BGer 9C_9/2019
 
BGer 9C_9/2019 vom 12.06.2019
 
9C_9/2019
 
Urteil vom 12. Juni 2019
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Leo Sigg,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,
Sammelstiftung B.________,
Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. November 2018 (VBE.2018.141).
 
Sachverhalt:
A. 
A.a. Der 1965 geborenen A.________ wurden mit Verfügungen der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 14. Mai/4. Juli 2002 für die Zeit vom 1. März 2000 bis 31. Juli 2001 eine halbe und ab 1. August 2001 eine ganze Invalidenrente zugesprochen. In den Jahren 2003, 2004, 2007, 2010 und 2011 durchgeführte Revisionsverfahren ergaben unveränderte Invaliditäts- und Rentenverhältnisse.
A.b. Im November 2014 leitete die IV-Stelle erneut eine Überprüfung von Amtes wegen ein. Dabei veranlasste sie u.a. ein polydisziplinäres Gutachten der medexperts AG, Interdisziplinäre Medizin, St. Gallen, vom 1. September 2015 und zog eine Stellungnahme ihres Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 8. September 2015 bei. In der Folge absolvierte A.________ vom 24. April bis 22. Oktober 2017 im Rahmen von Eingliederungsmassnahmen ein Aufbau- sowie Arbeitstraining. Mittels Vorbescheids wurde daraufhin revisionsweise die Aufhebung der bisherigen Rente angekündigt, wogegen die Versicherte intervenierte. Am 17. Januar 2018 verfügte die Verwaltung in diesem Sinne.
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 14. November 2018).
C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihr weiterhin die gesetzlichen Leistungen, namentlich eine ganze Rente, zu gewähren. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese weitere medizinische Abklärungen vornehme, insbesondere eine medizinische Stellungnahme betreffend die objektiv mögliche Arbeitsfähigkeit im Rahmen der erfolgten Eingliederungsmassnahmen einhole.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
1. 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Indes prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236).
2. 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die von der Beschwerdegegnerin am 17. Januar 2018 - nach Abschluss der beruflichen Eingliederung - verfügte revisionsweise Aufhebung der bisherigen Invalidenrente bestätigt hat.
 
