BGE 118 Ia 64 - Minelli III
 
10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 12. Februar 1992
i.S. Minelli gegen Regierungsrat des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde)
 
Regeste
Grundrechtliche Ansprüche an die Haftbedingungen in Strafvollzug und Untersuchungshaft (insbesondere persönliche Freiheit, Art. 6 Ziff. 1, Art. 8, Art. 10 und Art. 14 EMRK).
1. Eintretensvoraussetzungen: Antrags- und Substantiierungserfordernis, Art. 90 Abs. 1 lit. a und b OG (E. 1b); zulässige Rügen, Art. 84 Abs. 1 lit. a-d OG (E. 1d); kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 1e).
2. Grundsätzliche und allgemeine Erwägungen: Bedeutung der einschlägigen Resolutionen und Empfehlungen der Organe des Europarates betreffend die Behandlung von Gefangenen (E. 2a); bundesstaatliche Kompetenzordnung für die Regelung des straf- und strafprozessrechtlichen Freiheitsentzuges (E. 2b); Natur des abstrakten Normenkontrollverfahrens, Ermessensausübung im Falle der Anfechtung kantonaler Gefängnisverordnungen (E. 2c); Grundsätzliches über Zweck und Grenzen freiheitsbeschränkender Eingriffe während Untersuchungshaft und Strafvollzug (E. 2d).
3. Prüfung der grundrechtlichen Zulässigkeit einzelner Vorschriften der angefochtenen Gefängnisverordnung (E. 3):
- Inventarisierung der persönlichen Habe (E. 3a);
- persönliche Effekten in der Zelle (E. 3b);
- Beschränkung und Entzug des Spazierganges als besondere Sicherungsmassnahme (E. 3c);
- Mahlzeitenregelung (E. 3g);
- Sonderkost (E. 3h);
- Zulassung von Alkohol, Medikamenten, Drogen und Tabakwaren (E. 3i);
- allgemeine Spaziergangsregelung (E. 3k);
- Bezug von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften (E. 3l);
- Fernsehkonsum (E. 3m);
- Besuchsregelung (E. 3n-o);
- Briefverkehr (E. 3p-q);
- Einschränkungen des Bücher- und Zeitungsbezuges bzw. des Radio- und Fernsehempfanges als Disziplinarsanktion (E. 3r);
- Disziplinarverfahren, richterliche Prüfung (E. 3s);
- Entzug des Spazierganges während den ersten drei Tagen bei Arrest (E. 3t).
4. Zusammenfassendes Ergebnis (E. 4).
 


BGE 118 Ia 64 (66):

Sachverhalt
A.- Gestützt auf §§ 29 f. des zürcherischen Gesetzes über das kantonale Strafrecht und den Vollzug von Strafen und Massnahmen vom 30. Juni 1974 erliess der Regierungsrat des Kantons Zürich am 24. April 1991 eine neue Verordnung über die Bezirksgefängnisse (GVO), welche am 24. Mai 1991 im Zürcher Amtsblatt veröffentlicht wurde. Innert 30 Tagen seit der amtlichen Publikation hat Ludwig A. Minelli den Erlass mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten. Er stellt den Antrag, es seien verschiedene Bestimmungen der neuen Gefängnisverordnung aufzuheben. Zur Begründung macht der Beschwerdeführer u.a. geltend, durch die angefochtenen Bestimmungen würden folgende Grundrechte bzw. verfassungsmässige Grundsätze verletzt:

BGE 118 Ia 64 (67):

- Garantie der persönlichen Freiheit; - Gleichheitsgebot und Willkürverbot (Art. 4 BV); - Eigentumsgarantie (Art. 22ter BV); - Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes (Art. 2 ÜbBest.BV);
- Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Anspruch auf faires Verfahren und unabhängigen Richter); - Art. 6 Ziff. 2 EMRK (Unschuldsvermutung); - Art. 6 Ziff. 3 lit. b und c EMRK (Recht auf ausreichende Verteidigung);
- Art. 8 EMRK (Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens und des Briefverkehrs); - Art. 10 EMRK (Meinungsäusserungsfreiheit); - Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot).
Der Inhalt der angefochtenen Vorschriften und die einzelnen gegen den angefochtenen Erlass vorgebrachten Rügen ergeben sich aus den nachfolgenden Erwägungen.
 
Auszug aus den Erwägungen:
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Erwägung 1
aa) Die Garantien von Art. 6 Ziff. 1 EMRK, insbesondere der Anspruch auf ein unabhängiges Gericht, gelten im Falle von Entscheidungen über "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" ("contestations sur ses droits et obligations de caractère civil") oder über die Stichhaltigkeit einer "strafrechtlichen Anklage"

BGE 118 Ia 64 (68):

("toute accusation en matière pénale"). Im Gegensatz zu Streitigkeiten über Zivilansprüche aus einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis ist Art. 6 Ziff. 1 EMRK somit bei Streitigkeiten aus dem Kernbereich des öffentlichen Rechtes und im Rahmen von besonderen Rechtsverhältnissen des Bürgers zu staatlichen Institutionen grundsätzlich nicht anwendbar (vgl. FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl 1985, Art. 6 N 8, N 22). Auch allfällige mittelbare Auswirkungen des Verfahrens auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen führen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes sowie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht zur Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (BGE 115 Ia 464 E. b; 115 Ib 550 f. E. a, je mit Hinweisen; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., Art. 6 N 10). Nach der Praxis des Bundesgerichtes, welche ebenfalls mit derjenigen der Rechtsprechungsorgane der Europäischen Menschenrechtskonvention übereinstimmt, unterstehen im besonderen auch Disziplinarmassnahmen während Untersuchungs- und Sicherheitshaft bzw. während dem Strafvollzug (mangels einer "strafrechtlichen Anklage") in der Regel nicht dem Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK. Das Bundesgericht prüft jedoch im konkreten Fall, ob besondere Umstände vorliegen, welche die Anwendbarkeit der betreffenden Verfassungs- und Konventionsgarantien ausnahmsweise gebieten (vgl. BGE 117 Ia 187 ff. = EuGRZ 18 (1991) 429 f., mit Hinweisen; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., Art. 6 N 24).
bb) Im vorliegenden Fall kann offengelassen werden, ob die genannten Bestimmungen der angefochtenen Verordnung "zivilrechtliche Ansprüche" im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK betreffen, wie dies der Beschwerdeführer behauptet. Weder hat der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer in seinem ausführlichen formellen Beschwerdeantrag § 68 GVO angefochten, noch macht er in der Beschwerdebegründung geltend, die Rechtsmittelordnung von § 68 GVO (welcher in Abs. 2 die Justizdirektion als zweite kantonale Rekursinstanz vorsieht) verletze Art. 6 EMRK. Fälschlicherweise geht der Beschwerdeführer davon aus, die angefochtene Verordnung schweige sich über die Rechtsmittel aus. Dies trifft nicht zu, vielmehr werden diese explizit und auch in systematisch klarer Weise geregelt ("II. Allgemeine Vollzugsbestimmungen, 10. Rechtsmittel"). Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss geltend machen will, die Rechtsmittelordnung des angefochtenen Erlasses verstosse gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK, kann daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.


BGE 118 Ia 64 (69):

d) Die staatsrechtliche Beschwerde kann erhoben werden wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger, Verletzung von Konkordaten und Staatsverträgen (mit Ausnahmen) und wegen Verletzung von bundesrechtlichen Vorschriften über die Abgrenzung der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit der Behörden (Art. 84 Abs. 1 lit. a-d OG). Soweit der Beschwerdeführer lediglich einen Verstoss gegen einfaches kantonales Gesetzesrecht rügt, kann auf die Beschwerde daher ebenfalls nicht eingetreten werden. Ebensowenig macht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Grundrechten durch §§ 34 Abs. 2 lit. b und 47 GVO geltend, wenn er sich auf Ziff. 20 der Resolution (73) 5 des Ministerkomitees des Europarates über Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen vom 19. Januar 1973 beruft (vgl. BGE 111 Ia 344 f. E. 3a).
e) Von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, bei denen die verfassungsmässige Ordnung nicht schon durch Aufhebung des angefochtenen Entscheides oder Erlasses wiederhergestellt werden kann, ist die staatsrechtliche Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 115 Ia 297 E. 1a; 114 Ia 212 E. 1b, je mit Hinweisen). Das Bundesgericht kann eine als verfassungswidrig erkannte Verfügung oder Bestimmung nur aufheben, nicht aber abändern oder ersetzen. Bei der abstrakten Normenkontrolle hebt es nötigenfalls den ganzen Erlass, nach Möglichkeit aber nur die einzelnen verfassungswidrigen Bestimmungen auf (BGE 113 Ia 146; 110 Ia 13 E. e). Soweit der Beschwerdeführer das Fehlen von gewissen "positiven Ansprüchen" in der angefochtenen Verordnung bemängelt und sinngemäss deren Ergänzung verlangt, kann daher auf die Beschwerde ebenfalls nicht eingetreten werden.
 
