BGE 104 Ib 194 |
33. Urteil vom 10. November 1978 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich |
Regeste |
Entzug des Führerausweises; Fehlen der gesetzlichen Grundlage. |
Sachverhalt |
Am 20. Oktober 1976, etwa um 00.40 Uhr, lenkte X. seinen Personenwagen auf der Weinbergstrasse in Zürich zum Central, wo er auf der Höhe der Einmündung der Stampfenbachstrasse die Herrschaft über sein Fahrzeug verlor und mit einem Inselschutzpfosten kollidierte. Ohne sich um den entstandenen Schaden zu kümmern, fuhr er weiter. |
Nachdem ein Zeuge die Kollision der Polizei gemeldet hatte, konnte X. etwa um 02.30 Uhr in seiner Wohnung ausfindig gemacht und kontrolliert werden. Später führte der auf der Polizeiwache vorgenommene Atemlufttest zu einem positiven Resultat; deshalb wurde um etwa 04.00 Uhr eine Blutprobe entnommen, deren Auswertung einen Blutalkoholgehalt von 1,42 bzw. 1,43 Gewichtspromillen ergab.
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X. erklärte, nach der Rückkehr in seine Wohnung ungefähr zweizweidrittel Flaschen Bier getrunken zu haben; vor dem Unfall habe er vor 19.30 Uhr drei Becher Bier zu je 3 dl getrunken; er verneinte, sein Fahrzeug in angetrunkenem Zustand gelenkt zu haben. Zudem machte er geltend, nach der Kollision den Schaden am Kandelaber nicht bemerkt zu haben.
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Am 27. April 1977 erklärte das Bezirksgericht Zürich den X. schuldig der Vereitelung einer Blutprobe im Sinne von Art. 91 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 1958 über den Strassenverkehr (SVG; SR 741.01), des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall im Sinne von Art. 92 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 51 Abs. 3 SVG sowie der Verletzung einer Verkehrsregel im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 SVG. Es verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 1'000.-. Von der Anklage des Fahrens in angetrunkenem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 1 SVG wurde X. freigesprochen. |
In der Folge entzog die Polizeidirektion des Kantons Zürich dem X. den Führerausweis für die Dauer von drei Monaten. Sie legte dieser Massnahme die Sachverhaltsfeststellungen des Strafrichters zugrunde. Der Regierungsrat des Kantons Zürich wies den gegen die Entzugsverfügung erhobenen Rekurs am 1. Februar 1978 ab.
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Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde begehrt X. die Aufhebung des regierungsrätlichen Entscheides und den Verzicht auf administrative Massnahmen. Eventuell sei eine Verwarnung auszusprechen; subeventuell sei ein Entzug auf kurze Dauer anzuordnen, beschränkt auf den Führerausweis der Kategorie B, damit er weiter seinen Beruf ausüben könne. Der Regierungsrat beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements stellt den Antrag, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei teilweise gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
2. Gemäss Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG muss der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer in angetrunkenem Zustand gefahren ist. Ihrem Wortlaut nach lässt sich diese Bestimmung nicht auf die Vereitelung der Blutprobe anwenden. Auch die anderen in Art. 16 SVG aufgezählten Entzugsgründe lassen sich nicht auf diesen Tatbestand ausdehnen. Die Vorinstanz gelangt indessen auf dem Wege der Auslegung zum Schluss, dass der Ausweis auch in diesem Fall zu entziehen sei. Sie verweist sinngemäss darauf, dass Art. 91 SVG unter dem Randtitel "Fahren in angetrunkenem Zustand" sowohl das Führen eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand (Abs. 1) als auch die Vereitelung der Blutprobe (Abs. 3) erfasst und für beide Delikte ausdrücklich dieselbe Strafe androht. Art. 91 Abs. 3 SVG sei eine Sondernorm für das Gebiet des Strassenverkehrsrechts, die verhindern solle, dass der sich einer Blutprobe unterziehende Lenker schlechter wegkomme als jener, der flüchtet oder ihren Zweck vereitelt. Mit anderen Worten schützt Art. 91 Abs. 3 SVG nach Auffassung der Vorinstanz das Rechtsgut der Verkehrssicherheit. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG sich sowohl auf Art. 91 Abs. 1 wie auch auf Art. 91 Abs. 3 SVG beziehe. |
a) Die massgebliche Lehre beurteilt jedoch die strafrechtliche Bedeutung von Art. 91 Abs. 3 SVG anders. Sie bezeichnet den geordneten Gang der Rechtspflege als das durch die Bestimmung geschützte Rechtsgut (SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 19. Dezember 1948, S. 207; STAUFFER, Der Entzug des Führerausweises, Diss. Bern 1966, S. 61). Die Bundesgerichtspraxis weist ebenfalls ausdrücklich auf die Verwandtschaft zwischen Art. 91 Abs. 3 SVG und den Delikten der Hinderung einer Amtshandlung, des Ungehorsams und des Handelns gegen die Rechtspflege hin und bezeichnet diese Bestimmung insofern als Sondernorm, als die vorherige amtliche Anordnung der Blutprobe nicht Voraussetzung für den Tatbestand der Vereitelung der Blutprobe sei (BGE 95 IV 147). Der Hinweis des Regierungsrats auf dieses Urteil geht daher fehl. Aber selbst wenn Art. 91 Abs. 3 SVG primär dem Schutz der Verkehrssicherheit dienen würde, könnte daraus nicht notwendigerweise gefolgert werden, dass die Vereitelung der Blutprobe im Entzugstatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand (Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG) mit inbegriffen sei (vgl. Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide (AGVE) 1974, S. 214 f.).
