaliditätsbemessung herangezogene Durchschnittseinkommen (LSE 2014, Tabelle TA1, Kompetenzniveau 1, Frauen, Total; vgl. Urteil 9C_81/2011 vom 28. März 2011 E. 4.3). Im Übrigen weist die IV-Stelle zu Recht auf die Rechtsprechung gemäss Urteil 8C_484/2008 vom 4. Juni 2009 E. 5.2.2 hin (siehe auch Urteil 9C_717/2009 vom 20. Oktober 2009 E. 4), wonach die allenfalls lohnmindernde Auswirkung des Ausländerstatus, die mittels "Parallelisierung" schon berücksichtigt wurde, nicht zusätzlich noch einen leidensbedingten Abzug begründen kann.
4.4. Aus den dargelegten Gründen verletzt der von der Vorinstanz gewährte Abzug vom Tabellenlohn Bundesrecht. Das Invalideneinkommen ist folglich ohne einen Tabellenlohnabzug zu ermitteln; somit sind die in Erwägung 5.2 des angefochtenen Urteils aufgeführten Invalideneinkommen nicht zu reduzieren. Damit bleibt es bei den von der Beschwerdeführerin festgelegten Invaliditätsgraden (47 % bzw. 37 %) und somit beim am 28. März 2017 verfügten Rentenanspruch. Die Beschwerde ist begründet.
5. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten vollumfänglich der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Nichteintreten auf einen Antrag in der Beschwerde (vgl. E. 2 hiervor) rechtfertigt im vorliegenden Fall weder eine Reduktion der Gerichtskosten noch eine Parteientschädigung zugunsten der Versicherten.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Die Dispositiv-Ziffern 1 bis 3 und 5 des Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 2. November 2017 werden aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 28. März 2017 wird bestätigt.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Pensionskasse B.________ AG schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 24. August 2018
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Die Gerichtsschreiberin: Huber