BGer 9C_683/2019
 
BGer 9C_683/2019 vom 06.01.2020
 
9C_683/2019
 
Urteil vom 6. Januar 2020
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Nünlist.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt MLaw Michael Walder,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 4. September 2019 (IV 2018/180).
 
Sachverhalt:
A. Der 1990 geborene A.________ meldete sich am 14. März 2016 unter Hinweis auf eine Panikstörung bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen tätigte daraufhin Abklärungen - insbesondere erstattete Dr. med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, am 27. November 2017 ein Gutachten. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens samt Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Experten vom 22. März 2018 verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 12. April 2018 die geltend gemachten Ansprüche auf berufliche Massnahmen sowie Rentenleistungen.
B. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 4. September 2019 ab.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides seien ihm die gesetzlichen Leistungen "aus IVG" auszurichten; eventualiter sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen zwecks Einholung eines Gerichtsgutachtens und anschliessender Leistungszusprache. Sodann lässt er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersuchen.
 
Erwägungen:
1. 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich unrichtig, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat. Solche Mängel sind in der Beschwerde aufgrund des strengen Rügeprinzips (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 144 V 50 E. 4.2 S. 53 mit Hinweisen; Urteil 9C_752/2018 vom 12. April 2019 E. 1.2).
2. 
2.1. Das kantonale Gericht hat die Ansprüche des Beschwerdeführers auf berufliche Massnahmen sowie auf eine Invalidenrente verneint. Hinsichtlich der beruflichen Massnahmen hat es auf eine fehlende subjektive Eingliederungsfähigkeit geschlossen. Im Zusammenhang mit dem Rentenanspruch ist es von einer 100%igen Arbeitsfähigkeit spätestens ab dem Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns ausgegangen. Grundlage hierfür bildete das Gutachten des Dr. med. B.________ vom 27. November 2017, samt ergänzender Stellungnahme vom 22. März 2018.
2.2. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit der Expertise von Dr. med. B.________ gefolgt ist.
3. 
3.1. Eine sachgerechte Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheids war möglich; es kann somit nicht von einer Verletzung der Begründungspflicht resp. des Anspruchs auf rechtliches Gehör gesprochen werden (vgl. BGE 142 III 433 E. 4.3.2 S. 436 mit Hinweisen).
 