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b) Sinn und Zweck von Art. 16 Abs. 3 SVG gestatten die weite Auslegung der Vorschrift, wie sie der Regierungsrat befürwortet, nicht. Der Führerausweisentzug ist eine administrative Massnahme präventiven und erzieherischen Charakters, die der Hebung der Verkehrssicherheit dienen soll (BGE 102 Ib 60 mit Hinweisen). Somit kommt der Ausweisentzug in der Regel nur bei Delikten in Frage, die einen unmittelbaren Bezug zum Verkehrsgeschehen haben. Dies trifft bei der Vereitelung der Blutprobe nicht oder nur in beschränktem Masse zu. Der Straftatbestand des Art. 91 Abs. 3 SVG dient, wie erwähnt, in erster Linie der geordneten Rechtspflege, zu deren Schutz strafrechtliche Sanktionen zweckmässiger erscheinen als administrative Massnahmen. |
c) Die Polizeiabteilung weist darauf hin, dass anlässlich der letzten Revision des SVG Begehren zur Aufnahme der Vereitelung der Blutprobe unter die Entzugsgründe vorgelegen hätten. Nach einlässlicher Diskussion sei aber auf einen entsprechenden Zusatz zu den Entzugsgründen verzichtet worden.
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Die Materialien zur Revision des SVG (BG vom 20. März 1975) erwähnen diese Vorstösse nicht. Ob aus verwaltungsinternen Vorarbeiten und Beratungen in den parlamentarischen Kommissionen auf ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers geschlossen werden kann, mag offen bleiben (vgl. AGVE 1974, S. 215 f.). Es erscheint aber als unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber die Vereitelung der Blutprobe bei der Aufzählung der Entzugstatbestände aus Versehen weggelassen haben soll, nachdem er denselben Tatbestand im gleichen Gesetz unter den Strafbestimmungen mit einem eigenen Absatz bedacht hat. Die Gesetzessystematik erlaubt eher den Schluss, der Gesetzgeber habe für die Vereitelung der Blutprobe absichtlich keinen Entzugstatbestand schaffen wollen.
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Falls sich die Prognose des Regierungsrats bewahrheiten sollte, dass Fahrer in angetrunkenem Zustand durch die bestehende Rechtslage vermehrt zur Vereitelung der Blutprobe ermutigt werden, so wird es Sache des Gesetzgebers sein, durch einen entsprechenden Zusatz zum SVG diesen Tatbestand unter die Entzugsgründe einzureihen. |
Daraus ergibt sich, dass Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG im vorliegenden Fall als Entzugsgrund entfällt. Der Regierungsrat hat im angefochtenen Beschluss darauf verzichtet, zu prüfen, ob das Nichtbeherrschen des Fahrzeugs und das pflichtwidrige Verhalten nach einem Unfall für sich allein einen Entzug des Führerausweises gerechtfertigt hätten oder ob die Aussprechung einer blossen Verwarnung angemessen gewesen wäre. Auch die Polizeidirektion ist auf diese Frage nicht eingegangen. Aus diesem Grund ist die Sache zu neuer Verfügung an die Entzugsbehörde zurückzuweisen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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