BGHSt 42, 15 - Polizeiliche Vernehmung eines nichtverteidigten Beschuldigten I


BGHSt 42, 15 (15):

1. Verlangt der Beschuldigte bei einer polizeilichen Vernehmung nach einem Verteidiger und will der Polizeibeamte die Vernehmung fortsetzen, so ist dies ohne vorangegangene Konsultation eines Verteidigers nur zulässig, wenn sich der Beschuldigte ausdrücklich nach erneutem Hinweis auf sein Recht auf Zuziehung eines Verteidigers mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt. Dem müssen allerdings ernsthafte Bemühungen des Polizeibeamten vorausgegangen sein, dem Beschuldigten bei der Herstellung des Kontakts zu einem Verteidiger in effektiver Weise zu helfen (Fortführung von BGHSt 38, 372).
2. Zur Verwertbarkeit von Vernehmungen bei Verstößen gegen diese Grundsätze (Fortführung von BGHSt 38, 214; 39, 349).
3. Zur Verwertbarkeit von Informationen eines V-Mannes.
StPO § 163 a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 Satz 2, § 137 Abs. 1 Satz 1, § 261
5. Strafsenat
 
Urteil
vom 12. Januar 1996 g.L. u.a.
- 5 StR 756/94 -
Landgericht Hamburg
 
Aus den Gründen:
Das Schwurgericht hat jeden der drei Angeklagten L., S. und G. wegen heimtückisch begangenen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
I.
Das Tatopfer Be. ist morgens um 2:00 Uhr in einem Hinterhof an der Talstraße in Hamburg-St. Pauli mit vier

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Revolverschüssen, von denen jedenfalls der erste aus dem Hinterhalt abgegeben wurde, getötet worden.
1. Unmittelbar nach den Schüssen beobachteten zwei Studenten, daß ein Mann aus der Toreinfahrt kam und mit einem anderen, etwas größer gewachsenen Mann weglief, der auf der Straße gestanden hatte. In der Talstraße sahen auch andere Passanten, wie zwei Männer wegliefen; ihnen fiel auf, daß die Männer farbige Baseballmützen trugen. Die Zeugen R. und W. hatten die Schüsse gehört und sich im zweiten Stock ans Fenster begeben. Sie sahen zwei Männer mit farbigen Baseballmützen und, daß ein BMW langsam anfuhr und im Rollen die Männer aufnahm. Aus einer Entfernung von fünfundzwanzig bis dreißig Metern las die Zeugin R. das Kennzeichen des BMW ab. Ein solches Kennzeichen war für den BMW der Ehefrau des Angeklagten L. ausgegeben worden. Die Polizei begann kurz nach 2:30 Uhr mit der Beobachtung des sieben Kilometer entfernten Einzelhauses des Angeklagten L.; der BMW mit dem genannten Kennzeichen stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Grundstück des Hauses, in dem Licht brannte. Um 2:58 Uhr traf Bi., ein Bekannter des L., mit seinem PKW ein. Drei Minuten später kamen die drei Angeklagten aus dem Hause; Bi. fuhr mit S. und G. weg, während L. ins Haus zurückkehrte. S. und G. wurden kurz darauf festgenommen. Zur Festnahme des Angeklagten L. kam es, als dieser drei Stunden später wegfahren wollte.
2. Der Tatrichter ist davon überzeugt, daß S. die tödlichen Schüsse abgegeben hat, daß G., der größer ist als S., die Toreinfahrt gesichert hat und daß L. mit dem BMW zur Vorbereitung der Flucht auf die beiden anderen Angeklagten wartete. Die Angeklagten S. und G. waren vier Tage zuvor aus Sizilien nach Frankfurt am Main geflogen; L. hatte sie von dort nach Hamburg gefahren und in seinem Haus untergebracht. L. hatte sie veranlaßt, nach Hamburg zu kommen. Zum Hintergrund der Tat heißt es in den Urteilsgründen: Be. habe im Zusammenhang mit Spielschulden einen Mann aus der Spielerszene von St. Pauli erheblich verletzt, worauf in der Spielerszene beschlossen worden sei, Be. zu beseitigen. L. habe in der Spielerszene "etwas gegolten". Er habe sich erbo