2.2.
2.2.1. Im angefochtenen Entscheid wurden die massgeblichen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Es betrifft dies namentlich die Bestimmungen und Grundsätze zur Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), zur Invalidität (Art. 7 Abs. 1 ATSG) und zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 ATSG; BGE 130 V 343 E. 3.2.1 S. 346 f.), zum Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG), zur bei teilerwerbstätigen Versicherten zur Anwendung gelangenden gemischten Invaliditätsbemessungsmethode (Art. 28a Abs. 3 IVG und Art. 27bis IVV [in der ab 1. Januar 2018 gültigen, hier anwendbaren Fassung]), zur Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f.; 134 V 131 E. 3 S. 132 f.; 117 V 198 E. 4b S. 200; Urteile 9C_349/2013 vom 24. Oktober 2013 E. 3.1 und 8C_972/2009 vom 27. Mai 2010 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 136 V 216, aber in: SVR 2011 IV Nr. 1 S. 1; vgl. auch Art. 88a Abs. 1 und 2 IVV) und zum Beweiswert sowie zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis). Darauf wird verwiesen.
2.2.2. Korrekt wiedergegeben hat die Vorinstanz insbesondere, dass Voraussetzung für eine Rentenrevision die Änderung des Invaliditätsgrads einer rentenbeziehenden Person in einer für den Anspruch erheblichen Weise bildet. Richtig ist, dass für eine Rentenanpassung daher nicht bereits "irgendeine" Veränderung im Sachverhalt genügt. Eine hinzugetretene oder weggefallene Diagnose stellt somit nicht per se einen Revisionsgrund dar, da damit das quantitative Element der (erheblichen) Gesundheitsverbesserung oder -verschlechterung nicht zwingend ausgewiesen ist. Eine weitere Diagnosestellung bedeutet nur dann eine revisionsrechtlich relevante Gesundheitsverschlechterung oder eine weggefallene Diagnose eine verbesserte gesundheitliche Situation, wenn diese veränderten Umstände den Rentenanspruch berühren (BGE 141 V 9 E. 5.2 S. 12 f. mit Hinweisen).
3. 
3.1. Das kantonale Gericht erblickt einen Revisionsgrund nach Art. 17 Abs. 1 ATSG darin, dass gemäss dem beweiskräftigen Gutachten der medexperts AG vom 1. September 2015 im Jahr 2003 erstmals klinisch-neurologisch und elektrophysiologisch eine chronische Schädigung der Cauda equina bei der Beschwerdeführerin dokumentiert worden sei. Darin liege - so vorinstanzlich im Weiteren - die anspruchsrelevante Veränderung des Sachverhalts im Sinne ihrer Eignung, zu einer abweichenden Beurteilung des Rentenanspruchs zu führen, wobei diese Schädigung vorliegend die Arbeitsfähigkeit der Versicherten auch tatsächlich beeinflusse. Soweit der RAD in seiner Stellungnahme vom 8. September 2015 von einem unveränderten Gesundheitszustand ausgegangen sei, könne ihm nicht gefolgt werden. Auch die Beschwerdeführerin gehe daher zu Unrecht von einem solchen aus. Die Schädigung der Cauda equina sei ausweislich der Akten (Bericht der Orthopädischen Universitätsklinik C.________ vom 13. März 2003) erstmals 2003 - und damit nach Erlass der rentenzusprechenden Verfügungen der Beschwerdegegnerin vom 14. Mai/4. Juli 2002 - diagnostiziert worden. Da somit ein Revisionsgrund bestehe, sei der Rentenanspruch rechtsprechungsgemäss in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend ("allseitig") zu prüfen, wobei keine Bindung an frühere Beurteilungen bestehe.
3.2. Unbestrittenermassen waren für die am 14. Mai/4. Juli 2002 rückwirkend zugesprochene Rente die tatsächlichen Verhältnisse massgebend, wie sie sich bis zum Zeitpunkt des Erlasses der betreffenden Verfügungen entwickelt hatten (vgl. etwa BGE 132 V 215 E. 3.1.1. S. 220; 130 V 138 E. 2.1 S. 140).
3.2.1. Damals litt die Versicherte, nachdem sie sich am 23. November 2000 (Mikrofenestration L5/S1 links und Diskektomie) und 7. Februar 2002 (dekompressive Laminektomie L5 und mikrotechnische Dekompression L5/S1 beidseitig, dorsale Stabilisation mittels SSE und PLIF) operativen Eingriffen unterzogen hatte, weiterhin an chronischen Rückenschmerzen. Gestützt auf eine ambulante Konsultation vom 27. Februar 2003 waren die Ärzte der Klinik C.________ mit Bericht vom 13. März 2003 zum Schluss gelangt, dass die klinisch-neurologische und neurophysiologische Untersuchung eine leichte Störung der sakralen Segmente gezeigt habe, welcher Befund vereinbar sei mit einer inkompletten chronischen Störung der Cauda equina. PD Dr. med. D.________, Spezialarzt FMH für Orthopädische Chirurgie, hielt in seinem Bericht vom 8. April 2003 fest, der Bericht der Klinik C.________ bestätige den Befund einer älteren Schädigung des Sacralsegments im Sinne einer inkompletten chronischen Cauda equina-Störung, der einer intraoperativ mechanischen Irritation vor ca. Jahresfrist entspreche. Auch der Hausarzt Dr. med. E.