BGE 98 Ia 35 - Dacheinschnitte
 
7. Urteil
vom 1. März 1972
i.S. Meyer gegen Verwaltungsgericht und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft.
 
Regeste
Eigentumsgarantie, gesetzliche Grundlage.
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 2).
Zulässigkeit analoger Anwendung von Eigentumsbeschränkungen aus dem Gesichtspunkt der Willkür (Erw. 3 a).
Analoge Anwendung des Verbots von "Dachaufbauten" auf "Dacheinschnitte" (Erw. 3 b).
 


BGE 98 Ia 35 (35):

Sachverhalt
A.
Die Zonenvorschriften der Gemeinde Therwil (BL) bestimmen über die Wohnzone W 2b:


BGE 98 Ia 35 (36):

"Gestattet sind zwei Vollgeschosse; Dachaufbauten sind nur zulässig, wenn die Fassadenhöhe unter 4.0 m liegt. Über eingeschossigen Fassaden können Dachaufbauten nach Zonenreglement Normblatt ZR 7/63 Ziffer 2 erstellt werden, wenn die verlangten Bedingungen eingehalten sind."
Das Normblatt ZR 7/63 enthält, wie der beigefügte Kommentar erklärt, "reine Gestaltungsvorschriften, die darauf abzielen, unschöne Dachaufbauten zu verhindern". Es schreibt zunächst in Ziff. 1 vor, dass alle Aufbauten ästhetisch befriedigen und mit den darunter liegenden Fassaden harmonieren müssen. Sodann bestimmt es, unter welchen Voraussetzungen Aufbauten bei geneigten Dächern (Ziff. 2) und bei Flachdächern (Ziff. 3) zulässig sind.
B.
Architekt Felix Boris Meyer ist Eigentümer eines Grundstücks in Therwil, das in der Wohnzone W 2b liegt. Am 7. Juli/11. August 1967 erhielt er von der kantonalen Baudirektion die Bewilligung, auf diesem Grundstück ein Wohnhaus zu bauen. Das Haus besteht nach den genehmigten Plänen aus zwei Vollgeschossen und einem Dachgeschoss, dessen Räume durch Fenster in den Giebelwänden sowie durch Fenster, die in die Dachfläche eingelassen sind, belichtet werden. Als der Dachstuhl schon aufgerichtet war, entschloss sich Meyer zu einem "Dacheinschnitt" an der Südostecke des Hauses, um die Dachwohnung besser zu besonnen. Er liess diese Änderung sofort ausführen und stellte erst später, am 7. Mai 1968, ein nachträgliches Baugesuch um Bewilligung derselben.
Das kantonale Baupolizeiamt wies dieses Gesuch am 2. März 1970 ab und verfügte die Schliessung des Dacheinschnittes. Meyer erhob hiegegen Beschwerde mit der Begründung, dass die massgebenden Vorschriften nur Dachaufbauten regelten, dass es nicht angehe, diesen die Dacheinschnitte gleichzusetzen, und dass Dacheinschnitte nur aufgrund einer besonderen Vorschrift verboten werden könnten. Die kantonale Baurekurskommission, der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft wiesen die Beschwerde ab, dieses mit Urteil vom 1. Juni 1971 im wesentlichen aus folgenden Gründen: Streitig sei, ob die in den Zonenvorschriften von Therwil enthaltene Vorschrift über Dachaufbauten auch auf Dacheinschnitte anwendbar sei oder ob die Nichterwähnung von Dacheinschnitten im kantonalen und kommunalen Recht

BGE 98 Ia 35 (37):

als qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers zu betrachten sei. Da in der Zone W 2b nur dunkle Satteldächer zugelassen seien, bewirke das Verbot von Aufbauten über einer gewissen Fassadenhöhe, dass die Dächer des Wohnquartiers einen homogenen Eindruck hinterlassen. Aufbauten über niedrigeren Fassaden seien nur unter einschränkenden Bedingungen zulässig. Hieraus folge, dass es dem Gesetzgeber in erster Linie daran gelegen sei, dass die Bedachung des Quartiers im Stile des traditionellen Satteldaches erfolge und sich dem Betrachter ein einheitliches Siedlungsbild darbiete. Es handle sich somit um ein Anliegen des Orts- und Landschaftsschutzes. Es frage sich weiter, ob Dacheinschnitte den Gesamteindruck der Satteldächer auf gleiche oder ähnliche Weise beeinträchtigen wie Dachaufbauten, so dass sich nach dem Sinne der Vorschrift eine Gleichstellung aufdränge. Das sei zu bejahen, da Dacheinschnitte als "Löcher" in der geschlossenen Dachhaut wirkten und wie Dachaufbauten durchaus geeignet seien, den Gesamteindruck der Satteldächer zu stören. Der Augenschein habe ergeben, dass dér Dacheinschnitt am Hause des Beschwerdeführers so ausgeführt sei, dass er nicht unästhetisch wirke. Indessen verbiete der Gesetzgeber Dachaufbauten und damit auch Dacheinschnitte generell, ohne die unterschiedliche architektonische Gestaltung und ästhetische Wirkung in Betracht zu ziehen, weshalb die Beschwerde abzuweisen sei.
C.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt F. B. Meyer, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 1. Juni 1971 sei aufzuheben und es seien die Behörden anzuweisen, dem Beschwerdeführer für die am 7. Mai 1968 eingereichten Pläne eine Baubewilligung zu erteilen. Er macht Verletzung des Art. 4 BV und der Eigentumsgarantie geltend und bringt zur Begründung im wesentlichen vor: Beschränkungen der Baufreiheit seien Eigentumsbeschränkungen und mit der Eigentumsgarantie nur vereinbar, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Hieran fehle es hier, da weder die Zonenvorschriften von Therwil noch ein kantonaler Erlass Dacheinschnitte verbiete. Dacheinschnitte den Dachaufbauten gleichzustellen, sei willkürlich; für diese Analogie finde sich im Gesetz und in den Zonenvorschriften keine Stütze. Sollte, was bestritten werde, eine Lücke im Gesetz vorliegen, so wäre es dem Verwaltungsgericht aus dem Gesichtspunkt des Art. 4 BV verwehrt, sie auszufüllen. Das Verbot der Dachaufbauten verhindere

BGE 98 Ia 35 (38):

eine höhere Nutzung und verfolge ästhetische Zwecke. Der Dacheinschnitt am Hause des Beschwerdeführers ergebe jedoch keine höhere Nutzung und wirke unbestrittenermassen nicht unästhetisch.
D.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft hat auf Vernehmlassung verzichtet. Der Regierungsrat beantragt Abweisung der Beschwerde.
 
Auszug aus den Erwägungen:
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Erwägung 1
 
Erwägung 2
Ob die von der kantonalen Behörde angerufene gesetzliche Grundlage genüge, kann das Bundesgericht nach der neuern Rechtsprechung dann, wenn der Eingriff in das Eigentum besonders schwer ist, frei, andernfalls nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür prüfen (BGE 96 I 133/34 und dort angeführte frühere Urteile). Das Verbot, an einem Haus einen Dacheinschnitt anzubringen, schränkt die Baufreiheit nicht stark ein und stellt keinen besonders schweren

BGE 98 Ia 35 (39):

Eingriff in das Eigentum dar. Es handelt sich um eine gewöhnliche Eigentumsbeschränkung, bei der das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung des kantonalen und kommunalen Rechtes nur unter dem Gesichtswinkel der vom Beschwerdeführer denn auch geltend gemachten Willkür überprüfen kann.
 
Erwägung 3
Der Regierungsrat führte in seinem Entscheid aus, als Dachaufbauten im Sinne dieser Bestimmung seien bauliche Eingriffe jeder Art zu verstehen, welche in der Vertikalen die Dachhaut durchstossen, sei es nach oben oder nach unten, also sowohl Aufbauten als Einschnitte. Diese Auslegung wird jedoch durch den Wortlaut der Bestimmung nicht mehr gedeckt, sondern geht über ihn hinaus. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, von dem bei der Auslegung mangels anderer Anhaltspunkte auszugehen ist, lassen sich nur solche Bauteile als Dachaufbauten bezeichnen, welche über die (geneigte oder flache) Dachhaut hinausragen. Dass Dacheinschnitte nicht unter den Begriff der Dachaufbauten fallen, anerkennt im Grunde auch der Regierungsrat, wenn er in der Beschwerdeantwort darauf hinweist, dass Dacheinschnitte in den aus dem Jahre 1963 stammenden Zonenreglementsnormalien (und daher auch in den Zonenvorschriften von Therwil) deshalb nicht erwähnt worden seien, weil sie erst später als architektonische Gestaltungsmittel aufgetreten seien, womit er offenbar sagen will, dass die Rechtsetzungsinstanzen keinen Anlass gehabt hätten, sich mit ihnen zu befassen. Die im Normblatt ZR 7/63 enthaltenen Vorschriften über Dachaufbauten sind denn auch auf Aufbauten zugeschnitten und lassen sich grösstenteils nur auf solche anwenden.
Das Verwaltungsgericht hat die Feststellung des Regierungsrates, dass unter Dachaufbauten alle in der Vertikale die Dachhaut durchstossenden baulichen Eingriffe zu verstehen seien, nicht übernommen. Es prüfte vielmehr, welchen Sinn das in den Zonenvorschriften von Therwil enthaltene Verbot von Dachaufbauten habe, und kam zum Schluss, dass die Gleichstellung von Aufbauten und Einschnitten sich im Hinblick auf den Sinn des Verbotes rechtfertige. Damit hat es die Grenze der ausdehnenden

BGE 98 Ia 35 (40):

Auslegung, durch die einer Vorschrift ein möglichst weiter, aber immer noch mit dem Wortlaut zu vereinbarender Anwendungsbereich gegeben wird, überschritten und einen Analogieschluss gezogen; ein solcher besteht darin, dass ein Rechtssatz auf einen Tatbestand angewendet wird, der ausserhalb des Wortlauts liegt, aber mit dem von der Bestimmung geregelten Tatbestand wesensgleich ist (vgl. BGE 65 I 11). Es fragt sich, ob eine solche analoge Anwendung einer öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung im allgemeinen dem Vorwurfe der Willkür standhält und, sofern dies zutrifft, wie es sich mit der in Frage stehenden Eigentumsbeschränkung verhält.
In der neuern Rechtslehre wird im allgemeinen angenommen, dass es grundsätzlich zulässig sei, einen Verwaltungsrechtssatz auf einen den durch ihn geordneten Tatbestand ähnlichen Fall anzuwenden, der nicht unter den Wortlaut der Vorschrift subsumiert werden kann, auf den jedoch deren Sinn zutrifft (GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts S. 211/12; FRITZ GYGI, Zur Auslegung des Verwaltungsrechts, ZSR 75/1956 S. 153/54; MAX IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung 3. Aufl. Nr. 213 III; vgl. Nr. 241 III a). Das Bundesgericht hat die analoge Rechtsanwendung für bestimmte Bereiche des Verwaltungsrechts als unzulässig bezeichnet. So hat es wiederholt erklärt, es gehe nicht an, durch analoge, lückenausfüllende Rechtsanwendung neue Besteuerungstatbestände zu schaffen (BGE 84 I 94 E. 3 mit Verweisungen, 95 I 326 E. 2), doch kommt diesem Verbot der Analogie nur beschränkte Bedeutung zu im Hinblick auf die im Steuerrecht als zulässig erachtete sogenannte "wirtschaftliche

BGE 98 Ia 35 (41):