3.2.
3.2.1. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind (BGE 140 V 193 E. 3.2 S. 195; 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).
3.2.2. Den im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholten Gutachten von externen Spezialärzten, welche aufgrund eingehender Beobachtungen und Untersuchungen sowie nach Einsicht in die Akten Bericht erstatten und bei der Erörterung der Befunde zu schlüssigen Ergebnissen gelangen, ist bei der Beweiswürdigung Beweiskraft zuzuerkennen, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 125 V 351 E. 3b/bb S. 353; Urteil 9C_278/2016 vom 22. Juli 2016 E. 3.2.2).
3.3. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit handelt es sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Ebenso stellt die konkrete Beweiswürdigung eine Tatfrage dar. Dagegen sind die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen sowie die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Anforderungen an die Beweiskraft ärztlicher Berichte und Gutachten Rechtsfragen (Urteile 9C_899/2017 vom 9. Mai 2018 E. 2.1 und 8C_673/2016 vom 10. Januar 2017 E. 3.2).
3.4. Der Beschwerdeführer beanstandet den Beweiswert der Expertise von Dr. med. B.________ im Zusammenhang mit der darin nicht gestellten Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS).
3.4.1. Der Experte orientierte sich an den Qualitätsleitlinien für versicherungspsychiatrische Gutachten der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) vom 16. Juni 2016 (3. vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage, SZS 2016 S. 435 ff.). Dies ist rechtsgenüglich, zumal die Beachtung von Leitlinien keine zwingende Voraussetzung für die Beweiskraft einer Expertise bildet (vgl. Urteile 8C_778/2018 vom 20. März 2019 E. 8.1.2, 9C_273/2018 vom 28. Juni 2018 E. 5.4 und 8C_734/2016 vom 12. Juli 2017 E. 3.9, je mit Hinweisen). Der Verweis des Versicherten auf die AWMF-Leitlinien "Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes, Jugend- und Erwachsenenalter" zielt ins Leere.
3.4.2. Als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie war Dr. med. B.________ qualifiziert, den psychischen Gesundheitszustand zu beurteilen, insbesondere auch hinsichtlich einer allfälligen ASS.
3.4.3. Der Gutachter nahm seine Expertise in Kenntnis der relevanten medizinischen Aktenlage vor. Er wusste somit auch um die aktenkundigen (fremd-) anamnestischen Angaben und (teils diskrepanten) Befunde.
3.4.4. Eine ASS verneinte Dr. med. B.________ unter Berücksichtigung der Kriterien gemäss ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen der WHO. Dabei würdigte er die von ihm erhobenen anamnestischen Angaben und Befunde (vgl. Dilling/Freyberger [Hrsg.], Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, 8. Aufl. 2016, S. 293 ff.).
3.4.5. Er begründete sodann explizit, weshalb er auch in Kenntnis der aktenkundigen fremdanamnestischen Angaben nicht auf eine ASS schliesse. Das Einholen zusätzlicher fremdanamnestischer Auskünfte unterlag seiner Fachkenntnis und seinem Ermessensspielraum (Urteil 9C_379/2019 vom 26. September 2019 E. 3.5.1 mit Hinweisen; vgl. auch Qualitätsleitlinien der SGPP, a.a.O.).
3.4.6. Zur Kritik der behandelnden Ärztin med. pract. C.________ - keine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie - vom 27. Februar 2018 nahm Dr. med. B.________ am 22. März 2018 eingehend Stellung. In diesem Rahmen äusserte er sich auch nochmals zu den bereits in der Expertise erhobenen und gewürdigten anamnestischen Angaben sowie Befunden (Verhaltensauffälligkeiten des Vaters; Vermeiden des Blickkontakts; Sozialverhalten in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter; Ängste respektive Befürchtungen und Zwänge/Rituale sowie Vermeidungsverhalten). Sodann begründete er ausführlich, weshalb er - auch in Kenntnis des zweimaligen schulischen Timeouts des Versicherten - nicht von einer ASS ausgehe und legte dar, inwiefern die diesbezügliche Schlussfolgerung der behandelnden Ärztin in Zweifel zu ziehen sei.
3.4.7. Schliesslich setzte sich der Gutachter auch mit der Kritik des Beschwerdeführers an seiner Expertise auseinander.
3.4.8. Nach dem Gesagten genügt das Gutachten des Dr. med. B.________ vom 27. November 2017 (samt ergänzender Stellungnahme vom 22. März 2018) den Anforderungen an die Beweiskraft (vgl. E. 3.2). Die Rügen des Versicherten dringen nicht durch.
3.5. Der Beschwerdeführer beschränkt sich im Weiteren darauf, die medizinischen Unterlagen abweichend von der Vorinstanz zu würdigen und daraus andere Schlüsse zu ziehen, was nicht genügt (Urteile 9C_123/2018 vom 16. Januar 2019 E. 3.4.2 und 9C_494/2016 vom 19. Dezember 2016 E. 3.5). Die vorinstanzliche Beweiswürdigung und die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit (E. 2.1) sind nicht offensichtlich unrichtig. Sie beruhen auch nicht auf einer Rechtsverletzung, insbesondere liegt keine Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) vor. Damit bleiben sie für das Bundesgericht verbindlich (vgl. E. 1). Die Ausführungen des kantonalen Gerichts zur Invaliditätsbemessung werden zu Recht nicht bestritten. Die Beschwerde ist unbegründet.
4. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos ist (Art. 64 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG sind indessen umständehalber keine Gerichtskosten zu erheben.
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 6. Januar 2020
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Die Gerichtsschreiberin: Nünlist