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ten oder den Auftrag entgegengenommen, in Sizilien Leute für die Tötung des Be. anzuwerben und für die Durchführung der Tat in Hamburg zu sorgen.
3. Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung keine Angaben gemacht. Nach ihrer Festnahme haben sie bei der Polizei und dem Haftrichter jeden Zusammenhang mit der Erschießung des Be. bestritten und angegeben, G. sei, von S. begleitet, nach Hamburg gekommen, um sich ein Auto zu kaufen. Beide haben, in Einzelheiten voneinander abweichend, angegeben, sie hätten sich am Abend und in den anschließenden Nachtstunden auf St. Pauli aufgehalten. L. will gegen 21:00 oder 22:00 Uhr mit seinem Geländewagen allein nach St. Pauli gefahren sein und dort erfolglos nach S. und G. gesucht haben.
4. Der Tatrichter hebt den engen zeitlichen Zusammenhang der von den Studenten, den anderen Passanten und den Zeugen R. und W. beobachteten Vorgänge hervor, ferner die Zuordnung des von der Zeugin R. abgelesenen Kfz-Kennzeichens zu der Familie des Angeklagten L. und die nächtliche, durch den Rückflugtermin nicht notwendig gemachte Abreise der Angeklagten S. und G.. "Bestätigt werden die Erwägungen, die der Kammer die Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten vermittelt haben, durch die Aussagen, die sie nach ihrer Festnahme gemacht haben. Diese sind unplausibel und in sich derart widersprüchlich, daß sie eine gewichtige Bestätigung der anderweitig getroffenen Feststellungen zur Täterschaft der Angeklagten bedeuten".
II.
Die drei Angeklagten haben übereinstimmend eine Verfahrensrüge erhoben, mit der geltend gemacht wird, der damalige Beschuldigte G. sei am Abend nach der Festnahme polizeilich vernommen worden, obwohl er vor seiner Aussage von seinem Recht (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163 a Abs. 4 StPO) Gebrauch machen wollte, einen Verteidiger zu befragen. Diese Rüge deckt einen Verfahrensverstoß auf, der geeignet ist, ein Verwertungsverbot zu begründen. Der Verwertung der Vernehmung ist jedoch nicht rechtzeitig in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht widersprochen worden. Deshalb bleibt die Rüge erfolglos.


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1. Der Senat hatte die für die Beurteilung der Verfahrensrüge maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse freibeweislich festzustellen. Der vom Senat zugrunde gelegte Sachverhalt stellt sich hiernach wie folgt dar:
G. war vor seiner Vernehmung von den Polizeibeamten gemäß § 163 a Abs. 4, § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO unter Mitwirkung des Dolmetschers Ga. ordnungsgemäß belehrt worden. G. hat darauf zunächst erklärt, er sei "in einigen Punkten" zur Aussage bereit, im Anschluß daran jedoch "sofort" zum Ausdruck gebracht, daß er wegen der Schwere des Vorwurfs einen "Rechtsbeistand" wünsche. Er konnte keinen Rechtsanwalt benennen; der Dolmetscher lehnte die Benennung eines Verteidigers aus "berufsständischen Gründen" ab. Dem Beschuldigten wurde das Branchentelefonbuch, in dem die in Hamburg zugelassenen Rechtsanwälte verzeichnet sind, zur Verfügung gestellt. Davon machte er zunächst keinen Gebrauch. Später wurde der Name des Rechtsanwalts Ra. genannt, von dem es hieß, er spreche italienisch; er konnte zu abendlicher Stunde nicht erreicht werden. Der Polizeibeamte K. war daran interessiert, die Vernehmung ohne vorangegangene anwaltliche Beratung des Beschuldigten durchzuführen; dies hielt er "im Sinne der Ermittlungen für die erfolgversprechendere Maßnahme". Die Polizeibeamten leisteten dementsprechend "keine weitergehende Hilfe". Sie unterrichteten den Beschuldigten insbesondere nicht darüber, daß in Hamburg während der Abend- und Nachtstunden ein anwaltlicher Notdienst telefonisch erreichbar ist. Nachdem G. erklärt hatte, er sei bereit, "die entlastenden Dinge vorzutragen", fand eine ausführliche Vernehmung statt, deren Niederschrift elf Seiten füllt. G. wurde eingehend zu den Gründen seiner Deutschlandreise und für den nächtlichen Antritt der Rückreise sowie dazu befragt, wie die drei Beschuldigten den vorigen Abend und die anschließenden Nachtstunden verbracht hätten.
2. Die Revisionen machen unter Hinweis auf das Urteil des 4. Strafsenats vom 29. Oktober 1992 (BGHSt 38, 372) zutreffend geltend, daß die Vernehmungsbeamten den Angeklagten

