BGE 106 Ib 252 |
37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. Oktober 1980 i.S. Hans Schmidli gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
Regeste |
SVG - Art. 22 ff. der Verordnung über Haftpflicht und Versicherung im Strassenverkehr vom 20. November 1959 (VVV). |
2. Zulässigkeit des Entzugs eines kollektiven Fahrzeugausweises aufgrund einer begründeten Praxisänderung (E. 2). |
3. Hinreichende Gründe für die Erteilung oder Weiterbelassung eines Kollektivfahrzeugausweises gemäss Art. 23 Abs. 3 lit. a VVV können sich nicht bloss aus dem Nachweis eines genügenden Umsatzes, sondern auch einer genügenden Anzahl Gelegenheiten zur Verwendung der Händlerschilder ergeben. Anwendung auf Bootsbaubetriebe (E. 3). |
Sachverhalt |
Hans Schmidli betreibt in Kilchberg/ZH ein Bootsbaugeschäft. Er ist auch Vertreter für "Mercury"-Bootsmotoren und Bootsanhänger, welche die Firma Dellsperger herstellt; er führt in seiner Werkstatt Bootsreparaturen und -überholungen sowie Revisionen und Reparaturen an Dellsperg-Bootsanhängern aus. Seit 1963 besitzt er einen Kollektivfahrzeugausweis und das entsprechende Händlerschild ZH 39'912 für Anhänger an Motorfahrzeugen. |
Im Rahmen der Einführung neuer, mit dem Buchstaben "U" versehener Händlerschilder überprüfte das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich bei den bisherigen Inhabern von Kollektivfahrzeugausweisen die Voraussetzungen der Weiterbelassung dieser Kollektivversicherung. Mit Verfügung vom 4. April 1979 entzog das Strassenverkehrsamt Hans Schmidli das Händlerschild ZH 39'912 sowie den entsprechenden Kollektivfahrzeugausweis, da er anlässlich der Umsatzprüfung nur einen bescheidenen Umsatz habe nachweisen können.
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Eine Beschwerde Hans Schmidlis gegen diese Verfügung wurde vom Regierungsrat des Kantons Zürich abgewiesen. Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde Hans Schmidlis gut aus folgenden
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Erwägungen: |
1. Das Bundesgericht hat im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren gemäss Art. 104 lit. a OG grundsätzlich nur zu prüfen, ob die angefochtene Verfügung Bundesrecht, d.h. die einschlägigen Verordnungen, Gesetze, Staatsverträge und Verfassungsbestimmungen, verletzt. Kreisschreiben, Dienstanweisungen oder Verwaltungsverordnungen enthalten dagegen keine Rechtssätze. Das Bundesgericht ist daran nicht gebunden. Die angefochtene Verfügung ist direkt auf ihre Bundesrechtmässigkeit zu überprüfen (BGE 105 Ib 139 ff. E. 1, 2 mit Hinweisen, vgl. auch BGE 104 Ia 163 f.). Die Richtlinien der Chefs der kantonalen Motorfahrzeugkontrollen enthalten, wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, keine Rechtssätze. Derartige Richtlinien können zwar insofern berücksichtigt werden, als sie Grundsätze enthalten, die die Ansicht von Sachverständigen über die Gesetzesauslegung wiedergeben und den mit der Gesetzesanwendung betrauten Behörden dazu dienen sollen, die einschlägigen Bestimmungen rechtsgleich und anhand sachgemässer Kriterien anzuwenden. Solche Richtlinien sind jedoch nicht wie Rechtssätze zu verstehen und dürfen deshalb namentlich nicht schematisch angewendet werden oder die dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung des Bundesrechtes vereiteln oder erschweren. Ausnahmen müssen daher selbst dann möglich sein, wenn die Regelung in den Richtlinien, die selbstverständlich über eine Konkretisierung der bundesrechtlich umschriebenen Voraussetzungen nicht hinausgehen darf, im allgemeinen als sachgerecht zu bezeichnen ist (BGE 104 Ib 52 E. 3a, unveröffentlichte Urteile Waser vom 1. April 1976 E. 2, Thommen vom 21. Dezember 1979 E. 2c, vgl. für vom Richter eingeführte Auslegungsregeln BGE 103 Ia 503 E. 7). |
Nach Art. 23 Abs. 1 VVV werden Kollektivfahrzeugausweise, die zum Anbringen der darin genannten Händlerschilder berechtigen, nur abgegeben an Personen, die unter anderem
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"a. in ihrem Betrieb berufsmässig Motorfahrzeuge oder Motorfahrzeuganhänger herstellen, oder damit Handel treiben oder solche Fahrzeuge zu Reparaturen, Umbau oder ähnlichen Zwecken entgegennehmen."
