BVerfGE 3, 52 (52): 1. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Verfassungsrechtsstreit bedeutet einen Eingriff des Gerichts in die Regierungsfunktionen (Legislative und Exekutive), bevor die mit dem Antrag zur Hauptsache anhängig gemachte Rechtsfrage entschieden ist. Aus diesem Grund darf das Gericht von seiner Befugnis nach § 32 BVerfGG nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen.
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2. Die einstweilige Anordnung ist nicht als Mittel gedacht, die Verantwortung für politische Entscheidungen, die der Bundesregierung im Verhältnis zu den Ländern und den Landesregierungen im Verhältnis zu den Landtagen obliegen, dem Bundesverfassungsgericht zuzuschieben.
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BVerfGE 3, 52 (53): Urteil
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des Zweiten Senats vom 10. Dezember 1953
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-- 2 BvQ 1/53 --
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in dem Verfassungsrechtsstreit wegen Durchführung der Beschlüsse des Bayerischen und des Hessischen Landtags auf Gewährung von Weihnachtszuwendungen 1953 an Beamte, Versorgungsempfänger, Angestellte und Arbeiter der Länder Bayern und Hessen; - Antragstellerin: Die Bundesregierung; Antragsgegner: 1. Die Bayerische Staatsregierung, 2. Die Hessische Landesregierung.
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Entscheidungsformel:
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Die Anträge der Bundesregierung auf Erlaß einstweiliger Anordnungen werden abgewiesen.
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Gründe:
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Mit Beschluß vom 27. November 1953 hat der Bayerische Landtag die Bayerische Staatsregierung ersucht,
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Die Bundesregierung, die am 3. November 1953 beschlossen hatte, im Hinblick auf die ernste Haushaltslage des Bundes und der Bundesbetriebe an Beamte, Versorgungsempfänger und Empfänger von Bezügen nach dem Gesetz zu Art. 131 GG Weihnachtszuwendungen in diesem Jahre nicht zu gewähren, hat mit Schriftsatz vom 28. November 1953 beim Bundesverfassungsgericht beantragt, der Bayerischen Staatsregierung durch einstweilige Anordnung die Durchführung des Landtagsbeschlusses zu untersagen. Die Bayerische Staatsregierung hat am 1. Dezember 1953 beschlossen:
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"Die Bayerische Staatsregierung ist bereit, den Beschluß des Bayerischen Landtags vom 27. November 1953 auszuführen, sofern nicht in dem bei dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren eine die Durchführung des Landtagsbeschlusses hindernde Anordnung ergeht."
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Am 2. Dezember 1953 hat der Hessische Landtag folgenden Beschluß gefaßt:
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BVerfGE 3, 52 (54):
"Unter der Voraussetzung, daß das Bundesverfassungsgericht den Antrag des Herrn Bundesfinanzministers auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen den Beschluß des Bayerischen Landtags, den Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Bayern Weihnachtszuwendungen zu gewähren, ablehnt und damit die staatsrechtliche Grundlage für die Durchführung des Beschlusses schafft, sind den Beamten des Landes Hessen Weihnachtszuwendungen in der Höhe des Jahres 1952 zu zahlen. Für die Arbeiter und Angestellten des Landes gilt die für 1952 festgelegte Regelung."
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Die Hessische Landesregierung will diesen Beschluß ausführen. Die Bundesregierung hat gegen die Bayerische Staatsregierung mit Schriftsatz vom 30. November 1953, gegen die Hessische Landesregierung am 8. Dezember 1953 die Hauptsache beim Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht. Die beiden Verfahren sind zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.
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In der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 1953 hat die Bundesregierung ihren Antrag gegen die Bayerische Staatsregierung dahin gefaßt,
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im Wege der einstweiligen Anordnung der Bayerischen Staatsregierung aufzugeben, die Ausführung des Beschlusses des Bayerischen Landtags vom 27. November 1953 auf Gewährung von Weihnachtszuwendungen an Beamte und Versorgungsempfänger sowie an Angestellte und Arbeiter des Bayerischen Staates bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen.
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Gegen die Hessische Landesregierung hat die Bundesregierung beantragt,
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im Wege der einstweiligen Anordnung der Hessischen Landesregierung aufzugeben, die Gewährung von Weihnachtszuwendungen an Beamte und Versorgungsempfänger sowie an Angestellte des Landes Hessen bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, fernerhin die Gewährung von Weihnachtszuwendungen an Arbeiter des Landes Hessen bis zur Entscheidung in der Hauptsache insoweit zu unterlassen, als BVerfGE 3, 52 (55):
die Zuwendungen über die im hessischen Manteltarifvertrag vom 23. 3. 1948 festgelegte Höhe hinausgehen.
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Die Bundesregierung hat vorgetragen, die Gewährung von Weihnachtszuwendungen durch die Länder verstoße gegen Besoldungssperrvorschriften des Bundes. Sie ist der Auffassung, daß die Auszahlung von Weihnachtszuwendungen in den beiden Ländern dem Bund schweren Schaden zufüge, der nicht wieder gutzumachen sei, falls die Entscheidung der Hauptsache nicht abgewartet werde.
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Es handelt sich um einen Verfassungsstreit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 7 BVerfGG. Der Antrag der Bundesregierung ist daher zulässig; er ist aber nicht begründet.
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Das Bundesverfassungsgericht kann nach § 32 BVerfGG eine einstweilige Anordnung nur dann erlassen, "wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist". Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Verfassungsrechtsstreit bedeutet einen Eingriff des Gerichts in die Regierungsfunktionen, bevor die mit dem Antrag zur Hauptsache anhängig gemachte Rechtsfrage entschieden ist. Aus diesem Grund darf das Gericht von seiner Befugnis nach § 32 BVerfGG nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (vgl. auch Beschluß vom 27. November 1951 -- 1 BvF 2/51 -- BVerfGE 1, 85, und Urteil vom 14. Januar 1953 -- 1 BvQ 11/52 -- BVerfGE 2, 103). Bei der gebotenen strengen Prüfung können die Voraussetzungen des § 32 BVerfGG im vorliegenden Falle nicht als erfüllt angesehen werden.
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Es ist schon fraglich, ob das Verbot der Auszahlung von Weihnachtszuwendungen nicht die Entscheidung zur Hauptsache vorwegnimmt. Das Wesen einer solchen Zuwendung ist nämlich entscheidend bestimmt durch ihren Zweck, einen Beitrag zum Aufwand des Weihnachtsfestes zu leisten, und durch den Zeitpunkt, der auch für die steuerliche Behandlung wesentlich ist BVerfGE 3, 52 (56):
(§ 3 Nr. 15 EinkStG). In jedem Fall aber fehlt es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 32 BVerfGG.
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Nichtbeachtung des Bundesrechts allein genügt nicht, vielmehr muß das gemeine Wohl aus bestimmten Gründen gefährdet sein. Wie sich aus der Zusammenstellung der Gründe in § 32 ergibt, müssen diese so schwerwiegend sein, daß sie den Erlaß der einstweiligen Anordnung unabweisbar machen. Einen derartig wichtigen Grund, aus dem der Erlaß der einstweiligen Anordnung dringend geboten wäre, vermochte die Bundesregierung nicht darzutun.
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Selbst wenn die Länder Bayern und Hessen vor Entscheidung der Hauptsache die Weihnachtszuwendungen auszahlen sollten, und diese Zahlungen nach einer im Sinne der Bundesregierung ergehenden Entscheidung nicht wieder eingebracht werden könnten, würde für den Bund kein schwerer Schaden entstehen. Würden Bayern oder Hessen durch die Auszahlung von Weihnachtszuwendungen gegen Bundesrecht verstoßen und dadurch das Gefüge von Bundes- und Länderhaushalten nachteilig beeinflussen, so hätte der Bund im Rahmen des Grundgesetzes Mittel und Wege, den gebotenen Ausgleich herbeizuführen (vgl. die Darlegungen des Bayer. Staatsministers der Finanzen Zietsch aus Anlaß der Beratung des Bayer. Gesetzes über die Gewährung von Weihnachtszuwendungen vom 6. Dezember 1952 in der 118. Sitzung des Bayer. Landtags vom 26. November 1952, Sten. Bericht S. 390 links Abs. 3).
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Die Bundesregierung macht weiterhin geltend, daß sie und die übrigen Landesregierungen durch die Auszahlung von Weihnachtszuwendungen in einzelnen Ländern einem verstärkten Druck der interessierten Kreise ausgesetzt würden. Demgegenüber ist festzustellen, daß das Vorgehen Bayerns und Hessens jedenfalls eine rechtliche Verpflichtung für andere Regierungen nicht auslösen könnte. Einem etwaigen "moralischen" Druck" müßten die beteiligten Regierungen in Erfüllung ihrer politischen Verantwortung zu begegnen wissen.
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Die Unzufriedenheit der auf eine Weihnachtszuwendung BVerfGE 3, 52 (57):
Hoffenden und die durch ungleiche Behandlung mögliche Störung des Arbeitsfriedens könnten im übrigen durch eine einstweilige Anordnung nicht behoben werden. Die Unzufriedenheit richtet sich weniger gegen die Auszahlung von Weihnachtszuwendungen in einzelnen Ländern als gegen die Versagung einer solchen Zuwendung überhaupt. Bei den Staatsbediensteten beruht die Unzufriedenheit im übrigen auch darauf, daß auf jeden Fall eine Ungleichheit in der Behandlung von Staatsbediensteten einerseits und von Gemeindebediensteten andererseits bestehen bleiben würde. Gegen die Gewährung von Weihnachtszuwendungen an Angestellte und Arbeiter durch die Gemeinden ist die Bundesregierung nicht vorgegangen, weil sie anscheinend die rechtliche Verpflichtung der Gemeinden anerkennt.
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Die einstweilige Anordnung ist endlich nicht der einzige Weg, mit dem die Bundesregierung das von ihr erstrebte Ziel erreichen könnte. Da sie der Auffassung ist, daß die Antragsgegner die ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Bundespflichten durch Gewährung von Weihnachtszuwendungen verletzen, könnte sie mit Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 37 GG den Ländern Bayern und Hessen die Auszahlung der Weihnachtszuwendungen untersagen. Die einstweilige Anordnung ist nicht als Mittel gedacht, die Verantwortung für politische Entscheidungen, die der Bundesregierung im Verhältnis zu den Ländern und den Landesregierungen im Verhältnis zu den Landtagen obliegen, dem Bundesverfassungsgericht zuzuschieben.
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Die Landesregierungen müssen ihre weiteren Entschließungen über die Gewährung von Weihnachtszuwendungen selbst verantworten. Sie müssen dabei Bundestreue wahren, auf den Ausgleich ihres Haushaltes als eines Teilbereiches des gesamten Finanzgefüges von Bund und Ländern achten und berücksichtigen, daß die strittigen Rechtsfragen noch nicht entschieden sind.
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Aus diesen Gründen mußte das Gericht den Antrag der Bundesregierung abweisen. Damit hat es aber nicht, wie der Beschluß des Hessischen Landtages vom 2. Dezember 1953 anzunehmen BVerfGE 3, 52 (58):
scheint, die "staatsrechtliche Grundlage" für die Auszahlung von Weihnachtszuwendungen geschaffen.
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