47. Auszug aus dem Urteil vom 17. November 1976 i.S. Brauerei Ziegelhof und Rudin gegen Kanton Basel-Stadt und Eidg. Schätzungskommission, 7. Kreis
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Regeste
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Art. 41 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. b EntG; Verwirkung von Entschädigungsforderungen.
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Sachverhalt
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BGE 102 Ib 276 (277):
Im Rahmen des die Osttangente der Nationalstrasse N 2 betreffenden Enteignungsverfahrens wurden u.a. die Grundeigentümer der an die Schwarzwaldallee in Basel anstossenden Liegenschaften vom Baudepartement des Kantons Basel-Stadt mit Schreiben vom 6. Januar 1971 auf die bevorstehende öffentliche Planauflage und die Frist für die Anmeldung allfälliger Forderungen aufmerksam gemacht. Am 9. Januar 1971 wurde die Planauflage im Kantonsblatt und in vier Basler Tageszeitungen öffentlich bekannt gemacht mit dem Vermerk, dass ausser den Grundeigentümern auch die betroffenen Mieter und Pächter berechtigt seien, Forderungen zu stellen. Die Planauflage selber dauerte vom 11. Januar bis 10. Februar 1971.
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Die Brauerei Ziegelhof ist Eigentümerin der Liegenschaft Grenzacherstrasse 223, deren Ostseite an die Schwarzwaldallee grenzt. Sie betreibt in dieser Liegenschaft das Restaurant "Ziegelhof", das vom 1. Oktober 1963 bis 31. März 1974 an Jakob Rudin verpachtet war. Ab August 1971 wurde für die Nationalstrasse N 2 mindestens 70 m von der genannten Liegenschaft BGE 102 Ib 276 (278):
entfernt die Schwarzwald-Autobahnbrücke erstellt, nachdem bereits zuvor erstmals im Juni 1971 in der Schwarzwaldallee vor dem Restaurant "Ziegelhof" Leitungen verlegt worden waren. In der Folge wurden auch die Grenzacherstrasse zwecks ihrer Unterführung unter die Schwarzwald-Autobahnbrücke abgesenkt und der Abschluss der Schwarzwaldallee neu gestaltet. Die vorgenannte Autobahnbrücke wurde am 19. Dezember 1973 eingeweiht.
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Da sich zur Zeit der vorgenannten Arbeiten im Restaurant "Ziegelhof" ein erheblicher Rückgang des Umsatzes für den Wirt und der Bierlieferungen für die Brauerei bemerkbar machte und im Gebäude Schäden entstanden, gelangten die Brauerei Ziegelhof und Rudin am 7. März 1974 an den Präsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission (ESchK) 7. Kreis mit dem Ersuchen, es sei zur Feststellung der bestehenden Situation ein Augenschein an Ort und Stelle durchzuführen. Der Augenschein verbunden mit einer Besprechung fand am 11. März 1974 statt.
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Am 28. August 1974 reichten die genannte Brauerei und Rudin beim Präsidenten der ESchK 7. Kreis Klage ein mit dem Begehren um Schadenersatz (unter dem ausdrücklichen Vorbehalt von Mehrforderungen).
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Mit Urteil vom 11. März 1976 trat die ESchK 7. Kreis wegen "Verwirkung eines allfälligen Anspruches" auf die Klage nicht ein.