Betrachtungsweise". Ferner hat das Bundesgericht die analoge Rechtsanwendung abgelehnt, wenn ein Eingriff in die persönliche Freiheit in Frage stehe (BGE 82 I 239 E. 4), hat dies indessen in BGE 89 I 100 im Hinblick auf BGE 87 III 87 ff. wieder in Zweifel gezogen. Für das Baupolizeirecht führte es kürzlich in BGE 97 I 355 aus, dass dort echte Gesetzeslücken, die der Richter mit positiven, das Eigentum beschränkenden Vorschriften ausfüllen müsste und dürfte, kaum denkbar seien und Einschränkungen der ausdrücklichen Formulierung bedürften. Dabei ging es jedoch nicht um die analoge Anwendung einer Vorschrift auf einen ähnlichen Tatbestand; vielmehr hatte das aargauische Verwaltungsgericht im Fehlen von Vorschriften über die Höhe der Dächer eine echte, durch richterliche Rechtsfindung auszufüllende Lücke erblickt. Gegenüber der analogen Anwendung einer Eigentumsbeschränkung auf einen Fall, der nicht unter ihren Wortlaut fällt, auf den jedoch ihr Sinn zutrifft, bestehen nicht die gleichen Bedenken wie gegen die in BGE 97 I 355 als unzulässig erklärte Lückenausfüllung. Die analoge Anwendung einer Eigentumsbeschränkung kann daher zum mindesten nicht als schlechthin unhaltbar, geradezu willkürlich bezeichnet werden, ist doch der Analogieschluss sogar im Bereich des Strafrechts zulässig, wenn er bloss als Mittel sinngemässer Auslegung dient (BGE 87 IV 188 b).
Das Verwaltungsgericht nimmt an, das Verbot von Dachaufbauten in der Wohnzone W 2b solle dort "die Satteldächer in ihrer Grundform voll zur Geltung kommen lassen" und dem Betrachter in dieser Beziehung ein einheitliches Siedlungsbild darbieten. Diese Auffassung überzeugt insofern nicht ganz, als die Zonenvorschriften Dachaufbauten über eingeschossigen bzw. weniger als 4 m hohen Fassaden nicht nur nicht ausschliessen, sondern - unter den im Normblatt ZR 7/63 umschriebenen Bedingungen - ausdrücklich zulassen. Daraus, dass der Gesetzgeber in der Wohnzone W 2b Dachaufbauten bei eingeschossigen Häusern zulässt und nur bei zweigeschossigen verbietet, und dies im Zusammenhang mit der Vorschrift, dass in dieser Zone (nur) zwei Vollgeschosse gestattet sind, ist vielmehr zu schliessen, dass es dem Gesetzgeber nicht so sehr um die Einheit der Dachform ging, sondern dass er für die

BGE 98 Ia 35 (42):

Wohnzone W 2b in dem Sinne eine einheitliche Überbauung anstrebte, als dort nur Wohngebäude erstellt werden dürfen, die nach aussen als ein- oder zweigeschossig in Erscheinung treten. Das ist bei einem Haus mit zwei Vollgeschossen nur dann der Fall, wenn die Dachfläche über dem zweiten Vollgeschoss geschlossen ist und nicht durch Aufbauten durchbrochen wird. Weist ein zweigeschossiges Haus über der geneigten Dachfläche Aufbauten mit vertikalen Vorder- und Seitenwänden auf, so erweckt es den Eindruck eines dreigeschossigen Gebäudes. Geht man aber davon aus, dass mit dem Verbot von Dachaufbauten dem Quartier der Charakter eines Villenquartiers mit niedrigen, ein- oder zweigeschossigen Bauten verliehen werden sollte, so leuchtet es ein und kann jedenfalls nicht als willkürlich bezeichnet werden, dass Dacheinschnitte im Hinblick auf diesen Sinn der Vorschrift wie Dachaufbauten zu behandeln und bei Häusern mit zwei Vollgeschossen nicht zuzulassen sind. Denn bei den Dacheinschnitten werden, ähnlich wie bei den Dachaufbauten, über dem zweiten Geschosse vertikale Wände sichtbar, die bewirken, dass das Gebäude den Eindruck eines dreigeschossigen Hauses erweckt im Gegensatz zu einem solchen, bei dem die Dachhaut geschlossen ist und allfällige Wohnräume im Dachgeschoss nur durch Fenster in der Giebelwand belichtet werden.
Ist es aber nicht willkürlich, das in den Zonenvorschriften von Therwil enthaltene Verbot von Dachaufbauten analog auf Dacheinschnitte anzuwenden, so erweist sich die Rüge, das Verbot solcher Einschnitte entbehre der gesetzlichen Grundlage, als unbegründet und ist die Beschwerde abzuweisen. Ob ein Dacheinschnitt je nach Ausführung mehr oder weniger ästhetisch wirkt, ist angesichts des generellen Verbots solcher Einschnitte ebenso bedeutungslos wie die Frage, welchen Einfluss er auf die bauliche Ausnützung des Dachgeschosses hat.
 
Entscheid:
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.