BGer 6B_1108/2019 |
BGer 6B_1108/2019 vom 27.11.2019 |
6B_1108/2019 |
Urteil vom 27. November 2019 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Oberholzer,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiber Traub.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Kenad Melunovic Marini,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Sachentziehung (Art. 141 StGB); Anklagegrundsatz,
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 26. Juni 2019 (SB180352-O/U/cwo).
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Sachverhalt: |
A. A.________ wird vorgeworfen, am 3. Dezember 2016 bei einem gemeinsamen Saunabesuch die Kleider von B.________ versteckt und trotz ihrer mehrfachen Bitte nicht an sie zurückgegeben zu haben. Das Bezirksgericht Zürich sprach A.________ der Sachentziehung schuldig und belegte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen bei einer Probezeit von zwei Jahren (Urteil vom 30. Mai 2018).
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B. Auf Berufung von A.________ hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich das bezirksgerichtliche Urteil am 26. Juni 2019.
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C. A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 26. Juni 2019 sei aufzuheben und er vom Vorwurf der Sachentziehung freizusprechen. Eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägungen: |
1. Der Sachentziehung schuldig macht sich, wer dem Berechtigten ohne Aneignungsabsicht eine bewegliche Sache entzieht und ihm dadurch einen erheblichen Nachteil zufügt (Art. 141 StGB).
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Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 9 Abs. 1 StPO) geltend. Wenn die Vorinstanz davon ausgehe, der Tatvorwurf umfasse auch den im Gesetz umschriebenen Nachteil in Gestalt des Umstandes, dass die Geschädigte die Lokalität mangels Kleidern nicht verlassen konnte und sich gegen ihren Willen dort aufhalten musste, so konstruiere sie einen Sachverhalt, der nicht angeklagt sei. Als Beschuldigter müsse er wissen, welcher Lebenssachverhalt als "erheblicher Nachteil" gelten soll. Umschrieben seien bloss das Entziehen einer beweglichen Sache, nicht aber tatsächliche Umstände, aus denen der Taterfolg, d.h. der aus dem Entziehen resultierende erhebliche Nachteil, abgeleitet werden könnte. Auch fehle die Umschreibung des dazugehörigen Vorsatzes. Zudem stört sich der Beschwerdeführer an einer Formulierung im angefochtenen Urteil, wonach die Anklageschrift "als Gesamtes im Lichte der übrigen Akten auszulegen" sei (S. 7 E. 4.3 a.E.).
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Diese Rügen sind in der Sache nicht nachvollziehbar. Im Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich - Limmat vom 8. September 2017, der hier die Funktion einer Anklageschrift erfüllt (Art. 356 Abs. 1 StPO), wird der Tatvorwurf mit folgenden Worten umschrieben: " Der Beschuldigte versteckte zu vorgenannter Zeit und Ort nach einem gemeinsamen Saunabesuch die Kleider der Geschädigten B.________ und gab sie dieser trotz mehrfacher Bitte derselben nicht mehr zurück, wobei der Beschuldigte die Kleider nicht für sich behielt sondern es ihm einzig und allein darum ging, das Eigentum der Geschädigten vorzuenthalten ". Die Vorinstanz sieht in dieser Umschreibung des Tatvorgehens den Nachteil "mitumschrieben", den der Beschwerdeführer der Geschädigten zugefügt haben soll, indem er ihre Kleider versteckt hat. Wenn er der Bitte um Rückgabe wiederholt nicht nachgekommen sei, so folge daraus ohne Weiteres, dass die Geschädigte gezwungen war, sich in den Räumlichkeiten des "Sauna-Studio-Tanzlokals" ohne Kleider aufzuhalten. Die Formulierung, der Beschwerdeführer habe die Kleider trotz mehrfacher Bitte nicht an die Geschädigte zurückgegeben, mache deutlich, dass es nicht ihrem Willen entsprach, ohne Kleider in den fraglichen Räumen zu verbleiben. Aus der Schilderung ergebe sich auch, dass der Beschwerdeführer diesen Nachteil vorsätzlich zugefügt habe; er habe die mehrfache Bitte um Rückgabe der Kleider ausgeschlagen. Ob der zugefügte Nachteil ein erheblicher sei, stelle eine Rechtsfrage dar.
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Den vorinstanzlichen Ausführungen bleibt nichts anzufügen. Die Antworten auf das in der Beschwerde geltend Gemachte ergeben sich ohne Weiteres schon aus dem angefochtenen Urteil (Art. 109 Abs. 3 BGG). Die in der Anklage umschriebenen Lebenssachverhalte zum Tatbestandselement des erheblichen Nachteils genügen der Umgrenzungs- und Informationsfunktion der Anklageschrift (vgl. dazu BGE 143 IV 63 E. 2.2 S. 65; 141 IV 132 E. 3.4.1 S. 142).
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2. Wiederum mit Bezug auf die Tatbestandsmerkmale des "Nachteils" und seiner "Erheblichkeit" rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Anspruchs auf Konfrontation mit Belastungszeugen (vgl. Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK). Eine belastende Aussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, die Aussage in Zweifel zu ziehen und der einvernommenen Person Ergänzungsfragen zu stellen (BGE 140 IV 172 E. 1.3 S. 176; 133 I 33 E. 3.1 S. 41).
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Die Vorinstanz führt aus, der Vorfall sei bereits aufgrund der eigenen Sachdarstellung des Beschwerdeführers erstellt. Nach Ansicht des Beschwerdeführers verkennt die Vorinstanz, dass die Aussagen des Beschwerdeführers ihren Grund in den belastenden Aussagen der Geschädigten haben. Er sei nicht geständig, was den Tatbestand der Sachentziehung angehe. Die Vorinstanz setze sich nicht damit auseinander, dass er die Konfrontation mit der Geschädigten im Berufungsverfahren nochmals beantragt habe. In der Einvernahme seiner Person, auf die sich die Vorinstanz beziehe, sei ihm nur eröffnet worden, dass "gegen ihn ein Strafverfahren wegen sexueller Belästigung/Sachentziehung betreffend einen Vorfall vom 3. Dezember 2016 eröffnet worden sei" (vgl. angefochtenes Urteil S. 10 E. 1.4). Ein Sachverhalt sei ihm nicht vorgehalten worden. Auch am Ende der Einvernahme sei ihm bezüglich eines erheblichen Nachteils nichts vorgehalten worden. Was ihm vorgehalten worden sei, habe auf eine Sachentziehung infolge Nichtrückgabe abgezielt und nicht auf den immateriellen Schaden, um welchen die Vorinstanz den angeklagten Sachverhalt erweitert habe. Erfolge kein Tatvorwurf nach Art. 158 Abs. 1 lit. a StPO, so seien Aussagen der beschuldigten Person zu den nicht vorgehaltenen Vorwürfen unverwertbar.
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Die Vorinstanz begründet die Abweisung der Beweisanträge auf Zeugenbefragung vor dem Hintergrund des nach den Aussagen des Beschwerdeführers erstellten Sachverhalts. Danach habe er nach einem ersten Saunagang die Kleider der Geschädigten behändigt und sie zusammen mit seinen eigenen Kleidern und denjenigen von C.________ (seiner Freundin und Halbschwester der Geschädigten) im Unterschrank eines Lavabos bei der Sauna versteckt. Die Geschädigte habe immer wieder nach ihren Kleidern gefragt, vom sich darob amüsierenden Beschwerdeführer aber keine Antwort erhalten. Nach rund einer halben Stunde habe sie den Unterschrank "aufgezerrt", die darin befindlichen Kleider aber übersehen. Da sich diese in einem Haufen mit den Kleidern von zwei weiteren Personen befunden hätten, erstaune es nicht, dass die Geschädigte nicht erkannte, dass sich ihre Kleider in diesem Haufen befanden. Andernfalls hätte sie ihre Suche sicherlich abgebrochen. Der Beschwerdeführer habe die Geschädigte weiter suchen lassen, bis sie schliesslich die Kleider ihrer Schwester angezogen habe, ihre Schuhe holte und die Lokalität verliess. Die Beweisanträge auf Befragung von C.________ und auf nochmalige Befragung "aller anderen Belastungspersonen" unter Wahrung der Teilnahmerechte des Beschwerdeführers weist die Vorinstanz unter Verweisung auf Art. 139 Abs. 2 StPO ab. Nach dieser Bestimmung wird u.a. über unerhebliche oder rechtsgenügend erwiesene Tatsachen nicht Beweis geführt. Die Vorinstanz erwägt, es sei schon aufgrund der Darstellung des Beschwerdeführers klar, dass die Geschädigte ihre Kleider behändigt - und nicht weitergesucht und dann die Kleider ihrer Schwester angezogen - hätte, wenn sie sie beim Öffnen des Unterschranks tatsächlich gesehen hätte. Im Übrigen beruhe die Begründung der Beweisanträge auf Umständen, die für den zu beurteilenden Sachverhalt unerheblich seien. So sei entgegen der Meinung des Beschwerdeführers irrelevant, weshalb die Geschädigte nach dem Vorfall zuerst Essen gegangen und erst später die Polizei aufgesucht und wieso die Geschädigte nur ihn, nicht aber auch C.________ angezeigt habe.