Erwägung 2
Am 19. Januar 1973 beschloss das Ministerkomitee des Europarates, gestützt auf Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen vom 31. Juli 1957, die Resolution (73) 5 betreffend Mindestgrundsätze für die Behandlung der

BGE 118 Ia 64 (70):

Gefangenen. In der Recommandation (82) 17 vom 24. September 1982 gab das Ministerkomitee besondere Empfehlungen für die Inhaftierung und Behandlung von gefährlichen Gefangenen ab. Am 12. Februar 1987 billigte das Ministerkomitee des Europarates in der Empfehlung (87) 3 eine überarbeitete Fassung der allgemeinen Europäischen Haft- und Strafvollzugsgrundsätze ("Règles pénitentiaires européennes"; vgl. Europäische Strafvollzugsgrundsätze, Gemeinsame Übersetzung für die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Österreich und die Schweizerische Eidgenossenschaft, Heidelberg 1988). Die Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen, welche sich auf Empfehlungen und Entschliessungen der Organe des Europarates stützen, haben für die zuständigen Legislativ- und Exekutivbehörden der Mitgliedstaaten den Charakter von Richtlinien und Empfehlungen für einen zweckmässigen Vollzug freiheitsentziehender Sanktionen. Sie sind nach der Praxis des Bundesgerichtes indessen nicht in der Weise völkerrechtlich verbindlich, dass die Missachtung der Mindestgrundsätze für sich allein als Verstoss gegen verfassungsmässige Rechte der Bürger oder wegen Verletzung eines Staatsvertrages mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden könnte, und sie begründen insofern keine subjektiven Rechte und Pflichten. Da in den Mindestgrundsätzen aber die gemeinsame Rechtsüberzeugung der Mitgliedstaaten des Europarates zum Ausdruck kommt, werden sie vom Bundesgericht bei der Konkretisierung der Grundrechtsgewährleistungen der Bundesverfassung sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention gleichwohl berücksichtigt (BGE 111 Ia 344 f. E. 3a; 106 Ia 282 E. 3c; 105 Ia 102; 103 Ia 309; 102 Ia 284 f. E. 2c, 308). Sie beinhalten wichtige Richtlinien für eine moderne strafrechtliche Freiheitsentzugspraxis, zur Wahrung des Grundrechtes der Achtung der Menschenwürde und des auch den Gefangenen zukommenden verfassungsmässigen Mindestanspruches auf persönliche Freiheit (vgl. PIERRE-HENRI BOLLE, Über verfassungs- und allgemeinrechtliche Bestimmungen des Freiheitsentzuges in der Schweiz, Requiem für die verblichenen Mindestgrundsätze, Der Strafvollzug in der Schweiz, 2/3 1988, S. 44; KURT FURGLER, Geleitwort, in: Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen, Europäische Fassung, Karlsruhe 1975, S. 11). Soweit die Mindestgrundsätze des Europarates dagegen kriminalpolitische Ziele festlegen, obliegt ihre Verwirklichung nicht der Verfassungsrechtsprechung, sondern den politischen Behörden des Bundes und der Kantone, in deren Kompetenz die Gesetzgebung und Rechtsanwendung hinsichtlich Strafvollzug und Strafprozessrecht gehört.


BGE 118 Ia 64 (71):

b) Gemäss Art. 64bis Abs. 2 BV sind die Kantone ausserhalb der Zuständigkeit der Bundesstrafrechtspflege zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafprozessrechtes befugt. Somit können sie auch Bestimmungen über den Vollzug von Untersuchungs- und Sicherheitshaft erlassen. Was das Strafvollzugsrecht betrifft, so ist der Bund gemäss Art. 64bis Abs. 3 BV befugt, den Kantonen zur Errichtung von "Straf-, Arbeits- und Besserungsanstalten" und für Verbesserungen im Strafvollzug Beiträge zu gewähren (vgl. Bundesgesetz über die Leistungen des Bundes für den Straf- und Massnahmenvollzug vom 5. Oktober 1984, SR 341, sowie bundesrätliche Verordnung vom 29. Oktober 1986, SR 341.1). Im übrigen überlässt Art. 64bis Abs. 3 BV das Strafvollzugsrecht implizit den Kantonen (Art. 3 BV; vgl. STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Zürich 1989, Art. 374 StGB N 1).
Art. 397bis StGB räumt dem Bundesrat indessen die Befugnis zum Erlass von ergänzenden Bestimmungen im Bereich des Strafvollzugsrechtes ein. Von dieser Kompetenz hat der Bundesrat teilweise Gebrauch gemacht, teilweise wird den Kantonen ausdrücklich die Regelung der aufgezählten Fragen überlassen (vgl. z.B. Art. 397bis Abs. 1 lit. k StGB i.V.m. Art. 6 Abs. 1 VStGB 1 betreffend Anstaltskleidung und Anstaltskost). In Art. 5 der Verordnung (1) zum Schweizerischen Strafgesetzbuch vom 13. November 1973 (VStGB 1) wurde insbesondere eine Rahmenregelung für den Empfang von Besuchen und den Briefverkehr getroffen (Art. 5 Abs. 1 VStGB 1 lautet wie folgt: "Der Empfang von Besuchen und der Briefverkehr sind nur soweit beschränkt, als es die Ordnung in der Anstalt gebietet. Die Anstaltsleitung kann wenn nötig im Einzelfall weitere Einschränkungen verfügen"; vgl. auch Art. 4 VStGB 1 betreffend tageweisen Strafvollzug und Halbgefangenschaft, Art. 1 VStGB 2 betreffend Vollzugsanstalten für Frauen oder Art. 1 und 2 VStGB 3 betreffend Halbgefangenschaft und Strafvollzug in einer Massnahmeanstalt). Weitere Rahmenbedingungen für den Strafvollzug ergeben sich aus Art. 37-40 StGB (insbesondere betreffend Einzelhaft, Art. 37 Ziff. 3 Abs. 1 StGB, und den Vollzug von kurzen Gefängnisstrafen, Art. 37bis StGB). Die Art. 376-378 StGB enthalten schliesslich eine summarische Regelung über den Verdienstanteil (Pekulium) für Gefangenenarbeit. Art. 6 Abs. 1 VStGB 1 i.V.m. Art. 397bis Abs. 1 lit. m StGB beauftragt die Kantone diesbezüglich mit der näheren Regelung.
Die Untersuchungs- und Sicherheitshaft im Rahmen der Bundesstrafrechtspflege ist in Art. 44-64 BStP und Art. 54-61 MStP

BGE 118 Ia 64 (72):

geregelt. Insbesondere ist der Untersuchungs- und Sicherheitsgefangene, der dem Bundesstrafprozess untersteht, berechtigt, sich auf eigene Kosten zu verpflegen (Art. 48 Abs. 2 BStP).
Im übrigen ist die Gesetzgebung auf dem Gebiet des straf- und strafprozessrechtlichen Freiheitsentzuges Angelegenheit der kantonalen Gesetzgebung (Art. 64bis Abs. 2 und 3 i.V.m. Art. 3 BV).
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines kantonalen Erlasses im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungsgarantien vereinbar erscheinen lässt. Das Bundesgericht hebt die Vorschrift nur auf, wenn sie sich jeder verfassungskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist. Werden wie im vorliegenden Fall neben verfassungsmässigen Rechten Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention angerufen, so ist in gleicher Weise zu prüfen, ob der angefochtenen kantonalen Norm ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit dieser vereinbar erscheinen lässt; das Bundesgericht hebt demnach die angefochtene Vorschrift nur auf, wenn sie sich auch einer konventionskonformen Auslegung entzieht (BGE 114 Ia 354 f. E. 2, 401 f. E. 5; 113 Ia 131, 261 E. b, 324 E. 5c; 111 Ia 25 f. E. 2; 109 Ia 277 E. 2a mit Hinweisen). Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle hebt das Bundesgericht nötigenfalls den ganzen Erlass, nach Möglichkeit aber nur die einzelnen verfassungswidrigen Bestimmungen auf (BGE 113 Ia 131, 146, 261 E. b; 110 Ia 13 E. 1e). Ob ein kantonaler Erlass mit dem Bundesverfassungsrecht vereinbar ist, prüft das Bundesgericht frei (BGE 114 Ia 354 E. 2; 113 Ia 131; 111 Ia 24 E. 2 mit Hinweisen). Mit Rücksicht auf die verfassungsmässige Kompetenzordnung im föderalistischen Bundesstaat legt sich jedoch das Bundesgericht als Staatsgerichtshof bei der Prüfung kantonaler Erlasse (gerade im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle) eine gewisse Zurückhaltung auf, welche allerdings mit der dem Bundesgericht durch Art. 113 BV übertragenen Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit vereinbar sein muss (vgl. BGE 115 Ia 244 f. E. 3c). Da die Haftbedingungen in hohem Masse von den lokalen Gegebenheiten, insbesondere den sachlichen und personellen Möglichkeiten der einzelnen Vollzugseinrichtungen, abhängig sind, lässt das Bundesgericht den kantonalen Instanzen beim Erlass von Gefängnisverordnungen einen weiten Ermessensspielraum (BGE 106 Ia 280 E. 3 mit Hinweisen; unveröffentlichte Urteile vom