________, Arzt für Allgemeinmedizin FMH, fügte daraufhin seiner Diagnosestellung zusätzlich ein inkomplettes chronisches Cauda Equina-Syndrom hinzu (Verlaufsbericht vom 13. April 2003). Eine erneute bildmorphologische Kontrolle (MRI-LWS) vom 1. Dezember 2010 konnte keine Cauda-Kompression nachweisen bei Spondylodese L5/S1 mit Fixateur interne und Cage intercorporell in situ ohne Umgebungsreaktion (Bericht des PD Dr. med. D.________ vom 25. Februar 2011). Im Gutachten der medexperts AG vom 1. September 2015 wurde schliesslich vermerkt, retrospektiv könne die Ursache für die autonomen Störungen nicht sicher eruiert werden. Letztlich werde im Bericht des Spitals F.________, Neurochirurgische Klinik, vom 7. August 2002 von einer Besserung der Harnblasen- und Mastdarmstörungen berichtet. Ob diese Symptome unmittelbar postoperativ aufgetreten seien und sich bis zum Zeitpunkt der erwähnten Verlaufskontrolle oder im Vergleich zum Status präoperativ gebessert hätten, sei aktenanamnestisch nicht nachvollziehbar. Gemäss Anamnese seien die Beschwerden aber im klaren zeitlichen Zusammenhang direkt nach der zweiten Operation (vom 7. Februar 2002) aufgetreten. Die Einschätzung der Klinik C.________, dass eine im Jahr 2003 chronische inkomplette Schädigung der Cauda equina vorgelegen habe, sei nachvollziehbar. Ob tatsächlich eine intraoperative mechanische Irritation ursächlich verantwortlich sei, wie von PD Dr. med. D.________ postuliert, könne retrospektiv nicht beurteilt werden. Immerhin sei die MRI-Verlaufskontrolle der LWS 2010 regelrecht ohne Kompression der Cauda equina und mit regelrechter Spondylodese L5/S1 ausgefallen.
3.2.2. Dem kantonalen Gericht ist vor diesem Hintergrund insofern beizupflichten, als die Schädigung der Cauda Equina erstmals im März 2003 und damit nach den rentenzusprechenden Verfügungen vom 14. Mai/4. Juli 2002 diagnostiziert worden war. Die hier im Fokus stehenden Rückenbeschwerden waren aber bereits unmittelbar nach der zweiten Operation vom 7. Februar 2002 - also noch vor dem Berentungszeitpunkt - manifest geworden. Lediglich die entsprechende Diagnose wurde von den beteiligten Ärzten erst im späteren Verlauf gestellt. Demgegenüber hatte die Schulterproblematik, die im von der Vorinstanz erwähnten BGE 141 V 9 die revisionsrechtlich erhebliche Sachverhaltsänderung darstellte, im der damaligen Rentenzusprache zugrunde liegenden Gutachten "weder diagnostisch noch klinisch festgestellt" werden können (BGE a.a.O. E. 3.2 S. 12). Es hatte sich vielmehr um eine zum bestehenden Beschwerdebild neu hinzugetretene gesundheitliche Symptomatik gehandelt (BGE a.a.O. E. 5.3 S. 13). Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass der Gesundheitsschaden, welcher vorliegend zur Zusprechung einer Rente geführt hat, an sich gleich geblieben ist und einzig dessen diagnostische Einordnung zu einem nachgelagerten Zeitpunkt erfolgte. Ist somit das quantitative Element der (erheblichen) Gesundheitsverbesserung oder -verschlechterung nicht ausgewiesen, kann keine anspruchsrelevante Veränderung nach Art. 17 Abs. 1 ATSG als erstellt angesehen werden. Die vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen sind demgemäss in diesem Punkt unhaltbar (Art. 105 Abs. 2 BGG) und daher für das Bundesgericht nicht verbindlich (E. 1.1 hiervor).
3.3. Im kantonalen Entscheid wurde ferner zutreffend dargelegt, dass allein die - unbestrittene - Erhöhung des hypothetischen Erwerbspensums auf 80 % keine Veränderung des Rentenanspruchs bewirkt. Eine andere anspruchsrelevante Veränderung des Sachverhalts im massgeblichen Vergleichszeitraum ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Es liegt folglich kein Revisionsgrund vor, weshalb der Beschwerdeführerin weiterhin eine ganze Rente auszurichten ist.
Die Beschwerde ist daher begründet und der vorinstanzliche Entscheid sowie die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 17. Januar 2018 sind aufzuheben.
4. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Ferner hat sie der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. November 2018 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 17. Januar 2018 werden aufgehoben.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3. Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen.
5. Dieses Urteil wird den Parteien, der Sammelstiftung B.________, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 12. Juni 2019
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Meyer
Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl