BGE 102 Ia 299
 
42. Auszug aus dem Urteil vom 15. Juni 1976 i.S. X. gegen Bezirksanwaltschaft Zürich und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
 
Regeste
Persönliche Freiheit; Untersuchungshaft, Besuchsrecht.
 
Sachverhalt


BGE 102 Ia 299 (300):

X. wurde am 27. Mai 1967 wegen verschiedener Vermögensdelikte zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt, abzüglich 73 Tage erstandener Untersuchungshaft und unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit einer Probezeit von vier Jahren. Noch vor Ablauf der Probezeit wurde er erneut verhaftet. Es wurden ihm wiederum Vermögensdelikte zur Last gelegt. X. wurde am 27. November 1975 aus der Haft entlassen, am 30. Januar 1976 wegen eines Einbruchs jedoch erneut in Untersuchungshaft versetzt. Er ist zur Zeit im Bezirksgefängnis Zürich inhaftiert.
Am 24. Februar 1976 ersuchte X. die Bezirksanwaltschaft Zürich um die Erlaubnis, den unbeaufsichtigten Besuch von Frau Y., dipl. Psychologin, Zürich, zu erhalten. Dieses Gesuch und eine an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gerichtete Beschwerde blieben ohne Erfolg.
Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde von X. abgewiesen.
 
Aus den Erwägungen:
2. a) Das Besuchsrecht in den zürcherischen Bezirksgefängnissen wird durch die §§ 50 und 51 BezGV geregelt. Von der zweiten Haftwoche an dürfen die Gefangenen wöchentlich einen Besuch erhalten, der im allgemeinen nicht länger als eine Viertelstunde dauern soll. Besprechungen mit dem Verteidiger werden auf die Zahl der Besuche nicht angerechnet. Ausnahmsweise können weitere Besuche gestattet werden, wenn eine Angelegenheit (Prozess, geschäftliche oder familiäre Belange) keinen Aufschub duldet. In der Regel werden als Besucher nur Angehörige, Arbeitgeber und der Vormund des Gefangenen

BGE 102 Ia 299 (301):

zugelassen. Die Besuche werden beaufsichtigt; diese Kontrolle unterbleibt bei Besprechungen mit dem Verteidiger, wenn die Haft vierzehn Tage gedauert hat und wenn keine besonderen Gründe (Kollusionsgefahr) entgegenstehen (§ 18 Abs. 2 StPO).
b) Das Bundesgericht hat die Verfassungsmässigkeit der §§ 50 und 51 BezGV in BGE 99 Ia 285 E. V Ziff. 12 bejaht. Es hat jedoch ausgeführt, dass die Regelung an der Grenze dessen liege, was für die Dauer der Untersuchungshaft als minimale Verbindung mit der Aussenwelt gefordert werden müsse. Das verfassungsrechtlich unabdingbare Minimum an Besuchsmöglichkeiten erschien aber insbesondere deswegen als erfüllt, weil die Verordnung für dringliche Angelegenheiten die Erlaubnis zusätzlicher Besuche vorsah und weil durch die Formulierung "in der Regel" auch hinsichtlich des Personenkreises sowie der Zahl und Zeitdauer der einzelnen Besuche die Möglichkeit für eine flexible Handhabe des Besuchsrechts gegeben war.
3. Untersuchungshaft darf nur verhängt werden, wenn der dringende Verdacht besteht, der Angeschuldigte habe eine strafbare Handlung begangen und wenn Flucht- oder Kollusionsgefahr vorhanden ist. Schon der Haftzweck selber erfordert daher einen Eingriff in die Beziehungen des Gefangenen zur Aussenwelt. Die Untersuchungsgefangenen haben darüber hinaus aber auch weitere Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit hinzunehmen, welche die Strafuntersuchung zwar nicht direkt erfordert, die sich beim Vollzug der Haft im Interesse einer vernünftigen Ordnung und Organisation der Anstalt jedoch unvermeidlich ergeben. Dazu gehört auch die Beschränkung des Besuchsrechts. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn als Besucher der Gefangenen vorab nur Angehörige zugelassen werden, andere Personen in der Regel jedoch ausgeschlossen sind. Diese Einschränkung ist weder menschenunwürdig, noch kann sie als schikanös oder sachlich nicht begründet bezeichnet werden. Sie ermöglicht im Normalfall den Gefangenen, den Kontakt zu denjenigen Personen aufrechtzuerhalten, die ihnen am nächsten stehen. Trifft dies nicht zu, so muss von den Ausnahmemöglichkeiten Gebrauch gemacht werden, welche die Verordnung durch die Formulierung "in der Regel" selber vorsieht. Sind die Beziehungen eines Untersuchungsgefangenen zu seinen Angehörigen

BGE 102 Ia 299 (302):

gestört oder besitzt er keine Angehörige, so kann ihm nicht verwehrt werden, den Besuch einer Person - z.B. eines Freundes, einer Freundin oder eines Landsmannes - zu erhalten, die ihm in ähnlicher Weise wie ein Angehöriger nahesteht, sofern der Haftzweck einen solchen Besuch nicht ausschliesst. Die Erwägungen von BGE 99 Ia 285 E. V Ziff. 12 sind hinsichtlich des Besucherkreises in diesem Sinne zu verstehen.
Der Beschwerdeführer kennt Frau Y., deren Besuch er zu erhalten wünscht, noch gar nicht. Ihr Besuch soll nicht dazu dienen, seine engsten persönlichen Beziehungen aufrechtzuerhalten. Frau Y. soll den Beschwerdeführer psychologisch beraten und ihm Klarheit darüber verschaffen, warum er erneut straffällig geworden ist. Dies ist eine Vorkehr, die in den Strafvollzug gehört. Es ist aber angezeigt, im Rahmen des Möglichen schon einem Untersuchungsgefangenen zu einer solchen Beratung zu verhelfen, wenn er dies selber wünscht. Wie im angefochtenen Entscheid ausgeführt ist, stehen im Bezirksgefängnis Zürich dafür unter anderem die Dienste des Anstaltspsychiaters und des Sozialdienstes der Justizdirektion zur Verfügung. Wenn einem Untersuchungsgefangenen jedoch nicht gestattet wird, sich durch einen Psychologen seiner Wahl beraten zu lassen, so verletzt dies die Garantie der persönlichen Freiheit nicht. Dies trifft im hier zu beurteilenden Fall umso mehr zu, als die Befürchtung durchaus vertretbar ist, die Beratung durch eine anstaltsfremde Psychologin könnte die psychiatrische Untersuchung des Beschwerdeführers beeinflussen, die gemäss Art. 13 StGB vorgesehen ist.