BGE 118 Ia 64 (73):

9. Oktober 1989 i.S. L. B., S. 5, vom 27. September 1989 i.S. A. B., S. 12, E. 4a, sowie vom 29. Januar 1987 i.S. M., S. 5 mit Hinweisen).
d) Die Verfassungsmässigkeit einer Gefängnisverordnung, welche die Haftbedingungen regelt, ist vorab unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Freiheit zu beurteilen (BGE 113 Ia 327 E. 4). Die Garantie der persönlichen Freiheit ist ein ungeschriebenes Grundrecht der Bundesverfassung, das nicht nur die Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität, sondern darüber hinaus alle Freiheiten schützt, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen. Das Recht auf persönliche Freiheit gilt indessen, wie die übrigen Freiheitsrechte, nicht absolut. Beschränkungen sind zulässig, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind; zudem dürfen die verfassungsmässigen Freiheitsrechte weder völlig unterdrückt noch ihres Gehaltes als Institution der Rechtsordnung entleert werden (BGE 113 Ia 327 f.; 112 Ia 162 E. 3a; 111 Ia 232 f. E. 3a, je mit Hinweisen).
Die Beschränkung der Freiheitsrechte von Gefangenen darf nicht über das hinausgehen, was zur Gewährleistung des Haftzweckes und zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen Anstaltsbetriebes erforderlich ist (BGE 113 Ia 328 E. 4 mit Hinweisen; WALTER HALLER, BV-Sammelkommentar, Basel 1987 ff., persönliche Freiheit, N 147). Die von der Bundesverfassung garantierten Freiheitsrechte, insbesondere die persönliche Freiheit, stehen auch dem Untersuchungsgefangenen zu. Dieser darf in seinen Freiheitsrechten nur soweit eingeschränkt werden, als es der Untersuchungszweck erfordert (BGE 116 Ia 421; 107 Ia 149, je mit Hinweisen; vgl. WALTER HALLER, a.a.O., N 147). Die aus den Haftbedingungen resultierenden Freiheitsbeschränkungen müssen auch mit den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sein. Diese gewährleistet indessen im Bereich der Haftbedingungen keine über das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit hinausgehenden Rechte (BGE 113 Ia 328 E. 4). In dem die Schweiz betreffenden Urteil vom 20. Juni 1988 i.S. Schönenberger und Durmaz hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgehalten, dass der Zweck der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verhinderung von strafbaren Handlungen im Falle von Untersuchungsgefangenen empfindlichere Eingriffe rechtfertigen könne als bei Personen, die sich in Freiheit befinden (EGMR Série A, vol. 137, Ziff. 25). Was Untersuchungs- und Sicherheitshäftlinge betrifft, können die Erfordernisse des Untersuchungszweckes nur im konkreten

BGE 118 Ia 64 (74):

Einzelfall präzise bestimmt werden. Je höher die Flucht- oder die Kollusionsgefahr erscheint, oder je stärker der ordnungsgemässe Gefängnisbetrieb gefährdet ist, desto restriktiver können die Haftbedingungen sein. Ebenso sind Einschränkungen der Freiheitsrechte zur Gewährleistung der Sicherheit der Mitgefangenen und des Gefängnispersonals grundsätzlich zulässig (BGE 113 Ia 328 E. 4).
Der Schutzbereich der einzelnen Freiheitsrechte samt ihren Ausprägungen sowie die Grenzen der Zulässigkeit von Eingriffen sind im Einzelfall angesichts von Art und Intensität der Beeinträchtigung zu bestimmen (vgl. BGE 117 Ia 30 E. 5a mit Hinweis).
 
Erwägung 3
Es kann indessen offengelassen werden, ob die in der Bundesverfassung garantierte Eigentumsgarantie überhaupt einen Anspruch auf Schutz vor blossen angeblichen Gefährdungen des Privateigentums des Gefangenen gewährleistet. Die angefochtene Bestimmung kann jedenfalls verfassungskonform angewendet werden. Nach der in § 27 Abs. 1 GVO getroffenen Regelung müssen grundsätzlich alle dem Gefangenen abgenommenen Gegenstände inventarisiert werden (Satz 1; s. auch § 74 StPO/ZH). Die Richtigkeit von Effektenverzeichnis und Barschaftsgutschrift ist von der Gefängnisverwaltung und vom Gefangenen unterschriftlich zu bestätigen (Satz 3). Gemäss Satz 4 "können" grössere Gepäckstücke nach summarischer Kontrolle ohne Inventarisierung des Inhalts in das Effektenverzeichnis aufgenommen werden. Der klare Wortlaut der angefochtenen Bestimmung verunmöglicht damit eine Regelung nicht, bei der grundsätzlich auch bei grösseren Gepäckstücken - insbesondere bei wertvollem Inhalt - eine sorgfältige Inventarisierung erfolgt, im Falle einer grösseren Menge unterschiedlicher Effekten von geringem Wert dagegen nicht. Entsprechend wird die Bestimmung offenbar laut Vernehmlassung auch von der Justizdirektion ausgelegt (vgl. auch Mindestgrundsatz Nr. 48 des Europarates R (87) 3). Bei einer Anwendung von § 27 Abs. 1 GVO im beschriebenen Sinne bleiben die schützenswerten Vermögensinteressen des Gefangenen in Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einem ohne unverhältnismässigen Aufwand gewährleisteten Betrieb der Bezirksgefängnisse in einer vor der Verfassung ausreichenden Weise

BGE 118 Ia 64 (75):

gewahrt. Die Rüge ist somit unbegründet, soweit darauf eingetreten werden kann (vgl. E. 1d). b) Im weiteren richtet sich die Beschwerde gegen § 28 GVO.
aa) Der Beschwerdeführer rügt als erstes, dass die Bestimmung "einen Anspruch des Gefangenen auf Mitnahme eines Schlafsackes in die Zelle vermissen" lasse. Wenigstens sinngemäss macht er u.a. eine Verletzung des ungeschriebenen verfassungsmässigen Rechtes der persönlichen Freiheit ("körperliches Wohlbefinden") geltend. Soweit der Beschwerdeführer dabei die kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde bzw. die zulässigen Beschwerdegründe verkennt, ist auf die entsprechenden Rügen nicht einzutreten (vgl. E. 1d-e). Im übrigen wären sie insoweit unbegründet, als die Nichterwähnung eines Anspruches auf Mitnahme eines Schlafsackes keineswegs bedeutet, dass der Schlafkomfort des Gefangenen deswegen in einer die persönliche Freiheit verletzenden Weise beeinträchtigt würde. Der Beschwerdeführer übersieht, dass der Wortlaut der angefochtenen Bestimmung die Behörden nicht daran hindert, nötigenfalls - etwa aus baulichen oder witterungsbedingten Gründen - Schlafsäcke oder andere Ausrüstungsgegenstände zur Gewährleistung eines ausreichenden Schlafkomforts an die Gefangenen abzugeben (vgl. auch § 28 Abs. 5 GVO: "Die Gefängnisverwaltung kann die Mitnahme weiterer Gegenstände der persönlichen Habe in die Zelle gestatten"). Auch der Mindestgrundsatz Nr. 24 des Ministerkomitees des Europarates R (87) 3, der dem Gefangenen das Recht auf ein Bett und angemessenes eigenes Bettzeug ("d'un lit et d'une literie individuelle convenables") einräumt, geht über diese Anforderungen nicht hinaus.
bb) Aus ähnlichen Gründen geht auch die Rüge fehl, der "fehlende positive Anspruch auf Schreibapparate" verletze verschiedene Garantien der EMRK. Der Text von § 28 Abs. 3 GVO, der es dem Gefangenen u.a. erlaubt, "Schreibzeug" in die Zelle mitzunehmen, schliesst entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers die Bewilligung von Schreibapparaten (Schreibmaschinen, evtl. Personal Computer) in begründeten Fällen keineswegs aus. Der Begriff des "Schreibzeugs" kann bei der konkreten Anwendung der angefochtenen Bestimmung durchaus in diesem Sinne und damit verfassungs- und konventionskonform ausgelegt werden. Dass das Wörterbuch, welches der Beschwerdeführer in der Beschwerdeergänzung zitiert, eine andere, einschränkendere Auslegung nahelegt, ist nicht weiter erstaunlich, beruft er sich doch auf ein Wörterbuch aus dem Jahre 1899. Auch im Mindestgrundsatz Nr. 97 des Europarates, der sich