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G. in unzulässiger Weise an der Durchsetzung seines Rechtes, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen (§ 137 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO), gehindert haben.
a) Zwar liegen im vorliegenden Fall Verhältnisse vor, die nicht vollständig dem in BGHSt 38, 372 behandelten Sachverhalt entsprechen: Während in dem vom 4. Strafsenat entschiedenen Fall die Kontaktaufnahme des Beschuldigten zu einem ihm bekannten Verteidiger verweigert wurde, wußte G. im Zeitpunkt seiner Vernehmung noch nicht, an wen er sich mit der Bitte um "Rechtsbeistand" wenden sollte. Gleichwohl gelten auch hier die in BGHSt 38, 372 genannten Grundsätze. Der Beschuldigte G. hatte seinen Wunsch nach anwaltlichem Beistand bei Beginn der polizeilichen Vernehmung "sofort" zum Ausdruck gebracht. Verlangt der Beschuldigte nach der Belehrung, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu sprechen, so ist die Vernehmung deshalb zu diesem Zweck sogleich zu unterbrechen (BGHSt 38, 372, 373).
b) Will der Polizeibeamte in einem solchen Fall die Vernehmung fortsetzen, so ist dies ohne vorangegangene Konsultation eines Verteidigers nur zulässig, wenn sich der Beschuldigte ausdrücklich nach erneutem Hinweis auf sein Recht auf Zuziehung eines Verteidigers mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt. Dem müssen allerdings ernsthafte Bemühungen des Polizeibeamten vorausgegangen sein, dem Beschuldigten bei der Herstellung des Kontakts zu einem Verteidiger in effektiver Weise zu helfen. All dies ist geboten, weil der Beschuldigte vielfach, insbesondere im Falle einer Festnahme, durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt und verängstigt ist (BGHSt 38, 214, 222).
Es empfiehlt sich, die in diesem Zusammenhang erforderlichen Vorgänge und Erklärungen zu dokumentieren, damit Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Vernehmung des Beschuldigten ohne Mitwirkung eines Verteidigers nicht entstehen können (vgl. BGHSt 38, 214, 224).
c) An den erforderlichen Bemühungen hat es hier gefehlt. Allerdings wird die Polizei in aller Regel davon absehen, einen

