BGE 109 Ia 325 |
55. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Dezember 1983 i.S. Gemeinde Igis gegen Donatsch Söhne AG und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) |
Regeste |
Art. 4 BV und Gemeindeautonomie. Verlegung der Baukosten von Kanalisationen und Abwasserreinigungsanlagen. |
Sachverhalt |
Die Bündner Gemeinden Igis, Malans, Mastrils, Untervaz und Zizers haben sich zum Abwasserverband Landquart zusammengeschlossen mit dem Zweck, eine gemeinsame Abwasserreinigungsanlage (ARA) zu erstellen und zu betreiben. Der Kostenaufwand ist veranschlagt auf Fr. 20,4 Mio., wovon 6,15 Mio. für die Kanalisationen des Abwasserverbandes. Erneuerung und Ausbau des Kanalisationsnetzes der Gemeinde Igis werden nach dem Voranschlag Fr. 7 Mio. erfordern. Nach Abzug der Subventionen hat die Gemeinde Igis rund Fr. 12 Mio. aufzuwenden, wovon 11,5% für die ARA, 88,5% für die eigenen und verbandlichen Kanalisationen. |
Diese Fr. 12 Mio. sollen wie folgt finanziert werden: Fr. 2 Mio. zulasten der Gemeinde, Fr. 7,5 Mio. durch sofort fällige Beiträge der Grundeigentümer, Fr. 1,5 Mio. durch später fällig werdende Beiträge der Grundeigentümer.
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Am 1. Juli 1979 stimmte die Gemeinde Igis einem neuen Gesetz über die Abwasseranlagen zu (AbwG). Dieses verpflichtet die Grundeigentümer in Art. 43, an die Baukosten der öffentlichen Abwasseranlagen einen einmaligen Beitrag zu leisten in Höhe von 25%o des Gebäudeneuwertes gemäss Schätzung der kantonalen Gebäudeversicherungsanstalt (GVA) für Neubauten und solche Gebäude, die bis anhin nicht an das öffentliche Kanalisationsnetz angeschlossen waren, und von 20%o dieses Wertes für Liegenschaften, für die bereits früher Beiträge entrichtet worden sind oder die vor dem Jahre 1959 an das Kanalisationsnetz angeschlossen wurden. Neben diesem einmaligen Beitrag haben die Grundeigentümer für die Deckung der laufenden Betriebskosten eine jährliche Benützungsgebühr zu bezahlen, deren Höhe sich nach dem Umfang des Wasserverbrauchs richtet (Art. 45).
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Die Donatsch Söhne AG, Stahl- und Metallbau, ist in der Gemeinde Igis Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses im "Ziegelgut" sowie eines grösseren Industrieareals in den "Riedlösern", auf welchem sich zwei Werkhallen, eine Lagerhalle, ein Büro- und ein Wohnungsanbau sowie Autounterstände befinden. Am 10. Februar 1980 stellte die Gemeinde Igis der Donatsch Söhne AG Beiträge an die Baukosten der öffentlichen Abwasseranlagen von insgesamt Fr. 90'473.- für die auf ihrem Gebiet gelegenen Gebäulichkeiten in Rechnung, wobei sie einen Ansatz von 20%o des Gebäudewertes anwandte. Gegen die Abweisung ihrer Einsprache durch die Gemeinde rekurrierte die Firma an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses hat den Rekurs am 2. Dezember 1980 teilweise gutgeheissen, die Beitragsverfügung aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Gemeinde zurückgewiesen. |
Die Gemeinde Igis führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie und des Art. 4 BV mit dem Antrag auf Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
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Das Verwaltungsgericht und die Donatsch Söhne AG beantragen Abweisung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: |
Damit Art. 4 BV verletzt sei, ist indessen erforderlich, dass die vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung oder Gleichstellung als unhaltbar erscheine. In diesem Rahmen belässt Art. 4 BV dem kantonalen (und kommunalen) Gesetzgeber eine erhebliche Gestaltungsfreiheit, die ihm gestattet, bald auf die Gemeinsamkeiten zweier Sachverhalte abzustellen und sie gleich zu behandeln, bald sich auf ihre Verschiedenheiten zu stützen und sie unterschiedlichen Regelungen zu unterstellen. Entgegen der Annahme der beschwerdeführenden Gemeinde gewährleistet Art. 4 BV nicht die Gleichförmigkeit der Gesetze, weshalb von zwei entgegengesetzten gesetzlichen Regelungen derselben Frage die eine wie die andere mit dem Gleichheitsgebot vereinbar sein kann (vgl. z.B. BGE 80 I 236, 105 Ia 39/40 und AUBERT, Traité Nr. 1795 S. 648 und Supplément 1967/82 S. 224). Diese Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers muss vom Bundesgericht - und vom kantonalen Richter - bei der Prüfung der Frage, ob eine kantonale oder kommunale Vorschrift mit Art. 4 BV vereinbar sei, respektiert werden, denn die Verfassungsnorm schliesst nur unhaltbare Unterscheidungen aus, und der Richter würde in den Bereich des Gesetzgebers eingreifen und so den Grundsatz der Gewaltentrennung verletzen, wenn er sich eine weitergehende Kognition herausnähme. Zu dieser Zurückhaltung muss bei autonomer kommunaler Gesetzgebung sowohl für die kantonalen Verwaltungsbehörden, die die gesetzgeberischen Erlasse zu genehmigen haben, wie für die Gerichtsbehörden, die ihre Anwendung auf Beschwerde hin überprüfen, die Respektierung jener Autonomie treten, die die Gemeinde von einem blossen Verwaltungsbezirk unterscheidet und die allein der kantonale Verfassungs- oder Gesetzgeber allenfalls beschränken könnte. |
In diesen zwischen den Extremen der unzulässigen Unterscheidung und der unzulässigen Gleichstellung angesiedelten Fällen, die zweifellos sehr zahlreich sind, ist die Verfassungsmässigkeit der vom Gesetzgeber gestalteten Ordnung zu bejahen (vgl. BGE 104 Ia 295, BGE 102 Ia 46, BGE 77 I 102). Solche Fälle können insbesondere bei öffentlichen Abgaben auftreten und bei der Verteilung der Last auf die Abgabepflichtigen, da sich, wie wiederholt entschieden wurde, für die Gestaltung des materiellen Rechts aus Art. 4 BV nur allgemeine Gesichtspunkte und Richtlinien gewinnen lassen und nicht bestimmte Methoden oder Systeme der Besteuerung, bzw. der Verteilung der Abgaben auf die Rechtsunterworfenen (BGE 96 I 567, BGE 99 Ia 653, BGE 104 Ia 295, BGE 106 Ia 244).
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5. Mit Recht betrachtet das Verwaltungsgericht die strittige Kausalabgabe als Vorzugslast; es stellt auch zutreffend fest, dass sich diese grundsätzlich nach der Höhe der zu deckenden Kosten und nach dem wirtschaftlichen Vorteil bemisst, den der Einzelne aus der betreffenden öffentlichen Einrichtung zieht. Ferner nimmt das Verwaltungsgericht zu Recht an, dass zur Bewertung des Vorteils die Verwendung schematischer Kriterien zulässig ist, weil sich dessen exakte Schätzung oft als schwierig oder gar unmöglich erweist (BGE 98 Ia 174 E. 4b, BGE 94 I 278, BGE 93 I 114, analog für Kanalisationsanschlussgebühren BGE 106 Ia 244 E. 3b a.E.). Diese letzte Frage - auf die sich der vorliegende Rechtsstreit zuspitzt - bedarf näherer Betrachtung. Das Problem der Vorzugslasten liegt in Fällen wie dem vorliegenden in der richtigen Verteilung der Nettokosten des Werkes - nach Abzug der Subventionen - auf alle Grundstücke im Einzugsgebiet der öffentlichen Kanalisation. Ausgangspunkt für die Verteilung muss vernünftigerweise die Annahme sein, dass den Eigentümern von Grundstücken im Einzugsgebiet, die sofort oder später Beiträge zu leisten haben, insgesamt ein wirtschaftlicher Vorteil erwächst, der grösser ist als der zu verteilende Kostenaufwand oder zumindest gleich gross. Diese Annahme ist realistisch, weil die Überbaubarkeit eines Grundstückes den Anschluss an eine Abwasserreinigungsanlage voraussetzt, wobei die Kosten ihren Ausgleich im Verkehrswert des Grundstückes finden. Daraus lässt sich folgern, dass ein Verteilungsschlüssel für den Kostenaufwand gefunden werden muss, der als gerecht erscheint, ohne dass der tatsächliche wirtschaftliche Vorteil für das einzelne Grundstück noch konkret zu bemessen wäre. Die Annahme, der so errechnete Betrag sei proportional zu dem dem Grundstück erwachsenen wirtschaftlichen Vorteil, ist genau besehen nur eine Präsumtion, die auf der Anwendung von Wahrscheinlichkeitsmassstäben für den tatsächlichen Vorteil beruht (Ersatz-, Hilfs- oder Ermittlungsmassstäbe), und nicht eine konkrete Bewertung aufgrund einer konkreten Bemessung des Vorteils (DIETER WILKE, Gebührenrecht und Grundgesetz, S. 117 f., 210 f. und die dort angeführte deutsche Rechtsprechung; KLAUS VALLENDER, Grundzüge des Kausalabgabenrechts, S. 115, 120/122 mit Hinweis auf BGE 93 I 114 /115; IMBODEN/RHINOW, Nr. 111, III, a VII). |
a) Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass der Gebäudewert eine geeignete Grundlage bildet für die Vorteils-Präsumtion, von der oben die Rede war; dies allein schon deshalb, weil jedes Gebäude (von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen) wegen des Gewässerschutzes an die Kanalisation und die ARA angeschlossen werden muss, unabhängig davon, in welchem Ausmass es diese Anlagen "beansprucht". Die Annahme ist daher nicht unvernünftig, der für das angeschlossene Gebäude erwachsende Vorteil stehe in einem bestimmten Verhältnis zu seinem Wert. Zu den Werten, die für den Gesetzgeber in Betracht fallen, gehört ohne Zweifel auch der bei der Brandversicherung geltende Neuwert. Er hat den Vorteil, dass er nach objektiven Kriterien in einem Verfahren bestimmt wurde, in welchem den Interessen der versicherten Hauseigentümer, nicht des Fiskus, Rechnung getragen wird; überdies ist er bereits vorhanden und braucht nicht erst in einem komplizierten und kostspieligen Bewertungsverfahren festgesetzt zu werden. Dass der Gebäudewert, namentlich der Brandversicherungswert, ein angemessener Massstab ist (sei es auch neben oder in Verbindung mit andern) für die Verlegung der Baukosten von Kanalisationen und Abwasserreinigungsanlagen, hat die Rechtsprechung stets anerkannt (vgl. Urteil vom 1. März 1967 Wert-Invest-Immobilien AG, publ. in BJM 1967, S. 143 f.; Urteil vom 21. Juni 1967 Zivy S.A. c. Oberwil; BGE 93 I 114 f., BGE 94 I 278, BGE 106 Ia 248) und zumindest teilweise auch die Lehre (vgl. R. KAPPELER, Die Festsetzung der Abwassergebühr, ZBl 69 (1968) S. 468 und N. 19 E. S. 493; Bericht über Grundeigentümerbeiträge und Gebühren an Erschliessungsanlagen, bearbeitet von R. STÜDELI, VLP Schriftenfolge Nr. 18, S. 71 N. 5e S. 61 f. Nr. 6).
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b) Dass die Höhe des Beitragsansatzes von der Art des Gebäudes abhangen müsse, lässt sich nicht aus Art. 4 BV ableiten, wenn auch einzuräumen ist, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung natürlich nicht verletzt würde durch verschieden hohe Ansätze oder die Mitberücksichtigung weiterer Kriterien. Zum einen kann die Gemeinde beim Bau des Kanalisationsnetzes nicht auf die je nach den Bedürfnissen wechselnde Verwendung eines Gebäudes abstellen; das Kanalisationsnetz muss im Hinblick auf seine mögliche Höchstbelastung konzipiert werden. Der Baukostenbeitrag (im Unterschied zur wiederkehrenden und anpassungsfähigen Benützungsgebühr) ist, unter Vorbehalt der Gebäudevergrösserung, einmalig und kann nicht einer Erhöhung des Wasserverbrauchs und damit des Abwasseranfalls angepasst werden (Urteil Zivy & Cie S.A. vom 21. Juni 1967, wiedergegeben im zitierten Bericht über die Eigentümerbeiträge, S. 61/62). Zum andern ist, jedenfalls in dem von der beschwerdeführenden Gemeinde angewandten technischen System, Abwasser auch Meteorwasser, das auf Dächer und gepflasterte Plätze fällt. Auch dieses Wasser muss in die Kanalisation geleitet werden, die so dimensioniert werden muss, dass sie auch grosse Niederschlagsmengen aufzunehmen vermag. Industriegebäude (namentlich Lagerschuppen) breiten sich oft über grosse Bodenflächen aus; hinzu kommen nicht selten grosse asphaltierte Flächen im Freien (Park-, Lagerplätze). Auch die Niederschläge auf diesen Flächen müssen der Kanalisation zugeführt werden. Gewiss ist Meteorwasser weniger verschmutzt als Abwasser aus Toiletten und Küchen, die in Wohnhäusern und insbesondere, wie das Verwaltungsgericht hervorhebt, in Hotels zahlreich sind. Dieses Argument wiegt indes nicht sehr schwer; wie die Gemeinde darlegt, entfallen 88,5% der zu verlegenden Kosten auf die eigentlichen kommunalen und verbandlichen Kanalisationen und nur 11,5% auf die ARA. |
Schliesslich trägt das Verwaltungsgericht dem Umstand nicht Rechnung, dass der Versicherungsneuwert auf dem Kubikmeter-Wert der Gebäude basiert. Dieser ist aber im Mittel für Wohnbauten und Hotels bedeutend höher als für Industriehallen und -schuppen. Das Vorhandensein sanitärer Installationen, elektrischer Haushaltgeräte usf., von denen nach der eigenen These des Verwaltungsgerichts das Abwasser herrührt, schlägt sich somit im Neuwert nieder und, wenn auch indirekt, im Beitrag. Der hohe Kubikmeter-Wert der Wohnbauten einerseits, die häufige Beanspruchung grosser Bodenflächen bei den Industriebetrieben anderseits zeigen, dass die fehlende Differenzierung des Beitrags entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht als Verletzung der Rechtsgleichheit zu betrachten ist.
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