BGE 118 Ia 64 (76):

auf Untersuchungsgefangene bezieht, ist im übrigen von Schreibmaterial ("writing materials", "matériel nécessaire pour écrire") die Rede.
cc) Analoges gilt auch für das Vorbringen, § 28 GVO lasse "eine Norm darüber vermissen", dass die Mitnahme von Tieren in die Zelle gestattet sei. Soweit auf die Rüge der Verletzung der persönlichen Freiheit überhaupt eingetreten werden kann (vgl. E. 1e), ist sie unbegründet. Die angefochtene Bestimmung schliesst die Zulassung von Kleintieren nicht zum vornherein aus (vgl. insbesondere § 28 Abs. 5 GVO). Dabei muss allerdings festgehalten werden, dass Einschränkungen der persönlichen Freiheit im Interesse von Sicherheit und Hygiene sowie der Aufrechterhaltung des ordnungsgemässen Gefängnisbetriebs in den Grenzen des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes zulässig sind (vgl. E. 2d). Jedenfalls bei einer Zulassung von Katzen und Hunden wären nicht nur Sicherheit und Hygiene im Gefängnis in Frage gestellt, auch die Tierhaltung selber wäre kaum artgerecht und im Interesse des Tieres in der Regel nicht wünschenswert.
aa) Es fragt sich, ob der völlige Entzug des Spazierganges aus Sicherheitsgründen vor der Verfassung standhält.
Gemäss der Praxis des Bundesgerichtes ist ab zweiter Woche der Inhaftierung ein täglicher Spaziergang an der frischen Luft von mindestens einer halben Stunde zur Erhaltung der physischen und psychischen Gesundheit der Gefangenen notwendig und stellt als Ausprägung der persönlichen Freiheit einen verfassungsmässigen Mindestanspruch des Inhaftierten dar (BGE 106 Ia 293 E. 8a; 102 Ia 292). Dieser Minimalanspruch muss grundsätzlich auch gefährlichen Häftlingen zuerkannt werden. Den entsprechenden Risiken für die Sicherheit des Gefängnisses ist mit geeigneten technischen und organisatorischen Massnahmen zu begegnen. So hat das Bundesgericht in einem unveröffentlichten Entscheid vom 27. September 1989 i.S. A. B. das Haftregime für einen mutmasslichen gefährlichen Gewaltverbrecher als insgesamt zu streng angesehen, bei dem der Gefangene in Isolationshaft gehalten wurde und lediglich einen stündlichen Spaziergang in einem allseitig vergitterten Gang mit betoniertem

BGE 118 Ia 64 (77):

Dach absolvieren durfte (a.a.O., S. 14, S. 16 f.). Wie eine Delegation des Bundesgerichtes anlässlich eines Augenscheines im Genfer Gefängnis Champ-Dollon feststellen konnte, sind sinnvolle Lösungen für ausreichende körperliche Betätigung im Freien auch für gefährliche Gefangene technisch realisierbar. In Champ-Dollon wurde ein Hochsicherheitstrakt für besonders gefährliche Gefangene geschaffen. Unter anderem wurde ein ausbruchsicheres grosses Käfig auf dem Gefängnisdach eingerichtet, worin sich diverse Sportgeräte befinden. Auch für den Kanton Zürich sollte im Falle besonderer Sicherheitsrisiken eine ähnliche Lösung gefunden werden können. Die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates betreffend Inhaftierung und Behandlung von gefährlichen Gefangenen sehen die Einrichtung von speziellen Hochsicherheitstrakten ausdrücklich vor (vgl. Recommandation R (82) 17, Exposé des motifs, Ziff. 111). Trotz Fluchtgefahr oder Risiko der Gewaltanwendung muss auch gefährlichen Gefangenen nach dem Gesagten grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt werden, sich einmal täglich während mindestens einer halben Stunde im Freien bewegen bzw. körperlich betätigen zu können. Dies entspricht auch dem Grundsatz Nr. 1 der Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates R (82) 17, wonach auf gefährliche Gefangene soweit als möglich ("dans toute la mesure du possible") die allgemeinen Haftregeln anzuwenden seien. Vorbehalten sind einschränkende disziplinarische Sanktionen im Falle von schweren Disziplinarvergehen (vgl. E. t).
Insofern als die angefochtene Bestimmung den völligen Entzug des Spazierganges als Sicherungsmassnahme zulässt, ist die Beschwerde daher begründet, soweit auf sie eingetreten werden kann (vgl. E. 1b, d). Ob die allgemeine Spaziergangsregelung selber (§ 47 GVO) oder der Entzug des Spaziergangs in den ersten drei Tagen aus disziplinarischen Gründen (Arrest, § 66 Abs. 4 GVO) grundrechtskonform erscheinen, wird im folgenden noch zu beurteilen sein (E. k, t).
bb) Soweit der Spaziergang nicht stärker beschränkt wird, als es der dargelegte grundrechtliche Minimalstandard erfordert, ist ein besonderes Haftregime aus Sicherheitsgründen und eine entsprechende Einschränkung der allgemeinen Spaziergangsregelung in zeitlicher oder organisatorischer Hinsicht dagegen zulässig. In diesem Sinne ist gegen eine "Beschränkung des Spaziergangs" als Sicherungsmassnahme nach § 34 Abs. 2 lit. b GVO von Verfassungs wegen nichts einzuwenden. Was die Rüge der Verletzung von Art. 6

BGE 118 Ia 64 (78):

Ziff. 1 EMRK betrifft, da die Beschränkung des Spazierganges von einer nichtrichterlichen Behörde angeordnet werde, so ist die Beschwerde unbegründet, soweit sie überhaupt zulässig ist. Es kann offengelassen werden, ob die Beschränkung des Spazierganges aus Sicherheitsgründen einen Eingriff in "zivilrechtliche Ansprüche" oder eine selbständige strafrechtliche Sanktion im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK darstellt, und nicht bloss ein spezielles Haftregime für gefährliche Gefangene. Die angefochtene Bestimmung regelt lediglich die erste Anordnung von besonderen Sicherungsmassnahmen und schliesst selber eine richterliche Überprüfung der Massnahme - sollte sie überhaupt in den Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EMRK fallen - nicht aus. Die Rechtsmittelordnung von § 68 GVO dagegen hat der Beschwerdeführer ausdrücklich nicht angefochten.
g) Der Beschwerdeführer ficht § 41 GVO an, wonach den Gefangenen durch die Gefängnisverwaltung täglich drei Mahlzeiten zu verabreichen sind. Damit werde auch für Untersuchungs- und Sicherheitsgefangene "implizite die Beschaffung von Mahlzeiten für Gefangene auf deren eigene Kosten durch Gasthäuser am Platze ausgeschlossen". Die Rüge der Verletzung von Art. 6 Ziff. 2 und Art. 8 EMRK sowie der persönlichen Freiheit ist unbegründet. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass selbst für den Fall, dass Verfassung und Konvention einen Anspruch von nicht verurteilten Gefangenen auf auswärtige Verpflegung gewährleisten würden, der angefochtene Erlass eine solche nicht ausschliesst. § 41 sowie § 42 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GVO bestimmen lediglich, welche Verpflegung die Gefängnisverwaltung abgeben muss. In § 42 Abs. 2 Satz 2 ist die Möglichkeit einer privaten zusätzlichen Verpflegung mittels "Einkauf" sogar grundsätzlich vorgesehen, zumindest aber nicht ausgeschlossen.
Zum anderen kann die persönliche Freiheit von Untersuchungs- und Sicherheitsgefangenen eingeschränkt werden, soweit dies zur Gewährleistung des Haftzweckes notwendig ist (vgl. E. 2d). Ein entsprechender Eingriffsvorbehalt ist auch in Art. 8 Ziff. 2 EMRK vorgesehen. Bei einer Verpflegung durch aussenstehende Private, insbesondere Gasthäuser, ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass Missbrauch betrieben und von interessierten Dritten oder den Gefangenen selber versucht werden könnte, Gegenstände ins oder aus dem Gefängnis zu schmuggeln (insbesondere Kassiber, Drogen, Medikamente, Kleinwaffen und -werkzeuge u.ä., vgl. auch BGE 113 Ia 330 E. 5). Zur Verhinderung möglicher Missbräuche wäre die Gefängnisverwaltung gezwungen, gegebenenfalls mehrmals täglich