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bestimmten Verteidiger zu empfehlen, schon um den Eindruck eines engen Zusammenwirkens mit bestimmten Verteidigern zu vermeiden. Unzulässig ist es, dem Beschuldigten die Bereitschaft zur Hilfe bei der Kontaktaufnahme durch bloße "Scheinaktivität" vorzuspiegeln und die von vornherein erwartete Erfolglosigkeit sowie die damit verbundene Entmutigung des Beschuldigten zur Fortsetzung des Vernehmungsversuchs auszunutzen. Die bloße Überlassung des Branchentelefonbuchs von Hamburg, in dem sich unter dem Stichwort "Rechtsanwaltsbüros" eine sehr große Zahl von Eintragungen findet, war keine Hilfe, sondern angesichts der Umstände eher geeignet, den der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten G. von der Unmöglichkeit einer alsbaldigen Kontaktaufnahme zu überzeugen. Von der Mitteilung der Telefonnummer des anwaltlichen Notdienstes, die eine wirksame Hilfe hätte sein können, haben die Polizeibeamten abgesehen.
d) Der Umstand, daß es dem Beschuldigten aufgrund der zu Beginn der Vernehmung ordnungsgemäß gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1, § 163 a Abs. 4 StPO erteilten Belehrung bekannt war, daß er einer Befragung durch Verweigerung der Antwort ausweichen konnte, gewährleistet nicht die Freiwilligkeit des Verzichtes auf das einmal in Anspruch genommene Recht, zunächst einen Verteidiger zu befragen. Nicht die Unkenntnis des Beschuldigten von seinen Rechten, sondern Mängel der Rechtsdurchsetzung begründen hier den Verfahrensverstoß (vgl. BGHSt 38, 372, 375 sowie Ransiek StV 1994, 343; Roxin JZ 1993, 426 f.).
Der Umstand, daß die Vernehmungsbeamten nicht unter Verstoß gegen § 136 a StPO durch Täuschung oder Zwang auf eine Vernehmungsbereitschaft hingewirkt haben, reicht für sich allein nicht aus, um einen wirksamen Verzicht auf das zunächst in Anspruch genommene Recht der Anwaltskonsultation zu begründen. Sollte der Hinweis des 3. Strafsenates auf § 136 a StPO in BGH NJW 1993, 2903, 2904 f. in diesem Sinne gemeint sein, so könnte der Senat dem jedenfalls für den vorliegenden, in tatsächlicher Hinsicht andersartigen Fall nicht folgen. Das Recht des Beschuldigten, sich im Straf

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verfahren von einem gewählten Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, gehört zu dem in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleisteten Anspruch auf ein faires Verfahren (BVerfGE 38, 105, 111; 39, 156, 163; 66, 313, 318; vgl. auch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK). Dieses Recht reicht weiter als das in § 136 a StPO geschützte Recht auf Freiheit von Beeinträchtigungen der Willensentschließung und Willensbetätigung.
3. Das Vorgehen der Vernehmungsbeamten war geeignet, ein Verwertungsverbot für die polizeiliche Aussage des Angeklagten G. zu begründen. Wie der Bundesgerichtshof bereits ausgeführt hat (BGHSt 38, 372, 373 f.), zieht nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot aufgrund einer Abwägung der namentlich im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen verfassungsrechtlichen Gebote und Ziele (dazu BGHSt 38, 214, 219 ff.) zu treffen. Ein Verwertungsverbot liegt nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern. Die Möglichkeit, sich des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, gehört zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten (BGHSt 38, 372, 374). Deswegen ist ein Verwertungsverbot angenommen worden, wenn der Verteidiger vom Termin einer Vernehmung des Beschuldigten nicht benachrichtigt worden war (BGHR StPO § 168 c Abs. 5 Satz 1 Verletzung 3); dies gilt erst recht, wenn dem Beschuldigten die Kontaktaufnahme mit seinem Verteidiger verwehrt worden ist (BGHSt 38, 372, 374). Zwar war die Beeinträchtigung des Rechts, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, in dem vom 4. Strafsenat (BGHSt 38, 372) entschiedenen Fall besonders schwerwiegend. Indessen erscheint es nicht möglich, bei der Verletzung des Rechts auf den Zugang zum Verteidiger nach den Umständen und dem Inhalt der Aussage zwischen Fällen verschiedenen Gewichtes zu unterscheiden. Das verbieten Gründe der Rechtssicherheit ebenso wie der Gesichtspunkt, daß angesichts des hohen Ranges der Verteidigung für ein faires Verfahren die verfahrens

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rechtliche Stellung des Beschuldigten immer schon dann beeinträchtigt ist, wenn sein Wunsch, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, wirksam unterlaufen wird.
4. Die Berufung des Angeklagten G. auf ein Verwertungsverbot versagt indessen, weil der Beschwerdeführer der Verwertung seiner polizeilichen Angaben in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht nicht oder nicht rechtzeitig widersprochen hat. Unter diesen Voraussetzungen ist ein Verwertungsverbot nicht entstanden. Insoweit entspricht die Sachlage den Fällen, die den Entscheidungen BGHSt 38, 214 und BGHSt 39, 349 zugrunde liegen und die ebenfalls die Verwertbarkeit von Beschuldigtenvernehmungen zum Gegenstand haben (siehe BGHSt 38, 214, 225).
a) Der Senat hat in BGHSt 38, 214, 225 f. ausgesprochen, daß der Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO kein Verwertungsverbot auslöst, wenn der verteidigte Angeklagte einer Verwertung der Aussage des Beschuldigten bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt nicht widersprochen hat. Der Senat hält hieran auch unter Berücksichtigung der erhobenen Einwände (Fezer JR 1992, 385, vgl. auch Widmaier NStZ 1992, 519) fest und stellt dasselbe Erfordernis auch in Fällen auf, in denen nicht Mängel der Belehrung im Sinne des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO beanstandet werden, sondern, wie hier, gerügt wird, daß die Durchsetzung des in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorausgesetzten Rechts, sich in jeder Lage des Verfahrens (§ 137 Abs. 1 Satz 1 StPO), also auch vor der polizeilichen Vernehmung des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen, behindert worden ist. Sowohl bei dieser Rüge als auch bei der Beanstandung, daß die Polizei den Beschuldigten nicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163 a Abs. 4 StPO belehrt habe, geht es in gleicher Weise um die Verwirklichung der in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorausgesetzten Rechte. Beide Rechte sichern die Rechtsstellung des Beschuldigten in ähnlicher Weise. Auch wenn es im vorliegenden Zusammenhang, anders als in dem in BGHSt 38, 214 entschiedenen Fall, nicht um die Unterrichtung des Beschuldigten über seine Rechte, sondern um die Durchsetzung eines dieser Rechte geht, so ist der innere Zusammenhang der in Betracht kom

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menden Rügen doch eindeutig: Die Befragung eines Verteidigers soll den Beschuldigten in die Lage versetzen, die ihm zustehende Entscheidung, ob er aussagen will oder nicht, sachgemäß zu treffen.
Die Rechtsansicht des Senates, daß sich der Revisionsführer in den Fällen mangelhafter Belehrung des Beschuldigten nur nach vorangegangener rechtzeitiger Beanstandung in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter auf das Verwertungsverbot berufen kann (BGHSt 38, 214, 225 f.), ist inzwischen in BGHSt 39, 349, 352 vom 1. Strafsenat bestätigt worden. Zwar weisen die Beschwerdeführer zutreffend darauf hin, daß sich in dem Urteil des 4. Strafsenats vom 29. Oktober 1992 (BGHSt 38, 372) keine Ausführungen über die Notwendigkeit finden, der Verwertung einer unter Verletzung des Rechts auf Verteidigerkonsultation zustande gekommenen Aussage in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter zu widersprechen. Indessen bedurfte es in dem vom 4. Strafsenat entschiedenen Fall hierzu keiner Ausführungen, weil - wie der Senat im Freibeweisverfahren nach Erörterung in der Revisionshauptverhandlung festgestellt hat (unrichtig gesehen noch im Anfragebeschluß des Senats StV 1995, 283, 286) - der Verteidiger der Verwertung widersprochen hatte. In ähnlichem Zusammenhang, nämlich beim Verstoß gegen die Pflicht, den Beschuldigten nach § 168 c Abs. 5 StPO zu benachrichtigen, hat der Bundesgerichtshof schon früher einen Widerspruch in der Hauptverhandlung vorausgesetzt (BGHSt 31, 140, 145; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986, 207).
Der Senat hält auch an dem durch § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt fest, zu dem der Widerspruch vor dem Tatrichter spätestens erklärt werden muß. Er dient der gebotenen Verfahrensförderung, ohne dem verteidigten Angeklagten unzumutbare Anforderungen aufzuerlegen. Eine untunliche Festlegung des Angeklagten tritt insofern nicht ein, als dieser seinen Widerspruch bis zum Ende der Beweisaufnahme zurücknehmen und dadurch die Verwertung seiner Aussage freigeben kann.
Unter den gegebenen Umständen hält der Senat es für rechtlich unbedenklich, an das Erfordernis eines rechtzeitigen

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Widerspruches auch in dem vorliegenden Fall anzuknüpfen. Hier liegt ein Fall vor, in dem der Senat Verwertungsverbote in Fortführung seiner Entscheidung in BGHSt 38, 214 erweitert. Zur Zeit der Verhandlung vor dem Tatrichter waren diese Entscheidung und die ihr folgende Entscheidung des 1. Strafsenats in BGHSt 39, 349 mit der dort ausgesprochenen Voraussetzung eines Widerspruchs für ein Verwertungsverbot bekannt.
Die dort gegebene Fallgestaltung der Pflicht zur Belehrung bei Vernehmungen ist der hier angenommenen Pflicht zur Umsetzung der aus der Belehrung fließenden Rechte (Verteidigerkonsultation) derart ähnlich, daß sich die Notwendigkeit des Widerspruchs aufdrängt. Die vom Senat in seinem Vorlagebeschluß vom 20. Dezember 1995 - 5 StR 680/94 - vorgesehene Übergangslösung betrifft eine vernehmungsähnliche Situation; diese ist mit den hier vorliegenden Fallgestaltungen einer förmlichen Vernehmung nur bedingt vergleichbar.
b) Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte G. der Verwertung seiner polizeilichen Aussage nicht rechtzeitig widersprochen (wird ausgeführt).
5. Auch die anderen beiden Beschwerdeführer können sich auf ein Verwertungsverbot nicht berufen. Sie haben - sofern es darauf überhaupt ankommen sollte - ebenfalls keinen Widerspruch erhoben (wird ausgeführt).
Der Senat hat, da die Revisionen an dem Fehlen eines Widerspruchs in der Hauptverhandlung scheitern, keinen Anlaß, die Frage zu erörtern, ob sich bei einer Verfahrensrüge der vorliegenden Art der Revisionsführer darauf berufen kann, daß nicht ihm selbst, sondern einem Mitangeklagten der in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorausgesetzte Zugang zum Verteidiger behindert worden sei (vgl. nur BGHR StPO § 136 Belehrung 5, dazu Dencker StV 1995, 232).
IV.
Die sachlichrechtlichen Einwendungen gegen das Urteil haben nur im Hinblick auf den Angeklagten L. einen Teilerfolg.
1. Die Überzeugung, daß der Angeklagte L. Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) des heimtückischen Mordes an Be. gewesen ist,