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Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen die Brauerei Ziegelhof und Rudin, das Urteil der ESchK 7. Kreis sei aufzuheben und der Kanton Basel-Stadt zur Bezahlung von Fr. 60'000.-- zuzüglich noch zu ermittelnder Gebäudeschaden an die Brauerei und Fr. 80'000.-- an Rudin nebst Zins zu verurteilen, ev. sei der zu leistende Schadenersatz nach richterlichem Ermessen festzusetzen oder die Angelegenheit zu diesem Zwecke an die ESchK zurückzuweisen, unter Kostenfolge.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerden bezüglich der Ersatzansprüche für den Umsatzrückgang im Restaurant und die Minderlieferungen von Bier ab. Bezüglich des Ersatzanspruches für Gebäudeschaden wird die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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BGE 102 Ib 276 (279): Aus den Erwägungen:
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a) Die Kenntnis vom Schaden im Sinne der genannten Bestimmung besitzt der Betroffene, wenn er dessen Beschaffenheit und die wesentlichen Merkmale, d.h. alle tatsächlichen Umstände kennt, die geeignet sind eine Klage zu veranlassen und zu begründen (BGE 64 I 233 E. 4, BGE 100 Ib 204 f. E. 1d). Dabei ist nicht erforderlich, dass die Einwirkung bereits körperlich in Erscheinung getreten ist; es genügt, dass der Schaden zuverlässig voraussehbar ist (z.B. aufgrund der Pläne). Das folgt auch aus dem Wortlaut des Art. 41 Abs. 1 lit. b EntG, der ausdrücklich auf die Voraussehbarkeit Bezug nimmt. Entsprechend muss jedenfalls eine während der Erstellung des Werkes zu Tage getretene erhebliche Einwirkung (vgl. unten E. 1b), die vorher bei Anwendung der dem Betroffenen zumutbaren Sorgfalt nicht vorausgesehen werden konnte, binnen sechs Monaten als Schaden geltend gemacht werden, sobald sie als solcher erkennbar wird. Die Verwirkungsfrist des Art. 41 Abs. 2 lit. b EntG ist nicht zuletzt im Interesse der für die Erstellung des Werkes Verantwortlichen aufgestellt worden, um ihnen gegebenenfalls zu ermöglichen, durch Sicherungsvorkehren den Eintritt weiteren Schadens zu verhüten. Dieser Schutz aber wäre unvollständig, wenn der Geschädigte mit der Geltendmachung von Ansprüchen aus einer erst nach der Planauflage erkennbar gewordenen schädlichen Einwirkung zuwarten könnte, bis der Schaden für ihn eine untragbare Form annimmt (BGE 64 I 234). Das gilt auch für einen fortdauernden Schaden, der ebenso ohne Verzug angemeldet werden muss, sobald er als solcher und seinem Umfange nach (s. unten E. 1b) zuverlässig voraussehbar ist (BGE 64 I 234, BGE 100 Ib 204 f. E. 1d). Gerade wegen der Besonderheit des Enteignungsverfahrens kann dem Betroffenen BGE 102 Ib 276 (280):
nicht zugestanden werden, dass er in einem solchen Fall den Abschluss der Entwicklung abwarte. Die von der zivilrechtlichen Praxis für die Verjährung von Deliktsansprüchen nach Art. 60 OR entwickelten Grundsätze (BGE 92 II 4 E. 3, 96 II 41 E. 2a) lassen sich insoweit auf Art. 41 Abs. 2 lit. b EntG nicht anwenden (BGE 64 I 235 f.; zustimmend WALDIS, Das Nachbarrecht, 4. Aufl., Zürich 1953, S. 56 f. Anm. 54; ZIMMERLIN, Nachträgliche Entschädigungsforderungen im Enteignungsverfahren, SJZ 36 1939/40 S. 123).
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b) Da Art. 41 Abs. 1 lit. b EntG eine nachträgliche Anmeldung der Entschädigungsforderung auch für den Fall zulässt, dass der Schaden im Planauflageverfahren "nicht nach seinem Umfang" vorauszusehen war, muss - wie schon ausgeführt - die Kenntnis des Betroffenen auch das Ausmass der schädigenden Einwirkung erfassen. Das allerdings nicht in dem Sinne, dass der Enteignete in der Lage wäre, den Schaden bereits abschliessend und genau ziffernmässig zu berechnen, sondern bloss in der Weise, dass er bei gebotener Sorgfalt sich darüber Rechenschaft geben muss, dass Anlass zur Anmeldung des Schadens im Enteignungsverfahren besteht (vgl. BGE 34 II 29 f. E. 3; BGE 42 II 46 E. 2; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 12 zu Art. 60 OR). Anders wäre nur zu entscheiden, wenn das Gesetz die Gültigkeit der Anmeldung von der genauen Bezifferung des Schadens abhängig machen würde. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Wie bezüglich der Schadensanmeldung im Planauflageverfahren gemäss Art. 36 lit. a EntG unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung entschieden wurde, ist die darin geforderte Angabe der Schadenshöhe nur eine Ordnungsvorschrift und nicht Gültigkeitsvoraussetzung (BGE 71 I 302, BGE 97 I 182 E. 3c). Tatsächlich ist ja auch die Schätzungskommission bei Feststellung der Höhe der Entschädigung nicht an die Anträge der Parteien gebunden (Art. 72 Abs. 2 EntG). Zudem sieht das Gesetz selber die Möglichkeit vor, bei Ungewissheit über die volle Schadenshöhe, wie sie vor allem bei fortdauernden schädigenden Einwirkungen auftreten kann, das Schätzungsverfahren bis nach Fertigstellung des Werkes zu verschieben (Art. 57 Abs. 1 Satz 2 EntG). Was aber insoweit für die Anmeldung im Planauflageverfahren gilt, muss auch für die nachträgliche Forderungsanmeldung Rechtens sein. Soweit demnach Art. 41 EntG vom Umfang des Schadens spricht, ist damit nicht eine BGE 102 Ib 276 (281):
Kenntnis gefordert, die eine genaue Berechnung des Schadens erlaubt, sondern bloss das Wissen, dass der bereits bestehende oder erkennbar fortdauernde Schaden ein solches Ausmass hat bzw. annehmen wird, dass Veranlassung zur Klage besteht (vgl. BGE 42 II 46 E. 2).