BGE 118 Ia 64 (79):

alle extern gelieferten Mahlzeiten sorgfältig zu kontrollieren und umzuschöpfen. Das öffentliche Interesse an der Nichtgefährdung des Haftzweckes und an der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen Gefängnisbetriebes ohne unverhältnismässigen Verwaltungsaufwand ist grundsätzlich höher einzustufen als der Wunsch des Gefangenen, sich nach seinen persönlichen Wünschen extern verpflegen lassen zu können. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die Gefängnisverpflegung ausreichend und dem Geschmack eines nicht allzu verwöhnten Konsumenten zumutbar ist. Ausserdem sind im angefochtenen Erlass Sonderkostregelungen für besondere Fälle ausdrücklich vorgesehen bzw. zumindest nicht ausgeschlossen (vgl. E. h). Die zusätzliche Berufung auf Art. 6 Ziff. 2 EMRK erfolgt schliesslich offensichtlich zu Unrecht. Dadurch, dass Untersuchungs- und Sicherheitshäftlingen die gleiche Kost verabreicht wird wie Strafgefangenen, wird ihnen in keiner Weise die Schuld an einer strafbaren Handlung zugewiesen.
h) Der Beschwerdeführer wendet sich im weiteren gegen § 42 Abs. 2 GVO, weil die Bestimmung eine Sonderkost lediglich aus religiösen Gründen vorsehe. Dadurch würden insbesondere Vegetarier in einer Art. 14 EMRK verletzenden Weise diskriminiert. Es kann im vorliegenden Fall indessen offengelassen werden, ob über die Regelung im angefochtenen Erlass hinaus ein Grundrechtsanspruch auf Sonderkost, insbesondere auf streng vegetarische Ernährung, besteht. Zum einen schliesst schon § 41 GVO das Angebot einer vegetarischen Mahlzeit durch die Gefängnisküche nicht aus. Im Sinne von Satz 2 dieser Bestimmung könnte die Justizdirektion durchaus die hierfür nötigen Weisungen erlassen. Dass § 42 Abs. 2 GVO die Abgabe einer Sonderkost aus religiösen Gründen ausdrücklich zulässt, schliesst keineswegs aus, dass im ordentlichen Menüplan der Gefängnisse gemäss § 41 GVO eine vegetarische Mahlzeit ermöglicht wird. Deren Abgabe wird im Erlass nirgends ausgeschlossen. Zusätzlich gewährleistet § 42 Abs. 1 GVO, der sich auf die ärztlich verordnete Diätkost und Zusatzverpflegung bezieht, die Möglichkeit, dass sich der Gefangene beim Arzt um Bewilligung einer von ihm gewünschten Sonderkost bemüht. Im Sinne einer verfassungsmässigen Auslegung von §§ 41 f. GVO ist in diesem Rahmen allerdings zu erwarten, dass auf ernsthaften Wunsch des Gefangenen auch den berechtigten Interessen namentlich von konsequenten Vegetariern bei der Anwendung des angefochtenen Erlasses Rechnung getragen wird. Die Empfehlung Nr. 25 Ziff. 1 des Ministerkomitees des Europarates R (87) 3 verlangt, dass hinsichtlich

BGE 118 Ia 64 (80):

Gefangenenverpflegung den religiösen und kulturellen Überzeugungen soweit wie möglich ("dans toute la mesure du possible") Rechnung zu tragen sei. Der Vorwurf der Grundrechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung ist dagegen unbegründet.
Vorauszuschicken ist, dass Gefangene im Strafvollzug bzw. in Untersuchungs- und Sicherheitshaft insoweit zivilen Gewohnheiten und persönlichen Vorlieben entsagen müssen, als das betreffende Verbot zur Gewährleistung des Haftzweckes und der Aufrechterhaltung des geordneten Anstaltsbetriebes notwendig ist. Ein vollständiges Alkoholverbot in Gefängnissen erscheint nicht unverhältnismässig, zumal der informelle Austausch von Alkohol unter den Gefangenen nicht vollständig kontrolliert und unterbunden werden kann. Eine Freigabe beschränkter Mengen würde Missbräuchen (insbesondere Horten und Manipulieren von kleineren Mengen alkoholischer Substanzen, Schwarzhandel usw.) Vorschub leisten und Gefahren von Alkoholismus und Trinkexzessen unter den Gefangenen nach sich ziehen. Nicht zuletzt mit Rücksicht auf sucht- bzw. missbrauchsgefährdete Mitgefangene erscheint ein Verzicht auf Alkoholkonsum im Gefängnis zumutbar und verfassungskonform. Die Missbrauchsgefahr gilt auch für Medikamente und Drogen. Was die Verwendung von Medikamenten betrifft, verbietet die angefochtene Bestimmung nicht, selbst mitgebrachte Arzneimittel weiter zu benützen. Die Verwendung innerhalb der Anstalt wird lediglich von der Zustimmung des Gefängnisarztes abhängig gemacht. Was daran grundrechtswidrig sein könnte, ist nicht einzusehen. Wenn der Gefangene die Ansicht vertritt, er benötige unverzüglich ein Medikament, so steht es ihm frei, die Vorführung vor den Gefängnisarzt zu verlangen (vgl. § 48 Abs. 1 GVO). Völlig zu Recht

BGE 118 Ia 64 (81):

verbietet die angefochtene Bestimmung den Genuss von Drogen. Naheliegenderweise sind unter dem Begriff der "Drogen" im Sinne des angefochtenen Erlasses Suchtgifte im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zu verstehen. Dass der Beschwerdeführer eine extensivere Auslegung, welche allerdings vom modernen umgangssprachlichen Begriff der Drogen deutlich abweicht, für zulässig hält, lässt die angefochtene Norm nicht grundrechtswidrig werden. ...
Auch der ebenfalls angefochtene Abs. 2 von § 43 GVO kann verfassungskonform ausgelegt werden. Wenn diese Norm das Rauchen in den Zellen grundsätzlich gestattet, Rauchverbote im übrigen den Hausordnungen überlässt, so steht damit keineswegs fest, dass Gefangene automatisch gegen ihren Willen dem Passivrauchen ausgesetzt werden müssen. Eine sinnvolle Praxis ist durchaus möglich und wird in der Vernehmlassung der Justizdirektion auch angedeutet. So spricht z.B. nichts dagegen, dass ein Raucher in einer Einzelzelle oder zwei Raucher in einer Zweierzelle grundsätzlich rauchen dürfen. Die Hausordnung kann indessen (den konkreten Verhältnissen angepasst) einen angemessenen Schutz vor unerwünschtem Passivrauchen in Unterkünften und Gemeinschaftsräumen vorschreiben. Die angefochtene Bestimmung verstösst damit nicht gegen die persönliche Freiheit.
Der Grundsatz Nr. 86 der Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates R (87) 3 sieht einen täglichen Spaziergang von mindestens einer Stunde vor. In BGE 99 Ia 281 E. 8d erachtete das Bundesgericht noch eine Regelung, welche die körperliche Bewegungsmöglichkeit im Freien auf drei halbstündige Spaziergänge pro Woche beschränkbar erklärte, als verfassungsrechtlich zulässig. Das Bundesgericht hielt jedoch fest, dass die entsprechende Norm der alten Zürcher Bezirksgefängnisverordnung lediglich eine "Minimalregel" enthalte, und dass die in der Beschwerde "geforderte tägliche Bewegung dort, wo es praktisch durchführbar ist", gewährt werden müsse. Drei Jahre später stellte das Bundesgericht insoweit strengere Anforderungen an eine Spaziergangsregelung, als es nach einer Haftdauer