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stützt der Tatrichter auch darauf, daß L. den "eigentlichen Auftraggebern gegenüber die Durchführung der Tat übernommen" hatte. Damit wird auf die Feststellung Bezug genommen, daß der Angeklagte sich angeboten oder den Auftrag erhalten habe, in Sizilien Leute zu beschaffen, die Be. beseitigen sollten, und für die Durchführung der Tat in Hamburg zu sorgen. Diese Feststellung wird ausschließlich auf die Zeugenaussage des Polizeibeamten Fi. gestützt. Der Zeuge Fi. hat ausgesagt, er habe von einem V-Mann erfahren, L. besitze in der Spieler-Szene eine gewisse Machtposition und habe seinen Geschäftspartnern und Freunden F. und O. angeboten, Probleme zu beseitigen, da er sehr gute Beziehungen nach Sizilien unterhalte; für die "Ausführung" habe L. Geld von F. und O. erhalten. Der V-Mann ist in der Hauptverhandlung nicht gehört worden. Die Urteilsgründe besagen nichts über seine Persönlichkeit, seine Beziehungen zu den Beteiligten und darüber, wann, von wem und auf welche Weise er die Information erhalten hat, die er dem Zeugen Fi. weitergab. Eine ausreichende Bestätigung der Information durch andere Beweisanzeichen wird in den Urteilsgründen nicht genannt.
a) Diese Beweiswürdigung genügt nicht den rechtlichen Anforderungen, die bei der Beurteilung der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen gestellt werden müssen. Beruft sich ein solcher Zeuge auf Angaben eines Gewährsmannes, dessen Identität dem Gericht nicht bekannt ist, so dürfen solche Angaben regelmäßig nur dann herangezogen werden, wenn sie durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt werden (BGHSt 17, 382, 385 f.; 33, 83, 88; 33, 178, 181; 36, 159, 166; 39, 141, 145 f.; BGHR StPO § 261 Zeuge 13, 15, 17; § 250 Satz 1 Unmittelbarkeit 3; BGH, Beschl. vom 31. Oktober 1995 - 5 StR 479/95; vgl. auch BVerfG - Kammer - NStZ 1995, 600). An einer solchen Bestätigung fehlt es für die Angaben des von dem Zeugen Fi. genannten V-Mannes.
b) Unter diesen Umständen gilt das Folgende: Zwar gibt es unabhängig von der Aussage des Zeugen Fi. hinreichend tragfähige Gründe für die Annahme, daß der Angeklagte L. die Mitangeklagten zu ihrer Reise nach Hamburg veranlaßt, aus Frankfurt am Main abgeholt, in seinem Hause untergebracht

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und am frühen Morgen von seinem Hause abholen lassen hat. Tragfähig ist die Beweiswürdigung - ohne Rücksicht auf die Angaben des Zeugen Fi. - des weiteren, soweit sich der Tatrichter aufgrund der Aussagen der Zeugen A. Be. (Neffe des Tatopfers) und Ar. davon überzeugt hat, daß der Angeklagte L. eine führende Rolle in der Spieler-Szene einnahm und daß Be. im Zusammenhang mit Spielschulden einen anderen Spieler erheblich verletzt hatte. Nach der Gesamtheit der unabhängig von der Aussage des Zeugen Fi. festgestellten äußeren Umstände, insbesondere zum Tatablauf sowie zu der Beziehung des Angeklagten L. zum unmittelbaren Vor- und Nachtatgeschehen, ergibt sich, daß der Angeklagte L. schon vor der Ermordung des Be. gewußt hat, daß die beiden Mitangeklagten in der Tatnacht eine solche Tat, einen Heimtückemord, vorhatten; der Senat schließt aus, daß der Tatrichter ohne die Angaben des von dem Zeugen Fi. genannten V-Mannes an dieser Kenntnis des Angeklagten L. gezweifelt hätte.
Dagegen hat der Tatrichter seine Annahme, daß der Angeklagte L. gegenüber den "eigentlichen Auftraggebern" aus der Spieler-Szene die Durchführung der Tat "übernommen hatte", nur mit der unbestätigten, von dem Zeugen Fi. übermittelten Information eines V-Mannes, mithin nach den dargelegten Rechtsgrundsätzen nicht hinreichend belegt. Da der Tatrichter die Mittäterschaft des Angeklagten L. auf diese Annahme gestützt hat, kann die Verurteilung des Angeklagten L. wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes nicht bestehen bleiben. Der Senat hatte deshalb den Schuldspruch gegen den Angeklagten L. aufzuheben. Er kann nicht ausschließen, daß sich der neue Tatrichter, möglicherweise nach einer Zeugenvernehmung des V-Mannes oder auch aufgrund weiterer Beweismittel, von einer Mittäterschaft des Angeklagten L. überzeugen wird. Deswegen hat er sich nicht darauf beschränkt, den Schuldspruch in dem Sinne zu ändern, daß der Angeklagte L. der Beihilfe zum Mord schuldig sei, was angesichts der rechtsfehlerfrei festgestellten Tatsachen, wie sie vom Senat aufrecht erhalten worden sind, möglich gewesen wäre.