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c) Zur Kenntnis des Schadens gehört schliesslich die Einsicht in die Ursache der festgestellten oder vorausgesehenen schädigenden Einwirkung (vgl. BGE 100 Ib 196 E. 8, 200 Nr. 31). Ein sicheres Wissen um den Kausalzusammenhang zwischen dem Bau des Werkes und der Schädigung ist indessen nicht geboten. Die Kenntnis ist eine ausreichende, wenn die Auswirkungen der Erstellung des Werkes dem Betroffenen bei gebotener Sorgfalt als die wahrscheinlichste Ursache des Schadens erscheinen müssen (BGE 64 I 235; WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung, Diss. Zürich 1966, S. 216).
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Die Vorinstanz hat, was den Umsatzrückgang im Restaurant und die damit verbundenen Minderlieferungen von Bier durch die Brauerei anbelangt, gestützt auf die von den Beschwerdeführern selber ins Recht gelegten Unterlagen festgestellt, dass schon der monatliche Bierumsatz ab August 1971, also nach Baubeginn auffallend rückläufig gewesen sei und in der Folge keinen Monat mehr die jeweilige Höhe des Vorjahres erreicht habe und dass der Jahresumsatz im September 1972 mit einem Rückgang von 110 hl sogar die grösste Abnahme verzeichnet habe. Wenn sie gestützt darauf und in Berücksichtigung der von den Beschwerdeführern selber zugegebenen Tatsachen, dass diese die Entwicklung "in den letzten Jahren" beobachtet und den Umsatzrückgang als "eindeutige Folge" der Arbeiten an der N 2 und den Anschlusswerken erkannt hätten, zum Schluss gelangte, die Betroffenen hätten - selbst wenn man ihnen noch eine gewisse Beobachtungszeit zur Erhärtung der gemachten Erfahrungen zugestehe, schon im Sommer 1972, spätestens aber im September dieses Jahres die von Art. 41 Abs. 2 lit. b EntG vorausgesetzte Kenntnis der Schädigung gehabt, so ist diese Würdigung zutreffend. Tatsächlich hatten die Beschwerdeführer schon im September 1971 und damit bald nach Baubeginn ein Abfallen des monatlichen Bierumsatzes von 31 auf 20 hl festgestellt. In der Folge hielt diese Entwicklung bis September 1972 unverkennbar an, indem sie sich mit kleineren Schwankungen über oder unter dem Stand BGE 102 Ib 276 (282):
von 20 hl monatlich bewegte. Zudem verzeichnete das Ergebnis des Geschäftsjahres im September 1972 mit 326 hl die grösste Abnahme (110 hl) gegenüber 436 hl vor Baubeginn. Damit aber hatten die Beschwerdeführer spätestens im September 1972 Kenntnis von allen für die Begründung eines Schadenersatzanspruches notwendigen wesentlichen Umständen. Der im genannten Zeitpunkt bereits eingetretene Schaden war ohne weiteres abschätzbar, sein Zusammenhang mit den Einwirkungen aus dem Bau der Schwarzwald-Autobahnbrücke und ihren Anpassungswerken wahrscheinlich und die Fortdauer der Einwirkung bis zum Abschluss der Arbeiten voraussehbar. Dass noch andere Faktoren, z.B. die Eröffnung des Personalrestaurants der F. Hoffmann-La Roche im April 1971, als Schadensursachen in Betracht kommen, fällt in diesem Zusammenhang nicht ins Gewicht, da die Beschwerdeführer offensichtlich von Anfang an nach eigenen Angaben davon überzeugt waren, der drastische Umsatzrückgang sei eine "eindeutige Folge" der Bauarbeiten. Schliesslich war auch das Ausmass der Schädigung derart, dass Anlass zu sofortiger Geltendmachung der Ersatzansprüche bestand. Die frühestens am 7. März 1974 erfolgte Forderungsanmeldung war daher bezüglich des vorgenannten Schadens verspätet.
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