BGE 118 Ia 64 (82):

von einer Woche einen täglichen Spaziergang von einer halben Stunde als Minimum bezeichnete. Es liess offen, ob von dieser Regel allenfalls "in Ausnahmefällen für eine Übergangszeit" abgewichen werden dürfte. Darüber hinaus hielt es in einem obiter dictum fest, obschon ein entsprechender Grundrechtsanspruch nicht bestehe, müsse es "Ziel der kantonalen Behörden und des Bundes sein, künftig den Gefangenen" im Sinne der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze einen einstündigen Aufenthalt im Freien pro Tag zu gewähren (BGE 102 Ia 292). Der verfassungsrechtliche Minimalanspruch auf einen halbstündigen Spaziergang pro Tag ab zweiter Haftwoche wurde in BGE 106 Ia 293 E. 3a bestätigt.
Ein täglicher wenigstens halbstündiger Spaziergang stellt in Rücksicht auf die geistige und körperliche Gesundheit des Gefangenen das absolute Minimum dar. Im Lichte der dargestellten Rechtsprechung muss aber jedenfalls dort, wo die tatsächlichen Verhältnisse dies zulassen, ein täglicher Spaziergang von einer Stunde Dauer gewährleistet werden. Leider sind noch nicht in allen Bezirksgefängnissen die baulichen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen dafür geschaffen. Entsprechende Bemühungen sind indessen dringend notwendig und gemäss Vernehmlassung der Justizdirektion teilweise auch im Gang. Ungeachtet der tatsächlichen Verhältnisse erscheint aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nach einer Haftdauer von einem Monat ein täglicher Spaziergang von mindestens einer Stunde notwendig. Der Wortlaut der allgemeinen Spaziergangsregelung der zürcherischen Bezirksgefängnisverordnung lässt sich mit diesen Grundsätzen insofern nicht vereinbaren, als er die Gewährung eines längeren als halbstündigen Spazierganges pro Tag in das Ermessen der Behörde stellt. § 47 des angefochtenen Erlasses ist daher aufzuheben. Die Gefangenen haben von Beginn weg Anspruch auf Bewegung im Freien von täglich mindestens einer halben Stunde, und wo es die Verhältnisse erlauben, von einer Stunde. Nach einem Monat Haftdauer ist in jedem Fall ein zumindest einstündiger täglicher Spaziergang zu gewährleisten. Vorbehalten bleibt die Beschränkung des Spazierganges aus Sicherheits- und disziplinarischen Gründen (vgl. E. c und t).
aa) Die Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit, die schon Art. 55 BV stillschweigend unter Schutz stellt, gilt, wie auch die

BGE 118 Ia 64 (83):

persönliche Freiheit, nicht unbegrenzt. Einschränkungen sind zulässig, sofern sie auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind (BGE 113 Ia 317 mit Hinweisen). Einschränkungen von Art. 10 Ziff. 1 EMRK sind nach Massgabe von Ziff. 2 zulässig, wenn sie im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, oder zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten unentbehrlich sind. Als "Ordnung" ("l'ordre") im Sinne von Art. 10 Ziff. 2 EMRK ist nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe insbesondere auch die Gefängnisordnung zu betrachten (vgl. FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., Art. 10 N 30). Bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit einer Freiheitsrechtsbeschränkung ist die Schwere des Eingriffs zu berücksichtigen und eine Interessenabwägung zwischen den involvierten privaten und öffentlichen Interessen vorzunehmen (vgl. BGE 113 Ia 317 f. E. 4b; 112 Ia 101).
bb) Der Umstand, in den ersten sieben Tagen der Haft keine eigenen Zeitungen und Zeitschriften abonnieren zu dürfen, bedeutet keinen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Gefangenen. Dies umso weniger, als die angefochtene Bestimmung nicht verbietet, dass die Gefangenen schon in der ersten Woche die von anderen Gefangenen oder von der Gefängnisverwaltung abonnierten Presseprodukte erhalten können. § 52 Abs. 3 Satz 2 GVO sieht in diesem Zusammenhang sogar ausdrücklich vor, dass abonnierte Zeitschriften nach Haftende von der Gefängnisverwaltung nicht nachgeschickt, sondern "für andere Gefangene verwendet" werden. Der angefochtene Erlass lässt es ohne weiteres zu, dass das gleiche mit sämtlichen Presseprodukten geschieht, welche von Häftlingen oder Gefängnispersonal zur Verfügung gestellt werden. Auch der Bücherbezug wird in der ersten Woche nicht beschränkt (vgl. § 52 Abs. 1 f. GVO). § 48 der alten Verordnung über die Bezirksgefängnisse hatte noch ausdrücklich ausgeschlossen, dass die Gefangenen in der ersten Woche "von der Gefängnisverwaltung abonnierte" Presseprodukte beziehen durften. Sogar diese absolute Pressesperre betrachtete das Bundesgericht in BGE 99 Ia 283 E. a als nicht besonders schweren und zulässigen Eingriff. Auf der anderen Seite werden der Gefängnisverwaltung durch die (in der revidierten Verordnung entschärfte) Einschränkung erhebliche Umtriebe erspart, da die Verteilung und Kontrolle (§ 52 Abs. 5 GVO) der privat abonnierten Zeitungen und Zeitschriften bei Gefangenen, die nicht länger als eine Woche inhaftiert sind, wegfällt. Bei

BGE 118 Ia 64 (84):

Untersuchungsgefangenen kommen noch die Interessen der Verhinderung von Kollusions- und Verdunkelungsgefahr hinzu (vgl. auch § 71 GVO), indem gerade bei solchen, die erst wenige Tage in Haft sind, oft nur schwer beurteilt werden kann, welche Presseinformationen dem Untersuchungs- und Haftzweck abträglich sein könnten (etwa im Falle von Berichten über Straftaten, Flucht von Mitverdächtigen usw.). Der Briefverkehr und der persönliche Kontakt mit dem Verteidiger werden von dieser Massnahme nicht berührt.
Daraus ergibt sich, dass die angefochtene Norm die Freiheitsrechte der Gefangenen nicht in verfassungswidriger Weise einschränkt. Ebenso folgt aus dem Gesagten, dass keine Benachteiligung der erst kürzere Zeit Inhaftierten vorliegt, welche sich entgegen Art. 4 BV nicht auf sachliche Gründe stützen könnte. Auf die Rüge der Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (da gemäss § 52 Abs. 5 GVO die Gefängnisverwaltung und nicht ein Gericht über die Beschränkung oder Verweigerung des Bezuges von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften entscheidet) ist aus den in Erwägung 1b dargelegten Gründen nicht einzutreten.
m) ... Gegenüber § 54 Abs. 2 GVO macht der Beschwerdeführer geltend, die Bestimmung könne dazu führen, dass den Gefangenen verwehrt wird, in der Zelle das Fernsehprogramm ihrer Wahl zu verfolgen. Es sei jedoch "keinem Gefangenen zuzumuten, nur jenes Fernsehprogramm mitansehen zu müssen, das gerade in einem Gemeinschaftsraum läuft", daher verstosse die Bestimmung gegen Art. 10 EMRK. - Es kann indessen offengelassen werden, ob dem Gefangenen ein Grundrechtsanspruch darauf zusteht, das Fernsehprogramm seiner Wahl ansehen zu können, so dass das im Gemeinschaftsraum angebotene Programm nicht ausreichen würde. Die Freiheitsrechte eines Gefangenen finden ihre Schranken nämlich an den Rechten der Mitgefangenen und an den Regeln, welche zur Aufrechterhaltung der Gefängnisordnung unerlässlich sind. Zumindest soweit sich der Gefangene nicht in einer Einzelzelle befindet, muss er sich mit Rücksicht auf die Wünsche und Ruhebedürfnisse seiner Mitgefangenen daher durchaus gefallen lassen, mit dem im Gemeinschaftsraum angebotenen Fernsehprogramm vorliebzunehmen. Ob der Betrieb von Fernsehgeräten auch in Einzelzellen die Ruhe von Zellennachbarn übermässig stören kann, hängt von den lokalen Verhältnissen (Schallisolation) ab. Die angefochtene Bestimmung, welche besagt, dass die Hausordnung den Fernsehkonsum von Gefangenen, die zur Gemeinschaft zugelassen sind, auf die Gemeinschaftsräume beschränken

BGE 118 Ia 64 (85):