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Die vorinstanzliche Beweiswürdigung ist schlüssig. Die Zufügung eines tatsächlichen Nachteils im Sinne von Art. 141 StGB folgt schon unmittelbar aus der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers. Die Geschädigte wollte sich anziehen, was ihr indes während mindestens einer halben Stunde verwehrt blieb, so dass sie sich schliesslich mit den Kleidern ihrer Schwester beholfen hat. Ob die Geschädigte objektiv die Möglichkeit hatte, sich umsichtiger zu verhalten und ihre Kleider schneller zu finden, ist unerheblich. Unter den gegebenen Umständen bedarf es keiner weiteren Beweiserhebung, um den Nachteil festzustellen (vgl. Art. 139 Abs. 2 StPO). Hat die Vorinstanz zu Recht auf die Angaben des Beschwerdeführers abgestellt und ergibt sich daraus ein vollständiger rechtserheblicher Sachverhalt, so bedurfte es keiner Befragung von C.________ und auch keiner (weiteren) Befragung der Geschädigten im Rahmen einer Konfrontationseinvernahme. Aus analogen Gründen war ein expliziter Vorhalt (Art. 158 Abs. 1 lit. a StPO) der zum Nachteil führenden Umstände nicht erforderlich. Die Verwertbarkeit der Aussagen des Beschwerdeführers ist somit nicht infrage gestellt. Die Erheblichkeit des Nachteils ist im Übrigen eine Rechtsfrage; dieses Tatbestandselement ist demnach nicht zu beweisen.
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3. Schliesslich rügt der Beschwerdeführer die vorinstanzliche Annahme eines nach Art. 141 StGB erheblichen Nachteils als bundesrechtswidrig. Der Beschwerdeführer macht geltend, es fehle an einem "Vorenthalten" und damit an einem (nicht bloss bagatellären) Nachteil. Namentlich bleibe unklar, weshalb die Geschädigte die Kleider nicht sofort an sich genommen habe und (weiter) danach gesucht haben wolle, obwohl der Schrank offen und die Kleider zugänglich gewesen seien. Unbestrittenermassen habe niemand nach dem ersten Saunagang die Räume verlassen. Daher hätten sich die Kleider nur in diesen Räumen befinden können. Dass die Geschädigte den Haufen nicht ergriff und darin nach ihren Kleider suchte, könne ihm nicht als absichtliche Nachteilszufügung zugeschrieben werden. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass die Geschädigte ihre eigenen Kleider in den sehr überschaubaren Örtlichkeiten so lange übersehe. Das erkläre auch, weshalb er sich amüsierte. Wieso das Verbleiben in den Räumlichkeiten einen Nachteil darstellen solle, begründe die Vorinstanz nicht.
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Die Vorinstanz stellt entscheidend darauf ab, dass die Geschädigte effektiv nicht erkannt hat, dass ihre Kleider Bestandteil des im Schrank befindlichen Kleiderhaufens waren (vgl. oben E. 2). Damit setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander. Ausserdem widerspricht er sich selbst, wenn er ausführt, es hätte zu jedem Zeitpunkt im Belieben der Geschädigten gestanden, ihre Kleider zu finden. Damit gibt er zu verstehen, dass er es nicht darauf angelegt habe, die Geschädigte daran zu hindern, die Räumlichkeiten zu verlassen. Indes hat er nach Feststellung der Vorinstanz im Vorverfahren ausgesagt, dass die Geschädigte und ihr Begleiter weggehen wollten, er aber der Ansicht gewesen sei, die Geschädigte habe sich nach ihm zu richten, was das Verbleiben vor Ort betrifft (angefochtenes Urteil S. 12 und 13). Die Ausführungen des Beschwerdeführers sind von vornherein nicht geeignet, die beanstandeten, in E. 2 hievor zitierten Erwägungen der Vorinstanz zu entkräften.
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Insoweit kann nicht auf die Beschwerde eingetreten werden (Art. 42 Abs. 2 BGG). Im Übrigen ist hinsichtlich der Erheblichkeit des Nachteils auf die Erwägungen der Vorinstanz zu verweisen (Art. 109 Abs. 3 BGG; vgl. angefochtenes Urteil S. 15 ff. E. 4).
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4. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Kosten sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 27. November 2019
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Traub
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