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Der Kollektivfahrzeugausweis ist dagegen nach Art. 23 Abs. 3 lit. a VVV namentlich dann zu verweigern oder zu entziehen, wenn
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Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer an sich die Voraussetzungen für die Erteilung eines Kollektivfahrzeugausweises für Motorfahrzeuganhänger gemäss Art. 23 Abs. 3 lit. a VVV erfüllt und zwar als Händler und als Inhaber einer Reparaturwerkstätte. Der Ausweis ist ihm nach dem angefochtenen Entscheid auch bloss deshalb entzogen worden, weil die Verwendung der Händlerschilder im Sinne von Art. 23 Abs. 3 lit. a VVV nach Art und Umfang des Betriebes nicht erforderlich sei.
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b) Der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, der Kollektivfahrzeugausweis dürfe ihm nicht entzogen werden, nachdem sich Art und Umfang seines Geschäftes seit Erteilung des Ausweises im Jahre 1963 nicht geändert hätten.
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Nach Art. 23 Abs. 3 lit. a VVV sind Kollektivfahrzeugausweise nicht bloss zu verweigern, sondern auch zu entziehen, wenn sie nach Art und Umfang des Betriebes offensichtlich nicht erforderlich sind. Derartige Ausweise sind demnach ohne weiteres zu entziehen, wenn sich bei einer Kontrolle ergibt, dass der Umfang des Geschäftes seit Erteilung des Ausweises derart zurückgegangen ist oder die Art des Geschäftes etwa infolge Änderung der Betriebsstruktur sich so geändert hat, dass sich das Händlerschild nicht mehr als notwendig erweist. Es kann jedoch offenbleiben, ob sich Art und Umfang des Geschäftes des Beschwerdeführers nicht entgegen seinen heutigen Ausführungen seit der Bewilligungserteilung eben doch entscheidend verändert haben. (Der Beschwerdeführer hat - wie dem angefochtenen Entscheid zu entnehmen ist - vor der Vorinstanz nicht bestritten, dass jedenfalls der Verkauf von Bootsanhängern infolge Sättigung des Marktes erheblich zurückgegangen sei.) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann nicht allgemein gesagt werden, dass ein Entzug der Händlerschilder nur bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in Frage kommen könne. Formell rechtskräftige Verwaltungsverfügungen können zwar nicht ohne weiteres aufgehoben werden, wenn sie dem öffentlichen Interesse oder dem geltenden Recht nicht oder nicht mehr entsprechen; vielmehr ist nach der Rechtsprechung aufgrund einer Interessenabwägung im Einzelfall zu entscheiden, ob das Interesse an der Rechtssicherheit bzw. am Bestand der Verfügung das Interesse an der richtigen Durchsetzung des objektiven Rechtes überwiegt (BGE 103 Ib 244 E. 2b, 206 E. 3, BGE 101 Ib 321 E. 2, BGE 100 Ib 301 ff. mit Hinweisen). Das Postulat der Rechtssicherheit geht im allgemeinen dann dem Interesse an der Durchsetzung des Objektiven Rechtes vor, wenn durch die Verwaltungsverfügung ein subjektives Recht begründet worden ist, oder die Verfügung in einem Verfahren ergangen ist, in welchem die sich gegenüberstehenden Interessen allseitig zu prüfen und gegeneinander abzuwägen waren, oder wenn der Private von einer ihm durch die Verfügung eingeräumten Befugnis bereits Gebrauch gemacht hat. Dabei handelt es sich immerhin nicht um eine absolute Regel; selbst in diesen Fällen können gewichtige öffentliche Interessen dem Interesse der Rechtssicherheit vorgehen (BGE 103 Ib 244). Der Kollektivfahrzeugausweis begründet aber keine subjektiven Rechte. Auch dem Umstand, dass von der Bewilligung bereits Gebrauch gemacht worden ist, kommt keine entscheidende Bedeutung zu, wenn mit dieser Bewilligung eine dauernde Tätigkeit gestattet wird (BGE 101 Ib 321). Dass schliesslich der Kollektivfahrzeugausweis in einem Verfahren erteilt worden ist, in dem die Bewilligungsvoraussetzungen umfassend zu prüfen waren, steht jedenfalls dann einem Widerruf nicht entgegen, wenn strengere Voraussetzungen auf einer begründeten Änderung der Praxis beruhen und deshalb im Interesse der Rechtsgleichheit auch gegenüber den bisherigen Inhabern von Kollektivfahrzeugausweisen angewendet werden müssen. Bisherige Inhaber von Kollektivfahrzeugausweisen sind nämlich gegenüber