"kann", lässt sich somit ohne weiteres differenziert und verfassungskonform auslegen, und ist sachlich gerechtfertigt.
aa) Art. 8 Ziff. 2 und Art. 10 Ziff. 2 EMRK lassen im Rahmen der Verhältnismässigkeit Einschränkungen des Rechts auf Privat- und Familienleben und auf Meinungsäusserungsfreiheit insbesondere im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung oder zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten zu. Zur "Ordnung" im Sinne der EMRK gehört, wie schon erwähnt, auch die Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen und ungestörten Gefängnisbetriebes. Das öffentliche Interesse an der Einschränkung ist den tangierten privaten Interessen gegenüberzustellen (vgl. E. 3l, aa).
bb) Bei Untersuchungsgefangenen ist in den ersten Tagen der Haft (insbesondere bis zu den ersten Einvernahmen) regelmässig schwieriger abzuschätzen, zu welchen Personen in welcher Hinsicht Kollusionsgefahr bestehen könnte, und welche Sicherungs- und Überwachungsmassnahmen bei Besuchen zur Gewährleistung des Haftzwecks notwendig sind. Für alle Gefangenenkategorien gilt, dass Besuche einen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringen. Im Interesse der Sicherheit des Gefängnisses und der Nichtgefährdung des Haftzweckes muss insbesondere eine Besuchsbewilligung erteilt werden (§ 55 Abs. 1, § 56 Abs. 2 GVO), alle Besuche müssen überwacht werden, notfalls müssen die Gespräche auf Tonband aufgezeichnet oder es muss eine Kleider- und Effektendurchsuchung vollzogen werden (§ 57 GVO, Art. 5 Abs. 3 VStGB 1), unter Umständen sind weitere Sicherheitsmassnahmen erforderlich. Es liegt im öffentlichen Interesse, den personellen und zeitlichen Aufwand im Verwaltungsbetrieb von Gefängnissen nach Möglichkeit auf ein vertretbares Mass zu beschränken, solange die daraus resultierenden Eingriffe verhältnismässig bleiben. Die Sperrfrist von einer Woche erspart den Behörden erhebliche Umtriebe gerade im Falle von kurzfristig Gefangenen, die ansonsten ebenfalls in den Genuss der Besuchsregelung kämen. Bei Verzicht auf die Sperrfrist könnten z.B. auch Gefangene, die lediglich eine Haftstrafe von wenigen Tagen zu verbüssen haben, einen Anspruch auf einen Besuch in der ersten Woche geltend machen.
cc) Es fragt sich, ob die erwähnte Sperrfrist für Gefangene, die länger als nur wenige Tage inhaftiert sind, zu einer übermässigen

BGE 118 Ia 64 (86):

Beeinträchtigung führt. Dass der Erlass nur einen (zumindest halbstündigen) Besuch pro Woche zulässt, wird nicht als grundrechtswidrig gerügt. Die Tatsache, dass der Gefangene nur einmal, nämlich in der ersten Woche, auf einen solchen Besuch verzichten muss, stellt keinen besonders schwerwiegenden Eingriff dar, zumal der Briefverkehr der Gefangenen keiner solchen Beschränkung unterliegt (§ 58 GVO) und auch der Verkehr mit dem Verteidiger von Anfang an unbeschränkt gewährleistet ist (§ 60 GVO). Schliesslich ist auch noch darauf hinzuweisen, dass § 55 Abs. 2 GVO für dringende Fälle Ausnahmen von den Besuchseinschränkungen zulässt. In Würdigung dieser Umstände verletzt die angefochtene Sperrfrist für Besuche in der ersten Woche Art. 8 und 10 EMRK nicht.
Die Rüge der Verletzung von Art. 6 Ziff. 3 lit. b und c EMRK ist offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Bestimmung schränkt den Verkehr mit dem Anwalt in keiner Weise ein, dieser ist vielmehr in § 60 GVO geregelt und grundsätzlich unbeschränkt. Hinsichtlich der Frage, welchen Anwalt er zur Verteidigung beauftragen soll, kann der Gefangene per Briefverkehr schriftlich seine Meinung äussern und Nachrichten empfangen.
o) Der Beschwerdeführer stösst sich daran, dass § 56 Abs. 1 GVO als besuchsberechtigte "nahe Angehörige" Eltern, Geschwister, Ehefrau und Kinder des Gefangenen aufzählt, nicht aber nichteheliche Lebenspartner. Ausserdem würden im Gegensatz zu Arbeitgeber und Vormund des Gefangenen "Freunde, Bekannte, Angestellte sowie Geschäftspartner" ausgeschlossen, was gegen Art. 8 und Art. 14 EMRK verstosse. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist indessen auch diese angefochtene Bestimmung der verfassungs- bzw. konventionskonformen Auslegung zugänglich. Insbesondere legt sie nicht fest, dass die erwähnte Aufzählung von "nahen Angehörigen" abschliessend sei. Unter den Begriff der nahen Angehörigen im Sinne von § 56 Abs. 1 GVO können somit ohne weiteres auch nichteheliche Lebenspartner subsumiert werden. Was den Kreis der übrigen Besuchsberechtigten betrifft, so muss im Interesse eines geordneten Gefängnisbetriebes eine sachgerechte Beschränkung getroffen werden (vgl. E. n, bb). Auch der Mindestgrundsatz Nr. 43 Ziff. 1 des Ministerkomitees des Europarates R (87) 3 sieht für den Besuchsverkehr den Vorbehalt der Erfordernisse der Haft sowie von Sicherheit und Ordnung vor. Es kann indessen offengelassen werden, ob dem Gefangenen ein Grundrechtsanspruch zusteht, irgendwelche Freunde, Bekannte und Geschäftspartner als Besucher

BGE 118 Ia 64 (87):

empfangen zu können, oder ob ein Untersuchungshäftling oder ein Strafgefangener Anspruch darauf hat, "in dem Umfange" Besuch zu empfangen, "wie das zur Weiterführung seines Geschäftes als notwendig erscheint". Falls der Gefangene tatsächlich ein schützenswertes Interesse daran geltend machen kann, entsprechende Besuche zu empfangen, lässt § 56 Abs. 1 Satz 2 GVO die Zulassung von "weitere(n) Personen" ausdrücklich zu. Die angefochtene Bestimmung ist im Lichte von Verfassung und EMRK daher nicht zu beanstanden.
p) Auch die Einschränkung eines übermässigen Briefverkehrs, welcher die Briefkontrolle erheblich erschwert (§ 58 Satz 2 GVO), verletzt Art. 8 EMRK nicht. Gegen Missbräuche des in § 58 Satz 1 GVO gewährleisteten Prinzips auf unbeschränkten Briefverkehr muss zur Wahrung eines ungestörten Gefängnisbetriebes eingeschritten werden können. Andernfalls könnte ein Gefangener den "Freipass" ausnützen und den Gefängnisbetrieb lähmen, indem er z.B. täglich mutwillig Dutzende von Briefen schreibt, welche (insbesondere zur Sicherung des Haftzweckes) ausnahmslos kontrolliert werden müssten (§ 59 GVO, Art. 5 Abs. 3 VStGB 1). Allerdings muss § 58 Satz 2 GVO konsequent als Missbrauchsbestimmung im engeren Sinne angewendet werden. Dies wird durch § 58 Satz 1 verdeutlicht, welcher als Grundregel bestimmt: "Der Briefverkehr der Gefangenen ist nicht beschränkt." Der Beschwerdeführer verkennt aber, dass sich auch ein Rechtsanwalt oder ein Bankier die Einschränkungen seines Briefverkehrs gefallen lassen muss, die der ordnungsgemässe Gefängnisbetrieb verlangt. Kann der Gefangene jedoch schutzwürdige Interessen für einen umfangreichen Briefverkehr geltend machen, läge kein Missbrauch des freien Briefverkehrs vor und die Behörden hätten entsprechend besondere Anstrengungen zur Bewältigung des Kontrollaufwandes zu unternehmen. Die angefochtene Bestimmung lässt sich im dargelegten Sinne grundrechtskonform auslegen.
Analog dem zu § 58 GVO Ausgeführten lässt sich jedoch auch diese Bestimmung grundrechtskonform anwenden. Es steht jedenfalls