Neubewerbern nicht in einer wesentlich verschiedenen Lage. Die Tatsache, dass sie diese Ausweise mit den entsprechenden Schildern besitzen, beeinflusst weder in entscheidender Weise die Betriebsorganisation noch werden deswegen üblicherweise Investitionen getätigt, die ohne diese Bewilligung nicht erfolgt wären; auch sonst sind keine Nachwirkungen der Bewilligungserteilung ersichtlich, die grundsätzlich eine unterschiedliche Behandlung der Inhaber von Händlerschildern gegenüber Neubewerbern rechtfertigen könnten. Dem öffentlichen Interesse an der gleichmässigen Anwendung und rechtsgleichen Durchsetzung des objektiven Rechtes ist deshalb der Vorrang vor dem Interesse der bisherigen Inhaber an der Weiterbelassung des Kollektivfahrzeugausweises einzuräumen. |
Die kantonalen Behörden waren somit berechtigt, sachgerechte strengere Bewilligungsvoraussetzungen auch gegenüber bisherigen Inhabern von Kollektivfahrzeugausweisen zur Anwendung zu bringen, und es ist zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht angenommen hat, der Kollektivfahrzeugausweis des Beschwerdeführers sei nach Art und Umfang seines Betriebes offensichtlich nicht erforderlich. |
a) Wie das Bundesgericht bereits in zwei unveröffentlichten Urteilen erkannt hat, genügt der Umstand, dass ein bestimmter Mindestumsatz nicht erreicht wird, nicht für die Annahme, ein kollektiver Fahrzeugausweis sei "nach Art und Umfang des Betriebes offensichtlich nicht erforderlich". Die Ausweisverweigerung darf kein Mittel sein, um neue oder kleinere Betriebe im Wettbewerb zu benachteiligen (unveröffentlichte Urteile Waser vom 1. April 1976 und Thommen vom 21. Dezember 1979). Zwar lässt sich aus der Höhe des erzielten Umsatzes gegebenenfalls schliessen, dass der Umfang des Betriebes die Abgabe eines Kollektivfahrzeugausweises rechtfertige, bzw. ein Grund zur Verweigerung nach Art. 23 Abs. 3 lit. a VVV nicht vorliege. Insofern kann die vorbehaltlose Erteilung der Händlerschilder vom Nachweis eines Mindestumsatzes abhängig gemacht werden. Umgekehrt kann jedoch aus dem Fehlen eines bestimmten Mindestumsatzes nicht ohne weiteres abgeleitet werden, ein Kollektivfahrzeugausweis sei nach der Art oder nach dem Umfang des Betriebes offensichtlich nicht erforderlich. Der Kollektivfahrzeugausweis mit den entsprechenden Händlerschildern berechtigt nämlich nach Art. 24 VVV
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"a) zu Fahrten für die Behebung von Pannen und zum Abschleppen;
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b) zum Überführen und Erproben von Fahrzeugen im Zusammenhang mit Reparaturen, Umbauten oder andern Arbeiten am Fahrzeug;
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c) zum Erproben von Fahrzeugen durch Hersteller und Sachverständige;
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e) für alle weiteren unentgeltlichen Fahrten, wenn das Fahrzeug verzollt ist und sich mit Einschluss des Führers höchstens neun Personen im Fahrzeug befinden..."
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Für die Beurteilung, ob sich nach Art und Umfang des Betriebes wenige derartige Gelegenheiten zum Gebrauch der Händlerschilder ergeben, kann der Umsatz nicht das einzige massgebende Kriterium sein. Einerseits ist zu berücksichtigen, dass sich Gelegenheiten zur Verwendung von Händlerschildern ergeben können, ohne dass eine Handänderung oder eine Reparatur erfolgt. So sind zum Beispiel nicht bloss Fahrten zum Erproben von Fahrzeugen, sondern gemäss Art. 24 Abs. 1 lit. e VVV ausdrücklich auch weitere unentgeltliche Fahrten erlaubt. Anderseits kann aus den Einnahmen unter Umständen nicht ohne weiteres auf die Anzahl der Gelegenheiten geschlossen werden, bei denen sich die Verwendung von Händlerschildern als notwendig oder wenigstens als zweckmässig erweist. Wie der vorliegende Fall zeigt, können auch geringfügige Reparaturen an den betreffenden Fahrzeugen unter Umständen zwei Fahrten zur Überführung notwendig machen. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb für solche Fahrten ein Händlerschild weniger nützlich sein sollte, wenn es sich um geringfügige Reparaturen handelt als wenn die Überführung kostspieligen Reparaturen dient.
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b) Der Beschwerdeführer betreibt ein Bootsbaugeschäft. Er treibt Handel mit Booten und überholt Boote. Den Reparaturen an Bootsanhängern und dem Handel mit solchen Anhängern kommt eher untergeordnete Bedeutung zu. Dies gilt auch in Bezug auf die Verwendung des Händlerschildes, das er in erster Linie dazu braucht, die Boote seiner Kunden auf den zugehörigen Anhängern - die im wesentlichen stationär verwendet werden und darum in der Regel nicht immatrikuliert sind - in die Werkstatt, auf den Winterstandplatz oder an den Anlegeplatz zu überführen. Zwar werden Kollektivfahrzeugausweise nur für Fahrzeuge abgegeben (Art. 22 VVV). Fahrzeuge sind bloss die Bootsanhänger, nicht aber die Boote, die sich nicht auf dem Erdboden fortbewegen (Art. 7 Abs. 1 SVG). Die Bootsanhänger, für die der Beschwerdeführer die Kollektivfahrzeugausweise beansprucht, sind aber in der Regel eigens für die zugehörigen Boote angefertigt und dienen ausschliesslich dazu, das betreffende Boot zu transportieren und zu überwintern.
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Boot und Bootsanhänger bilden insofern eine Einheit. Soweit deshalb der Anhänger das Boot desselben Eigentümers trägt, kann nicht von einem eigentlichen Transport von Waren Dritter gesprochen werden, der - falls er entgeltlich erfolgt - Art. 23 Abs. 1 lit. e VVV verletzen könnte. Es entspricht im übrigen durchaus Sinn und Zweck der Regelung über den Kollektivfahrzeugausweis, dass die Verwendung der Händlerschilder auch für derartige Fahrten gestattet wird. Das Händlerschild soll dem Betriebsinhaber ermöglichen, eine kollektive Haftpflichtversicherung im Sinne von Art. 71 Abs. 2 SVG abzuschliessen. Da die Bootsanhänger in der Regel nicht versichert sind und angesichts ihrer vorwiegend stationären Verwendung auch nicht das ganze Jahr über versichert werden müssen, ist die Möglichkeit, für Transporte von Boot und Anhänger eine Kollektivhaftpflichtversicherung abzuschliessen, für einen Gewerbetreibenden jedenfalls dann sinnvoll, wenn er nicht nur die Boote selbst, sondern gleichzeitig auch die Anhänger wartet. Es kann aus diesen Gründen nicht gesagt werden, der Kollektivfahrzeugausweis sei schon nach der Art des Betriebes des Beschwerdeführers offensichtlich nicht erforderlich. |
c) Die Vorinstanz hat sich nicht darüber ausgesprochen, ob der Umfang des Betriebes des Beschwerdeführers angesichts der Gelegenheiten zum Gebrauch der Händlerschilder eine Kollektivversicherung offensichtlich nicht erforderlich macht. Die Sache ist deshalb gemäss Art. 114 Abs. 2 OG zur Abklärung zurückzuweisen, wieviele solcher Gelegenheiten sich im Betrieb des Beschwerdeführers ergeben bzw. während einer repräsentativen Zeitdauer ergeben haben. Dabei ist denjenigen Fahrten entscheidendes Gewicht beizulegen, deren Zweck mit Reparatur und Handel der betreffenden Fahrzeuge in unmittelbarem Zusammenhang stehen, während an sich erlaubten, jedoch mit dem Betrieb im Sinne von Art. 23 Abs. 1 lit. a VVV nicht in direktem Zusammenhang stehenden Fahrten geringere Bedeutung zukommt. Auch ist zu berücksichtigen, ob die betreffenden Fahrten ohne Kollektivhaftpflichtversicherung überhaupt nicht durchgeführt werden könnten. Da der Beschwerdeführer in seinem Betrieb sowohl Reparaturen ausführt, wie Handel treibt, sind die mit seinem Betrieb in Zusammenhang stehenden Fahrten insgesamt zu würdigen.
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