BGE 118 Ia 64 (88):

ausser Zweifel, dass auch bei umfangreicher ausländischer Korrespondenz eine Handhabe gegen Missbräuche vorhanden sein muss. Andernfalls könnten Gefangene Aussenstehende veranlassen, massenweise Briefe in fremder Sprache ins Gefängnis zu senden, um damit den Verwaltungsbetrieb des Gefängnisses zu lähmen oder die Briefkontrolle zu beeinträchtigen. Auch bei den ausgehenden Briefen besteht eine entsprechende Missbrauchsgefahr, beherrscht doch ein erheblicher Teil der Untersuchungs- und Strafgefangenen in den Zürcher Bezirksgefängnissen Sprachen ausserhalb der schweizerischen Landessprachen (insbesondere serbokroatisch, türkisch, arabisch und andere). Die angefochtene Bestimmung kann ohne weiteres als entsprechende Missbrauchsregelung ausgelegt und angewendet werden, zumal ausdrücklich von ausländischer "und umfangreicher" Korrespondenz die Rede ist und es sich bei § 59 Abs. 2 GVO zudem um eine "Kann-Vorschrift" handelt ("kann verlangen"), deren Anwendung auf Extremfälle im erwähnten Sinn beschränkt werden kann. Dabei ist aber festzuhalten, dass im Falle eines mittellosen Gefangenen, der das Recht auf freien Briefverkehr in ausländischer Sprache nicht missbraucht, die Übersetzungskosten auch für umfangreiche Korrespondenz vom Staat vorgeschossen werden müssen. Andernfalls würde das Recht auf freien Briefverkehr im Falle von Gefangenen ausländischer Muttersprache praktisch seines Wesensinhaltes entleert...
Dem Beschwerdeführer ist entgegenzuhalten, dass es zur Aufrechterhaltung der Sicherheit des Gefängnisses möglich sein muss, Gefangene, welche die Gefängnisordnung missachten und sich disziplinarische Verstösse zuschulden kommen lassen, mit wirksamen Disziplinarsanktionen zu belegen (vgl. auch Mindestgrundsatz Nr. 33 des Europarates R (87) 3: "L'ordre et la discipline doivent être maintenus dans l'intérêt de la sécurité, d'une vie communautaire bien organisée et des objectifs du traitement poursuivi dans l'établissement"). Dies gilt auch für Untersuchungsgefangene (§ 76 Abs. 4 StPO/ZH). Die vorgesehenen Massnahmen zur entsprechenden Verschärfung des Haftregimes sind ihrem Charakter nach sachgerecht und verhältnismässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist bei schweren Disziplinarverstössen der Vollzug einer

BGE 118 Ia 64 (89):

Arreststrafe von einigen Tagen, u.a. verbunden mit der Sperre von Zeitungen und einem Radioempfangsverbot, grundsätzlich zulässig (vgl. BGE 117 Ia 189 f. E. 4b = EuGRZ 18 (1991) 429 f.). Im Falle von weniger schweren Disziplinarvergehen gemäss § 62 Abs. 1 lit. b GVO sind a maiori ad minus auch die entsprechenden Einschränkungen ohne die übrigen Erschwerungen des Arrestvollzuges (§ 66 GVO) nicht zu beanstanden. Wer sich der Disziplinarordnung im Gefängnis nicht unterzieht, muss sich stärkere Eingriffe in die persönliche Freiheit gefallen lassen als die übrigen Gefangenen. Zur Durchsetzung des Gefängnisreglementes müssen die Disziplinarsanktionen zudem von gewisser Empfindlichkeit sein. Die mögliche Höchstlänge des Zeitungs-, Radio- oder Fernsehentzuges von bis zu zwei Monaten wird in der Beschwerde nicht ausdrücklich gerügt. Ebensowenig ist § 62 Abs. 2 GVO angefochten, wonach mehrere Disziplinarsanktionen miteinander verbunden werden können. Im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung ist immerhin darauf hinzuweisen, dass der Ausschluss von Medieninformationen über die Dauer von mehreren Wochen eine empfindliche Sanktion darstellt. Bei der konkreten Anwendung wäre darauf zu achten, dass eine Kumulation solcher Massnahmen kaum grundrechtskonform erschiene und dass eine mehrwöchige Einzelmassnahme höchstens bei schweren oder wiederholten Disziplinarvergehen in Frage kommen kann. Die angefochtene Bestimmung entzieht sich einer solchen Anwendung nicht. Insofern ist keine Verletzung von Art. 10 EMRK in den angefochtenen Einschränkungen von § 62 Abs. 1 lit. b GVO zu beanstanden.
aa) Die Rüge ist unbegründet, soweit im Lichte von Art. 90 Abs. 1 lit. a und b OG überhaupt darauf eingetreten werden kann (vgl. E. 1b). Erstens übersieht der Beschwerdeführer, dass der in diesem Zusammenhang allein angefochtene § 64 GVO eine gerichtliche Überprüfung der Disziplinarsanktion nicht ausschliessen würde. Zweitens ist nach der Praxis des Bundesgerichtes und der Strassburger EMRK-Organe Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf Disziplinarmassnahmen gegenüber Gefangenen in der Regel nicht anwendbar. So hat das Bundesgericht im schon erwähnten Urteil vom 17. April 1991 i.S. J. N. entschieden, dass sogar die Ausfällung einer disziplinarischen Arreststrafe

BGE 118 Ia 64 (90):

von zwei Tagen Dauer nicht unter Art. 6 Ziff. 1 EMRK falle (BGE 117 Ia 189 f. E. 4b). Ob sich ausnahmsweise eine Anwendung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK rechtfertigt, kann zudem nur im konkret zu entscheidenden Fall beurteilt werden (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 22. Mai 1990 i.S. Franz Weber, Série A, vol. 177; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., Art. 6 N 24). Die angefochtene Bestimmung ist in diesem Sinne ohne weiteres verfassungskonform auslegbar.
bb) Ob eine Arreststrafe von 20 Tagen, welche gemäss § 62 Abs. 1 lit. e GVO ausgefällt werden könnte, einer strafrechtlichen Sanktion gleichkommt, welche im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK von einer richterlichen Behörde sanktioniert werden müsste, ist im vorliegenden Fall nicht zu untersuchen, da § 62 Abs. 1 lit. e und § 68 GVO nicht angefochten worden sind. Im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtes drängen sich hier freilich gewisse Bedenken auf (vgl. BGE 117 Ia 187 ff.). Allfällige Grundrechtsverstösse könnten vom Betroffenen aber notwendigenfalls immer noch im konkreten Anwendungsfall gerügt werden. Es empfiehlt sich allerdings für schwere Disziplinarvergehen dringend eine diesbezügliche Ergänzung der zürcherischen Bezirksgefängnisverordnung; andernfalls wären entsprechenden Beschwerden im Einzelfall nicht geringe Erfolgsaussichten beschieden.
t) Der Beschwerdeführer rügt sodann, der Entzug des Spazierganges während den ersten drei Tagen bei Arreststrafen von mehr als drei Tagen Dauer (§ 66 Abs. 4 GVO) verstosse gegen das ungeschriebene Verfassungsrecht der persönlichen Freiheit. Dem ist ebenfalls nicht zu folgen. Die persönliche Freiheit darf im Falle von Arreststrafen wegen schweren Disziplinarvergehen eingeschränkt werden. Wie das Bundesgericht im zitierten Urteil vom 17. April 1991 festgestellt hat, ist eine disziplinarische Arreststrafe von einigen Tagen, angeordnet nach alter Zürcher Gefängnisverordnung, grundsätzlich mit Art. 3 EMRK bzw. der persönlichen Freiheit vereinbar (a.a.O., nicht veröffentlichte E. 5). Auch der mit der Arreststrafe verbundene Spaziergangsentzug in den ersten drei Tagen ist nicht unverhältnismässig, sondern stellt eine angemessene Verschärfung des ordentlichen Haftregimes zur Sanktionierung von schweren Disziplinarvergehen und damit zur Aufrechterhaltung der Sicherheit des Gefängnisses dar. Bei Arreststrafen von mehr als drei Tagen Dauer wird dem Gefangenen vom vierten Tag an täglich Gelegenheit zum Einzelspaziergang gegeben. Diese Regelung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. ... Was allfällige Gesundheitsrisiken

BGE 118 Ia 64 (91):

durch den dreitägigen Spaziergangsentzug betrifft, so verbietet die angefochtene Verordnung im übrigen nicht, dass der Gefangene im Arrest jederzeit den Gefängnisarzt konsultieren kann (§ 48 Abs. 1 GVO). Bei längeren Arreststrafen ist eine ärztliche Begutachtung spätestens am fünften Tag sogar obligatorisch vorgeschrieben (§ 66 Abs. 5 GVO).
 
Erwägung 4